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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 310/11
vom
29. März 2012
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 70, InsVV § 18 Abs. 1
a) Die Entlassung eines Mitglieds des Gläubigerausschusses auf seinen eigenen
Antrag setzt einen wichtigen Grund voraus. Ein solcher liegt vor, wenn die Fortsetzung der Tätigkeit für das Mitglied des Ausschusses bei Abwägung der Interessen
unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unzumutbar ist.
b) Die Fortsetzung der Tätigkeit als Mitglied des Gläubigerausschusses kann unzumutbar sein, wenn nicht gesichert ist, dass die Kosten einer angemessenen Haftpflichtversicherung für diese Tätigkeit von der Masse getragen werden können.
BGH, Beschluss vom 29. März 2012 - IX ZB 310/11 - LG Hannover
AG Hannover
-2-
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Raebel, Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
am 29. März 2012
beschlossen:
Auf die Rechtsmittel des weiteren Beteiligten zu 1 werden der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom
1. Dezember 2011 und der Beschluss des Amtsgerichts Hannover
vom 15. September 2011 aufgehoben.
Der weitere Beteiligte zu 1 wird auf seinen Antrag aus dem Amt
als Mitglied des Gläubigerausschusses entlassen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
5.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Der weitere Beteiligte zu 1 ist Mitglied des Gläubigerausschusses in dem
am 1. Juli 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Mit Schreiben vom 26. August 2011 beantragte der weitere Beteiligte
zu 1 seine Entlassung aus wichtigem Grund und führte zur Begründung aus, die
Prämien für die Haftpflichtversicherung des Gläubigerausschusses könnten
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wegen Massearmut seit Juli 2011 aus der Masse nicht mehr bezahlt werden.
Ein Ende des Insolvenzverfahrens sei nicht absehbar, weil noch Ansprüche in
Höhe von bis zu rund 5,8 Mio. € gegen die Haftpflichtversicherung des ursprünglichen, später entlassenen Insolvenzverwalters gerichtlich geltend gemacht würden. Es sei den Mitgliedern des Gläubigerausschusses nicht zuzumuten, an den anstehenden Entscheidungen erheblichen wirtschaftlichen Umfangs ohne angemessenen Versicherungsschutz mitzuwirken.
2
Das Insolvenzgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der weitere Beteiligte zu 1 sein Entlassungsbegehren weiter.
II.
3
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
4
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, es liege kein die Entlassung
nach § 70 InsO rechtfertigender wichtiger Grund vor. Die weitere Mitarbeit des
Beteiligten zu 1 im Gläubigerausschuss werde dadurch, dass die Versicherungsprämie derzeit nicht gezahlt werde, nicht nachhaltig erschwert oder gar
unmöglich gemacht. An der Erfüllung ihrer Pflichten seien Mitglieder des Gläubigerausschusses nicht gehindert, auch wenn ein Versicherungsschutz nicht
mehr bestehe. Aus den besonderen Umständen des Falles ergebe sich nichts
anderes. Der weitere Beteiligte zu 1 habe zwar bei der Übernahme seines Amtes angesichts der damals vorhandenen erheblichen Masse die eingetretene
Entwicklung nicht vorhersehen können. Im Falle einer Entlassung drohe jedoch
- 4 -
in Zusammenschau mit den gleich begründeten Entlassungsanträgen weiterer
Ausschussmitglieder die Handlungsunfähigkeit des Gläubigerausschusses.
Dies wiederum würde angesichts von mehreren hundert Gläubigern zu erheblichen Schwierigkeiten im weiteren Verfahren führen. Das Interesse der Mitglieder des Gläubigerausschusses an einer Absicherung müsse daher zurückstehen, zumal sie auf eigene Kosten eine Haftpflichtversicherung abschließen und
bei erfolgreicher Geltendmachung der Schadensersatzansprüche auch mit einer Erstattung der Prämien rechnen könnten.
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2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
6
a) Ein Mitglied des Gläubigerausschusses kann sein Amt nicht niederlegen. Es kann aber auf eigenen Antrag vom Insolvenzgericht aus seinem Amt
entlassen werden. Voraussetzung ist - wie bei einer Entlassung von Amts wegen oder auf Antrag der Gläubigerversammlung - ein wichtiger Grund (§ 70
Satz 1 und 2 InsO; BT-Drucks. 12/2443, S. 132 zu § 81 RegE-InsO). Nach der
bisherigen Rechtsprechung des Senats liegt ein solcher vor, wenn die weitere
Mitarbeit des zu entlassenden Mitglieds die Erfüllung der Aufgaben des Gläubigerausschusses nachhaltig erschwert oder unmöglich macht und die Erreichung der Verfahrensziele objektiv nachhaltig gefährdet (BGH, Beschluss vom
1. März 2007 - IX ZB 47/06, WM 2007, 842 Rn. 9; vom 24. Januar 2008 - IX ZB
222/05, WM 2008, 599 Rn. 7; vom 24. Januar 2008 - IX ZB 223/05, WM 2008,
601 Rn. 5). Sie betrifft Fälle, in denen die Entlassung gegen den Willen des
Ausschussmitglieds erfolgen soll. Diese Formel kann aber nicht verwendet werden, wenn ein Mitglied des Gläubigerausschusses selbst seine Entlassung beantragt. In diesem Fall ist eine Beeinträchtigung der Arbeit des Gläubigerausschusses und eine Gefährdung der Verfahrensziele regelmäßig nicht aufgrund
einer weiteren Mitarbeit des Ausschussmitglieds zu erwarten, sondern als Folge
- 5 -
seines Ausscheidens. Diesen möglichen Nachteilen ist das Interesse des Ausschussmitglieds an einer Beendigung seines Amtes gegenüberzustellen. Erweist sich bei Abwägung der Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände
des Einzelfalls die Fortsetzung der Tätigkeit als Mitglied des Gläubigerausschusses für dieses als unzumutbar, ist ein wichtiger Grund für die von ihm beantragte Entlassung gegeben (vgl. LG Göttingen, NZI 2011, 857 mit zustimmender Anmerkung Keller, NZI 2011, 910; AG Duisburg, NZI 2003, 659; ähnlich
bei eigenem Entlassungsantrag MünchKomm-InsO/Schmid-Burgk, 2. Aufl., § 70
Rn. 16;
Uhlenbruck,
InsO,
13. Aufl.,
§ 70
Rn. 6;
Kübler
in
Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 70 Rn. 9; HK-InsO/Eickmann, 6. Aufl., § 70
Rn. 4; Hess, Insolvenzrecht, § 70 InsO Rn. 7; Gundlach/Frenzel/Schmidt, InVo
2003, 49, 50). Eine solche Unterscheidung im Entlassungsgrund, je nachdem
ob das Ausschussmitglied die Entlassung erstrebt oder abwehren will, entspricht derjenigen der Bestimmung in § 626 Abs. 1 BGB über die fristlose Kündigung eines Dienstverhältnisses aus wichtigem Grund (vgl. BGH, Beschluss
vom 1. März 2007, aaO Rn. 10). Auch dort ist maßgeblich, ob eine Fortsetzung
des Dienstverhältnisses für den jeweils Kündigenden zumutbar ist.
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b) Indem das Beschwerdegericht darauf abgestellt hat, dass die weitere
Mitarbeit des Beteiligten zu 1 im Gläubigerausschuss durch den fehlenden Versicherungsschutz nicht nachhaltig erschwert werde, hat es diesen Maßstab verkannt. Seine Entscheidung kann deshalb mit der gegebenen Begründung nicht
bestehen bleiben.
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3. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Die vom weiteren Beteiligten zu 1 vorgebrachten
Gründe rechtfertigen nach dem festgestellten Sachverhalt seine Entlassung als
Mitglied des Gläubigerausschusses aus wichtigem Grund gemäß § 70 Satz 1
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InsO. Die Beschwerdeentscheidung ist daher gemäß § 577 Abs. 5 ZPO abzuändern.
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a) Die Tätigkeit im Gläubigerausschuss birgt ein beträchtliches Haftungsrisiko (§ 71 InsO; Uhlenbruck, InsO, aaO § 73 Rn. 21; Vallender, WM 2002,
2040, 2049). Jedenfalls in umfangreichen Insolvenzverfahren haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses deshalb ein berechtigtes Interesse, sich
durch eine angemessene Haftpflichtversicherung abzusichern. Schließt das
Mitglied in einem solchen Fall die Versicherung selbst ab, hat es Anspruch auf
Erstattung der verauslagten Prämien nach § 18 InsVV (Haarmeyer/Wutzke/
Förster, InsVV, 4. Aufl., § 18 Rn. 4 f; Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, 3. Aufl., Rn. 789; BK-InsO/Blersch, 2006, § 18 InsVV Rn. 7;
Braun/Kind, InsO, 4. Aufl., § 71 Rn. 12; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO,
2011, § 71 Rn. 26 und § 73 Rn. 17; Vortmann, ZInsO 2006, 310, 314; Uhlenbruck, aaO mwN). Anders als beim Insolvenzverwalter sind die Kosten der
Haftpflichtversicherung nicht mit der Vergütung abgegolten; die Regelung in § 4
Abs. 3 Satz 1 InsVV ist auf die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses nicht entsprechend anwendbar (vgl. § 10 InsVV). Wegen der Höhe
der Prämien einer derartigen Versicherung kommt auch die Gewährung eines
Vorschusses an das Ausschussmitglied in Betracht. Teilweise wird es als zulässig angesehen, dass die Versicherungsprämien im Einverständnis des Insolvenzgerichts direkt aus der Masse bezahlt werden (Blersch aaO; Vallender
aaO).
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b) Im vorliegenden Fall ist der weitere Beteiligte zu 1 wegen der von der
Masse gerichtlich verfolgten umfangreichen Schadensersatzansprüche gegen
die Haftpflichtversicherung des früheren Insolvenzverwalters auch noch im gegebenen fortgeschrittenen Verfahrensstadium - etwa im Zusammenhang mit
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einem Vergleichsabschluss - einem erheblichen Haftungsrisiko ausgesetzt.
Sein Interesse, dieses Risiko auf Kosten der Masse durch eine Haftpflichtversicherung abgesichert zu wissen, ist berechtigt. Ob der weitere Beteiligte zu 1
insoweit die unmittelbare Bezahlung der Prämien aus der Masse, die Gewährung eines Vorschusses oder nur die nachträgliche Erstattung verauslagter
Prämien verlangen kann, ist im Blick auf seinen Entlassungsantrag nicht entscheidend. Fest steht, dass die Versicherungsprämie entgegen der zunächst
jahrelang gehandhabten Übung ab Juli 2011 nicht mehr aus der Masse bezahlt
worden ist und dass die Masse derzeit nicht ausreicht, um die rückständigen
und die künftigen Prämien zu bezahlen. Ob die verfolgten Schadensersatzansprüche zu einer ausreichenden Erhöhung der Masse führen, ist ungewiss. Der
weitere Beteiligte zu 1 muss deshalb damit rechnen, eigene Zahlungen auf die
Prämien nicht erstattet zu bekommen.
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c) Demgegenüber wiegt das Interesse an einem Fortbestand des Gläubigerausschusses unter Einschluss des weiteren Beteiligten zu 1 weniger
schwer. Der Gläubigerausschuss ist auch ohne ihn funktionsfähig. Selbst dann,
wenn weitere Ausschussmitglieder unter Berufung auf den fehlenden Versicherungsschutz ausschieden und der Ausschuss vollständig aufgelöst werden
müsste, wäre eine geordnete weitere Abwicklung des Insolvenzverfahrens nicht
erheblich gefährdet.
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d) Eine Gesamtwürdigung führt deshalb zu dem Ergebnis, dass dem Beteiligten zu 1 die weitere Ausübung seines Amtes als Mitglied des Gläubigerausschusses unter den gegebenen Umständen nicht zuzumuten ist.
Kayser
Raebel
Grupp
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 15.09.2011 - 903 IN 432/04-2- LG Hannover, Entscheidung vom 01.12.2011 - 11 T 54/11 -