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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 285/03
vom
20. August 2003
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. August 2003 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Kassel vom 6. März 2003 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
Mißbrauchs von Kindern in zwei Fällen und sexuellen Mißbrauchs von Kindern
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt
(Einzelfreiheitsstrafen: ein Jahr; ein Jahr und sechs Monate sowie zwei Jahre),
im übrigen hat es ihn freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete auf
die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur
Aufhebung des Strafausspruchs, im übrigen ist sie unbegründet im Sinne von
§ 349 Abs. 2 StPO.
Im Falle 1 (Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes nach
§ 176 Abs. 1 StGB: Streicheln des 12jährigen Tatopfers an der Scheide) hat
-3-
die Strafkammer zur Begründung der Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr ausgeführt:
„Der Regelung des § 176 StGB liegt die entwicklungspsychologische
Annahme zugrunde, dass sich die sexuelle Identität einer Person und
damit ihre Fähigkeit, über ihr Sexualleben zu bestimmen, als untrennbarer Teil der Gesamtpersönlichkeit entwickelt und dass äußere, fremdbestimmte Eingriffe in die kindliche Sexualität in besonderer Weise geeignet sind, diese Entwicklung zu stören. Auch wenn bislang keine negativen Auswirkungen bei der Geschädigten erkennbar wurden, so ist die
abstrakte Gefahr sehr groß, dass ein Opfer durch die im oben genannten Fall 1 vorgenommenen Handlungen in seiner Entwicklung nachhaltig
beeinflusst werden könnte. Auch im konkreten Fall liegt das Tatgeschehen bislang erst ein Jahr zurück, so dass nicht ausgeschlossen werden
kann, dass zukünftig noch erheblich Folgewirkungen eintreten. Der Angeklagte hat die Geschädigte wie eine erwachsene Freundin behandelt.
Außerdem bestand in der Beziehung zwischen dem Angeklagten und
der Geschädigten ein von J. H. selbst empfundenes erhebliches Ungleichgewicht, da sie sich auf Grund ihrer sexuellen Unerfahrenheit in
der Beziehung zum Angeklagten gehemmt fühlte und befürchtete, sich
ihm gegenüber sexuell nicht richtig zu verhalten“.
Diese Ausführungen lassen besorgen, daß das Landgericht dem Angeklagten unzulässigerweise (§ 46 Abs. 3 StGB) den Strafzweck des § 176 StGB,
der in dem Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes liegt (st.
Rspr. vgl. BGH StV 2002, 74; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 176 Rdn. 2),
strafschärfend angelastet hat. Im übrigen lassen diese Ausführungen auch
-4-
noch besorgen, daß die Strafkammer verkannt hat, daß der Zweifelssatz uneingeschränkt auch für die Strafzumessung gilt (vgl. BGH StV 1983, 456; 1986,
5). Kann das Gericht - wie hier nach einem Jahr - keine sicheren Feststellungen über Folgen der Tat treffen, darf sich dies nicht zu Lasten des Angeklagten
auswirken. Eine zum Nachteil des Angeklagten auf bloße Vermutungen hinsichtlich möglicherweise auftretender Spätfolgen der Tat gestützte Strafzumessung ist unzulässig (vgl. BGH NStZ 1997, 336, 337; StV 1998, 656, 657; vgl.
auch Tröndle/Fischer aaO § 176 Rdn. 22).
Die im Fall 1 verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr kann somit keinen Bestand haben. Die Aufhebung dieser Einzelstrafe führt auch zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 2 und 3 sowie der Gesamtfreiheitsstrafe,
da der Senat nicht ausschließen kann, daß sich der Rechtsfehler auch auf die
Höhe dieser Strafen ausgewirkt hat.
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