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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 313/11
vom
28. Juni 2012
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 294 Abs. 1, § 302 Nr. 1; ZPO § 850f Abs. 2
Während der Dauer der Wohlverhaltensphase kann ein Insolvenzgläubiger von Ansprüchen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung auch in den Vorrechtsbereich für solche Forderungen nicht vollstrecken.
BGH, Beschluss vom 28. Juni 2012 - IX ZB 313/11 - AG Münster
LG Münster
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Vill, Raebel, die
Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin Möhring
am 28. Juni 2012
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer
des Landgerichts Münster vom 31. August 2011 wird auf Kosten
der Gläubiger zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 1.745,76 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Die Beschwerdeführer sind Gläubiger in dem am 27. November 2007
eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, das mit Beschluss vom 30. November 2010 in die Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens überführt worden ist. Sie haben eine ausgenommene
Forderung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO angemeldet, wegen derer sie den
Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt haben, mit
dem Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldner gepfändet werden
sollten, soweit diese nicht an die Treuhänderin abgetreten worden sind. Nachdem das Vollstreckungsgericht zunächst den gemäß § 850f Abs. 2 ZPO monat-
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lich pfändungsfreien Betrag mit Beschluss vom 26. Januar 2011 auf 700 € festgesetzt hatte, hat die Richterin auf Erinnerung des Schuldners den Pfändungsund Überweisungsbeschluss aufgehoben und den Antrag auf seinen Erlass zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubiger ist
erfolglos geblieben. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen sie
ihren Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit
dem sie in der Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens in
den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO vollstrecken wollen, weiter.
II.
2
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3
Satz 2 ZPO statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (BGH,
Beschluss vom 5. Februar 2004 - IX ZB 97/03, ZInsO 2004, 391, 392; vom
17. Februar 2004 - IX ZB 306/03, ZInsO 2004, 441). Die auch sonst zulässige
Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
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1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, das Amtsgericht habe den
Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu Recht aufgehoben und den Antrag
der Gläubiger zurückgewiesen, denn die Pfändung sei unzulässig, weil das
Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO uneingeschränkt für alle Insolvenzgläubiger gelte. Sämtliche Insolvenzgläubiger einschließlich der Unterhalts- und
Deliktsgläubiger müssten in der Treuhandphase die gleichen Befriedigungsmöglichkeiten haben, eine Ausnahme von dem Vollstreckungsverbot komme
deshalb nicht in Betracht. Der Rechtsgedanke des § 302 Nr. 1 InsO stehe dieser Auslegung nicht entgegen. Aus der Vorschrift ergebe sich, dass eine Privi-
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legierung der Deliktsgläubiger erst nach Ende der Wohlverhaltensphase eintreten solle.
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2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
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a) Nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum
gilt das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO auch für solche Gläubiger,
deren Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung
stammt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde (BAG,
BAGE 132, 125 Rn. 23 zu § 850d ZPO; LG Leipzig, NZI 2006, 603; LG Saarbrücken, Beschluss vom 18. April 2012 - 5 T 203/12, Rn. 25 f; AG Bremen, NZI
2008, 55, 56; FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl., § 294 Rn. 11; Fischer in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 294 Rn. 2; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 2. Aufl., § 294
Rn. 2; HmbKomm/InsO-Streck, 4. Aufl., § 294 Rn. 3; HK-InsO/Landfermann,
6. Aufl., § 294 Rn. 3; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO 2008, § 294 Rn. 2 c;
Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 294 Rn. 5).
6
b) Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob § 294 Abs. 1 InsO auch die
Vollstreckung von Gläubigern ausgenommener Forderung in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO während des Laufs der Wohlverhaltensphase ausschließt, bislang zwar nicht ausdrücklich entschieden. Zweck des Vollstreckungsverbots des § 294 Abs. 1 InsO ist es, den Neuerwerb des Schuldners,
der nicht gemäß § 287 Abs. 2 InsO an den Treuhänder abgetreten oder an diesen gemäß § 295 InsO herauszugeben ist, dem Zugriff der Insolvenzgläubiger
zu entziehen (BGH, Urteil vom 21. Juli 2005 - IX ZR 115/04, BGHZ 163, 391,
396 f; Beschluss vom 13. Juli 2006 - IX ZB 288/03, ZInsO 2006, 872 Rn. 9).
Dies gilt auch im Hinblick auf Gläubiger, deren Forderung aus einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung
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stammt, die sie im Verfahren mit diesem Privileg angemeldet haben. Zwar soll
ihre Forderung von der Restschuldbefreiung nicht erfasst werden, sondern nach
Erteilung der Restschuldbefreiung weiter durchsetzbar sein. Dieses Privileg bezieht sich aber nur auf die insolvenzrechtliche Nachhaftung, ohne dem Gläubiger schon innerhalb des Insolvenz- oder Restschuldbefreiungsverfahrens eine
Sonderstellung zuzuweisen (BGH, Beschluss vom 27. September 2007 - IX ZB
16/06, ZInsO 2007, 1226 Rn. 12 mwN).
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Nach diesen Grundsätzen ist es ausgeschlossen, dass der Gläubiger
einer ausgenommenen Forderung bereits während des Laufs der Wohlverhaltensphase in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO vollstreckt. Die Wertentscheidung des Gesetzgebers in § 302 Nr. 1 InsO geht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdebegründung nicht dahin, im Fall des Fehlens konkurrierender Neugläubiger nicht dem Schuldner, sondern dem Gläubiger der
ausgenommenen Forderung die im Rahmen des § 850f Abs. 2 ZPO pfändbaren
Einkünfte zuzuweisen. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr, ohne damit Art. 14
Abs. 1 GG zu verletzen, für die Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger während des Laufs der Wohlverhaltensphase entschieden. Dies schließt an den
Zuschnitt des Vollstreckungsverbots während der Dauer des Verfahrens nach
§ 89 Abs. 2 InsO an, dessen Satz 2 keine Deliktsgläubiger privilegiert, die an
dem Verfahren teilnehmen (BGH, Beschluss vom 27. September 2007, aaO
Rn. 10). Art. 14 Abs. 1 GG wird insofern Rechnung getragen, als Gläubiger
ausgenommener Forderungen bei entsprechender Anmeldung und Feststellung
ihres Anspruchs nach Erteilung der Restschuldbefreiung die Möglichkeit haben,
weiter in das Vermögen des Schuldners zu vollstrecken.
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c) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Unwirksamkeit einer
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachten Pfändung der fortlaufen-
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den Bezüge des Schuldners für die Dauer des Insolvenzverfahrens und eines
sich daran möglicherweise anschließenden Restschuldbefreiungsverfahrens
(BGH, Beschluss vom 24. März 2011 - IX ZB 217/08, ZInsO 2011, 812) hat hierauf keinen Einfluss. Die zeitlich beschränkte Unwirksamkeit der Pfändung bezieht sich nach der genannten Entscheidung gerade auch auf die Dauer der
Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens. Der Pfändungsschutz besteht also auch in dieser Phase weiter, so dass die Entscheidung im
Einklang mit dem Ausschluss von Vollstreckungen von Insolvenzgläubigern
während dieses Zeitraums steht. Das Pfändungspfandrecht soll nach dem Beschluss (aaO, Rn. 10, 14) erst dann wieder aufleben, wenn dem Vollstreckungsschuldner die Restschuldbefreiung versagt wird. Zuvor kommt die Geltendmachung von Rechten aus dem Pfändungspfandrecht nicht in Betracht.
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d) Auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. November 2010
(IX ZR 67/10, ZInsO 2011, 102), wonach die Klage eines Gläubigers auf Zinszahlung seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dessen Aufhebung während der Treuhandphase ungeachtet einer möglichen späteren Restschuldbefreiung des Schuldners zulässig ist, führt zu keiner anderen Wertung. Hieraus
ergibt sich nicht, dass die Vollstreckung eines Insolvenzgläubigers wegen einer
ausgenommenen Forderung in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 InsO
während der Dauer der Wohlverhaltensphase zulässig ist. Nach dieser Entscheidung steht das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO vielmehr nur
der Zulässigkeit der Klageerhebung, die eine spätere Zwangsvollstreckung vorbereitet, nicht entgegen (BGH, aaO Rn. 8 f; LG Göttingen, ZInsO 2005, 1113,
1114). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Zwangsvollstreckung eines Insolvenzgläubigers schon in der Treuhandphase zulässig ist.
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3. Die nicht näher begründete Rüge, das Beschwerdegericht hätte das
Verfahren wegen eines Antrags der Gläubiger auf Versagung der Restschuldbefreiung aussetzen müssen, greift nicht durch. Zwar führt die Versagung der
Restschuldbefreiung gemäß § 299 InsO zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung. Kommt es hierzu, hat der Gläubiger aber die Möglichkeit, aufgrund
veränderter Sachlage einen neuen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu
beantragen. Vorgreiflich ist die Entscheidung über die Versagung der Restschuldbefreiung deshalb nicht. Im Übrigen sind die Vorschriften über die Aussetzung (§§ 148 ff ZPO) auf das grundsätzlich eilbedürftige, auf eine rasche
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Befriedigung der Gläubiger angelegte Insolvenzverfahren nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch nicht entsprechend anwendbar (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 - IX ZB 15/06, NZI 2006, 642 Rn. 5).
Vill
Raebel
Pape
Lohmann
Möhring
Vorinstanzen:
AG Münster, Entscheidung vom 05.05.2011 - 33 M 289/11 LG Münster, Entscheidung vom 31.08.2011 - 5 T 373/11 -