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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 620/09
vom
14. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2010 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Baden-Baden vom 7. August 2009 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
1
Der Angeklagte wurde wegen (eines minder schweren Falles des) schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt.
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Seine auf zwei Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
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1. Das Verfahren richtete sich ursprünglich auch gegen
B.
und
war vor dem Amtsgericht Achern anhängig, das die Sache nach Hauptverhandlung an die Strafkammer verwies. Zum ersten Hauptverhandlungstermin vor der
Strafkammer erschienen die Angeklagten nicht. Gegen beide erging Haftbefehl.
Während der Haftbefehl gegen den Angeklagten alsbald vollstreckt werden konnte, konnte B.
in der Folgezeit nicht ergriffen werden. Wiederholte gezielte
Bemühungen der örtlich zuständigen Polizeireviere ihn aufzufinden, blieben erfolglos. Das Verfahren gegen ihn wurde abgetrennt, er wurde zur Festnahme
ausgeschrieben. Ob und wann er ergriffen werden kann, ist nicht absehbar.
Nachdem die Hauptverhandlung schon mehrere Wochen gedauert hatte, beantragte der Angeklagte, B.
als Zeugen zu vernehmen. Als Anschrift wurde
lediglich die aktenkundige frühere Anschrift genannt, wo er sich, wie der geschil-
-3-
derte Verfahrensgang ergibt, nicht mehr aufhielt. Die Strafkammer lehnte den
Antrag unter Schilderung des dargelegten Verfahrensgangs ab, weil der Zeuge
unerreichbar sei (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Hiergegen wendet sich die Revision. Sie legt die inhaltliche Bedeutung einer Aussage B.
s für das Verfahren
näher dar. Zur Frage, auf welche Weise sein aktueller Aufenthaltsort hätte festgestellt werden können, äußert sie sich nicht.
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Die Rüge versagt.
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a) Es liegt schon kein ordnungsgemäßer Beweisantrag vor. Hierfür ist neben der Benennung eines Beweisthemas nicht nur die Benennung eines Beweismittels erforderlich, sondern es ist regelmäßig auch anzugeben, auf welchem Wege das Beweismittel (der Zeuge) erreicht werden kann (vgl. BGH, Urt.
vom 14. Juni 2006 - 2 StR 65/06; StV 1996, 581; Urt. vom 10. November 1992
- 1 StR 685/92 m.w.N.). Hier war verfahrenskundig, dass B.
unter seiner
letzten bekannten Anschrift nicht mehr erreichbar war, und dass intensive, schon
vor der Stellung des Beweisantrags vom Gericht über mehrere Wochen hin entfaltete Bemühungen, seiner habhaft zu werden, erfolglos geblieben waren. Unter
diesen Umständen ist allein die Angabe der früheren Anschrift nicht ausreichend.
Erforderlich gewesen wäre in dem Antrag zumindest substantiierter Vortrag dazu,
warum entgegen den bisher angefallenen Erkenntnissen doch Aussicht bestehen
soll, B.
unter dieser Anschrift zu finden, oder mit welchen vom Gericht bis-
her nicht ergriffenen Mitteln realistische Aussichten bestehen, den Aufenthaltsort
zu ermitteln.
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Daher fehlte es schon an einem zulässigen Beweisantrag.
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b) Die Zurückweisung eines Antrags, den das Tatgericht zu Unrecht als
Beweisantrag behandelt hat, kann die Revision nur dann begründen, wenn eine
Verletzung der Aufklärungspflicht vorliegt (vgl. BGH StV 1996, 581; BGHR StPO
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§ 244 Abs. 6 Beweisantrag 13; BGH, Urt. vom 10. November 1992 - 1 StR
685/92 m.w.N.). Dies kann grundsätzlich der Fall sein, wenn bei der Suche nach
einem der Sache nach nicht unbedeutenden Zeugen erkennbar sinnvolle Möglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden (BGH, Urt. vom 10. November 1992 - 1 StR
685/92). Allerdings wäre, zumal das Gericht nach der Beweisperson schon einige
Zeit vergeblich mit Haftbefehl fahndete, auch unter dem Blickwinkel einer Aufklärungsrüge vorzutragen gewesen, welche konkreten, vom Gericht bisher nicht
ergriffenen Möglichkeiten dies gewesen wären (vgl. BGH, Urt. vom 14. Juni 2006
- 2 StR 65/06). Daran fehlt es.
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c) Darauf, dass wegen des aufgezeigten Mangels auch die auf die Unerreichbarkeit eines Zeugen gestützte Ablehnung eines Beweisantrags nicht i.S.d.
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß gerügt wäre (vgl. Fischer in KK
6. Aufl. § 244 Rdn. 228; Temming in HK StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 20; Frister in
SK-StPO 64. Lfg. § 244 Rdn. 256), kommt es hier daher nicht mehr an.
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d) Abgesehen davon, dass hier unter keinem Aspekt eine zulässig erhobene Verfahrensrüge vorliegt, ist es aber auch der Sache nach offensichtlich
nicht zu beanstanden, wenn ein ehemaliger Mitangeklagter nicht als Zeuge vernommen wird, weil er flüchtig ist und ohne konkrete Aussicht auf Erfolg mit Haftbefehl nach ihm gefahndet wird.
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2. Die Strafkammer fasste ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung folgenden Beschluss: “Gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO wird die Niederschrift der Angaben des … B.
in der Hauptverhandlung vor dem Amtsge-
richt Achern … verlesen.“
11
Der Beschluss wurde ausgeführt.
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An dieses Verfahrensgeschehen knüpft die Revision an. Eine Verlesung
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gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO, so trägt sie vor, setze das Einverständnis der
Beteiligten mit der Verlesung voraus. Hier sei, wie auch das Protokoll der Hauptverhandlung belege, ein Einverständnis mit der Verlesung tatsächlich nicht eingeholt worden. Nach Eingang der Revisionsbegründung gab der Vorsitzende der
Strafkammer eine - auch dem Beschwerdeführer bekannt gemachte - dienstliche
Erklärung ab. Danach habe die Strafkammer - für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar - beschlossen, die Entscheidung über die Verlesung der Aussage
B.
s auf dessen Unerreichbarkeit (vgl. hierzu näher oben Ziffer 1) zu stüt-
zen. Ob er beim Diktieren der Beschlussbegründung in das Hauptverhandlungsprotokoll versehentlich nicht "§ 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO", sondern stattdessen
"§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO" diktiert habe, oder ob er zwar "§ 251 Abs. 2 Nr. 1
StPO" diktiert habe, später aber nicht bemerkt habe, dass sein Diktat falsch niedergeschrieben worden sei, wisse er nicht mehr.
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Die Rüge bleibt im Ergebnis erfolglos.
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a) Im Ergebnis zutreffend hat der Vorsitzende davon abgesehen, ein Verfahren zur Protokollberichtigung (vgl. BGHSt 51, 298 ff.) einzuleiten, da dies eine
sichere Erinnerung der Urkundspersonen voraussetzt (BGHSt aaO 314, 316).
Hier hält es der Vorsitzende für möglich, dass das Protokoll seinem Diktat entspricht. In diesem Fall gibt es aber keinen Widerspruch zwischen dem, was geschehen ist, und dem, was im Protokoll als geschehen festgehalten ist, sondern
das Protokoll gibt den Geschehensablauf richtig wieder. Dies ist aber auch dann
keine Grundlage für eine Berichtigung des Protokolls, wenn dem tatsächlich Geschehenen ein Versehen des Richters zu Grunde liegt.
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Darauf, dass das Protokoll auch unbeschadet der dienstlichen Äußerung
schon für sich genommen fehlerhaft und unklar erscheint - bei einer auf das Ein-
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verständnis der Beteiligten gestützten Verlesung einer richterlichen Vernehmung
wäre nicht § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO, sondern § 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO die maßgebliche Norm - kommt es unter den gegebenen Umständen ebenfalls nicht an.
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b) Die Verlesung einer Aussage gemäß § 251 StPO ist durch einen mit
Gründen versehenen Beschluss anzuordnen (§ 251 Abs. 4 StPO). Die bloße Angabe der einschlägigen Gesetzesbestimmung gilt hierfür nicht als ausreichend
(vgl. zusammenfassend Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 251
Rdn. 97; Diemer in KK 6. Aufl. § 251 Rdn. 31 jew. m.w.N.). Hier fehlt es schon an
einer über die Angabe der Gesetzesbestimmung hinausgehenden Begründung
des Beschlusses; dem braucht der Senat hier jedoch nicht näher nachzugehen,
weil dieser Aspekt im Rahmen der Revisionsbegründung nicht geltend gemacht
wird (zur Maßgeblichkeit der "Angriffsrichtung" einer Verfahrensrüge vgl. BGH
NStZ 2008, 229, 230; Sander/Cirener JR 2006, 300 jew. m.w.N.) Jedoch liegen
(außerdem) die tatsächlichen Voraussetzungen der nach dem maßgeblichen
Protokoll zur Begründung herangezogenen Bestimmung nicht vor.
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c) Jedoch kann das Beruhen des Urteils auf (dem Fehlen eines näher
ausgeführten Beschlusses und) der Angabe eines unzutreffenden Verlesungsgrundes ausgeschlossen werden, wenn die Voraussetzungen für die Verlesung
tatsächlich gegeben waren und die Verfahrensbeteiligten durch den Mangel nicht
in ihrem Prozessverhalten beeinflusst worden sein können (vgl. Sander/Cirener
in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 251 Rdn. 81, 97 m.w.N.).
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So verhält es sich hier.
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(1) Die Voraussetzungen einer Verlesung der Aussage B.
Amtsgericht gemäß § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO lagen vor; dass B.
s vor dem
dort als
Angeklagter und nicht als Zeuge vernommen worden war, steht nicht entgegen
(Sander/Cirener aaO Rdn. 43). Der Vernehmung stand, wie im Zusammenhang
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mit der Unauffindbarkeit B.
s näher dargelegt, für ungewisse Zeit ein nicht
zu beseitigendes Hindernis entgegen (vgl. Sander/Cirener aaO Rdn. 65, 28). Es
spricht, selbst wenn die dienstliche Äußerung außer Betracht bliebe, nichts dafür,
dass die Strafkammer die Verlesung etwa nicht beschlossen hätte, wenn sie erkannt hätte, dass nicht das (tatsächlich nicht eingeholte) Einverständnis der Beteiligten rechtliche Grundlage der Verlesung ist, sondern hierfür die Unauffindbarkeit B.
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s heranzuziehen ist.
(2) Bei der Prüfung der Frage, ob die Angabe von § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO
Einfluss auf den Prozessverlauf gehabt haben kann, ist zu unterstellen, dass die
Verteidigung deshalb geglaubt hätte, die Strafkammer (hielte die richterliche Vernehmung für eine nichtrichterliche Vernehmung und) verlese die Aussage, weil
sie - irrig - vom Einverständnis der Beteiligten ausgehe, während die Verlesung
in keinem Zusammenhang mit der Unauffindbarkeit B.
s stünde. Selbst
auf dieser (nicht sehr nahe liegenden) Grundlage kann der Senat nicht die Möglichkeit erkennen, dass wegen dieser Fehlvorstellung Erfolg versprechendes
Prozessverhalten unterblieben sein könnte, zu dem es aber gekommen wäre,
wenn § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannt worden wäre.
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(3) Freilich heißt es in der Revisionsbegründung, das Urteil beruhe auf
dem geltend gemachten Verfahrensverstoß. Näher ausgeführt ist dies jedoch
nicht. Der Senat bemerkt in diesem Zusammenhang: Von hier nicht einschlägigen Besonderheiten abgesehen, braucht eine Revisionsbegründung den ursächlichen Zusammenhang zwischen (behauptetem) Rechtsfehler und dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich darzulegen. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Revisionsgerichts, die Beruhensfrage von sich aus zu prüfen. Dies sollte
jedoch gerade in Fällen, in denen ein Beruhen nicht ohne weiteres nahe liegt,
den Beschwerdeführer nicht davon abhalten, konkret darzulegen, warum aus
seiner Sicht hier ein Beruhen möglich erscheinen kann (vgl. zusammenfassend
-8-
Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 65 m.w.N.). Andernfalls ist nicht auszuschließen, dass das Revisionsgericht trotz seiner umfassenden Überprüfung der Beruhensfrage eine in diesem Zusammenhang (doch) in Betracht zu ziehende Möglichkeit nicht erkennt und dementsprechend nicht in seine Erwägungen einbezieht.
3. Auch die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat
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keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Nack
Wahl
Hebenstreit
Rothfuß
Sander