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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 289/00
Verkündet am:
24. September 2001
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
GenG § 68 Abs. 4
a) § 68 Abs. 4 Halbsatz 2 GenG findet auf den Ausschluß eines Genossen, der
Mitglied der Vertreterversammlung ist, keine Anwendung.
b) Bis zur rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschlusses
aus der Genossenschaft ruht das Vertreteramt. Es lebt gemäß § 68 Abs. 4
Halbsatz 1 GenG anschließend wieder auf.
BGH, Urteil vom 24. September 2001 - II ZR 289/00 - Kammergericht
LG Berlin
-2-
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom
24. September
2001
durch
den
Vorsitzenden
Richter
Dr. h.c. Röhricht, die Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Henze, Kraemer und
die Richterin Münke
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 17. August 2000 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Mitglied der Beklagten, einer eingetragenen Genossenschaft, und wurde im Mai 1996 als Vertreter in die Vertreterversammlung gewählt. Im August 1997 beschloß der Vorstand der Beklagten den Ausschluß
des Klägers aus der Genossenschaft mit Wirkung zum 31. Dezember 1997 und
teilte ihm dies im September 1997 schriftlich mit. Die Unwirksamkeit des Ausschlusses wurde durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Mai 1999
rechtskräftig festgestellt. Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Beklagten informierten den Kläger, daß dadurch lediglich die Mitgliedschaft in der Genos-
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senschaft, nicht aber das Vertreteramt fortbestehe, und luden ihn auch nach
Rechtskraft der Feststellung nicht mehr zu den Vertreterversammlungen ein.
Der Kläger ist der Auffassung, daß durch die rechtskräftige Feststellung der
Unwirksamkeit seines Ausschlusses sein Vertreteramt fortbestehe bzw. wieder
aufgelebt sei, und begehrt mit seiner Klage, dies festzustellen. Aufgrund vorgezogener Vertreterwahl im Mai 2000 wurde der Kläger erneut als Vertreter in die
Vertreterversammlung gewählt, die sich zum Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung in der Vorinstanz noch nicht konstituiert hatte. Das Landgericht
hat der Feststellungsklage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt
die Beklagte ihren Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
I. Da sich die neue Vertreterversammlung im Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen noch nicht konstituiert
hatte, läßt sich entgegen der Ansicht der Revision das Feststellungsinteresse
des Klägers nicht mit dem Hinweis auf die vorgezogene Vertreterwahl im Mai
2000 in Frage stellen.
II. Der im Mai 1996 in das Vertreteramt gewählte Kläger hat dieses Amt
durch die im September 1997 erfolgte Mitteilung des Vorstandsbeschlusses
über seinen Ausschluß aus der Genossenschaft nicht verloren; es hat vielmehr
von diesem Zeitpunkt an bis zur rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit
des Ausschlusses nur geruht und ist dann wieder aufgelebt.
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1. Entgegen den Darlegungen der Revision kann die für Vorstands- und
Aufsichtsratsmitglieder nach überwiegender Ansicht geltende Regelung des
§ 68 Abs. 4 Halbsatz 2 GenG (RGZ 128, 87, 90; BGHZ 31, 192, 195; OGHZ 1,
370, 375 f.; Bauer in: Schubert/Steder/Bauer, Genossenschaftshandbuch Bd. 2
1973, § 68 Rdn. 18; Beuthien, GenG 13. Aufl. § 68 Rdn. 19; Pöhlmann in:
Hettrich/Pöhlmann,
GenG
2. Aufl.
§ 68
Rdn. 19;
Schaffland:
in
Lang/Weidmüller/
Metz/Schaffland, GenG 33. Aufl. § 68 Rdn. 83, a.A. Müller, GenG § 68 Rdn. 67,
71 m.w.N.), die im Interesse der Arbeitsfähigkeit dieser Organe ein Wiederaufleben des Amtes auch nach rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit
des Ausschlusses nicht zuläßt, für das Vertreteramt nicht maßgeblich sein.
a) § 68 Abs. 4 Halbsatz 2 GenG ist nicht als generelle, auf jedwedes Amt
innerhalb der Genossenschaft anwendbare Norm gefaßt. Diese Norm nennt
vielmehr ausschließlich den Vorstand und den Aufsichtsrat und erklärt sich aus
den Besonderheiten dieser Organe. Die Mitglieder des Vorstandes tragen im
Bereich der Geschäftsführung und Vertretung, die Mitglieder des Aufsichtsrates
im Bereich der Kontrolle der Geschäftsführung und der Vertretung der Genossenschaft gegenüber dem Vorstand in besonderem Maße Verantwortung für
die Genossenschaft und nehmen insoweit das Vertrauen der Genossen in Anspruch. Zudem sind insbesondere die Vorstandsmitglieder im Regelfalle im
Rahmen eines Dienstvertrages und häufig hauptamtlich tätig. Mit dieser Stellung und mit der Bedeutung der Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat für
die Genossenschaft wäre ein vorübergehendes Ruhen des Amtes für die unter
Umständen jahrelange Dauer des Streits um den Ausschließungsbeschluß und
die in dieser Zeit bestehende Ungewißheit nur schwer zu vereinbaren. Zudem
ergeben sich erhebliche Probleme, wenn in der Zwischenzeit ein neues Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied an Stelle des Ausgeschlossenen bestellt
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worden ist. Auch eine parallele Tätigkeit des alten und des neuen Mitgliedes im
Vorstand oder Aufsichtsrat ab diesem Zeitpunkt ist jedenfalls nicht ohne weiteres und auch nicht in jedem Fall möglich.
b) Die Stellung und die Aufgaben eines Vertreters sind entgegen der
Auffassung der Revision mit den Ämtern im Vorstand oder im Aufsichtsrat auch
nicht in einer Weise vergleichbar, die eine entsprechende Anwendung von
§ 68 Abs. 4 Halbsatz 2 GenG insoweit rechtfertigen könnte.
Zwar üben auch die Vertreter innerhalb der Genossenschaft ein Amt
aus; sie unterliegen insoweit bestimmten Amtspflichten; insbesondere sind sie
gehalten, ihr Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Vertreters einer Genossenschaft zu erfüllen, an den Vertreterversammlungen teilzunehmen und dort
mittels ihres Rede-, Auskunfts- und Antragsrechts sachgerecht mitzuarbeiten.
Gleichwohl unterscheidet sich die Tätigkeit des Vertreters wesentlich
von derjenigen der Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder. Das Vertreteramt
wird anders als im Regelfall das Vorstandsamt ehrenamtlich ausgeführt. Es
beinhaltet anders als die Tätigkeit im Vorstand oder im Aufsichtsrat keine exekutiven Aufgaben; es stellt vielmehr eine besondere Form der Wahrnehmung
mitgliedschaftlicher Rechte und Pflichten dar: Vertreterversammlungen sind
lediglich verkleinerte Generalversammlungen; Zweck, Aufgabe und Funktion
der Vertreterversammlung bestehen darin, aus Praktikabilitätsgründen an die
Stelle der infolge ihrer großen Mitgliederzahl zu schwerfälligen und zu einer
Willensbildung nur unter erheblichem Aufwand an Zeit und Geld fähigen Generalversammlung zu treten (BGHZ 83, 228, 232). Die Tätigkeit der Vertreter besteht dementsprechend darin, in der Vertreterversammlung für sich und die
vertretenen Genossen diejenigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen, die bei
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kleineren Genossenschaften im Rahmen der Generalversammlung jeder Genosse selbst und ausschließlich für sich ausübt.
c) Der Auffassung der Revision, nach der das Vertreteramt mit der Mitteilung über den Ausschließungsbeschluß unabhängig von dessen Wirksa mkeit dauerhaft erlischt, kann im übrigen auch deshalb nicht gefolgt werden, weil
damit die Gefahr bestünde, daß die Vertreter faktisch in die Abhängigkeit des
Vorstands geraten.
Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder können nicht durch bloßen Vorstandsbeschluß, sondern nur durch Beschluß der General- bzw. Vertreterve rsammlung ausgeschlossen werden. Dies ist im Hinblick auf den mit der Mitteilung des Ausschließungsbeschlusses unabhängig von seiner Wirksamkeit
zwingend verbundenen endgültigen Amtsverlust zum Schutz des Betroffenen
und insbesondere zur Vermeidung einer Machtverschiebung innerhalb der Genossenschaft zugunsten des Vorstandes unerläßlich (BGHZ 31, 192, 195 f.)
und ist auch in § 11 Abs. 6 der Satzung der Beklagten berücksichtigt. Für Vertreter bestehen solche Kontroll- und Schutzmechanismen nicht. Ebenso wie
jeder Genosse, der kein Amt bekleidet, kann auch ein Vertreter nach den allgemeinen Vertretungsregelungen innerhalb der Genossenschaft durch Beschluß des Vorstandes ausgeschlossen werden. Hätte gleichwohl die Mitteilung des Ausschließungsbeschlusses entsprechend § 68 Abs. 4 Halbsatz 2
GenG zur Folge, daß der Vertreter ebenso wie Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder unabhängig von der Wirksamkeit des Ausschlusses sein Amt verlöre, so führte dies zu einer Erweiterung der Machtstellung des Vorstands gegenüber der Vertreterversammlung, die allein schon im Hinblick auf den genossenschaftlichen Grundsatz der Selbstverwaltung nicht hinnehmbar wäre.
Der Vorstand könnte sich nämlich jedes Vertreters, insbesondere eines sol-
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chen, der sich durch sein Verhalten in der Vertreterversammlung - etwa durch
unerwünschte Auskunftsbegehren oder Anträge - mißliebig gemacht hat, leicht
entledigen. Damit geriete die Tätigkeit insbesondere mißliebiger Vertreter unter
den Einfluß des Vorstands. Im Falle rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses würde zwar die Wählbarkeit des Betroffenen bei der nächsten Wahl zur Vertreterversammlung wieder aufleben.
Zunächst und bis zur nächsten Vertreterwahl und Konstituierung der neuen
Vertreterversammlung aber könnte der Vorstand mißliebige Vertreter ausschalten, ohne daß diese sich hiergegen wehren könnten.
2. Entgegen der Auffassung der Revision ist es aus diesen Gründen
sachgerecht, die Mitteilung des Ausschließungsbeschlusses an einen Vertreter
entsprechend § 68 Abs. 4 Halbsatz 1 GenG zu behandeln. Diese Bestimmung
schreibt vor, daß ein Genosse von dem Zeitpunkt der Absendung dieses Beschlusses an nicht mehr an der Generalversammlung teilnehmen darf; der Beschluß wirkt damit vorläufig (RGZ 72, 4, 10). Die rechtskräftige Feststellung,
daß der Ausschließungsbeschluß unwirksam ist, entfaltet zwar keine Rückwi rkung, läßt aber das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht des Genossen wieder
aufleben. Die Orientierung an dieser Regelung liegt nahe, weil die Tätigkeit der
Vertreter eher der Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Rechte und Pflichten in
der Generalversammlung als der Tätigkeit im Vorstand oder Aufsichtsrat entspricht. Zudem ist es rechtlich und faktisch ohne weiteres möglich, das Vertreteramt für die Zeit des Streits um die Frage der Wirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses ruhen, in der Zwischenzeit durch einen Ersatzvertreter
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wahrnehmen und mit der rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit der
Ausschließung wieder aufleben zu lassen.
VRiBGH Dr. h.c. Röhricht ist
wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert
Hesselberger
Hesselberger
Kraemer
Henze
Münke