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346 lines
20 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 262/10
  5. Verkündet am:
  6. 20. Dezember 2011
  7. Böhringer-Mangold
  8. Justizamtsinspektorin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. - 2 -
  13. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 20. Dezember 2011 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll
  15. und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr
  16. für Recht erkannt:
  17. Die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Kammergerichts vom 19. August 2010 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
  18. Von Rechts wegen
  19. Tatbestand:
  20. 1
  21. Die Klägerin ist pädagogische Leiterin und eines von mehreren Vorstandsmitgliedern des eingetragenen Vereins S., der in H. "Kinderhäuser" sowie
  22. "Babyklappen" betreibt. Ihr Ehemann Dr. J. M. ist geschäftsführender Vorstand
  23. des Vereins. In den 1970er/1980er Jahren gehörte die Klägerin zunächst der
  24. AG Frauen, sodann dem leitenden Gremium und der so genannten Frauenleitung des Kommunistischen Bundes an.
  25. 2
  26. Ab dem 24. Juli 2009 veröffentlichte die Beklagte auf der von ihr betriebenen Internetseite www.spiegel.de den Artikel "H.er Babyklappenstreit - Das
  27. lukrative Geschäft mit den Kindern". Dieser befasste sich mit Vorwürfen der
  28. H.er Sozialbehörde, vom Verein S. über den Verbleib von Findelkindern nicht
  29. ausreichend informiert zu werden.
  30. - 3 -
  31. 3
  32. In dem Artikel heißt es, das weitgehend unbeachtete Dasein des Vereins
  33. S. habe sich erst 1999 geändert, als der Geschäftsführer J. M. das Projekt Findelbaby erfunden habe; plötzlich habe sich auch die High Society der
  34. …metropole für den einstigen Kommunisten M. erwärmt. Nach einer Schilderung von Einzelheiten der Auseinandersetzung zwischen dem Verein und der
  35. Sozialbehörde lautet der Artikel weiter: "Er und seine Ehefrau H. K. gehörten
  36. dem Kommunistischen Bund an." M. war für die Umsetzung der "Kinderpolitik"
  37. mitverantwortlich, "K. machte Frauenpolitik." 1976 hätten die Eheleute in H.-A.
  38. das Kinderhaus H.-straße gegründet, dessen Leiterin die Klägerin geworden
  39. sei. Die Einrichtung sei von konservativen Kreisen als linker Kinderladen und
  40. Kaderschmiede kommunistischer Sektierer geschmäht worden. Die Stadt habe
  41. die üblichen Zuschüsse verweigert und sei von einem Gericht zur Nachzahlung
  42. für mehrere Jahre verpflichtet worden. Das Geld habe M. zwischen den mittlerweile verfeindeten Vereinsmitgliedern aufgeteilt und S. gegründet.
  43. 4
  44. Das Landgericht hat die Beklagte u.a. verurteilt, es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß im Zusammenhang mit der Klägerin zu äußern oder zu
  45. verbreiten, "Der Kampf ist ein Teil von M.s Leben. Er und seine Ehefrau H.K.
  46. gehörten dem Kommunistischen Bund an. M. war für die Umsetzung der "Kinderpolitik" mitverantwortlich. K. machte Frauenpolitik." Zudem wurde die Beklagte zur Freistellung der Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die
  47. Klage hinsichtlich der zitierten Textpassage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung
  48. des landgerichtlichen Urteils.
  49. - 4 -
  50. Entscheidungsgründe:
  51. I.
  52. 5
  53. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin hinsichtlich
  54. der vom Berufungsgericht abgewiesenen Textpassage ein Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit Art. 1
  55. Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu. Die Äußerungen, die Klägerin habe dem
  56. Kommunistischen Bund angehört und sei dort mitverantwortlich für die Frauenpolitik gewesen, stellten wahre Tatsachenbehauptungen dar. Diese Äußerungen seien rechtmäßig. Sie beträfen die Sozialsphäre der Klägerin, weil diese
  57. bei ihrer politischen Betätigung von Menschen habe wahrgenommen werden
  58. können, zu denen keine rein persönlichen Beziehungen bestanden hätten. Die
  59. Klägerin habe weder substantiiert vorgetragen, dass sie eine bloße "Quotenfrau" gewesen sei, noch sei dies im Hinblick auf die ausgeübten Funktionen und
  60. Aktivitäten nachvollziehbar.
  61. 6
  62. Die beanstandeten Äußerungen entfalteten auch keine Prangerwirkung.
  63. Zu schwerwiegenden Auswirkungen auf Ansehen und Persönlichkeitsentfaltung
  64. der Klägerin fehle es an konkretem Vortrag. Ein öffentliches Informationsinteresse ergebe sich aus der öffentlichen Diskussion um die von dem Verein S.
  65. betriebenen Babyklappen und das finanzielle Gebaren des Vereins. In diesem
  66. Zusammenhang würden der Werdegang der Klägerin und deren heutige Tätigkeit sowie die Aufgabenfelder des Vereins aus der Vergangenheit heraus erklärt.
  67. - 5 -
  68. II.
  69. 7
  70. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
  71. 8
  72. 1. Von der Revision nicht beanstandet sieht das Berufungsgericht die
  73. Äußerungen, die Klägerin habe dem Kommunistischen Bund angehört und dort
  74. Frauenpolitik gemacht, ohne Rechtsfehler als wahre Tatsachenbehauptungen
  75. an.
  76. 9
  77. 2. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin sei durch die angegriffene Textpassage nicht in
  78. rechtswidriger Weise in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt, weswegen ihr diesbezüglich kein Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB, § 1004
  79. Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG gegen die Beklagte zustehe.
  80. 10
  81. a) Zutreffend hat es das Berufungsgericht für geboten erachtet, über den
  82. Unterlassungsantrag aufgrund einer Abwägung des Rechts der Klägerin auf
  83. Schutz ihrer Persönlichkeit und Achtung ihres Privatlebens aus Art. 1 Abs. 1,
  84. Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10
  85. Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf freie Meinungsäußerung zu
  86. entscheiden. Denn wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines
  87. Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst
  88. durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange
  89. bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die
  90. betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfGE
  91. 99, 185, 196 - Scientology; 101, 361, 388 - Caroline von Monaco II; 114, 339,
  92. 348 - Manfred Stolpe; 120, 180, 199 ff. - Caroline von Monaco IV; BVerfG, AfP
  93. - 6 -
  94. 2009, 480 Rn. 61 mwN; Senatsurteile vom 9. Dezember 2003 - VI ZR 373/02,
  95. VersR 2004, 522, 523 mwN; vom 11. März 2008 - VI ZR 189/06, VersR 2008,
  96. 695 Rn. 13 und - VI ZR 7/07, VersR 2008, 793 Rn. 12 - Gen-Milch; vom
  97. 3. Februar 2009 - VI ZR 36/07, VersR 2009, 555 Rn. 17; vom 22. September
  98. 2009 - VI ZR 19/08, VersR 2009, 1545 Rn. 16; vom 20. April 2010 - VI ZR
  99. 245/08, NJW 2010, 2728 Rn. 12; EGMR, AfP 1999, 251, 252). Der Eingriff in
  100. das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse
  101. des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl.
  102. Senatsurteile vom 21. Juni 2005 - VI ZR 122/04, VersR 2005, 1403, 1404; vom
  103. 17. November 2009 - VI ZR 226/08, VersR 2010, 220 Rn. 21 f. mwN; vom
  104. 15. Dezember 2009 - VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 Rn. 11 - Onlinearchiv I;
  105. vom 9. Februar 2010 - VI ZR 243/08, VersR 2010, 673 Rn. 14 - Onlinearchiv II;
  106. vom 20. April 2010 - VI ZR 245/08, aaO).
  107. 11
  108. b) Das Berufungsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass als Abwägungskriterium auf Seiten des Persönlichkeitsschutzes die abgestufte Schutzwürdigkeit bestimmter Sphären, in denen sich die Persönlichkeit verwirklicht, zu
  109. berücksichtigen ist (vgl. Senatsurteile vom 23. Juni 2009 - VI ZR 196/08, BGHZ
  110. 181, 328 Rn. 30; vom 10. März 1987 - VI ZR 244/85, VersR 1987, 778, 779
  111. - BND-Interna; vom 13. November 1990 - VI ZR 104/90, VersR 1991, 433, 434).
  112. Danach genießen besonders hohen Schutz die so genannten sensitiven Daten,
  113. die der Intim- und Geheimsphäre zuzuordnen sind. Geschützt ist aber auch das
  114. Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung von persönlichen Lebenssachverhalten, die lediglich zur Sozial- und Privatsphäre gehören (vgl. Senatsurteil vom 23. Juni 2009 - VI ZR 196/08, aaO; BVerfGE 65, 1, 41 ff.
  115. - Volkszählung; 78, 77, 84).
  116. 12
  117. Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre dürfen nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktio-
  118. - 7 -
  119. nen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind (vgl. Senatsurteile vom
  120. 23. Juni 2009 - VI ZR 196/08, aaO, Rn. 31; vom 17. November 2009 - VI ZR
  121. 226/08, aaO, Rn. 21; BVerfG, VersR 2010, 1194 Rn. 25). Bei der von der Klägerin in Anspruch genommenen Privatsphäre ist als Schutzgut des allgemeinen
  122. Persönlichkeitsrechts u.a. das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung von persönlichen Lebenssachverhalten anerkannt. Dieses Recht stellt sich
  123. als die Befugnis des Einzelnen dar, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, ob, wann und innerhalb welcher Grenzen seine persönlichen Daten bzw.
  124. Lebenssachverhalte in die Öffentlichkeit gebracht werden (vgl. BVerfGE 65, 1,
  125. 41 ff. - Vokszählung; 72, 155, 170; 78, 77, 84; 80, 367, 373). Auch dieses Recht
  126. ist aber nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat keine absolute, uneingeschränkte Herrschaft über "seine" Daten; denn er entfaltet seine Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft. In dieser stellt die Information,
  127. auch soweit sie personenbezogen ist, einen Teil der sozialen Realität dar, der
  128. nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Vielmehr
  129. ist über die Spannungslage zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne
  130. der Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit der Person zu entscheiden.
  131. Deshalb muss der Einzelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf
  132. informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, wenn und soweit solche Beschränkungen von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls getragen werden
  133. und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem
  134. Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 65, 1, 43 ff. - Volkszählung; 78, 77, 85 ff.; Senatsurteile
  135. vom 13. November 1990 - VI ZR 104/90, aaO; vom 9. Dezember 2003 - VI ZR
  136. 373/02, aaO, 524; vom 23. Juni 2009 - VI ZR 196/08, aaO, Rn. 30).
  137. 13
  138. - 8 -
  139. c) Im Streitfall sind die beanstandeten Äußerungen entgegen der Auffassung der Revision der Sozialsphäre der Klägerin und nicht ihrer Privatsphäre
  140. zuzuordnen.
  141. 14
  142. aa) Die Sozialsphäre betrifft den Bereich, in dem sich die persönliche
  143. Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht, so insbesondere
  144. das berufliche und politische Wirken des Individuums (vgl. BVerfG, NJW 2003,
  145. 1109, 1110; Senatsurteile vom 20. Januar 1981 - VI ZR 162/79, BGHZ 80, 25,
  146. 35 - Der Aufmacher I; vom 7. Dezember 2004 - VI ZR 308/03, BGHZ 161, 266,
  147. 268; vom 24. Juni 2008 - VI ZR 156/06, BGHZ 177, 119 Rn. 17 ff.; vom
  148. 21. November
  149. 2006
  150. - VI ZR
  151. 259/05,
  152. VersR
  153. 2007,
  154. 17. November
  155. 2009
  156. - VI ZR
  157. 226/08,
  158. aaO,
  159. Rn. 21;
  160. 511
  161. BGH,
  162. Rn. 12;
  163. vom
  164. Urteil
  165. vom
  166. 10. November 1994 - I ZR 216/92, AfP 1995, 404, 407 - Dubioses Geschäftsgebaren). Demgegenüber umfasst die Privatsphäre sowohl in räumlicher als
  167. auch in thematischer Hinsicht den Bereich, zu dem andere grundsätzlich nur
  168. Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird; dies betrifft in thematischer Hinsicht Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als
  169. "privat" eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung als unschicklich
  170. gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen in der Umwelt auslöst (vgl. BVerfGE 101, 361, 382 - Caroline von Monaco
  171. II; BVerfG, NJW 2000, 2193; NJW 2000, 2194, 2195; Senatsurteile vom
  172. 26. Januar 1965 - VI ZR 204/63, JZ 1965, 411, 413 - Gretna Green; vom
  173. 19. Dezember 1978 - VI ZR 137/77, BGHZ 73, 120, 122 - Telefongespräch;
  174. vom 20. Januar 1981 - VI ZR 163/79, VersR 1981, 384, 385 - Der Aufmacher II;
  175. vom 10. März 1987 - VI ZR 244/85, aaO - BND-Interna; vom 9. Dezember 2003
  176. - VI ZR 373/02, aaO, 523 f.; Wanckel in Götting/Schertz/Seitz, Handbuch des
  177. Persönlichkeitsrechts, 2008, § 19 Rn. 5 ff.; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der
  178. Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 5 Rn. 54 ff.). Der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme kann dort entfallen oder zumindest im
  179. - 9 -
  180. Rahmen der Abwägung zurücktreten, wo sich der Betroffene selbst damit einverstanden gezeigt hat, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden; denn niemand kann sich auf ein Recht
  181. zur Privatheit hinsichtlich solcher Tatsachen berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat (vgl. BVerfGE 101, 361, 385 - Caroline von Monaco II;
  182. Senatsurteile vom 9. Dezember 2003 - VI ZR 373/02, aaO, 524 und - VI ZR
  183. 404/02, VersR 2004, 525, 526; vom 19. Oktober 2004 - VI ZR 292/03, VersR
  184. 2005, 84, 85; vom 5. Dezember 2006 - VI ZR 45/05, VersR 2007, 249 Rn. 21).
  185. 15
  186. bb) Nach diesen Grundsätzen unterfällt die beanstandete Berichterstattung, insbesondere ihre zentrale Aussage der Zugehörigkeit der Klägerin zum
  187. Kommunistischen Bund, der Sozialsphäre.
  188. 16
  189. (1) Dem Beitritt zu einem Verein, einer politischen Partei oder einer anderen (etwa politischen oder religiösen) Gruppierung kommt ebenso wie dem
  190. bloßen Bestehen einer Mitgliedschaft in einer solchen Vereinigung grundsätzlich keine Publizität zu. Vielmehr beschränkt sich die Möglichkeit der Kenntnisnahme von den Daten eines Mitglieds auf die Mitgliederverwaltung (so CDUBundesparteigericht, NVwZ 1993, 1127, 1128) und nach verbreiteter Ansicht
  191. auf die übrigen Mitglieder (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1991
  192. - 1 BvR 185/91, juris Rn. 3; BGH, Beschlüsse vom 21. Juni 2010 - II ZR 219/09,
  193. WM 2010, 2360 Rn. 4 ff. und vom 25. Oktober 2010 - II ZR 219/09, ZIP 2010,
  194. 2399; OLG München, Urteil vom 15. November 1990 - 19 U 3483/90,
  195. juris Rn. 6 ff.; BayVGH, Beschluss vom 5. Oktober 1998 - 21 ZE 98.2707, 21
  196. CE 98.2707, juris Rn. 13; OLG Saarbrücken, NZG 2008, 677 f.; OLG Hamburg,
  197. NZG 2010, 317 f.; LG Berlin, K&R 2010, 140; Klein in Maunz/Dürig, GG, Art. 21
  198. Rn. 330 (Stand: März 2001); Reichert, Handbuch Vereins- und Verbandsrecht,
  199. 12. Aufl., Rn. 2757; Waldner/Wörle-Himmel in Sauter/Schweyer/Waldner, Der
  200. eingetragene Verein, 19. Aufl., Rn. 336). Soweit ein Mitglied lediglich eine pas-
  201. - 10 -
  202. sive Zugehörigkeit anstrebt und sich nach außen hin nicht offen zur Mitgliedschaft bekennen will, ist dies zu respektieren (vgl. CDU-Bundesparteigericht,
  203. aaO; Klein in Maunz/Dürig, aaO); denn zu der in Art. 9 Abs. 1 GG grundrechtlich verbürgten Vereinsfreiheit gehört auch die freie Entscheidung, ob die Mitglieder als solche in die Öffentlichkeit treten wollen, ebenso wie das Mitglied
  204. seine Vereinszugehörigkeit verschweigen darf (vgl. Merten in Isensee/Kirchhof,
  205. aaO). Dementsprechend ist die Mitgliedschaft in einer weltanschaulichreligiösen Gemeinschaft jedenfalls dann der Privatsphäre zugeordnet worden,
  206. wenn der Betroffene mit seiner Mitgliedschaft und den Lehren der Vereinigung
  207. nicht von sich aus in die Öffentlichkeit getreten ist (vgl. BVerfG, NJW 1990,
  208. 1980; NJW 1997, 2669, 2670).
  209. 17
  210. (2) Die Klägerin hat geltend gemacht, sie habe sich im öffentlichen Raum
  211. nicht für den Kommunistischen Bund eingesetzt und sei nach außen nicht für
  212. diesen in Erscheinung getreten; niemand habe damals seinen Beitritt zum
  213. Kommunistischen Bund öffentlich kundgetan. Im Streitfall ergibt sich aber die
  214. Zuordnung zur Sozialsphäre daraus, dass die Klägerin der AG Frauen, dem
  215. leitenden Gremium und der so genannten Frauenleitung des Kommunistischen
  216. Bundes angehörte. Die Funktionen eines leitenden Gremiums und der Frauenleitung sind in einer politischen Gruppierung, die naturgemäß darauf ausgerichtet ist, ihre Ziele im politischen Raum durchzusetzen und Anhänger für ihre
  217. Überzeugung zu gewinnen, notwendigerweise auf Außenwirkung angelegt. Es
  218. reicht mithin für die Zuordnung zur Sozialsphäre aus, dass die Klägerin aufgrund dieser Funktionen für die Frauenpolitik des Kommunistischen Bundes
  219. mitverantwortlich war, ohne dass es darauf ankommt, ob sie selbst öffentlichkeitswirksam aufgetreten ist. Die Bewertung ihrer Zugehörigkeit zum Kommunistischen Bund knüpft an die Funktionen an, welche die Klägerin in den
  220. 1970er/1980er-Jahren ausübte, also in einer Zeit, in der sie mit ihrem Ehemann
  221. - 11 -
  222. auch das in dem Bericht angesprochene Kinderhaus H.- straße gegründet hatte.
  223. 18
  224. d) Der Eingriff in die Sozialsphäre der Klägerin durch die beanstandete
  225. Berichterstattung ist nicht rechtswidrig, weil ihr Schutzinteresse die schutzwürdigen Belange der Beklagten nicht überwiegt. Dies ergibt die gebotene Abwägung zwischen dem nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin
  226. und dem gemäß Art. 5 Abs. 1 GG ebenfalls Verfassungsrang genießenden
  227. Recht der Beklagten auf Äußerungs- und Pressefreiheit. Danach muss der Einzelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, wenn und soweit solche Beschränkungen von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls getragen werden und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE
  228. 65, 1, 43 ff. - Volkszählung; 78, 77, 85 ff.; Senatsurteile vom 13. November
  229. 1990 - VI ZR 104/90, aaO; vom 9. Dezember 2003 - VI ZR 373/02, aaO, 524;
  230. vom 23. Juni 2009 - VI ZR 196/08, aaO). Wahre Aussagen müssen in der Regel
  231. hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Auch
  232. bei wahren Aussagen können zwar ausnahmsweise Persönlichkeitsbelange
  233. überwiegen und die Meinungsfreiheit in den Hintergrund drängen. Äußerungen
  234. im Rahmen der Sozialsphäre dürfen aber nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft
  235. werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder
  236. Prangerwirkung zu besorgen sind (vgl. Senatsurteile vom 23. Juni 2009 - VI ZR
  237. 196/08, aaO; vom 17. November 2009 - VI ZR 226/08, aaO, Rn. 21; BVerfG,
  238. VersR 2010, 1194 Rn. 25).
  239. 19
  240. - 12 -
  241. Aktueller Berichterstattungsanlass für den streitgegenständlichen Internetartikel waren Vorwürfe der H.er Sozialbehörde, vom Verein über den Verbleib von Findelkindern nicht ausreichend informiert zu werden. In diesem Zusammenhang wurde darüber berichtet, dass der Ehemann der Klägerin und sie
  242. früher dem Kommunistischen Bund angehörten, der Ehemann für dessen Kinderpolitik mitverantwortlich gewesen sei und die Klägerin der Frauenleitung angehört habe. Beide hätten 1976 in H.-A. das Kinderhaus H.-straße gegründet,
  243. dessen Leiterin die Klägerin geworden sei, eine Einrichtung, die von konservativen Kreisen als linker Kinderladen und Kaderschmiede kommunistischer Sektierer geschmäht worden sei. Auch wenn diese Vorgänge längere Zeit zurückliegen, ist insoweit ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit im
  244. Gesamtkontext des Artikels gegeben. In diesem wird nämlich auch darüber berichtet, dass der Verein S. rund tausend Kinder, überwiegend in Villen in bester
  245. Lage, betreut und sich nach Erfindung des Projekts "Findelbaby" auch die High
  246. Society der E.-metropole für den einstigen Kommunisten M. erwärmt habe. In
  247. diesem Zusammenhang sind auch die frühere Zugehörigkeit der Klägerin zur
  248. Frauenleitung des Kommunistischen Bundes und die Leitung des 1976 gegründeten Kinderhauses sowie dessen Bewertung durch Teile der Bevölkerung von
  249. öffentlichem Interesse. Denn in dem Artikel wird die frühere Überzeugung der
  250. Klägerin gegenüber gestellt ihrem heutigen Wirken als pädagogische Leiterin in
  251. der Kinderbetreuung in von dem Verein S. erworbenen Villen in bester Lage.
  252. 20
  253. Gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit muss der Persönlichkeitsschutz der Klägerin zurücktreten. Diese hat keine schwerwiegenden
  254. Auswirkungen auf ihr Persönlichkeitsrecht oder ihr entstandene konkrete Nachteile beruflicher Art vorgetragen, die durch die Berichterstattung entstanden wären. Alleine der Umstand, dass sie wegen der Veröffentlichung möglicherweise
  255. im Hinblick auf ihre kommunistische Vergangenheit Anfeindungen Andersdenkender ausgesetzt sein und Nachteile beruflicher Art erleiden kann, ist nicht so
  256. - 13 -
  257. schwerwiegend, dass er die Äußerungs- und Pressefreiheit der Beklagten in
  258. den Hintergrund drängen könnte, zumal aus dem Artikel hervorgeht, dass die
  259. Zugehörigkeit zum Kommunistischen Bund lange zurückliegt. Eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung sind wegen des Hinweises auf
  260. die Vergangenheit der Klägerin nicht zu besorgen.
  261. 21
  262. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
  263. Galke
  264. Zoll
  265. Diederichsen
  266. Wellner
  267. Stöhr
  268. Vorinstanzen:
  269. LG Berlin, Entscheidung vom 17.12.2009 - 27 O 967/09 KG Berlin, Entscheidung vom 19.08.2010 - 10 U 10/10 -