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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. X ZR 3/14
  4. vom
  5. 23. August 2016
  6. in der Patentnichtigkeitssache
  7. ECLI:DE:BGH:2016:230816BXZR3.14.0
  8. -2-
  9. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2016 durch den
  10. Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski
  11. und Hoffmann sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm
  12. beschlossen:
  13. Von den Kosten des erstinstanzlichen Nichtigkeitsverfahrens tragen die Klägerin 80 % und die Beklagte 20 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
  14. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 400.000 Euro
  15. festgesetzt.
  16. Gründe:
  17. 1
  18. I.
  19. Die Beklagte war eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für das
  20. Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents
  21. 976 174 (Streitpatents), das am 16. April 1998 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 197 15 971 vom 17. April 1997 international angemeldet wurde und 16 Ansprüche umfasst. Patentanspruch 1 lautet in
  22. der Verfahrenssprache (in Klammern und Fettdruck die Merkmale, um die der
  23. Anspruch in der durch das patentgerichtliche Urteil erhaltenen Fassung ergänzt
  24. ist [im Folgenden nur: Patentanspruch 1]):
  25. "1. Zugfederklemme mit einer Stromschiene (1) und einer aus einem Federblatt gebogenen Klemmfeder (2), mittels der ein
  26. elektrischer Leiter gegen die Stromschiene (1) unter Kontaktierung verspannbar ist und die von einer Stütz- oder Befestigungsstelle (3) bis zu einer Kraftableitungsstelle (6), an der an
  27. der Klemmfeder (2) ein den elektrischen Leiter gegen die
  28. Stromschiene (1) verspannendes Klemmstück (7) angeordnet
  29. -3-
  30. ist, mit stetigen Krümmungen verläuft, (wobei das Klemmstück (7) ein Fenster (8) mit einer Klemmkante (9) aufweist
  31. und wobei die Kraftableitungsstelle (6) zwischen der Stützund Befestigungsstelle (3) und dem Fenster (8) angeordnet ist,) d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass die
  32. Klemmfeder (2) in ihren (zwischen der Stütz- oder Befestigungsstelle und der Kraftableitungsstelle angeordneten)
  33. Bereichen mit höherer Federspannung verstärkt und/oder in
  34. ihren Bereichen mit niedrigerer Federspannung geschwächt
  35. ist."
  36. 2
  37. Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig
  38. zu erklären. Die Beklagte hat das Streitpatent in erster Linie in der erteilten
  39. Fassung verteidigt, jedoch ohne Anspruch 2, den sie fallengelassen hat, und
  40. hilfsweise mit einem weiter beschränkten Anspruchssatz mit Patentanspruch 1
  41. in der vorstehend wiedergegebenen Fassung.
  42. 3
  43. Das Patentgericht hat das Streitpatent nur insoweit für nichtig erklärt, als
  44. es über die Fassung gemäß Hilfsantrag I hinausgeht, und die Klage im Übrigen
  45. abgewiesen. Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung hat die Klägerin zunächst
  46. ihren Antrag auf vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents weiterverfolgt;
  47. nachdem das Streitpatent wegen Nichtzahlung der Jahresgebühr erloschen ist,
  48. haben die Parteien den Rechtsstreit mit widerstreitenden Kostenanträgen übereinstimmend für erledigt erklärt.
  49. 4
  50. II.
  51. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der
  52. Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist gemäß § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91a ZPO nur noch nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung
  53. des bisherigen Parteivorbringens über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 10/05, juris Rn. 9). Die
  54. Kosten sind einer Seite aufzuerlegen, soweit sie absehbar unterlegen wäre.
  55. Nachdem die Beklagte das patentgerichtliche Urteil nicht angegriffen hat, entspricht es der Billigkeit, es hinsichtlich der erstinstanzlichen Kosten bei der pa-
  56. -4-
  57. tentgerichtlichen Kostenentscheidung zu belassen und die Kosten des Berufungsverfahrens der Klägerin aufzuerlegen, weil ihr Rechtsmittel voraussichtlich
  58. erfolglos geblieben wäre.
  59. 5
  60. 1.
  61. Das Streitpatent betrifft eine Zugfederklemme mit einer aus einem
  62. Federblatt gebogenen Klemmfeder. Seiner Beschreibung zufolge ist eine solche
  63. Feder bei den im Stand der Technik bekannten Zugfederklemmen über den
  64. gesamten Biegebereich hinweg gleich breit und gleich dick. Daraus ergebe sich
  65. in dem die Klemmfeder bildenden Federblatt entlang des Biegebereichs ein ungleichmäßiger Spannungsverlauf. Vornehmlich werde der nahe der Befestigungsstelle liegende Bereich der Feder, an der eines ihrer Enden fest eingespannt sei, stärker beansprucht als die zur Kraftableitungsstelle hin liegenden
  66. Bereiche. Die Bereiche höherer Beanspruchung mit entsprechend höherer Federspannung trügen hauptsächlich zur Aufbringung der Federkraft bei, während
  67. die Bereiche geringerer Federspannung daran gar nicht oder nur in geringem
  68. Maße beteiligt seien. Dementsprechend hätten bei den bekannten Zugfederklemmen die Klemmfedern bezogen auf ihre Baugröße keine optimale Federkapazität. Sie seien größer dimensioniert als nötig; außerdem ergebe sich in
  69. den stark beanspruchten Bereichen eine größere Auslenkung, durch die sich
  70. partielle Materialermüdungen zeigen könnten. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, die Klemmfedern von Zugfederklemmen zu verbessern. Die mit Patentanspruch 1 vorgeschlagene technische
  71. Lösung lässt sich in Anlehnung an die Merkmalszuordnung im angefochtenen
  72. Urteil wie folgt gliedern:
  73. -5-
  74. a
  75. Zugfederklemme mit
  76. d12, d21-d23
  77. b
  78. einer Stromschiene 1
  79. c1
  80. und einer aus einem Federblatt gebogenen
  81. Klemmfeder 2,
  82. mittels deren ein elektrischer Leiter
  83. unter Kontaktierung gegen die Stromschiene 1 verspannbar ist und
  84. c2-c3
  85. die von einer Stütz- oder Befestigungsstelle 3 zu einer Kraftableitungsstelle 6 mit stetigen Krümmungen verläuft;
  86. an der Kraftableitungsstelle 6 ist an der Klemmfeder 2 ein den elektrischen Leiter gegen die Stromschiene 1 verspannendes Klemmstück 7 angeordnet,
  87. e
  88. 6
  89. d11
  90. das ein Fenster 8 mit einer Klemmkante 9
  91. aufweist,
  92. f1
  93. die Kraftableitungsstelle 6 ist zwischen der Stützund Befestigungsstelle 3 und dem Fenster 8 angeordnet;
  94. c4, f2
  95. die Klemmfeder 2 ist in ihren zwischen der Stützoder Befestigungsstelle 3 und der Kraftableitungsstelle 6 angeordneten Bereichen
  96. 2.
  97. c41
  98. mit höherer
  99. und/oder
  100. Federspannung
  101. verstärkt,
  102. c42
  103. mit niedrigerer Federspannung geschwächt.
  104. Patentanspruch 1 ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht des-
  105. halb unzulässig erweitert, weil die Beklagte bei Beschränkung der Lokalisierung
  106. der Kraftableitungsstelle auf den Bereich zwischen Stütz- oder Befestigungsstelle und Fenster keine weiteren, von der Klägerin als wesentlich bezeichnete
  107. Merkmale des aus Figur 6 ersichtlichen Ausführungsbeispiels in den Anspruch
  108. aufgenommen hat. Die Beklagte hat den Anspruch wie geschehen beschränkt,
  109. -6-
  110. um den Bedenken des Patentgerichts gegen die Neuheit des Gegenstands von
  111. Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung Rechnung zu tragen. Ob diese aus
  112. der Auslegung des Merkmalselements "Kraftableitungsstelle" herrührenden Bedenken gerechtfertigt waren und die Fensterkante 7 im Gebrauchsmuster 295
  113. 14 509 (NK5) als Kraftableitungsstelle im Sinne des Patentanspruchs bewertet
  114. werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls konnte die Beklagte ihnen
  115. zulässig dadurch Rechnung tragen, dass sie die Anordnung dieser Kraftableitungsstelle wie geschehen eingrenzte. Des Rückgriffs auf Figur 6 bedurfte es
  116. dafür nicht. Abgesehen davon sind nach der ständigen Rechtsprechung des
  117. Bundesgerichtshofs Verallgemeinerungen in der Weise zugelassen, dass von
  118. mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen,
  119. aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind,
  120. nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen werden müssen,
  121. solange die daraus resultierende Ausführung noch ursprungsoffenbart ist (BGH,
  122. Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 23 - Kommunikationskanal). Dafür ist das von der Klägerin angeführte Kriterium der Wesentlichkeit nicht maßgeblich.
  123. 7
  124. 3.
  125. Die Angriffe der Klägerin gegen die vom Patentgericht bejahte
  126. Ausführbarkeit der erfindungsgemäßen Lehre hätten voraussichtlich ebenfalls
  127. nicht durchgegriffen.
  128. 8
  129. a)
  130. Dies gilt zunächst für den Gegenstand des Patentanspruchs 1.
  131. Der Fachmann versteht die Lehre des Streitpatents ungeachtet der bei isolierter
  132. Betrachtung möglicherweise missverständlichen Formulierung der Merkmale c 41
  133. und c42 dahin, dass die Feder zu dem Bereich hin, wo die Federspannung bei
  134. einer Biegefeder am größten ist, also zu der Stelle hin, wo sie eingespannt ist
  135. (Stütz- bzw. Befestigungsstelle), im Verhältnis zu den davon entfernteren Stellen stärker sein soll, verstärkte und geschwächte Bereiche also mehr oder minder gleitend aufeinander folgen bzw. ineinander übergehen.
  136. -7-
  137. 9
  138. Die Anweisung in den Merkmalen f2, c41 und c42, die Feder in ihren zwischen der Stütz- oder Befestigungsstelle 3 und der Kraftableitungsstelle 6 angeordneten Bereichen mit höherer Federspannung zu verstärken und/oder in
  139. den Bereichen mit niedrigerer Federspannung zu schwächen, bezeichnet lediglich die konkreten Bereiche, die verstärkt oder geschwächt sein sollen. Dem
  140. Anspruch ist aus der maßgeblichen fachmännischen Sicht aber nicht zu entnehmen, dass (bereits) verstärkte Bereiche nochmals verstärkt und (bereits)
  141. geschwächte Bereiche nochmals geschwächt werden sollen oder Ähnliches.
  142. Deshalb bedurfte es auch nicht des von der Berufung vermissten Bezugspunkts
  143. oder einer dritten Bezugskategorie.
  144. 10
  145. b)
  146. Aus dem in der Berufungsbegründung in Bezug genommenen
  147. knappen erstinstanzlichen Vorbringen zur geltend gemachten mangelnden Ausführbarkeit von Anspruch 8 hätte die mangelnde Rechtsbeständigkeit dieses
  148. Anspruchs nicht hergeleitet werden können. Durch Rückbezug auf den erteilten
  149. Anspruch 6 ist klar, dass es um einen höheren oder niedrigeren Elastizitätsmodul des einzusetzenden Materials geht. Wenn Federmaterial gemäß dem erteilten Anspruch 8 verwendet wird, soll eine Abfolge von Metallabschnitten mit unterschiedlichem E-Modul (Federsteifigkeit) gewählt werden.
  150. 11
  151. 4.
  152. Die Angriffe gegen die Patentfähigkeit des Gegenstands des Pa-
  153. tentanspruchs 1 hätten der Berufung voraussichtlich ebenso wenig zum Erfolg
  154. verholfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der mit einer
  155. Erfindung beschrittene Lösungsweg nahegelegt, wenn hinreichend konkrete
  156. Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstige Anlässe dafür gegeben sind, die
  157. Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen
  158. (BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 92/05, BGHZ 182, 1 - Betrieb einer
  159. Sicherheitseinrichtung). Beim gegebenen Sach- und Streitstand lässt sich nicht
  160. die Wertung treffen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.
  161. -8-
  162. 12
  163. a)
  164. Das Streitpatent will sich vom Stand der Technik dadurch abhe-
  165. ben, dass die Federkraft zumindest im Wesentlichen nur in dem Bereich zwischen Stütz- oder Befestigungs- und Kraftableitungsstelle nach Maßgabe der
  166. Merkmale c41-c42 aufgebracht wird. Nach seiner Lehre ist das Klemmstück 7
  167. nicht oder nur in vernachlässigbarer Weise an der Aufbringung der Klemmkraft
  168. beteiligt (Beschreibung Abs. 18). Es gehört also trotz einstückiger Ausgestaltung nicht zu den Bereichen mit höherer oder zumindest niedrigerer Federspannung im Sinne der Merkmale c41-c42. Einen für die Verneinung der erfinderischen Tätigkeit hinreichend konkreten Anlass oder eine Anregung für eine solche Gestaltung der Klemmfeder vermag die Berufung nicht aufzuzeigen.
  169. 13
  170. Der Hinweis auf das aus dem Handbuch "Federn" von Meissner/Wanke
  171. (NK6) und der Arbeit von Geisel (Draht 1971, 376, NK7) ersichtliche allgemeine
  172. Fachwissen reicht dafür nicht aus. Daraus ist zwar bekannt, dass die gleichmäßige Biegebeanspruchung einer Feder über deren gesamte Länge hinweg
  173. durch konische Formgebung in der Breite oder Dicke gefördert werden kann
  174. (NK7 S. 378 unter 2.2). Darauf lässt sich die Lehre des Streitpatents aber nicht
  175. reduzieren. Sie ist nicht darauf beschränkt, der Zugfeder insgesamt eine konische Form zu verleihen. Während NK5 eine Feder in rechteckiger Form zeigt,
  176. bei der die Federwirkung über die gesamte Länge des Federkörpers erzeugt
  177. und eine Schwächung in Bereichen mit niedrigerer Federspannung nur durch
  178. die für die Klemmfunktion notwendige Ausstanzung des Fensters erreicht wird,
  179. gestaltet das Streitpatent die Feder grundlegend um und sieht einen Federbereich mit zunehmender Schwächung der Federspannung vor, der integral in
  180. einen Bereich ohne (spürbare) Federspannung übergeht.
  181. 14
  182. b)
  183. Beim gegebenen Sach- und Streitstand kann die Patentfähigkeit
  184. des Gegenstands von Patentanspruch 1 auch nicht mit der Begründung verneint werden, die gefundene Lösung habe ihrer Art nach als generelles Mittel
  185. zum allgemeinen fachmännischen Wissen gehört und Anlass für die Heranzie-
  186. -9-
  187. hung dieser Lösung habe bereits deshalb bestanden, weil die Nutzung im konkreten Zusammenhang funktional objektiv zweckmäßig sei und aus fachlicher
  188. Sicht nichts gegen eine Anwendung im konkreten Fall spreche (BGH, Urteil
  189. vom 11. März 2014 - X ZR 139/10, GRUR 2014, 647 - Farbversorgungssystem).
  190. 15
  191. c)
  192. Dass das Patentgericht nicht die Wertung zu treffen vermocht hat,
  193. der Gegenstand des beschränkten Patentanspruchs 1 sei dem Fachmann
  194. durch den Stand der Technik nahegelegt gewesen, wird auch dadurch gestützt,
  195. dass die vorbekannte, in allen Bereichen gleiche Form der Federn nach den
  196. getroffenen Feststellungen im Stand der Technik über Jahrzehnte hinweg nicht
  197. wesentlich infrage gestellt worden ist. Nach den gesamten Umständen stützt
  198. dieses Indiz (Hilfskriterium) die Annahme, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 dem Fachmann nicht durch den Stand der Technik nahegelegt war
  199. (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2010 - X ZR 49/09, GRUR 2010, 992 - Ziehmaschinenzugeinheit II).
  200. - 10 -
  201. 16
  202. 5.
  203. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Beklagte Patentanspruch 1
  204. wie geschehen beschränken musste, um sich vom Stand der Technik abzugrenzen. Jedenfalls ist das Verhältnis des Obsiegens der Klägerin zu ihrem Unterliegen mit eins zu vier angemessen bewertet.
  205. Meier-Beck
  206. Gröning
  207. Hoffmann
  208. Grabinski
  209. Kober-Dehm
  210. Vorinstanz:
  211. Bundespatentgericht, Entscheidung vom 30.10.2013 - 1 Ni 36/12 (EP) -