Cyberlaywer/build/tfgpu-cyberlaywer/EndDokumente/1_str_205-00.pdf.txt

207 lines
6.8 KiB
Text
Raw Normal View History

2023-03-06 15:36:57 +01:00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 205/00
vom
19. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. September 2000, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Maul,
Nack,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 6. Dezember 1999 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags, begangen an
seiner Lebensgefährtin, zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die
Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg; eines näheren Eingehens auf die daneben erhobene Verfahrensrüge bedarf es nicht.
1. Der Angeklagte hat die Tat geleugnet; das Landgericht hält ihn auf
Grund einer Reihe von Indizien überführt. Den Halbbruder des Angeklagten,
H.
, hat es als möglichen Täter ausgeschlossen. Die dazu
angeführten Erwägungen unterliegen durchgreifenden Bedenken.
Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte in der gemeinschaftlichen
Wohnung seine Lebensgefährtin
S.
am Morgen des 20. Januar
1999 in der Zeit zwischen 8.30 Uhr und 13.00 Uhr, vermutlich gegen 9.30 Uhr,
nach einem heftigen Streit körperlich angegriffen, gewürgt und schließlich mit
einem textilen Gegenstand von hinten erdrosselt. Um einen Selbstmord vorzu-
-4-
täuschen, legte er die Leiche in die mit Wasser gefüllte Badewanne in der gemeinsamen Wohnung und warf einen eingeschalteten Fön hinein. Gegen
13.00 Uhr verließ er die Wohnung und begab sich zu seiner Arbeitsstelle, die
er erst gegen 23.00 Uhr wieder verließ.
Gegen 15.00 Uhr desselben Tages sah die Mutter des Angeklagten, die
ihren
H.
im
selben
Haus
wohnenden
weiteren
Sohn,
nämlich
, einen Halbbruder des Angeklagten, besuchen wollte, durch die
Glastür der Tatortwohnung einen sich dort bewegenden Schatten; zur gleichen
Zeit hörte eine weitere Bewohnerin des Hauses in der Wohnung Schritte.
Das Landgericht kommt auf Grund einer Reihe von Umständen zu dem
Schluß, daß es H.
war, der sich um diese Zeit in der Wohnung auf-
hielt. Sie schließt jedoch aus, daß H.
, der zur Getöteten ein Verhält-
nis unterhalten hatte, der Täter sei, weil er kein irgendwie erkennbares Motiv
für die Tat gehabt habe. Es komme anders als beim Angeklagten auch keine
emotionale Ausgangslage in Frage, die ein Gewaltdelikt nahelege; vielmehr
habe zwischen
H.
und
S.
am Abend vor der
Tat bestes Einvernehmen geherrscht. Die festgestellte Anwesenheit des
H.
in der Wohnung, in der nach den Feststellungen die zu die-
sem Zeitpunkt bereits Getötete
S.
lag, erklärt das Schwurgericht
damit, der Angeklagte habe seinen Halbbruder in die Tat eingeweiht und ihn
gebeten, in der Zeit seiner Abwesenheit entweder weitere Spuren zu beseitigen oder "das getroffene Arrangement zu überprüfen".
Diese für die Anwesenheit des
H.
angenommenen
Gründe finden jedoch in den Feststellungen des Urteils keine ausreichende
Stütze. Weder ist in irgendeiner Weise belegt, daß der Angeklagte seinen
Halbbruder eingeweiht hat, noch gibt es Anhaltspunkte für die Notwendigkeit
-5-
weiterer Spurenbeseitigung oder eine Überprüfung des "Arrangements". Sind
aber die Gründe, mit denen das Landgericht die Anwesenheit H.
s
erklärt, nicht tragfähig, ist damit auch dessen Ausschluß als Täter in Frage gestellt. Das Landgericht hätte sich vielmehr mit der Frage auseinandersetzen
müssen, welche anderen Gründe als eine Absprache mit seinem Halbbruder
H.
haben konnte, die Wohnung aufzusuchen. Insoweit konnte ein
sexuelles Motiv in Frage kommen; so hatte er am Abend vor der Tat mit der
später Getöteten noch Zärtlichkeiten ausgetauscht.
Sollte H.
allerdings einen Schlüssel für die Wohnung seines
Halbbruders besessen haben, konnte er auch ohne Absprache mit dem Angeklagten und als
etwa um
S.
S.
bereits tot war, die Wohnung betreten haben,
zu besuchen. Dazu sagt das Urteil aber nichts.
2. Darauf, ob eine andere Person als Täter in Erwägung zu ziehen sein
könnte, würde es freilich nicht ankommen, wenn die Täterschaft des Angeklagten aus sich heraus zweifelsfrei festgestellt wäre. Dafür könnte sprechen,
daß die medizinischen, physikalischen und chemischen Sachverständigengutachten es als sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht zwingend einschätzen, daß
die Leiche der Getöteten vor 13.00 Uhr in das Wasser der Badewanne gelegt
worden sei. Dabei war Ausgangspunkt für das grundlegende physikalische
Gutachten, daß das Badewasser durch den in der Wanne zunächst weiterlaufenden Fön aufgewärmt wurde und um 3.00 Uhr morgens des darauffolgenden
Tages noch eine Temperatur von 25 Grad aufwies. Bei den auf diesem Messergebnis basierenden Versuchen hatte der Sachverständige die Originalbadewanne jeweils bis zum Schmutzrand mit ca. 170 Liter Wasser gefüllt, einen
laufenden Fön hineingelegt und sodann Temperaturmessungen vorgenommen.
Die Revision macht zu Recht geltend, daß diese Versuchsanordnung fehlerhaft
-6-
war. Der Angeklagte hatte die Getötete gegen 0.16 Uhr aus der Badewanne
herausgehoben; bis zur Messung der Wassertemperatur um 3.00 Uhr lag der
Wasserspiegel in der Wanne daher für die Zeit von 2 3/4 Stunden nicht unerheblich unter dem Schmutzrand mit der wahrscheinlichen Folge, daß das Wasser ab diesem Zeitpunkt schneller abkühlte. Zudem war der Versuch nur mit
einem homogenen Wärmeträger, nämlich Wasser, durchgeführt worden. Tatsächlich gab es von 13.00 Uhr bis 0.16 Uhr des nächsten Tages zwei Wärmeträger, nämlich Wasser und die in der Badewanne liegenden Leiche; wie sich
diese Abweichungen von der Versuchsanordnung auf die Erwägungs- und Abkühlungsphase des Wassers auswirken konnten, wird nicht erörtert. Die Annahme, es sei sehr wahrscheinlich, daß die Leiche bereits vor 13.00 Uhr in das
Badewasser gelegt wurde, ist damit in Frage gestellt.
-7-
Insgesamt kann wegen dieser Mängel in der Beweiswürdigung das Urteil
des Landgerichts daher keinen Bestand haben. Für die neue Hauptverhandlung wird darauf hingewiesen, daß die Verwertung der Angaben, die der Angeklagte als Zeuge gemacht hat, davon abhängen kann, ob ihm vor der späteren
staatsanwaltlichen Vernehmung eine qualifizierte Belehrung erteilt worden ist
(vgl. dazu BGH NStZ 1996, 290; Boujong in KK 4. Aufl. § 136 Rdn. 29; Neuhaus NStZ 1997, 312).
Schäfer
Maul
Boetticher
Nack
Hebenstreit