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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 251/02
vom
14. August 2002
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
-2-
1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Ein gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz StGB strafbefreiender
Rücktritt vom Versuch eines unechten Unterlassungsdelikts setzt
nicht voraus, daß der Täter, der die Vollendung der Tat erfolgreich verhindert und dies auch anstrebt, unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung die sicherste oder "optimale" gewählt hat.
2. Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob der beabsichtigten Entscheidung dortige Rechtsprechung entgegensteht und ob
gegebenenfalls an dieser festgehalten wird.
Gründe:
Der Senat hat über folgenden vom Landgericht festgestellten Sachverhalt zu entscheiden:
Der Angeklagte öffnete in Selbsttötungsabsicht zwei Gashähne in seiner
im Erdgeschoß eines 12-Familien-Hauses gelegenen Wohnung. Hierbei
dachte er nicht daran, daß durch sein Handeln möglicherweise andere Hausbewohner zu Schaden kommen könnten. Nach dem Öffnen der Gashähne wurde dem Angeklagten bewußt, daß es durch das ausströmende Gas zu einer
Explosion kommen könnte und daß hierdurch andere Hausbewohner verletzt
oder getötet werden könnten. Dies nahm er zunächst billigend in Kauf. Kurze
Zeit später änderte er insoweit seine Willensrichtung. Er rief über die Notruf-
-3-
nummer zunächst die Feuerwehr, unmittelbar darauf die Polizei an, nannte seinen Namen und seine Anschrift und forderte die genannten Stellen auf,
sogleich für eine Rettung der Hausbewohner zu sorgen, da er nicht wollte, daß
diese durch eine - vom Angeklagten als möglich erkannte - Gasexplosion zu
Schaden kämen. Seinen Entschluß, sich selbst durch Gasvergiftung zu töten,
gab er nicht auf; der Aufforderung, das Gas abzudrehen, kam er daher nicht
nach. Nach Beendigung des zweiten Telefongesprächs wurde der Angeklagte
bewußtlos; wenige Minuten später traf die Feuerwehr ein, evakuierte etwa 50
Personen und drehte den Gashahn zu. Ob das Gasgemisch in der Wohnung
des Angeklagten schon explosionsfähig war, konnte nicht festgestellt werden.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen - durch aktives Tun begangenen - Versuchs des Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln in Tateinheit
mit Versuch der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion verurteilt; einen
strafbefreienden Rücktritt hat es mit der Begründung abgelehnt, die Bemühungen des Angeklagten seien nicht ausreichend gewesen.
2. Der Senat neigt der Ansicht zu, daß der Angeklagte von dem - durch
Unterlassen begangenen - Versuch nach § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz StGB
strafbefreiend zurückgetreten ist. Da das auf Rettung des bedrohten Rechtsguts abzielende Handeln des Angeklagten, der eine als möglich erkannte
Vollendung der Tat jedenfalls nicht mehr billigte, für die Verhinderung der
Vollendung kausal war, kommt es nach Auffassung des Senats nicht darauf an,
ob dem Angeklagten schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Rettung zur
Verfügung gestanden hätten; die Anforderungen an ein "ernsthaftes Bemühen"
im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB gelten für diesen Fall nicht.
a) Entsprechend hat der Senat in den Entscheidungen vom 3. Juli 1981 2 StR 357/81 (NStZ 1981, 388), 7. November 1985 - 2 StR 521/84 (NJW 1985,
-4-
813), 26. März 1997 - 2 StR 650/96 (NStZ-RR 1997, 233, 234) und 3. Februar
1999 - 2 StR 540/98 (NStZ 1999, 299) entschieden; ebenso der 5. Strafsenat in
den Beschlüssen vom 28. November 1998 - 5 StR 176/98 (BGHSt 44, 204,
207) und vom 9. Dezember 1998 - 5 StR 584/98 (NStZ 1999, 128).
Der 1. Strafsenat hat im Urteil vom 27. April 1982 - 1 StR 873/81 (BGHSt
31, 46, 49) entschieden, der Täter dürfe sich nicht mit Maßnahmen begnügen,
die, wie er erkennt, (möglicherweise) unzureichend sind, wenn ihm bessere
Verhinderungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Er müsse solche Möglichkeiten ausschöpfen und dürfe dem Zufall keinen Raum bieten. Wenn der Erfolg
ohne Zutun des Täters abgewendet werde (also ein Fall des § 24 Abs. 1 Satz 2
StGB gegeben ist), "(ändere) sich dadurch nichts" (BGHSt 31, 46, 49). Ähnlich
haben der 3. Strafsenat (BGH bei Dallinger MDR 1972, 751) sowie der 4.
Strafsenat entschieden (Beschl. vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96; vom
25. Februar 1997 - 4 StR 49/97 [NStZ-RR 1997, 193, 194]), wobei aber jeweils
offen bleibt, ob die auf BGHSt 31, 46, 49 Bezug nehmenden Ausführungen einen Fall des § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz StGB betreffen (vgl. auch Urteil
vom 5. Dezember 1985 - 4 StR 593/85 [NJW 1986, 1001, 1002]).
Der 1. Strafsenat selbst hat im Urteil vom 15. Mai 1990 - 1 StR 146/90
(NJW 1990, 3219) unter Bezugnahme auf BGHSt 31, 46 angeführt, im Fall der
Ursächlichkeit der Verhinderungsbemühungen sei der Rücktritt nicht dadurch
ausgeschlossen, daß der Täter zur Rettung mehr als geschehen hätte tun können (so auch der 4. Strafsenat in der Entscheidung StV 1981, 396, 397).
b) In der Literatur ist die Frage umstritten (vgl. die Überblicke bei Eser in
Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 24 Rdn. 59; Tröndle/Fischer, StGB
50. Aufl. § 24 Rdn. 32 ff.; Roxin in Festschrift für H.J. Hirsch, 1999, S. 327 ff.;
Kolster, Die Qualität der Rücktrittsbemühungen des Täters beim beendeten
-5-
Versuch, 1993, S. 74 ff.). Die Entscheidung BGHSt 31, 46, 49 ist in der Literatur dahin verstanden worden, daß auch bei kausaler Erfolgsverhinderung
"bestmögliche" Bemühungen des Täters erforderlich seien (vgl. Puppe NStZ
1984, 488, 490; Rudolphi NStZ 1989, 508); die Autoren, die diese Ansicht vertreten (vgl. insbesondere Herzberg NJW 1989, 867; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 26. Abschn. Rdn. 21; 29. Abschn. Rdn. 119; ders. ZStW
104 [1992], 89; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, 10. Aufl.
§ 27 Rdn. 28; Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., § 15
Rdn. 89 ff.; alle m.w.N.), berufen sich in der Regel auf die Entscheidungen
BGH (bei Dallinger) MDR 1972, 751 f. und BGHSt 31, 46, 49.
c) Der Senat will - im Anschluß an die in der Literatur verbreitete Gegenansicht (vgl. etwa Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 24 Rdn. 59;
Rudolphi in SK-StGB § 24 Rdn. 27 b, 27 c; Vogler in LK, 10. Aufl. § 24
Rdn. 112 a; Jescheck/Weigend, Strafrecht Allgemeiner Teil 5. Aufl. § 51 V 2;
Wessels/Beulke Strafrecht Allgemeiner Teil, 31. Aufl. Rdn. 644; jeweils m.w.N.)
- an seiner oben genannten Auffassung festhalten; er sieht für die Fälle kausaler Erfolgsverhinderung auch keine Notwendigkeit, im Grundsatz zwischen
eigenhändiger Verhinderung und Zuziehung Dritter zu differenzieren (vgl. Roxin, Festschrift für H.J. Hirsch, 1999, 327, 353 ff.). Für den Fall des Versuchs
eines unechten Unterlassungsdelikts ergibt sich nach Ansicht des Senats aus
der Ingerenzhaftung des Garanten insoweit keine Besonderheit (so insbesondere Jakobs a.a.O., 29. Abschn. Rdn. 119). Die im Ergebnis ungleiche Behandlung des Rücktritts vom beendeten untauglichen Versuch, bei dem mangels Kausalität der Bemühungen stets der Maßstab des § 24 Abs. 1 Satz 2
StGB anzuwenden ist, sieht der Senat; sie rechtfertigt es nach seiner Ansicht
nicht, den Wortlaut des § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz StGB in den Fällen
kausaler Verhinderung auszudehnen. Erforderlich ist danach allein, daß der
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Täter seinen Vollendungsvorsatz vollständig aufgibt, im Fall bedingten Vorsatzes also den als weiterhin möglich erkannten Taterfolg nicht mehr billigt, und
daß er - erfolgreich - eine solche Rettungsmöglichkeit wählt, die er für geeignet
hält, die Vollendung zu verhindern.
3. Dem könnten die oben genannten Entscheidungen des 1. Strafsenats
(insbesondere BGHSt 31, 46, 49), aber auch des 4. Strafsenats entgegenstehen; der Senat vermag ihnen nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob sie auf einer von der Ansicht des Senats abweichenden Rechtsauffassung beruhten und
ob diese gegebenenfalls in späteren Entscheidungen aufgegeben wurde. Da
der 1. Strafsenat in der Entscheidung NJW 1990, 3219 sowohl auf die Entscheidung in StV 1981, 396 als auch auf BGHSt 31, 46 verwiesen hat, liegt die
Annahme nahe, daß die letztgenannte Entscheidung in der Literatur mißverstanden worden ist.
Der Senat fragt im Hinblick auf die nicht ganz eindeutige Rechtsprechung gleichwohl vorsorglich bei den anderen Strafsenaten an, ob der beabsichtigten Entscheidung dortige Rechtsprechung entgegensteht.
Rissing-van Saan
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