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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VIII ZR 159/09
  5. Verkündet am:
  6. 27. Januar 2010
  7. Ermel,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. ja
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 573 Abs. 2 Nr. 2
  19. Leibliche Nichten und Neffen des Vermieters sind kraft ihres nahen Verwandtschaftsverhältnisses zum Vermieter Familienangehörige im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2
  20. BGB (Fortführung des Senatsurteils vom 9. Juli 2003 - VIII ZR 276/02, NJW 2003,
  21. 2604).
  22. BGH, Urteil vom 27. Januar 2010 - VIII ZR 159/09 - LG Baden-Baden
  23. AG Baden-Baden
  24. -2-
  25. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 27. Januar 2010 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter
  27. Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Hessel sowie die Richter Dr. Achilles und
  28. Dr. Bünger
  29. für Recht erkannt:
  30. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer
  31. des Landgerichts Baden-Baden vom 26. Mai 2009 im Kostenpunkt
  32. und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht hinsichtlich
  33. der Eigenbedarfskündigung vom 14. März 2008 zum Nachteil der
  34. Klägerin entschieden hat. Im Übrigen wird die Revision als unzulässig verworfen.
  35. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts
  36. Baden-Baden vom 1. Juli 2008 - unter Zurückweisung des
  37. Rechtsmittels im Übrigen - teilweise abgeändert.
  38. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die von ihnen bewohnte Wohnung in B.
  39. Straße
  40. , H.
  41. , 2. Obergeschoss, sowie die zur Wohnung gehörende
  42. Garage nebst Fernbedienung an die Klägerin herauszugeben.
  43. Den Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31. Mai 2010 eingeräumt.
  44. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/13 und die
  45. Beklagten 12/13 zu tragen.
  46. Von Rechts wegen
  47. -3-
  48. Tatbestand:
  49. 1
  50. Die Klägerin begehrt die Rückgabe einer von den Beklagten gemieteten
  51. Wohnung in B.
  52. sowie Erstattung vorgerichtlich entstandener
  53. Rechtsanwaltskosten.
  54. 2
  55. Im Sommer 2004 zog die damals 85-jährige Klägerin aus ihrer Eigentumswohnung in B.
  56. aus und übersiedelte in die nahe gelegene Se-
  57. niorenresidenz "Be.
  58. ". Sie vermietete die Wohnung ab dem 1. September
  59. 2004 an die Beklagten zu einer monatlichen Miete von 1.050 €; ab Oktober
  60. 2006 mieteten die Beklagten zusätzlich eine zu der Wohnung gehörende Garage für 50 € monatlich.
  61. 3
  62. Mit notariellem Vertrag vom 17. August 2007 übertrug die verwitwete und
  63. kinderlose Klägerin das Eigentum an der Wohnung schenkungsweise im Wege
  64. vorweggenommener Erbfolge auf ihre in W.
  65. wohnende Nichte; dabei be-
  66. hielt sich die Klägerin den Nießbrauch an der Wohnung vor. In § 4 des Vertrages verpflichtete sich die Nichte als Gegenleistung gegenüber der Klägerin, auf
  67. Lebenszeit deren Haushalt in der Seniorenresidenz zu versorgen und die häusliche Grundpflege der Klägerin zu übernehmen. Die Vertragschließenden vereinbarten zur Sicherung dieser Verpflichtung die Eintragung einer Reallast im
  68. Grundbuch und erklärten, dass die Nichte "beabsichtigt, in nächster Zukunft in
  69. die hier übertragene Eigentumswohnung zu ziehen, so dass es ihr räumlich
  70. möglich wird, die vorstehende Pflegeverpflichtung persönlich zu erfüllen". Der
  71. Vertrag wurde im Grundbuch vollzogen.
  72. 4
  73. Durch Anwaltsschreiben ihres erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten
  74. ließ die Klägerin seit August 2007 mehrfach sowohl fristlose als auch ordentliche Kündigungen des mit den Beklagten bestehenden Mietverhältnisses aussprechen. Als Kündigungsgründe wurden zunächst nur verspätete Mietzahlun-
  75. -4-
  76. gen geltend gemacht, später auch Eigenbedarf aufgrund der Pflegevereinbarung im Vertrag vom 17. August 2007 und schließlich noch der Höhe nach unstreitige Teilbeträge der Miete, die die Beklagten wegen behaupteter Mängel
  77. der Mietwohnung einbehalten haben.
  78. 5
  79. Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Rückgabe der Wohnung nebst Garage verlangt und einen Zahlungsanspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.101,46 € nebst Zinsen gemäß der Gebührenrechnung ihres erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 14. März 2008 geltend gemacht. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und hat im Hinblick
  80. darauf, dass es die auf Eigenbedarf gestützte ordentliche Kündigung vom
  81. 14. März 2008 für gerechtfertigt gehalten hat, gemäß § 308a ZPO die Anordnung getroffen, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien zu denselben
  82. Konditionen wie bisher auf unbestimmte Zeit, mindestens jedoch bis zum
  83. 31. August 2009, fortgesetzt wird. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die im Urteil des Amtsgerichts getroffene Anordnung über die Fortsetzung des Mietverhältnisses ersatzlos in
  84. Wegfall gerät. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin, mit der diese ihr Rückgabe- und Zahlungsbegehren im Hinblick auf die ordentliche Kündigung vom 14. März 2008 wegen Eigenbedarfs
  85. und die fristlose Kündigung vom 20. November 2008 wegen Zahlungsrückständen weiterverfolgt.
  86. -5-
  87. Entscheidungsgründe:
  88. 6
  89. Die Revision hat im Wesentlichen Erfolg.
  90. I.
  91. 7
  92. Das Berufungsgericht hat, soweit im Revisionsverfahren von Interesse,
  93. ausgeführt:
  94. 8
  95. Der Klägerin stehe gegen die Beklagten ein Anspruch auf Räumung und
  96. Herausgabe der Mietwohnung nach § 546 BGB nicht zu. Das Mietverhältnis sei
  97. durch die auf Eigenbedarf gestützte ordentliche Kündigung vom 14. März 2008
  98. nicht beendet worden. Die Kammer sei durch das Verbot der reformatio in peius
  99. nicht daran gehindert, die vom Amtsgericht befürwortete Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung vom 14. März 2008 zu verneinen, obwohl seitens der
  100. durch das erstinstanzliche Urteil gleichfalls beschwerten Beklagten eine (Anschluss-)Berufung hiergegen nicht eingelegt worden sei. Denn die Klägerin habe insoweit durch das erstinstanzliche Urteil keine Rechtsstellung erlangt, deren
  101. Aufrechterhaltung schutzwürdig wäre.
  102. 9
  103. Die auf Eigenbedarf gestützte Kündigung vom 14. März 2008 erweise
  104. sich als unwirksam, da die Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB weder
  105. im Bezug auf die Klägerin selbst noch hinsichtlich deren Nichte erfüllt seien. Die
  106. betagte, seit mehreren Jahren in einem Seniorenstift lebende Klägerin sei nicht
  107. darauf angewiesen, gerade durch ihre Nichte (ergänzend) gepflegt zu werden,
  108. weshalb eine Nutzung der Wohnung durch die Nichte geboten wäre. In der Seniorenresidenz "Be.
  109. " werde der Klägerin die erforderliche Betreuungspfle-
  110. ge in überdurchschnittlichem Maße zuteil. Dass diese Einrichtung in ausreichendem Maße über ausgebildetes Fachpersonal selbst für schwerstpflegebedürftige Senioren verfüge, sei gerichtsbekannt. Eine Notwendigkeit für eine "zu-
  111. -6-
  112. sätzliche Pflege" bestehe eingedenk dessen ersichtlich nicht. Überdies könne
  113. die Klägerin von ihrer Nichte eine Erfüllung der vertraglich vereinbarten "Pflegeverpflichtung" ohnehin nicht fordern. Spätestens seitdem sie nach Erhebung der
  114. Räumungsklage am 22. Mai 2008 einen Schlaganfall erlitten habe und deshalb
  115. dauerhaft pflegebedürftig sei, ruhe diese Verpflichtung gemäß § 4 des notariellen Übergabevertrags.
  116. 10
  117. Ebenso wenig seien beachtenswerte Gründe für die gewünschte Nutzung der Wohnung durch die Nichte vorgetragen. Auf einen von der Klägerin
  118. abgeleiteten Eigenbedarf könne sich die Nichte nicht berufen. Zu dem uneingeschränkt privilegierten Personenkreis im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zähle die Nichte trotz ihrer Verwandtschaft mit der Klägerin nicht. Der Begriff des
  119. Familienangehörigen sei im Hinblick auf den Schutzzweck der Bestimmung einschränkend auszulegen. Es sei zwischen engen Familienangehörigen und denjenigen, die mit dem Vermieter nur weitläufig verwandt oder verschwägert seien, zu unterscheiden. Nur bei der ersten Gruppe genüge die bloße Tatsache
  120. der Verwandtschaft, während bezüglich der entfernten Angehörigen darüber
  121. hinaus erforderlich sei, dass der Vermieter jenen gegenüber rechtlich oder moralisch aufgrund einer besonderen persönlichen Nähe zu Unterhaltsgewährung
  122. oder sonstiger Fürsorge verpflichtet sei. Gemessen an diesen Kriterien bleibe
  123. für die Annahme eines abgeleiteten Eigenbedarfs kein Raum. Bei einer Nichte
  124. handele es sich nicht um eine enge Familienangehörige des Vermieters. Anhaltspunkte, die auf das Bestehen einer - wie auch immer gearteten - Fürsorgepflicht der Klägerin gegenüber ihrer Nichte hindeuten könnten, seien nicht ersichtlich.
  125. 11
  126. Die vom Amtsgericht gemäß § 308a ZPO, § 574a Abs. 2 BGB getroffene
  127. Anordnung über die Fortsetzung des Mietverhältnisses könne nicht aufrechterhalten werden, da die ausgesprochene Eigenbedarfskündigung bereits unwirk-
  128. -7-
  129. sam gewesen sei. Da sich das Räumungsbegehren als von Anfang an unbegründet erweise, könne die Klägerin von den Beklagten auch nicht die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangen.
  130. II.
  131. 12
  132. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
  133. 13
  134. A. Die Revision ist entgegen der Auffassung der Klägerin nur insoweit
  135. zulässig, als sich das Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Kündigung wegen Eigenbedarfs vom 14. März 2008 wendet.
  136. Denn das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision wirksam auf die
  137. Frage der Beendigung des Mietverhältnisses durch diese ordentliche Kündigung beschränkt. Soweit die Revision das Berufungsurteil auch hinsichtlich der
  138. Entscheidung über die fristlose Kündigung vom 20. November 2008 angreift, ist
  139. das Rechtsmittel dagegen mangels Zulassung durch das Berufungsgericht als
  140. unzulässig zu verwerfen.
  141. 14
  142. 1. Das Berufungsgericht kann die Zulassung der Revision auf Teile des
  143. Streitgegenstandes beschränken. Die Beschränkung muss nicht im Tenor des
  144. Urteils angeordnet sein, sondern sie kann sich auch aus den Entscheidungsgründen ergeben (st. Rspr.; BGHZ 153, 358, 360 f.; Senatsurteil vom 28. Oktober 2009 - VIII ZR 164/08, WuM 2009, 733, Tz. 11; BGH, Urteil vom
  145. 12. November 2004 - V ZR 42/04, NJW 2005, 894, unter B I 1 a; Urteil vom
  146. 17. Juni 2004 - VII ZR 226/03, NJW 2004, 3264, unter II 2; Urteil vom 9. März
  147. 2000 - III ZR 356/98, NJW 2000, 1794, unter II 1). Allerdings muss sich die Beschränkung eindeutig aus den Entscheidungsgründen entnehmen lassen (Senatsurteil vom 4. Juni 2003 - VIII ZR 91/02, WM 2003, 2139, unter II). Dies ist
  148. anzunehmen, wenn die Rechtsfrage, zu deren Klärung das Berufungsgericht
  149. die Revision zugelassen hat, bei mehreren teilbaren Streitgegenständen nur für
  150. -8-
  151. einen von ihnen erheblich ist, weil dann in der Angabe dieses Zulassungsgrundes regelmäßig die eindeutige Beschränkung der Zulassung der Revision auf
  152. diesen Anspruch zu sehen ist (BGHZ aaO, 361 f.; Senatsurteil vom 28. Oktober
  153. 2009, aaO). So verhält es sich hier.
  154. 15
  155. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil es für klärungsbedürftig hält, ob das Berufungsgericht aufgrund des Verbotes der reformatio in
  156. peius daran gehindert ist, abweichend von der Einschätzung des erstinstanzlichen Gerichts die Berechtigung einer auf Eigenbedarf gestützten Kündigung zu
  157. verneinen, wenn das mit einer Fortsetzungsanordnung nach § 574a Abs. 2
  158. BGB zu unveränderten Bedingungen versehene Urteil allein von dem auf Räumung und Herausgabe der Mietsache klagenden Vermieter angefochten wurde.
  159. Damit hat es die Revision allein auf die Frage der Beendigung des Mietverhältnisses aufgrund der Eigenbedarfskündigung vom 14. März 2008 beschränkt.
  160. Die Beendigung des Mietverhältnisses aufgrund der späteren fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs vom 20. November 2008 und der Zahlungsanspruch wegen vorgerichtlicher Anwaltskosten stellen davon unabhängige Teile
  161. des Streitstoffs dar, die von der Zulassungsfrage nicht berührt werden.
  162. 16
  163. 2. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beschränkung ist auch
  164. wirksam. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Zulassung der Revision auf einen tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil des
  165. Streitstoffs beschränkt werden, der Gegenstand eines Teilurteils sein oder auf
  166. den der Revisionskläger seine Revision beschränken könnte (st. Rspr.; Senatsurteil vom 28. Oktober 2009, aaO, Tz. 13; BGH, Urteil vom 9. März 2000, aaO;
  167. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 78/07, NJW 2008, 2351, Tz. 21).
  168. Letzteres trifft hier zu. Die Frage, ob das Mietverhältnis durch die Eigenbedarfskündigung vom 14. März 2008 beendet worden ist, stellt, wie ausgeführt, einen
  169. abgrenzbaren, rechtlich selbständigen Teil des Streitstoffs dar, der in tatsächli-
  170. -9-
  171. cher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von der Frage, ob die spätere fristlose
  172. Kündigung vom 20. November 2008 das Mietverhältnis beendet hat, beurteilt
  173. werden kann und auf den die Klägerin ihre Revision hätte beschränken können
  174. (vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 2009, aaO).
  175. 17
  176. B. Soweit die Revision zulässig ist, hält die Beurteilung des Berufungsgerichts der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ein Anspruch der Klägerin aus
  177. § 546 Abs. 1 BGB auf Rückgabe der von den Beklagten gemieteten Wohnung
  178. kann nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verneint werden. Die Kündigung vom 14. März 2008, mit der die Klägerin das Mietverhältnis
  179. hilfsweise wegen Eigenbedarfs zum 30. Juni 2008 ordentlich gekündigt hat, ist
  180. entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gemäß § 573 Abs. 1, Abs. 2
  181. Nr. 2, § 573c Abs. 1 BGB wirksam. Auf die Rechtsfrage, zu deren Klärung das
  182. Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, kommt es nicht an, weil das
  183. Amtsgericht die Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung mit Recht bejaht hatte
  184. und das Berufungsgericht davon nicht hätte abweichen dürfen.
  185. 18
  186. Nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses vor, wenn der Vermieter die
  187. Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Berufungsgericht die Nichte der Klägerin nicht als Familienangehörige im Sinne dieser Bestimmung angesehen und aus diesem Grund die Kündigung für nicht
  188. wirksam gehalten hat.
  189. 19
  190. 1. Der Senat hat entschieden, dass Geschwister des Vermieters kraft ihres nahen Verwandtschaftsverhältnisses privilegierte Familienangehörige im
  191. Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB sind; zwischen Geschwistern besteht ein so
  192. enges Verwandtschaftsverhältnis, dass es eines zusätzlichen einschränkenden
  193. - 10 -
  194. Tatbestandsmerkmals, wie etwa einer engen sozialen Bindung zum Vermieter,
  195. nicht bedarf (Urteil vom 9. Juli 2003 - VIII ZR 276/02, NJW 2003, 2604, Ls. und
  196. unter II 1, zu § 564b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB aF).
  197. 20
  198. Damit hat der Senat zum Ausdruck gebracht, dass für die Bestimmung
  199. des Kreises der durch § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB privilegierten Familienangehörigen bei entfernten Verwandten ein zusätzliches Kriterium heranzuziehen ist,
  200. das auf die konkrete persönliche oder soziale Bindung zwischen dem Vermieter
  201. und seinem Angehörigen im Einzelfall abstellt. Dass eine solche Einschränkung
  202. bei entfernten Verwandten aufgrund des Gesetzeszwecks - Kündigungsschutz
  203. des Mieters - geboten ist, entspricht auch der einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. den Überblick bei Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 9. Aufl., § 573 BGB Rdnr. 51 ff. m.w.N.; Staudinger/Rolfs, BGB (2006),
  204. § 573 Rdnr. 74 ff. m.w.N.). Je weitläufiger der Grad der Verwandtschaft oder
  205. Schwägerschaft ist, umso enger muss die über die bloße Tatsache der Verwandtschaft oder Schwägerschaft hinausgehende persönliche oder soziale
  206. Bindung zwischen dem Vermieter und dem Angehörigen im konkreten Einzelfall
  207. sein, um eine Kündigung wegen des Wohnbedarfs eines Angehörigen zu rechtfertigen (OLG Braunschweig, WuM 1993, 731, 732; Staudinger/Rolfs, aaO,
  208. Rdnr. 79).
  209. 21
  210. 2. Nichten und Neffen des Vermieters gehören zwar nicht mehr zu dessen engsten Angehörigen wie Eltern, Kinder oder Geschwister, sie sind aber als
  211. Kinder der Geschwister entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts immer
  212. noch eng verwandt mit dem Vermieter und gehören nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, zu den entfernten, nur weitläufig Verwandten. Das Gesetz
  213. erlaubt die Kündigung von Mietverhältnissen wegen des Wohnbedarfs von Familienangehörigen, weil es davon ausgeht, dass innerhalb der Familie aufgrund
  214. enger Verwandtschaft ein Verhältnis persönlicher Verbundenheit und gegensei-
  215. - 11 -
  216. tiger Solidarität besteht, das die Privilegierung einer Kündigung zugunsten von
  217. Familienangehörigen rechtfertigt. Vom Bestehen einer solchen familiären Verbundenheit und Solidarität, die nicht im Einzelfall nachgewiesen sein muss, ist
  218. nicht nur bei Geschwistern auszugehen (Senatsurteil vom 9. Juli 2003, aaO),
  219. sondern auch bei deren Kindern, das heißt den leiblichen Nichten und Neffen
  220. des Vermieters.
  221. 22
  222. Diese Wertung ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift.
  223. Denn der Gesetzgeber hat den Begriff der Familienangehörigen in § 573 Abs.
  224. 2 Nr. 2 BGB nicht näher bestimmt; auch aus den Gesetzesmaterialien ist für
  225. dessen Auslegung nichts zu entnehmen. Die generelle Einbeziehung von Nichten und Neffen in den Kreis der privilegierten Familienangehörigen ist aber vor
  226. dem Hintergrund anderer Regelungen der Rechtsordnung gerechtfertigt, in denen ebenfalls Familienangehörige allein aufgrund ihrer engen verwandtschaftlichen Beziehung privilegiert werden, ohne dass eine tatsächlich bestehende
  227. persönliche Verbundenheit im Einzelfall nachgewiesen werden muss. Einen
  228. Anknüpfungspunkt dafür, wie weit der Kreis der Familienangehörigen in diesem
  229. Sinn zu ziehen ist, bieten die Regelungen über das Zeugnisverweigerungsrecht
  230. aus persönlichen Gründen (§ 383 ZPO, § 52 StPO), in denen der Kreis der privilegierten Familienangehörigen - unabhängig vom tatsächlichen Bestehen persönlicher Bindungen - konkretisiert wird. Gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und
  231. § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO steht ein Zeugnisverweigerungsrecht - neben Verlobten,
  232. Ehegatten und Lebenspartnern (§ 383 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 2a ZPO, § 52 Abs. 1
  233. Nr. 1, 2 und 2a StPO) - auch denjenigen zu, die mit einer Partei in gerader Linie
  234. verwandt oder verschwägert sind, sowie denjenigen, die in der Seitenlinie bis
  235. zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder
  236. waren. Damit gehören auch Nichten und Neffen noch zu dem Personenkreis,
  237. dem allein aufgrund enger verwandtschaftlicher Beziehung zur Partei ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. In dieser Regelung kommt zum Ausdruck, dass
  238. - 12 -
  239. der Gesetzgeber Nichten und Neffen ohne Weiteres noch als enge Familienangehörige ansieht. Diese gesetzgeberische Wertung ist bei der Auslegung des
  240. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu berücksichtigen und rechtfertigt es, Nichten und Neffen auch hier in den Kreis der privilegierten Familienangehörigen einzubeziehen. Bei ihnen bedarf es deshalb - ebenso wie bei Geschwistern des Vermieters (Senatsurteil vom 9. Juli 2003, aaO) - über die Tatsache der Verwandtschaft hinaus nicht eines zusätzlichen einschränkenden Tatbestandsmerkmals
  241. wie etwa einer tatsächlich bestehenden engen sozialen Bindung zum Vermieter. Es kommt deshalb im vorliegenden Fall nicht darauf an, dass nach den
  242. Feststellungen des Berufungsgerichts eine enge persönliche Beziehung zwischen der Klägerin und ihrer Nichte als ihrer einzigen noch lebenden Verwandten tatsächlich besteht.
  243. III.
  244. 23
  245. Da die Revision, soweit sie zulässig ist, Erfolg hat, ist das Berufungsurteil
  246. insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst
  247. entscheiden, weil es weiterer tatrichterlicher Feststellungen nicht bedarf und die
  248. Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 ZPO). Auf die Berufung der
  249. Klägerin ist das Urteil des Amtsgerichts, wie im Tenor ausgesprochen, teilweise
  250. abzuändern.
  251. 24
  252. Hinsichtlich des auf die Eigenbedarfskündigung vom 14. März 2008 gestützten Räumungsbegehrens hat die Berufung Erfolg. Die Beklagten sind zur
  253. Rückgabe der Wohnung verpflichtet, weil die ordentliche Kündigung vom
  254. 14. März 2008, wie ausgeführt, wirksam ist. Die Kündigung hat das Mietverhältnis mit Ablauf des 30. Juni 2008 beendet (§ 573c Abs. 1 BGB). Für die vom
  255. Amtsgericht nach § 308a ZPO i.V.m. §§ 574 ff. BGB getroffene Anordnung über
  256. eine unbefristete, mindestens bis zum 30. September 2009 dauernde Fortset-
  257. - 13 -
  258. zung des Mietverhältnisses ist kein Raum mehr. Der Senat kann den Sachverhalt zu der für eine Anordnung nach § 308a ZPO maßgeblichen Frage, ob die
  259. Beendigung des Mietverhältnisses eine Härte bedeuten würde, die auch unter
  260. Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist
  261. (§ 574 Abs. 1 Satz 1 BGB), selbst würdigen, weil das Berufungsgericht hierzu
  262. - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen hat
  263. und weitere Feststellungen auch nicht zu erwarten sind.
  264. 25
  265. Es kann dahingestellt bleiben, ob es für die Beklagten im Anschluss an
  266. die Kündigung vom 14. März 2008 zumutbar war, die im September 2004 angemietete Wohnung bereits mit Ablauf des 30. Juni 2008 wieder zu verlassen.
  267. Denn inzwischen sind mehr als eineinhalb Jahre vergangenen, in denen die
  268. Beklagten in der Wohnung weiter gelebt haben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt
  269. bedeutet die Räumung der Wohnung für die Beklagten in Anbetracht des berechtigten Interesses der hochbetagten Klägerin, ihre Nichte in ihrer Nähe zu
  270. haben und von ihr betreut zu werden, jedenfalls keine unzumutbare Härte mehr.
  271. Gründe für eine solche Härte sind von den Beklagten weder dargelegt worden
  272. noch ersichtlich. Die Beklagten haben insbesondere nicht geltend gemacht,
  273. dass sie angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht
  274. beschaffen könnten (§ 574 Abs. 2 BGB). Sie haben sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 1. Juli 2008 lediglich darauf berufen, es sei
  275. ihnen unzumutbar, nach so kurzer Zeit schon wieder auszuziehen, sie seien
  276. schließlich keine "Nomaden". Eine unzumutbar kurze Mietzeit liegt aber nicht
  277. mehr vor, nachdem das Mietverhältnis mittlerweile mehr als fünf Jahre bestanden hat. Auch das Amtsgericht ist bei seiner Anordnung über die Fortsetzung
  278. des Mietverhältnisses davon ausgegangen, dass sich die Interessenabwägung
  279. nach Ablauf von fünf Jahren zu Gunsten der Klägerin anders darstellen kann,
  280. - 14 -
  281. als es das Amtsgericht für den Zeitpunkt seiner Entscheidung angenommen
  282. hat.
  283. Ball
  284. Dr. Frellesen
  285. Dr. Achilles
  286. Dr. Hessel
  287. Dr. Bünger
  288. Vorinstanzen:
  289. AG Baden-Baden, Entscheidung vom 01.07.2008 - 7 C 150/08 LG Baden-Baden, Entscheidung vom 26.05.2009 - 2 S 9/09 -