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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 468/14
vom
18. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Dezember
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
in der Verhandlung ,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
Verkündung
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
bei der
-3-
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 13. März 2014 wird als unbegründet
verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels sowie die insoweit entstandenen
notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es Maßnahmen nach §§ 69, 69a
StGB angeordnet. Die dagegen gerichtete, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe erstrebt, hat keinen Erfolg.
I.
2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte war als Taxifahrer in der Silvesternacht vom
31. Dezember 2012 auf den 1. Januar 2013 mit seinem Großraumtaxi auf dem
Weg zu einer Kundin. Das Fahrzeug verfügte hinten über zwei Sitzreihen; der
-4-
Zustieg erfolgte über Schiebetüren. Am Nachbarhaus der ihm telefonisch genannten Adresse wurde er von dem späteren Tatopfer
M.
und
seinen beiden Begleitern angehalten, die mit einem Taxi zum Bahnhof fahren
wollten. Der Angeklagte lehnte die Beförderung mit der Begründung ab, er könne sie wegen einer anderen Bestellung nicht mitnehmen. Währenddessen hatte
M.
die hintere rechte Schiebetür des Taxis geöffnet und war ein-
gestiegen. Der Angeklagte forderte ihn auf, das Fahrzeug wieder zu verlassen.
Während
M.
ausstieg, entspann sich ein Wortwechsel mit dem
Angeklagten, da
nachdem
M.
M.
auf der Beförderung bestand. Unmittelbar
das Taxi verlassen hatte und mit beiden Füßen auf
der Straße stand, fuhr der Angeklagte mit seinem Taxi an. Die hintere rechte
Schiebetür war zu diesem Zeitpunkt noch offen, was dem Angeklagten bewusst
war.
M.
wollte nun den Angeklagten dazu bewegen, das Taxi an-
zuhalten. Er griff mit seiner linken Hand durch die geöffnete Schiebetür in das
Fahrzeug und hielt sich im Inneren fest. Dann lief er neben dem Fahrzeug her,
wobei er sich mit dem Oberkörper halb im Fahrzeug befand, rief einige Male
„Stopp“ und versuchte, sich in das Fahrzeug hineinzuziehen, während der Angeklagte das Fahrzeug beschleunigte. Der Angeklagte hörte die Rufe und bemerkte, dass
M.
an der offenen Tür neben dem Fahrzeug herlief.
Gleichwohl setzte er seinen Beschleunigungsvorgang fort. Dabei nahm er in
Kauf, dass das Taxi
M.
touchieren könnte, dieser möglicherweise
zu Fall kommen und sich dabei durch Prellungen oder Abschürfungen leicht
verletzen könnte. Mit diesen möglichen Folgen hatte sich der Angeklagte abgefunden. Ihm war ferner bewusst, dass es auch zu einem schweren oder tödlichen Unfall kommen könnte, wenn das Fahrzeug die nebenherlaufende Person berühren sollte. Nach einigen Sekunden geriet
M.
ins Strau-
cheln, löste seinen Griff im Inneren des Fahrzeugs und fiel hin, wobei er sich
durch den Anstoß am Fahrzeug eine Verletzung am Oberarm und eine Schürf-
-5-
wunde zuzog. Im Fallen verhakte sich seine Jacke in der Schiebetür, sodass er
in eine horizontale Drehbewegung versetzt wurde, durch die sein Kopf unter
das Fahrzeug geriet und vom rechten Hinterrad überrollt wurde. Er war sofort
tot.
4
2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte eine Verletzung
M.
s durch eine Berührung mit seinem Fahrzeug billigend in
Kauf genommen habe. Er habe damit den Tatbestand einer gefährlichen
Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt. Den Tod des
M.
habe er fahrlässig verursacht, indem er abgesehen von der
vorangegangenen Körperverletzung gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen habe, sein Fahrzeug so zu führen, dass andere Personen dabei nicht geschädigt
werden (§ 1 Abs. 2 StVO). Der Kausalverlauf (Sturz des Opfers durch die Weiterfahrt trotz der dicht neben dem Fahrzeug laufenden Person) und die mögliche Folge des Todes lägen nicht außerhalb der Lebenserfahrung und seien für
den Angeklagten vorhersehbar gewesen. Bei rechtmäßigem Handeln, wenn
also der Angeklagte alsbald gebremst hätte, nachdem er bemerkt hatte, dass
M.
an der offenen Tür neben seinem Fahrzeug herlief, wäre der
Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten.
5
Das Landgericht hat nach Abwägung der für und gegen den Angeklagten
sprechenden Umstände einen minder schweren Fall der Körperverletzung mit
Todesfolge im Sinne von § 227 Abs. 2 StGB angenommen.
-6-
II.
6
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf den Strafausspruch beschränkt.
7
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft eingangs ihrer Revisionsbegründung
die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und die
Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Ferner hat sie zur Begründung der von
ihr erhobenen Rüge der Verletzung materiellen Rechts ausgeführt, durch die
nachfolgenden Einzelausführungen die allgemeine Sachrüge nicht beschränken
zu wollen. Mit diesem den Schuld- und Strafausspruch umfassenden Revisionsantrag sowie dem Einleitungssatz der Begründung steht der übrige Inhalt
der Revisionsrechtfertigung jedoch nicht in Einklang. Aus den einzelnen Beanstandungen sowie den zusammenfassenden Ausführungen am Schluss der
Revisionsrechtfertigung ergibt sich vielmehr, dass die Revisionsführerin das
Urteil nur deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Bemessung der
Freiheitsstrafe zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren Falles nach
§ 227 Abs. 2 StGB zu Grunde gelegt und bei der Strafzumessung im engeren
Sinne strafmildernde Umstände zu Unrecht berücksichtigt und strafschärfende
Gesichtspunkte nicht erkennbar erwogen habe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (BGH, Urteil vom 11. Juni 2014 2 StR
90/14, NStZ-RR 2014, 285; vgl. auch BGH, Urteil vom 25. November 2003
1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118; Urteil vom 12. April 1989 3 StR 453/88,
NJW 1989, 2760, 2762; insoweit in BGHSt 36, 167 nicht abgedruckt; Urteil
vom 17. Dezember 1998 4 StR 527/98; Beschluss vom 7. November 2002
-7-
5 StR 336/02, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 5; LR-StPO/Franke, 26. Aufl.,
§ 344 Rn. 10).
8
Danach entnimmt der Senat dem Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft in einer Gesamtschau, dass der Schuldspruch nicht angegriffen werden
soll. Es ist nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsrechtfertigung
allein der Strafausspruch angefochten (vgl. auch Senatsurteil vom 25. April
2013 4 StR 296/12, Rn. 4, insoweit in StV 2013, 699 nicht abgedruckt). Der
von der Staatsanwaltschaft geltend gemachte Erörterungsmangel, wonach das
Landgericht das Ausmaß des Verschuldens nicht hinreichend berücksichtigt
habe, rechtfertigt keine andere Beurteilung der Reichweite des Rechtsmittelangriffs. Die Beanstandung bezieht sich ersichtlich auf den Schuldumfang.
9
2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist im vorliegenden Fall auch rechtswirksam.
10
Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zur Schuld- und Straffrage ergibt. Soweit die Revision im Hinblick auf die von ihr beanstandete Annahme eines minder schweren Falles im Sinne von § 227 Abs. 2 StGB die Beweiswürdigung angreift, betrifft dies keine tatbestandsrelevanten Feststellungen.
III.
11
Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
-8-
12
Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten bei der Wahl des Strafrahmens und bei der Strafzumessung im engeren Sinne zeigt die Revision nicht
auf. Das Landgericht hat die erforderliche Gesamtschau vorgenommen und
dabei alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Es ist auch nicht zu besorgen, dass das Landgericht den Grad der Fahrlässigkeit und den Umfang des
Vorsatzes unzutreffend bewertet hat. In Anbetracht der zahlreichen strafmildernden Umstände ist die Annahme eines minder schweren Falles im Sinne
von § 227 Abs. 2 StGB aus Rechtsgründen ebenso wenig zu beanstanden wie
die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe.
13
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Überprüfung des
Urteils auf Grund der Revision der Staatsanwaltschaft nicht ergeben (§ 301
StPO).
Sost-Scheible
Cierniak
Mutzbauer
Franke
Bender