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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- X ARZ 109/11
- vom
- 17. Mai 2011
- in dem Gerichtsstandbestimmungsverfahren
- Nachschlagewerk:
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- ja
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- BGHZ:
-
- nein
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- BGHR:
-
- ja
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- ZPO § 281 Abs. 2
- Ein Verweisungsbeschluss ist nicht schon deshalb unwirksam, weil das verweisende Gericht sich nicht mit der Frage befasst hat, ob es gemäß § 29 ZPO örtlich
- zuständig ist, wenn die Parteien weder die Frage des Erfüllungsorts thematisiert
- noch zum Wohnsitz des Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgetragen haben.
- BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011 - X ARZ 109/11 - OLG Brandenburg
- AG Neukölln
- AG Fürstenwalde
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- Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Mai 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Bacher und
- Hoffmann sowie die Richterin Schuster
- beschlossen:
- Zuständig ist das Amtsgericht Neukölln.
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- Gründe:
- 1
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- I.
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- Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Vergütung für
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- Mobilfunkleistungen in Anspruch.
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- Der Beklagte schloss mit der Klägerin am 30. Juli 2008 einen schriftlichen Vertrag über die Erbringung von Mobilfunkleistungen. Unter der Rubrik
- "Anschrift" ist in dem Vertragsformular eine Adresse in Fürstenwalde eingetragen.
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- Am 12. Januar 2010 wurde dem Beklagten unter einer anderen Adresse
- in Fürstenwalde antragsgemäß ein Mahnbescheid über eine Hauptforderung
- von 411,31 Euro zugestellt. Der Beklagte legte Widerspruch ein und teilte als
- Anschrift eine Adresse in Berlin mit. Nach Zahlung des Gerichtskostenvorschusses gab das Mahngericht das Verfahren an das im Mahnantrag benannte
- Amtsgericht Fürstenwalde ab. Dieses konnte die Anspruchsbegründung nicht
- unter der im Mahnbescheid angegebenen Adresse in Fürstenwalde zustellen.
- Die Klägerin teilte als neue Anschrift eine wiederum andere Adresse in Berlin
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- mit. Dort wurde die Anspruchsbegründung durch Einlegen in den Briefkasten
- zugestellt.
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- Nach Zustellung der Anspruchsbegründung bat das Amtsgericht
- Fürstenwalde die Klägerin um Mitteilung, ob Verweisung an das Amtsgericht
- Neukölln beantragt werde, weil der Beklagte nach seinen Angaben bereits zum
- Zeitpunkt des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid in Berlin wohnhaft gewesen sei. Die Klägerin stellte Verweisungsantrag mit der Begründung, der Beklagte habe seinen Wohnsitz bereits zum Zeitpunkt des Widerspruchs nach
- Berlin verlegt; hier sei das Amtsgericht Neukölln örtlich zuständig. Das Amtsgericht Fürstenwalde erklärte sich für unzuständig und verwies den Rechtsstreit
- "an das nach §§ 12 ff. ZPO für den Wohnsitz des Beklagten zuständige" Amtsgericht Neukölln.
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- Das Amtsgericht Neukölln teilte den Parteien mit, es halte den Verweisungsbeschluss für nicht bindend, weil das Amtsgericht Fürstenwalde gemäß
- § 29 ZPO weiterhin zuständig sei. Die Klägerin beantragte daraufhin, den
- Rechtsstreit an das Amtsgericht Fürstenwalde zurückzuverweisen. Das Amtsgericht Neukölln erklärte sich für unzuständig und legte die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vor.
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- Das Brandenburgische Oberlandesgericht hält das Amtsgericht Neukölln
- für zuständig. Es sieht sich an einer entsprechenden Bestimmung des Gerichtsstandes durch Entscheidungen von vier anderen Oberlandesgerichten (OLG
- Frankfurt am Main, Beschluss vom 17. August 2001 - 21 AR 65/2001, NJW
- 2001, 3792; OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. Februar 2006 - 1 W 98/05,
- OLGR Braunschweig 2006, 652; OLG München, Beschluss vom 09. Juli 2007
- - 31 AR 146/07, MDR 2007, 1278; KG, Beschluss vom 17. September 2007
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- - 2 AR 37/07, KGR 2008, 248) gehindert und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof vorgelegt (Beschluss vom 31. März 2011 - 1 AR 16/11, juris).
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- II.
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- Mit zutreffenden Erwägungen hat das vorlegende Gericht die Vo-
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- raussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6
- ZPO und für eine Vorlage gemäß § 36 Abs. 3 ZPO bejaht.
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- III.
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- Zuständig ist das Amtsgericht Neukölln.
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- 1.
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- Wie das vorlegende Gericht zutreffend darlegt, ist im Falle eines
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- negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit
- grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in
- dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Dies folgt
- aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage
- von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die
- Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt nur dann,
- wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des
- § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder
- jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet
- werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder
- fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz
- beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich
- unhaltbar ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 - X ARZ 45/08,
- NJW-RR 2008, 1309 Rn. 6).
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- 2.
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- Zu Recht hat das vorlegende Gericht den Verweisungsbeschluss
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- des Amtsgerichts Fürstenwalde bei Anlegung dieses Maßstabes nicht als willkürlich angesehen.
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- Ein Verweisungsbeschluss kann allerdings als nicht mehr verständlich
- und offensichtlich unhaltbar zu beurteilen sein, wenn das verweisende Gericht
- eine seine Zuständigkeit begründende Norm nicht zur Kenntnis genommen
- oder sich ohne weiteres darüber hinweggesetzt hat. Der Senat hat dies für den
- Fall bejaht, dass schon mehrere Jahre vor dem Verweisungsbeschluss eine
- Gesetzesänderung erfolgt ist, die Verweisungen der in Rede stehenden Art gerade
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- verhindern
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- soll
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- (BGH,
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- Beschluss
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- vom
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- 10. September 2002
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- - X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634, 3635).
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- Eine vergleichbare Konstellation ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.
- Zwar ergibt sich sowohl aus dem Verweisungsbeschluss als auch aus dem zuvor erteilten Hinweis, dass das Amtsgericht Fürstenwalde für die Beurteilung
- der Zuständigkeitsfrage nur auf den Wohnsitz abgestellt und eine mögliche Zuständigkeit am Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO) nicht in Erwägung
- gezogen hat. Dies begründet jedoch noch nicht den Vorwurf der Willkür. Eine
- Prüfung der Zuständigkeit anhand von § 29 ZPO mag nahegelegen haben, weil
- der Inhalt der zusammen mit der Anspruchsbegründung vorgelegten Kopien
- des Mobilfunkvertrages und der Rechnungen darauf hindeutet, dass der Wohnsitz des Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und damit gemäß § 269
- Abs. 1 BGB auch der Erfüllungsort für den Klageanspruch in Fürstenwalde lag.
- Eine Befassung mit dieser Frage drängte sich dennoch nicht derart auf, dass
- die getroffene Verweisungsentscheidung als schlechterdings nicht auf der
- Grundlage von § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann. Weder die Klägerin noch der Beklagte - der sich im streitigen Verfahren bislang nicht gemel-
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- det hat - hatten die Frage des Erfüllungsorts thematisiert oder zum Wohnsitz
- des Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgetragen. Das Amtsgericht Fürstenwalde war dadurch zwar nicht gehindert, diese Frage von sich
- aus aufzugreifen und die dafür maßgeblichen tatsächlichen Umstände durch
- Erteilung geeigneter Hinweise an die Parteien einer Klärung zuzuführen. Der
- Umstand, dass es von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, stellt
- jedoch allenfalls einen einfachen Rechtsfehler dar, lässt die getroffene Entscheidung aber nicht als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar
- erscheinen.
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- Meier-Beck
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- Gröning
- Hoffmann
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- Bacher
- Schuster
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- Vorinstanzen:
- OLG Brandenburg, Entscheidung vom 31.03.2011 - 1 AR 16/11 -
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