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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VIII ZR 295/08
  4. vom
  5. 14. Juli 2009
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZPO § 397 Abs. 1, § 402, § 544 Abs. 7
  14. Dem Antrag einer Partei auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines
  15. schriftlichen Gutachtens hat das Gericht grundsätzlich zu entsprechen, auch wenn es
  16. das schriftliche Gutachten für überzeugend hält und selbst keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht. Ein Verstoß gegen diese Pflicht verletzt den Anspruch der Partei
  17. auf rechtliches Gehör und führt im Rahmen des § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung
  18. des Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
  19. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 295/08 - OLG Düsseldorf
  20. LG Krefeld
  21. -2-
  22. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juli 2009 durch den
  23. Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Milger,
  24. den Richter Dr. Achilles und die Richterin Dr. Fetzer
  25. beschlossen:
  26. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil
  27. des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
  28. 10. Oktober 2008 aufgehoben.
  29. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
  30. auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  31. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 115.446,30 €
  32. festgesetzt.
  33. Gründe:
  34. I.
  35. 1
  36. Die Klägerin ist Maschinenversicherer der A.
  37. GmbH & Co. KG, die
  38. eine Deponie betreibt. Sie nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht wegen
  39. eines Maschinenschadens in Anspruch, der sich am 12. September 2003 an
  40. dem Motor einer Gasverstromungsanlage ereignete. Diese Anlage hatte die
  41. Beklagte unter gleichzeitigem Abschluss eines Vollwartungsvertrages an die
  42. -3-
  43. Deponiebetreiberin geliefert. Die Klägerin erbrachte für den Schaden eine Versicherungsleistung in Höhe von 115.460,30 € an die Deponiebetreiberin.
  44. 2
  45. Die Parteien streiten darüber, ob der Motorschaden auf einem Sachmangel der von der Beklagten gelieferten Anlage beruht oder darauf zurückzuführen ist, dass die Versicherungsnehmerin der Klägerin sie mit weit überhöhten Schadstoffgehalten im Deponiegas betrieben hat.
  46. 3
  47. Nach der Bedienungsanleitung der Herstellerfirma D.
  48. sind Schad-
  49. stoffwerte bis zu 10 mg/m³ i.N. CH4 für Silizium und bis zu 2.200 mg/m³ i.N.
  50. CH4 für Gesamtschwefel zulässig. Demgegenüber hatten die Beklagte und die
  51. Deponiebetreiberin - bezogen auf einen Methangasgehalt von 50 % - Grenzwerte von 7,5 mg/m³ Deponiegas für Silizium und 1.500 mg/m³ für Gesamtschwefel vereinbart. Bei entsprechender Umrechnung nach der Bedienungsanleitung des Herstellers ergaben sich daraus Werte von 15 mg/m³ für Silizium
  52. und 3.104 mg/m³ für Gesamtschwefel, mithin über den Herstellervorgaben liegende Werte.
  53. 4
  54. Das Landgericht hat die auf Zahlung von 115.460,30 € Reparaturkosten
  55. sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten nebst Zinsen gerichtete Klage
  56. abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das Urteil des Landgerichts abgeändert
  57. und der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.
  58. II.
  59. 5
  60. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist statthaft und auch im
  61. Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO).
  62. -4-
  63. Sie ist auch begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des
  64. angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches
  65. Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Das
  66. Grundrecht auf rechtliches Gehör gebietet es, dass sich das Gericht mit allen
  67. wesentlichen Punkten des Vortrags einer Partei auseinandersetzt. Zwar muss
  68. es nicht jede Erwägung in den Urteilsgründen ausdrücklich erörtern. Aus dem
  69. Gesamtzusammenhang muss aber hervorgehen, dass es die wesentlichen
  70. Punkte berücksichtigt und in seine Überlegungen mit einbezogen hat (Senatsbeschluss vom 5. April 2005 - VIII ZR 160/04, NJW 2005, 1950, unter II 2 b).
  71. Hier hat das Berufungsgericht den Kern des Verteidigungsvorbringens der Beklagten zu den mit der Deponiebetreiberin vereinbarten Schadstoffwerten und
  72. zur massiven Überschreitung dieser (erhöhten) Werte durch die Deponiebetreiberin übergangen.
  73. 6
  74. 1. Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten gelieferte Anlage als
  75. mangelhaft angesehen, weil sie trotz der im Liefervertrag vereinbarten, über
  76. den Herstellervorgaben liegenden Grenzwerte nicht mit einer Gasreinigungsanlage ausgestattet gewesen sei. Entgegen der Ansicht des Sachverständigen,
  77. dass die Zuführung von Gas in vertraglich vereinbarter Qualität und damit auch
  78. der Einbau einer Gasreinigungsanlage zum Pflichtenkreis des Deponiebetreibers und nicht des Anlagenbauers gehöre, sei die Beklagte verpflichtet gewesen, eine Gasreinigungsanlage zu planen und einzubauen, weil sich die Lieferpflicht der Beklagten auf die Gesamtkonzeption der Anlage erstreckt habe.
  79. 7
  80. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht geltend macht, hatte die
  81. Beklagte - schon in der Klageerwiderung - vorgetragen, dass die Anlage auch
  82. mit den vereinbarten, (leicht) über den Herstellervorgaben liegenden Schadstoffwerten ohne Gefahr für den Motor betrieben werden könne; der Schaden
  83. -5-
  84. sei ausschließlich darauf zurückzuführen, dass die Deponiebetreiberin die vereinbarten (erhöhten) Werte massiv überschritten habe. Dieser Vortrag wird
  85. durch die von der Beklagten bereits in der ersten Instanz vorgelegte Gasanalyse vom 24. September 2002 bestätigt, auf die die Nichtzulassungsbeschwerde
  86. Bezug nimmt. Nach dieser Analyse wurde für Silizium ein Wert von (umgerechnet) 25,98 mg/m³ und für Gesamtschwefel von 6.560 mg/m³ gemessen, so dass
  87. die vertraglich vereinbarten Werte um etwa 100 % überschritten wurden. In seinem Ergänzungsgutachten vom 30. Juni 2007 hat der gerichtliche Sachverständige die von der Beklagten behauptete Schadensursache bestätigt und außerdem ausgeführt, dass die Vereinbarung der gegenüber den Herstellerangaben erhöhten Grenzwerte lediglich den bei der Deponieerzeugung allgemein
  88. bekannten Schwankungen Rechnung getragen habe. Bei Einhaltung dieser (erhöhten) Grenzwerte sei nur ein gewisser zusätzlicher Wartungsaufwand zu erwarten gewesen, dem die Parteien im Wartungsvertrag bei den Basiskosten
  89. kalkulatorisch Rechnung getragen hätten. Der Sachverständige hat ferner auch
  90. aus den vor dem Schadensfall angefallenen umfangreichen Reparaturen geschlossen, dass die Schadstoffe weit über den zulässigen bzw. vereinbarten
  91. Grenzwerten gelegen haben müssten; die alleinige Schadensursache hat er bei
  92. der Deponiebetreiberin gesehen, zu deren Verantwortungsbereich die Einhaltung der erhöhten Grenzwerte beim Betrieb der Anlage gehöre.
  93. 8
  94. 2. Ohne sich mit diesem durch das gerichtliche Gutachten bestätigten
  95. zentralen Verteidigungsvorbringen der Beklagten auseinanderzusetzen, hat das
  96. Berufungsgericht in seinem Urteil angenommen, dass die Herstellervorgaben
  97. bezüglich der Schadstoffwerte in jedem Fall einzuhalten seien und die Beklagte
  98. deshalb eine Gasreinigungsanlage hätte planen und einbauen müssen. Dies
  99. rügt die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht als Verletzung des rechtlichen
  100. Gehörs der Beklagten.
  101. -6-
  102. 9
  103. 3. Ferner ist das Berufungsgericht dem wiederholten, zuletzt in der Berufungsverhandlung gestellten Antrag der Beklagten auf mündliche Anhörung des
  104. Sachverständigen nicht nachgekommen; auch dies verletzt die Beklagte in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör.
  105. 10
  106. a) Dem Antrag einer Partei auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens hat das Gericht grundsätzlich zu entsprechen, auch wenn es das schriftliche Gutachten für überzeugend hält und
  107. selbst keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht. Die Partei hat zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf,
  108. dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Erläuterung der Sache
  109. für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (BGH, Urteil
  110. vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, NJW 1998, 162, unter II 2 a; Beschluss
  111. vom 22. Mai 2007 - VI ZR 233/06, NJW-RR 2007, 1294, Tz. 3, st. Rspr.). Beschränkungen des Antragsrechts können sich allenfalls aus dem - hier offensichtlich nicht vorliegendem - Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs oder der
  112. Prozessverschleppung ergeben (BGH, Urteil vom 29. Oktober 2002 - VI ZR
  113. 353/01, NJW-RR 2003, 208, unter II 1). Das Berufungsgericht durfte die Anhörung des Sachverständigen daher nicht mit der Begründung ablehnen, die von
  114. der Beklagten gestellte Frage sei schon im (erstinstanzlichen) Gutachten des
  115. Sachverständigen beantwortet worden.
  116. 11
  117. b) Überdies hatte der Sachverständige die Frage, ob die Anlage trotz der
  118. vereinbarten (erhöhten) Schadstoffwerte dem Stand der Technik entsprach
  119. - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - keineswegs in seinem erstinstanzlichen Gutachten ausreichend und in dem Sinne beantwortet, den das Berufungsgericht seinen Ausführungen beigemessen hat. Denn in seinem vor dem
  120. Landgericht erstatteten Gutachten war der Sachverständige - irrtümlich - davon
  121. ausgegangen, dass die Parteien noch niedrigere (also strengere) Schadstoff-
  122. -7-
  123. werte als vom Hersteller angegeben vereinbart hätten. Erst in seinem in der
  124. Berufungsinstanz erstatteten Ergänzungsgutachten hat sich der Sachverständige näher mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Liefervertrag eine
  125. gewisse Überschreitung der vom Hersteller genannten Schadstoffwerte vorsah;
  126. insoweit hat er aber - wie ausgeführt - die Fehlerfreiheit der Anlage auch unter
  127. diesem Gesichtspunkt ausdrücklich bejaht.
  128. Ball
  129. Dr. Frellesen
  130. Dr. Archilles
  131. Dr. Milger
  132. Dr. Fetzer
  133. Vorinstanzen:
  134. LG Krefeld, Entscheidung vom 12.07.2006 - 11 O 151/04 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 10.10.2008 - I-22 U 16/07 -