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642 lines
29 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. X ZR 111/12
  4. Verkündet am:
  5. 30. Juli 2013
  6. Wermes
  7. Justizamtsinspektor
  8. als Urkundsbeamter
  9. der Geschäftsstelle
  10. in dem Rechtsstreit
  11. Nachschlagewerk:
  12. ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. FluggastrechteVO Art. 7, Art. 8, Art. 12
  18. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung
  19. von Art. 7 und Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Parlaments und des Rates
  20. über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von
  21. Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 vom 11. Februar 2004
  22. (ABl. EG L 46 vom 17. Februar 2004 S. 1 ff.) folgende Fragen vorgelegt:
  23. 1. Kann ein vom nationalen Recht gewährter Schadensersatzanspruch, der
  24. auf die Erstattung von zusätzlichen Reisekosten gerichtet ist, die wegen
  25. Annullierung eines gebuchten Fluges angefallen sind, auf den Augleichsanspruch aus Art. 7 der Verordnung angerechnet werden, wenn das Luftfahrtunternehmen seine Verpflichtungen nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung erfüllt hat?
  26. 2. Wenn eine Anrechnung möglich ist: Gilt dies auch für die Kosten der Ersatzbeförderung zum Endziel der Flugreise?
  27. 3. Soweit eine Anrechnung möglich ist: Kann das Luftfahrtunternehmen sie
  28. stets vornehmen oder ist sie davon abhängig, inwiefern das nationale
  29. Recht sie zulässt oder das Gericht sie für angemessen erachtet?
  30. 4. Soweit nationales Recht maßgeblich ist oder das Gericht eine Ermessensentscheidung zu treffen hat: Sollen durch die Ausgleichszahlung
  31. nach Art. 7 der Verordnung nur die Unannehmlichkeiten und der von den
  32. Fluggästen infolge der Annullierung erlittene Zeitverlust oder auch materielle Schäden ausgeglichen werden?
  33. BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - X ZR 111/12 - LG Potsdam
  34. AG Königs Wusterhausen
  35. -2-
  36. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
  37. Verhandlung vom 11. Juni 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
  38. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski, Dr. Bacher und Hoffmann und
  39. die Richterin Schuster
  40. beschlossen:
  41. I.
  42. Das Verfahren wird ausgesetzt.
  43. II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß
  44. Art. 267 AEUV zur Auslegung von Art. 7 und Art. 12 der
  45. Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Parlaments und des
  46. Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichsund Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der
  47. Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer
  48. Verspätung
  49. von
  50. Flügen
  51. und
  52. zur
  53. Aufhebung
  54. der
  55. Verordnung (EWG) Nr. 295/91 vom 11. Februar 2004
  56. (ABl. EG L 46 vom 17. Februar 2004 S. 1 ff.) folgende
  57. Fragen vorgelegt:
  58. 1. Kann
  59. ein
  60. vom
  61. nationalen
  62. Recht
  63. gewährter
  64. Schadensersatzanspruch, der auf die Erstattung von
  65. zusätzlichen Reisekosten gerichtet ist, die wegen
  66. Annullierung eines gebuchten Fluges angefallen sind,
  67. auf
  68. den
  69. Verordnung
  70. Ausgleichsanspruch
  71. angerechnet
  72. aus
  73. werden,
  74. Art.
  75. 7
  76. wenn
  77. der
  78. das
  79. Luftfahrtunternehmen seine Verpflichtungen nach Art.
  80. 8 Abs. 1 der Verordnung erfüllt hat?
  81. -3-
  82. 2. Wenn eine Anrechnung möglich ist: Gilt dies auch für
  83. die Kosten der Ersatzbeförderung zum Endziel der
  84. Flugreise?
  85. 3. Soweit eine Anrechnung möglich ist: Kann das
  86. Luftfahrtunternehmen sie stets vornehmen oder ist sie
  87. davon abhängig, inwiefern das nationale Recht sie
  88. zulässt
  89. oder
  90. das Gericht
  91. sie
  92. für
  93. angemessen
  94. erachtet?
  95. 4. Soweit nationales Recht maßgeblich ist oder das
  96. Gericht eine Ermessensentscheidung zu treffen hat:
  97. Sollen durch die Ausgleichszahlung nach Art. 7 der
  98. Verordnung nur die Unannehmlichkeiten und der von
  99. den Fluggästen infolge der Annullierung erlittene
  100. Zeitverlust
  101. oder
  102. auch
  103. materielle
  104. Schäden
  105. ausgeglichen werden?
  106. Gründe:
  107. A. Der Kläger buchte für sich und seine Familie bei dem beklagten
  108. 1
  109. Luftfahrtunternehmen für den 27. März 2010 einen Flug von B.
  110. nach
  111. M.
  112. ,
  113. dessen
  114. Start
  115. für
  116. 6.35
  117. Uhr
  118. vorgese-
  119. hen war. Bei der Ankunft am Flughafen erfuhren die drei Reisenden, dass
  120. die Beklagte den gebuchten Flug annulliert hatte, und buchten bei einem
  121. anderen Luftfahrtunternehmen einen Ersatzflug nach Be.
  122. Reisenden ein an demselben Tag um 16 Uhr in G.
  123. . Da die
  124. ablegendes Kreuz-
  125. fahrtschiff erreichen wollten, dies mit dem Ersatzflug jedoch nicht möglich
  126. war, fuhren sie von Be.
  127. über M.
  128. und R.
  129. nach C.
  130. ,
  131. -4-
  132. wo sie übernachteten und am nächsten Tag das planmäßig dort anlegende Kreuzfahrtschiff bestiegen.
  133. Der Kläger hat aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Mitrei2
  134. senden die Kosten für den Ersatzflug, den Weitertransport nach C.
  135. , Übernachtung und Verpflegung sowie eine Ausgleichszahlung
  136. nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG)
  137. Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
  138. 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und
  139. Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und
  140. bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung
  141. der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (nachfolgend: Verordnung) geltend
  142. gemacht. Die Beklagte hat die Pflicht zur Erstattung der entstandenen
  143. Kosten, die den Ausgleichsanspruch überstiegen, anerkannt und sich wegen des Ausgleichsanspruchs auf Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung
  144. berufen. Das Amtsgericht hat die Beklagte daraufhin entsprechend ihrem
  145. Anerkenntnis zur Erstattung der Kosten verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung des Klägers gegen die Abweisung des
  146. Ausgleichsanspruchs gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung hatte
  147. keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Ausgleichsanspruch weiter.
  148. B. Die Entscheidung über die Revision hängt davon ab, ob und
  149. 3
  150. gegebenenfalls inwieweit oder unter welchen Voraussetzungen ein nach
  151. nationalem Recht vorgesehener Anspruch, der auf die Erstattung von zusätzlichen Reisekosten gerichtet ist, die wegen Annullierung eines gebuchten Fluges angefallen sind, nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung auf einen Ausgleichsanspruch aus Art. 7 der Verordnung anzurechnen ist.
  152. I.
  153. 4
  154. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe die
  155. Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung nicht
  156. -5-
  157. zu, da er und seine die beiden Mitreisenden von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht und ihren durch die Annullierung entstandenen Schaden
  158. konkret berechnet hätten. Mit dessen Ausgleich werde ihnen der gesamte
  159. Schaden, der durch die Verletzung der vertraglichen Pflichten der Beklagten entstanden sei, ersetzt. Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung bestehe
  160. daneben nicht mehr, da der Fluggast nicht eine über den von ihm selbst
  161. gewählten und konkret dargelegten Schadensbetrag hinausgehende Leistung und damit mehr als dasjenige erhalten solle, was er infolge der Verletzung der Pflichten nach der Verordnung eingebüßt habe.
  162. II. Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nur dann stand,
  163. 5
  164. wenn das Luftfahrtunternehmen, obwohl die Voraussetzungen des Art. 7
  165. der Verordnung für eine Ausgleichszahlung erfüllt sind, gleichwohl zu keiner Zahlung verpflichtet ist, wenn ein nach nationalem Recht gewährter
  166. Anspruch auf Ersatz des Schadens, der durch die Annullierung und eine
  167. deshalb erforderlich gewordene Änderung der Reiseplanung entstanden
  168. ist, den Betrag der Ausgleichszahlung übersteigt.
  169. 1. Rechtsfehlerfrei und von der Revision nicht beanstandet hat
  170. 6
  171. das Berufungsgericht angenommen, dass die Voraussetzungen des Art. 5
  172. Abs. 1 Buchst. c der Verordnung für einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7
  173. Abs. 1 Buchst. a der Verordnung vorliegen, da die Beklagte den Flug annulliert und hierüber nicht rechtzeitig informiert hatte. Außergewöhnliche
  174. Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung sind nicht geltend
  175. gemacht.
  176. 2. Ebenso hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass
  177. 7
  178. der Kläger von der Beklagten für sich und seine Mitreisenden Erstattung
  179. der Kosten verlangen kann, die wegen der Annullierung des gebuchten
  180. Fluges und der deshalb erfolgten Änderung der Reiseplanung entstanden
  181. sind. Das Berufungsgericht musste die Beklagte auf ihr Anerkenntnis hin
  182. zur Zahlung dieser Kosten verurteilen, ohne zu einer sachlichen Prüfung
  183. -6-
  184. des Anspruchs berechtigt oder verpflichtet gewesen zu sein (§ 307 der
  185. Zivilprozessordnung - ZPO).
  186. 3. Die Beklagte ist damit nur dann nicht zur Zahlung des Aus8
  187. gleichsanspruchs gemäß Art. 7 der Verordnung an den Kläger verpflichtet,
  188. wenn der Schadensersatzanspruch in voller oder in einer den Ausgleichsanspruch erreichenden Höhe auf diesen anrechenbar sind. Dies kann der
  189. Senat nicht entscheiden, ohne zuvor dem Gerichtshof der Europäischen
  190. Union die in der Beschlussformel genannten Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
  191. a) Allerdings hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen,
  192. 9
  193. dass eine Anrechnung nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil die Beklagte
  194. zunächst den Anspruch auf Ersatz des weitergehenden Schadens erfüllt
  195. hat und sich bezüglich des noch offenen Ausgleichsanspruchs gemäß
  196. Art. 7 der Verordnung auf die Anrechnung gemäß deren Art. 12 Abs. 1
  197. Satz 2 beruft.
  198. Zwar ist Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung, der nach seinem
  199. 10
  200. Wortlaut lediglich vorsieht, dass die gemäß Art. 7 der Verordnung gewährte Ausgleichsleistung auf einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 12
  201. Abs. 1 Satz 1 der Verordnung angerechnet werden kann, eine Ausnahmebestimmung, die die Ansprüche der Fluggäste einschränkt, und deshalb generell eng auszulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2012
  202. - C-22/11, NJW 2013, 361 Rn. 38 - Finnair Oyi/Lassooy). Art. 12 Abs. 1
  203. Satz 2 der Verordnung soll aber verhindern, dass der Fluggast neben der
  204. Ausgleichsleistung gemäß Art. 7 der Verordnung den Ersatz weitergehenden Schadens verlangen kann, ohne dass es darauf ankommt, welche der
  205. beiden Ansprüche das Luftfahrtunternehmen zuerst erfüllt hat. Dies ergibt
  206. sich aus der Begründung der Vorschrift, die bei deren Auslegung zu berücksichtigen ist (EuGH, Urteil vom 19. November 2009 - C-402/07,
  207. C-432/07, NJW 2010, 43 Rn. 42 - Sturgeon/Condor Flugdienst-GmbH und
  208. -7-
  209. Böck/Air France SA). Nach der Stellungnahme der Kommission vom
  210. 11. August 2003 gemäß Art. 251 Abs. 2 Unterabs. 3 Buchst. c EG-Vertrag
  211. zu den Abänderungen des Europäischen Parlaments betreffend den Vorschlag für die Verordnung (COD (2001) 305, dort unter 4.2, betreffend Abänderung 15) (nachfolgend: Stellungnahme der Kommission) sollte Art. 12
  212. Abs. 1 Satz 2 beibehalten werden, damit die Gerichte verhindern könnten,
  213. dass dem Luftfahrtunternehmen ein doppelter Schadensersatz auferlegt
  214. werde (gerichtlich verhängter Schadensersatz zuzüglich der Ausgleichsleistung nach der vorgeschlagenen Verordnung). Dieses Ziel erfordert,
  215. auch den gewährten Ersatz weitergehenden Schadens auf die Ausgleichsleistung anzurechnen.
  216. Zudem hinge andernfalls der Umfang der Ansprüche von der Rei11
  217. henfolge der Geltendmachung ab: Setzte der Fluggast zunächst die Ansprüche auf weitergehenden Schadensersatz durch, könnte er anschließend die volle Ausgleichszahlung von der Fluggesellschaft verlangen.
  218. Setzt er hingegen zuerst die Ausgleichsleistung durch, könnte er anschließend bis zur Höhe der Ausgleichsleistung keine Ansprüche auf weitergehenden Schadensersatz durchsetzen, weil die Anrechnungsvorschrift
  219. zum Zuge käme. Dies wäre nicht sachgerecht.
  220. b) Eine Anrechnung des Schadensersatzanspruchs wegen der
  221. 12
  222. Kosten der geänderten Reiseplanung auf den Ausgleichsanspruch nach
  223. Art. 7 der Verordnung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das
  224. beklagte Luftfahrtunternehmen seine Pflichten zum Angebot von Unterstützungsleistungen nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b,
  225. Abs. 3 der Verordnung verletzt hätte. Denn eine Verletzung der Pflichten
  226. der Beklagten nach Art. 8 der Verordnung ist nicht festgestellt. Vielmehr
  227. hat sich der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts aus
  228. eigenem Antrieb um eine anderweitige Beförderung bemüht.
  229. -8-
  230. 13
  231. III. Damit kommt es für die Entscheidung im Revisionsverfahren
  232. darauf an, ob und gegebenenfalls inwieweit und unter welchen Voraussetzungen eine Anrechnung der Kosten einer geänderten Reiseplanung auch
  233. dann ausscheidet, wenn das Luftfahrtunternehmen seine Pflichten nach
  234. Art. 8 und 9 der Verordnung nicht verletzt hat, beispielsweise weil der
  235. Fluggast eine Erstattung des Flugpreises verlangt hat.
  236. 1. Zunächst stellt sich die Frage, ob ein Schadensersatzanspruch,
  237. 14
  238. der auf die Erstattung der Kosten einer geänderten Reiseplanung gerichtet
  239. ist, grundsätzlich von einer Anrechnung ausgeschlossen ist.
  240. a) Nach Art. 5 Abs. 1 der Verordnung werden den betroffenen
  241. 15
  242. Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 sowie gegebenenfalls Art. 9 der Verordnung angeboten sowie zusätzlich ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen nach Art. 7
  243. der Verordnung eingeräumt. Die Verpflichtung, dem Fluggast nach seiner
  244. Wahl die Erstattung des Flugpreises mit gegebenenfalls einem Rückflug
  245. zum ersten Abflugort oder eine anderweitige Beförderung zum Endziel
  246. anzubieten, und die Verpflichtung zu einer Ausgleichszahlung gemäß
  247. Art. 7 der Verordnung stehen mithin nebeneinander. Lediglich wenn die
  248. Differenz zwischen der vorgesehenen und der tatsächlichen Ankunftszeit
  249. am Endziel die in Art. 7 Abs. 2 genannten Stundenzahlen unterschreitet,
  250. kann die Ausgleichszahlung um die Hälfte gekürzt werden. Damit hätte die
  251. Beklagte, wenn sie den Reisenden die von ihnen in Anspruch genommene
  252. Beförderung nach Be.
  253. mit anschließender Weiterreise nach M.
  254. als anderweitige Beförderung zum Endziel zum frühestmöglichen Zeitpunkt (Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung) angeboten hätte, neben
  255. dieser Leistung auch die volle Ausgleichszahlung erbringen müssen, da
  256. die Reisenden in M.
  257. deutlich später als zwei Stunden nach der vor-
  258. gesehenen Ankunftszeit (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung) eintrafen.
  259. -9-
  260. 16
  261. b) Das Ergebnis wäre kein anderes, wenn die Beklagte ihre Verpflichtung zum Angebot einer anderweitigen Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der
  262. Verordnung verletzt hätte und deshalb den Reisenden zum Ersatz des
  263. hierdurch entstandenen Schadens in Gestalt der für eine selbst organisierte anderweitige Beförderung entstandenen Aufwendungen verpflichtet wäre.
  264. Auch in diesem Fall ständen die Pflicht zum Ersatz des entstande-
  265. 17
  266. nen Schadens und der Ausgleichsanspruch gemäß Art. 7 nebeneinander
  267. (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 28. Juni 2011 in der
  268. Rs. C-83/10 Rn. 64). Es handelt sich bei dem Anspruch auf Ersatz des
  269. durch die Verletzung der Pflicht aus Art. 8 der Verordnung (und gegebenenfalls Art. 9 der Verordnung) entstandenen Schadens nicht um einen
  270. weitergehenden Schadensersatzanspruch, der nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2
  271. der Verordnung auf einen Ausgleichsanspruch anrechenbar wäre (EuGH,
  272. Urteile vom 13. Oktober 2011 - C-83/10, NJW 2011, 3776 Rn. 44 - Sousa
  273. Rodríguez u.a./Air France und vom 31. Januar 2013 - Rs. C-12/11, NJW
  274. 2013, 921 Rn. 20 bis 24 - McDonagh/Ryanair Ltd). Nur dann, wenn der
  275. Anspruch auf Ersatz der Kosten wegen Verletzung der Pflichten aus Art. 8
  276. und 9 der Verordnung nicht der Anrechnung gemäß deren Art. 12 Abs. 1
  277. Satz 2 unterliegt, wird sichergestellt, dass das Luftfahrtunternehmen nicht
  278. sanktionslos seine Pflicht zur Bereitstellung der Betreuungs- und Unterstützungsleistungen verletzt (Generalanwältin Sharpston, aaO Rn. 63 und
  279. 64).
  280. c) Nicht geklärt ist hingegen, ob eine Anrechnung der Kosten der
  281. 18
  282. geänderten Reiseplanung auch dann ausscheidet, wenn das Luftfahrtunternehmen seine Verpflichtungen nach den Art. 8 und 9 der Verordnung
  283. nicht verletzt hat.
  284. - 10 -
  285. 19
  286. (1) Dafür, dass die Anrechenbarkeit nur ausgeschlossen ist, wenn
  287. das Luftfahrtunternehmen seine Pflichten nach Art. 8 oder Art. 9 der Verordnung nicht erfüllt hat, spricht, dass nur in diesem Fall die Verpflichtung,
  288. deren Verletzung den Erstattungsanspruch begründet, dem Luftfahrtunternehmen neben der Ausgleichspflicht nach Art. 7 der Verordnung oblag.
  289. Ein Fehlanreiz, der das Luftfahrtunternehmen veranlassen könnte, seine
  290. Pflicht zu Betreuungs- und Unterstützungspflichten zu vernachlässigen,
  291. würde folglich durch die Anrechnung nicht gesetzt. Zudem spricht gegen
  292. einen Ausschluss der Anrechnung, dass die Kosten einer vom Fluggast
  293. selbst organisierten Ersatzbeförderung die Kosten einer anderweitigen
  294. Beförderung durch das Luftfahrtunternehmen selbst - unter Umständen
  295. beträchtlich - übersteigen können. Das Luftfahrtunternehmen, das neben
  296. den vollen Kosten einer anderweitigen Beförderung durch ein anderes
  297. Luftfahrtunternehmen auch die Ausgleichszahlung zu erbringen hätte,
  298. könnte mithin auch ohne eine Verletzung seiner Pflichten nach den Art. 8
  299. und 9 der Verordnung erheblich belastet werden.
  300. (2) Demgegenüber spricht gegen eine Anrechnung, dass der Aus-
  301. 20
  302. gleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung im Fall der Annullierung des
  303. Fluges gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung dem Ausgleich der Unannehmlichkeiten dient, die die Fluggäste durch den eintretenden Zeitverlust
  304. erleiden (EuGH, Sturgeon, aaO Rn. 51 bis 54; Nelson, aaO Rn. 34; EuGH,
  305. Urteil vom 26. Februar 2013 - C-11/11, NJW 2013, 1291 Rn. 32, 39 - Air
  306. France SA/Folkerts). Für die Ausgleichswürdigkeit des Zeitverlustes und
  307. der Unannehmlichkeiten, die nach der Verordnung die Ausgleichsleistung
  308. gemäß Art. 7 der Verordnung im Fall der Annullierung des Fluges rechtfertigt, ist es ohne Bedeutung, ob der Fluggast daneben Kosten für die Ersatzbeförderung zum Endziel deshalb aufwendet, weil das Luftfahrtunternehmen seine Pflichten aus Art. 8 der Verordnung verletzt hat, oder deshalb, weil der Fluggast beispielsweise von dem Angebot des Luftfahrtunternehmens auf Ersatzbeförderung keinen Gebrauch macht, sondern die
  309. - 11 -
  310. Ersatzbeförderung zum Endziel der Flugreise selbst organisiert, solange
  311. dies nichts daran ändert, dass er sein Endziel mit erheblicher Verspätung
  312. erreicht.
  313. 2. Sollte deshalb eine Anrechnung der Kosten einer geänderten
  314. 21
  315. Reiseplanung grundsätzlich in Betracht kommen, könnte jedoch zu differenzieren sein zwischen den Kosten der Ersatzbeförderung zum Endziel
  316. der Flugreise und weiteren Kosten. Das beklagte Luftfahrtunternehmen
  317. hat nicht nur die Kosten erstattet, die den Reisenden für die Beförderung
  318. zum planmäßigen Endziel der Flugreise entstanden sind, sondern auch
  319. weitere Kosten, nämlich solche der Weiterbeförderung von M.
  320. R.
  321. nach C.
  322. über
  323. sowie Übernachtungs- und Verpflegungskosten
  324. dort, die erforderlich waren, damit der Kläger und seine Familie das Kreuzfahrtschiff im zweiten Hafen doch noch erreichen konnten.
  325. a) Es könnten lediglich solche Kostenpositionen von einer An22
  326. rechnung auf die Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung ausgeschlossen sein, die auch als Kosten einer anderweitigen Beförderung im
  327. Sinne von Art. 8 der Verordnung nicht angerechnet werden dürften.
  328. Art. 5 Abs. 1 der Verordnung könnte die Wertung zu entnehmen
  329. 23
  330. sein, dass das Luftfahrtunternehmen im Falle der Annullierung des Fluges
  331. neben der Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Verordnung, die dem
  332. Ausgleich der Unannehmlichkeiten und des Zeitverlustes dient, lediglich
  333. zur vollständigen Erstattung der Art. 8 (und gegebenenfalls Art. 9 ) der
  334. Verordnung unterfallenden Kostenpositionen verpflichtet sein soll. Für eine
  335. Anrechnung der Kostenpositionen, die auch im Rahmen der Art. 8 und
  336. Art. 9 der Verordnung nicht vom Luftfahrtunternehmen zu tragen sind,
  337. spricht, dass andernfalls im Fall der Annullierung die in Art. 12 Abs. 1
  338. Satz 2 der Verordnung ausdrücklich vorgesehene gegenseitige Anrechnung von weitergehendem Schadensersatz und Ausgleichszahlung weit-
  339. - 12 -
  340. gehend leerlaufen und eine Abgrenzung zu anderen, anrechenbaren
  341. Schadensposition schwierig sein könnte.
  342. b) Demgegenüber könnten jedoch auch sämtliche Kosten, die
  343. 24
  344. dem Fluggast durch eine infolge der Annullierung erforderliche Änderung
  345. der Reiseroute entstanden sind, von dem Luftfahrtunternehmen neben der
  346. Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Verordnung zu erstatten sein, ohne
  347. dass eine gegenseitige Anrechnung gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung erfolgen dürfte.
  348. Der Gerichtshof hat ausgeführt (EuGH, Sturgeon, aaO Rn. 51 bis
  349. 25
  350. 54; Nelson, aaO Rn. 34; Folkerts, aaO Rn. 32, 39), Zweck des Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 der Verordnung sei, die Unannehmlichkeiten
  351. auszugleichen, die die Fluggäste durch den eintretenden Zeitverlust erleiden. Für die Ausgleichswürdigkeit des Zeitverlustes und der annullierungsbedingten Unannehmlichkeiten ist die Differenzierung der Schadenspositionen nicht von Bedeutung. Die weiteren Kosten, die die Fluggäste aufwenden mussten, um den mit der Flugreise verfolgten weiteren
  352. Zweck zu erreichen, sind unter diesem Blickwinkel lediglich Ausdruck weiterer Unannehmlichkeiten und Komplikationen, die durch die Annullierung
  353. ausgelöst worden sind.
  354. 3. Sollten gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung entweder
  355. 26
  356. sämtliche durch die Annullierung des Fluges verursachten und dem Kläger
  357. ersetzten Kosten oder jedenfalls diejenigen Kosten, die nicht der Ersatzbeförderung zum Endziel der Flugreise dienten, auf den Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung anrechenbar sein, kommt es für die
  358. Entscheidung des Revisionsverfahrens schließlich darauf an, ob das Luftfahrtunternehmen die Anrechnung ohne weiteres vornehmen kann oder
  359. ob sie von weiteren Voraussetzungen abhängig ist, insbesondere davon,
  360. ob und gegebenenfalls inwiefern das nationale Recht sie zulässt.
  361. - 13 -
  362. 27
  363. a) Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung könnte dahin zu verstehen sein, dass das Luftfahrtunternehmen das Recht hat, die Anrechnung
  364. vorzunehmen, und das Gericht hieran gebunden ist.
  365. b) Die Vorschrift könnte aber auch dahin zu verstehen sein, dass
  366. 28
  367. das nationale Recht nicht nur weitergehende Schadensersatzansprüche
  368. zulassen (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung), sondern auch - soweit
  369. sich aus der Verordnung nichts anderes ergibt (Fragen 1 und 2) - bestimmen kann, ob und gegebenenfalls inwieweit diese auf den Ausgleichsanspruch anzurechnen sind.
  370. Dafür spricht die Befugnis des nationalen Gesetzgebers, weiterge-
  371. 29
  372. hende Schadensersatzansprüche vorzusehen. Wenn der nationale Gesetzgeber darin frei ist, solche weitergehende Ansprüche zu schaffen oder
  373. hiervor abzusehen, liegt es nahe, ihm auch die Befugnis zuzubilligen, eine
  374. Anrechnung auf den Ausgleichsanspruch vorzusehen. Dies entspräche
  375. der Sache nach einem Anspruch auf weitergehenden Schadensersatz,
  376. den das nationale Recht nur in Höhe eines den Ausgleichsanspruch übersteigenden Betrags vorsähe.
  377. c) Schließlich könnte Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung dahin
  378. 30
  379. zu verstehen sein, dass die Gerichte über die gegenseitige Anrechenbarkeit im Einzelfall unter Berücksichtigung sich aus der Verordnung selbst
  380. ergebender Wertungen zu entscheiden haben.
  381. Die Kommission ging in ihrer Stellungnahme zu Art. 12 Abs. 1
  382. 31
  383. Satz 2 der Verordnung (aaO, unter 4.2 zu Abänderung 15) davon aus, die
  384. Anrechnung ermögliche es den Gerichten, zu verhindern, dass Luftfahrtunternehmen ein doppelter Schadensersatz auferlegt werde, was für eine
  385. - vom nationalen Recht unabhängige - Entscheidungsbefugnis der Gerichte spricht. Entsprechend wird angenommen, dass es stets Sache des zuständigen Gerichts sei, zu entscheiden, ob eine Anrechnung unter den
  386. Umständen des Einzelfalls angemessen sei (Generalanwältin Sharpston,
  387. - 14 -
  388. aaO Rn. 64). Zur Frage der Anrechenbarkeit hat die Generalanwältin im
  389. dort vorliegenden Fall weiter ausgeführt (aaO Rn. 64), eine gegenseitige
  390. Anrechnung des Ausgleichsanspruchs gemäß Art. 7 der Verordnung und
  391. des Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung von Art. 8 und Art. 9 der
  392. Verordnung sei unangemessen, da es sich nach der Verordnung um kumulative Verpflichtungen handele.
  393. Gegen eine vom nationalen Recht unabhängige Entscheidung der
  394. 32
  395. Gerichte über die Anrechnung spricht jedoch, dass die Verordnung, soweit
  396. nicht eine Verletzung der Pflichten des Luftfahrtunternehmens nach Art. 8
  397. und 9 in Rede steht, hierfür in Art. 12 Abs. 1 keine Kriterien vorgibt und es
  398. im Übrigen dem nationalen Recht überlässt, ob es überhaupt weitergehende Schadensersatzansprüche vorsieht. Hierzu könnte eine vom nationalen Recht unabhängige Ermessenentscheidung der Gerichte in Widerspruch treten.
  399. 4. Sollte über die Anrechnung von den Gerichten nach nationalem
  400. 33
  401. Recht zu entscheiden sein oder das Gericht eine Ermessensentscheidung
  402. zu treffen haben, kommt es schließlich darauf an, welche Beeinträchtigungen durch die Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Verordnung kompensiert werden sollen.
  403. a) Das deutsche Recht enthält zur Frage der Anrechnung einer
  404. 34
  405. Ausgleichszahlung auf einen weitergehenden Schadensersatzanspruch
  406. (oder umgekehrt) keine ausdrücklichen Vorschriften. Auf der Grundlage
  407. allgemeiner Grundsätze des Schadensersatzrechts sind unter bestimmten
  408. Voraussetzungen Vorteile, die bei dem Geschädigten durch den Schadensfall eingetreten sind, auf seinen Schadensersatzanspruch anzurechnen. Voraussetzung einer solchen Anrechnung ist, dass sie dem Sinn und
  409. Zweck der Schadensersatzpflicht entspricht. Die Anrechnung darf den
  410. Geschädigten nicht unzumutbar belasten und den Schädiger nicht unbillig
  411. begünstigen. Die Anrechnung erfolgt dabei hinsichtlich einzelner Scha-
  412. - 15 -
  413. denspositionen, wenn der Vorteil mit einem bestimmten Nachteil korrespondiert, der Schadensposten bei wertender Betrachtung dem Vorteil zuordenbar ist (BGH, Urteil vom 6. Juni 1997 - V ZR 115/96, NJW 1997,
  414. 2378 mwN). Eine Anrechnung scheidet mangels Zuordenbarkeit der
  415. Schadensposten aus, wenn dies dem Zweck des jeweiligen Schadensausgleichs nicht entspricht. So verbietet es der Zweck eines Schmerzensgeldes als einer Entschädigung für die immateriellen Nachteile des Verletzten, eine Entschädigung für Vermögensverluste als das Schmerzensgeld mindernd zu berücksichtigen und hierdurch Ersatzleistungen für den
  416. materiellen Schaden auf immaterielle Nachteile anzurechnen. Ebenso wenig kann umgekehrt ein eingetretener Vermögensschaden mit immateriellen Vorteilen ausgeglichen werden (BGH, Urteil vom 9. März 1982
  417. - VI ZR 1317/80, NJW 1982, 1589, 1590).
  418. Da der dem Kläger gewährte Ersatz weitergehenden Schadens
  419. 35
  420. gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung dem Ersatz der durch die
  421. Annullierung verursachten Vermögensschäden dient, wäre seine Anrechnung auf den Ausgleichsanspruch gemäß Art. 7 der Verordnung ausgeschlossen, wenn dieser nur dem Ausgleich immaterieller Schäden der
  422. Fluggäste diente. Demgegenüber käme eine - gegebenenfalls teilweise Anrechnung in Betracht, wenn durch den Ausgleichsanspruch - beispielsweise in Gestalt eines pauschalierten Schadensersatzanspruchs - nicht
  423. nur die durch die Annullierung verursachten Unannehmlichkeiten und der
  424. Zeitverlust der Fluggäste, sondern in pauschalierter Form auch von diesen
  425. erlittene materielle Schäden ausgeglichen werden sollen.
  426. Auf die Frage, welche Schäden der Ausgleichsanspruch gemäß Art.
  427. 36
  428. 7 der Verordnung kompensieren soll, könnte es auch ankommen, falls die
  429. nationalen Gerichte über die Anrechnung im Einzelfall unter Berücksichtigung sich aus der Verordnung selbst ergebender Wertungen zu entscheiden hätten. Diente der Ausgleichsanspruch gemäß Art. 7 der Verordnung
  430. ausschließlich der Kompensation der durch die Annullierung verursachten
  431. - 16 -
  432. Unannehmlichkeiten insbesondere infolge des Zeitverlustes (EuGH, Sturgeon, aaO Rn. 54, 72), könnte es angemessen sein, im zu entscheidenden Fall beide Leistungen ohne gegenseitige Anrechnung zu gewähren.
  433. Sollen sowohl materielle als auch immaterielle Schäden ausgeglichen
  434. werden, käme gegebenenfalls auch eine teilweise Anrechnung in Betracht.
  435. b) Welche Schäden die Ausgleichsleistung gemäß Art. 7 der Ver37
  436. ordnung kompensieren soll, ist nicht hinreichend geklärt.
  437. (1) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat ausgeführt, dass
  438. 38
  439. die Fluggäste erheblich verspäteter Flüge bezüglich der Anwendung des
  440. Ausgleichsanspruchs gemäß Art. 7 der Verordnung den Fluggästen annullierter Flüge gleichzustellen seien, da sie ähnliche Unannehmlichkeiten in
  441. Form eines Zeitverlusts erlitten und sich somit im Hinblick auf die Anwendung des in Art. 7 der Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruchs in
  442. einer vergleichbaren Lage befänden (EuGH, Sturgeon, aaO Rn. 54, 60;
  443. Nelson, aaO Rn. 34, 48; Folkerts, aaO Rn. 32 ). Die pauschale Ausgleichszahlung ermögliche den Ausgleich eines von den Fluggästen erlittenen Zeitverlusts (EuGH, Nelson, aaO Rn. 74). Daraus könnte der
  444. Schluss zu ziehen sein, dass durch die Ausgleichszahlung nur immaterielle Schäden in Form von Unannehmlichkeiten infolge des Zeitverlusts
  445. kompensiert werden sollen.
  446. (2) Demgegenüber könnte die Ausgleichsleistung auch als pau-
  447. 39
  448. schalierter Ersatz entstandener materieller und immaterieller Schäden
  449. verstanden werden. Es handelt sich bei den in der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen, und damit auch bei der Ausgleichszahlung gemäß
  450. Art. 7 der Verordnung, um standardisierte Maßnahmen, durch die sofort
  451. - ohne die Mühen gerichtlicher Geltendmachung - der Schaden wieder
  452. gutgemacht werden soll, den die Annullierung oder die erhebliche Verspätung zur Folge hat (EuGH, Rodríguez, aaO Rn. 39; Urteil vom
  453. - 17 -
  454. 10. Januar 2006 - C-34/04, The Queen, auf Antrag von International Air
  455. Transport Association, European Low Fares Airline Association / Department for Transport, NJW 2006, 351 - Rn. 45, 82; Nelson, aaO Rn. 46).
  456. Daher könnte die Ausgleichszahlung auch dazu dienen, es dem Fluggast
  457. zu ermöglichen, Ersatz seiner materiellen Schäden zu erlangen, ohne im
  458. Einzelnen aufwendig deren Höhe darzulegen und zu beweisen.
  459. Meier-Beck
  460. Grabinski
  461. Bacher
  462. Richter am Bundesgerichtshof
  463. Hoffmann kann wegen Urlaubs
  464. nicht unterschreiben.
  465. Meier-Beck
  466. Schuster
  467. Vorinstanzen:
  468. AG Königs Wusterhausen, Entscheidung vom 08.12.2010 - 9 C 274/10 LG Potsdam, Entscheidung vom 15.08.2012 - 13 S 24/11 -