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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. V ZR 61/11
  5. Verkündet am:
  6. 9. März 2012
  7. Lesniak
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. EGBGB Art. 237 § 2
  19. Wer am 3. Oktober 1990 fälschlicherweise im Grundbuch als Eigentümer eingetragen gewesen ist, hat mit Ablauf der Ausschlussfristen nach Art. 237 § 2 EGBGB das
  20. Eigentum an dem Grundstück nicht erworben, wenn am 3. Oktober 1990 auch der
  21. wahre Eigentümer auf einem anderen Grundbuchblatt eingetragen war.
  22. BGH, Urteil vom 9. März 2012 - V ZR 61/11 - OLG Naumburg
  23. LG Halle
  24. -2-
  25. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 9. März 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub und die Richterinnen Dr. Brückner
  27. und Weinland
  28. für Recht erkannt:
  29. Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 12. Zivilsenats des
  30. Oberlandesgerichts Naumburg vom 18. Februar 2011 aufgehoben.
  31. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer
  32. des Landgerichts Halle vom 4. März 2010 wie folgt abgeändert:
  33. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, in die Abvermessung derjenigen
  34. Teilflächen aus den im Grundbuch von H.
  35. Blatt 2155
  36. (Gemarkung H.
  37. , Flur 2, Flurstück 25) und Blatt 692
  38. (Gemarkung H.
  39. , Flur 2, Flurstück 30) eingetragenen Grundstücken einzuwilligen, die auf der Fläche des ehemaligen Flurstücks 1543/87 der Flur 2 der Gemarkung N.
  40. liegen.
  41. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1 verpflichtet ist, den
  42. über die Abvermessung ausgestellten Veränderungsnachweis zu
  43. genehmigen und der Abschreibung der abvermessenen Teilfläche
  44. auf ein neues Grundbuchblatt und der Eintragung der Kläger als
  45. Eigentümer in Erbengemeinschaft in das Grundbuch zuzustimmen.
  46. Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, in die Abvermessung derjenigen
  47. Teilfläche aus dem im Grundbuch von H.
  48. Blatt 2107
  49. (Gemarkung H.
  50. , Flur 2, Flurstück 23) eingetragenen
  51. Grundstück einzuwilligen, die auf der Fläche des ehemaligen Flurstücks 1543/87 der Flur 2 der Gemarkung N.
  52. liegt.
  53. -3-
  54. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2 verpflichtet ist, den
  55. über die Abvermessung ausgestellten Veränderungsnachweis zu
  56. genehmigen und der Abschreibung der abvermessenen Teilfläche
  57. auf ein neues Grundbuchblatt und der Eintragung der Kläger als
  58. Eigentümer in Erbengemeinschaft in das Grundbuch zuzustimmen.
  59. Die Beklagten tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
  60. Von Rechts wegen
  61. Tatbestand:
  62. 1
  63. Die Kläger sind die Erben nach L.
  64. und R.
  65. S.
  66. (im Folgen-
  67. den: Erblasser), die in der Bundesrepublik Deutschland lebende Eigentümer
  68. eines in der DDR gelegenen, aus dem Flurstück 1543/87 der Gemarkung N.
  69. bestehenden Grundstücks waren.
  70. 2
  71. Das Grundstück lag in dem Gebiet, das durch Beschluss des Rates der
  72. Stadt H.
  73. von November 1981 zum Aufbaugebiet erklärt wurde. Im
  74. Zuge der Errichtung der Stadt wurden im Wege einer Umflurung durch Verschmelzung und Sonderung neue Flurstücke gebildet und in dem Bestandsblatt der Liegenschaftskartei das Volk, Rechtsträger Rat der Stadt, als Eigentümer eingetragen. Das ehemalige Flurstück 1543/87 der Gemarkung N.
  75. wurde mit Teilen eines Wohnblocks, einer Straße und eines Schulgebäudes
  76. überbaut. Eine Entscheidung über die Inanspruchnahme des Grundstücks erfolgte nicht. Streitig ist, ob das Grundbuch für das Grundstück der Kläger mit
  77. -4-
  78. der Erklärung zum Aufbaugebiet geschlossen wurde und nur in einer Liste der
  79. Flächen aufgeführt wurde, für die es noch einer Rechtsänderung bedurfte.
  80. 3
  81. Im Februar 1990 wurde durch den Liegenschaftsdienst des Bezirks im
  82. Grundbuchblatt des volkseigenen Grundstücks unter Bezugnahme auf Veränderungsnachweise von dem Flurstück Nr. 3 der Flur 26 mit einer Größe von
  83. insgesamt 149.316 m2 eine Teilfläche von 9.365 m2 abgeschrieben und aus
  84. dieser eine Fläche von 7.948 m2 auf das Grundbuchblatt 54 des Grundbuchs
  85. von H.
  86. übertragen, wobei im Bestandsblatt dieses Grundbuch-
  87. blatts die alte Flurstücksnummer (1543/87) angegeben und die Erblasser als
  88. Eigentümer des Grundstücks eingetragen wurden. 1993 wurden die Kläger als
  89. Eigentümer dieses Grundstücks eingetragen.
  90. 4
  91. 1993/1994 wurde abermals eine katastermäßige Neubildung der Flurstücke vorgenommen, wobei die neuen Flurstücke 23, 25 und 30 der Flur 2
  92. nunmehr nach den Funktionsflächen für den Wohnblock, für die Straße und für
  93. die Schule gebildet wurden. Diese Flurstücke wurden auf neue Grundbuchblätter übertragen, die keine Hinweise auf abgeschriebene Teilflächen enthielten.
  94. Mit Bescheiden des Präsidenten der Oberfinanzdirektion wurde festgestellt,
  95. dass die Beklagte zu 1 (Stadt) Eigentümerin der Flurstücke 25 und 30 der Flur
  96. 2 und die Beklagte zu 2 (Wohnungsgenossenschaft) Eigentümerin des Flurstücks 23 der Flur 2 geworden sei. Das für das Grundstück der Kläger angelegte Grundbuch wurde nachfolgend - ohne Mitteilung an diese - geschlossen.
  97. Einen von den Klägern im Jahre 1991 gestellten Antrag auf Rückübertragung
  98. nach dem Vermögensgesetz wies das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen im Juni 2008 mit der Begründung zurück, dass keine Enteignung erfolgt
  99. sei.
  100. 5
  101. -5-
  102. Die Kläger haben in erster Instanz die Berichtigung des Grundbuchs mit
  103. dem Ziel beantragt, als Eigentümer eingetragen zu werden. Das Landgericht
  104. hat der Klage stattgegeben. In der Berufungsinstanz haben die Kläger - im
  105. Hinblick darauf, dass sich ihr Grundstück nur auf Teilflächen der neu gebildeten Grundstücke erstreckt - erklärt, dass sie die Verurteilung der Beklagten zur
  106. Einwilligung der Abvermessung der Teilflächen und die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, der Abschreibung der Teilflächen und sodann der
  107. Eintragung der Kläger als Eigentümer zuzustimmen, beantragt hätten; vorsorglich haben sie dahingehende Anträge mit einer hilfsweise erhobenen Anschlussberufung geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger
  108. ihre in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter.
  109. Entscheidungsgründe:
  110. I.
  111. 6
  112. Das Berufungsgericht meint, dass zwar die Klage mit den Anträgen auf
  113. Verurteilung der Beklagten, die Berichtigung des Grundbuchs für unvermessene Teilflächen zu bewilligen, nicht zulässig gewesen sei; zulässig seien aber die
  114. in diesen Leistungsanträgen enthaltenen Anträge auf Feststellung, dass die
  115. Beklagten verpflichtet seien, einer Abvermessung und Abschreibung der Teilflächen zuzustimmen und sodann die Eintragung der Kläger als Eigentümer zu
  116. bewilligen. Diese Anträge seien jedoch unbegründet, weil die Grundbücher
  117. auch in Bezug auf das ehemals den Klägern gehörende Grundstück nicht unrichtig seien.
  118. 7
  119. -6-
  120. Zwar hätten die Erblasser zu Zeiten der DDR nicht das Eigentum an dem
  121. Grundstück verloren, weil dieses nicht in Anspruch genommen und in Volkseigentum überführt worden sei. Auch habe kein nach Art. 237 § 1 Abs. 1 Satz 1
  122. EGBGB unbeachtlicher Rechtsanwendungsfehler vorgelegen, weil nach dem
  123. Recht und der Verwaltungspraxis der DDR ein Entzug des Eigentums allein
  124. durch die Buchung eines Grundstücks als Volkseigentum nicht habe herbeigeführt werden können.
  125. 8
  126. Die Kläger hätten aber das Eigentum an ihrem Grundstück mit Ablauf
  127. der in Art. 237 § 2 Abs. 2 EGBGB bestimmten Ausschlussfrist verloren, weil sie
  128. nicht rechtzeitig die Buchposition der Beklagten (durch eine Klage auf Grundbuchberichtigung oder einen Antrag auf Eintragung eines Widerspruchs) angegriffen hätten, wodurch das am 3. Oktober 1990 als Volkseigentum gebuchte
  129. Grundstück Eigentum der Beklagten geworden sei.
  130. II.
  131. 9
  132. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung in einem
  133. entscheidenden Punkt nicht stand.
  134. 10
  135. Die Revision hat Erfolg, weil die Klage mit den in der Berufungsinstanz
  136. klargestellten Anträgen begründet ist. Die Kläger können nach § 894 BGB von
  137. den Beklagten die Zustimmung zu der für die Eintragung des Eigentums an
  138. einer Teilfläche notwendigen Abvermessung und Grundstücksabschreibung
  139. verlangen (vgl. Senatsurteile vom 21. Februar 1986 - V ZR 246/84, NJW 1986,
  140. 1867, 1868 und vom 2. April 1993 - V ZR 14/92, NJW-RR 1993, 840, 841).
  141. 11
  142. 1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass
  143. die Erblasser Eigentümer eines im Grundbuch eingetragenen Grundstücks waren, von dem Teilflächen nunmehr im Bestandsverzeichnis der den Beklagten
  144. -7-
  145. gehörenden Grundstücke gebucht sind. Dies ist auf Grund ihrer damaligen Eintragung als Eigentümer im Grundbuch nach § 7 Abs. 1 GDO-DDR (der eine
  146. § 891 BGB entsprechende Bestimmung enthielt) zu vermuten (vgl. Senat, Urteil
  147. vom 26. September 1969 - V ZR 135/66, BGHZ 52, 355, 358). Einwendungen
  148. werden insoweit von den Beklagten nicht erhoben.
  149. 12
  150. 2. Richtig ist auch, dass die Erblasser das Eigentum an dem Grundstück
  151. bis zum Ablauf des 2. Oktober 1990 nicht verloren haben.
  152. 13
  153. Die Ausführungen des Berufungsgerichts über die für eine Enteignung
  154. notwendigen Entscheidungen eines Staatsorgans entsprechen der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 3. November 2000 - V ZR 189/99, BGHZ 145,
  155. 383, 390 [zum Aufbaugesetz] und vom 17. März 1995 - V ZR 100/93, BGHZ
  156. 129, 112, 120 [zum Baulandgesetz]). Ebenso trifft es zu, dass weder die Umschreibung der Grundbücher unter Bezugnahme auf die Liegenschaftskartei
  157. der neu gebildeten Flurstücke mit der Eintragung von Volkseigentum noch die
  158. - hier streitige - Schließung des bisherigen Grundbuchs (zu den in Grundbuchanweisungen des zuständigen Ministers des Inneren der DDR vorgeschriebenen Eintragungen bei der Überführung von Grundstücken in das Volkseigentum: Senatsurteil vom 29. März 1996 - V ZR 326/94, BGHZ 132, 245, 259
  159. mwN) die Eigentumsverhältnisse an dem Grundstück änderten, weil der
  160. Grundbuchvollzug als solcher kein Instrument der Enteignung darstellte (Senatsbeschluss vom 21. Juni 2000 - V ZB 32/99, NJW 2001, 683, 684).
  161. 14
  162. 3. Im Ergebnis zutreffend ist ferner die Annahme des Berufungsgerichts,
  163. dass die katastermäßige Umflurung und Buchung im Bestandsblatt als Volkseigentum keine sonstige Überführung des Grundstücks der Kläger in das Volkseigentum im Sinne des Art. 237 § 1 EGBGB darstellte, die nach dieser Vorschrift ungeachtet aller Fehler als wirksam anzusehen wäre.
  164. -8-
  165. 15
  166. a) Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings die Begründung, dass das
  167. Grundstück deshalb nicht Volkseigentum geworden sein könne, weil nach den
  168. maßgeblichen Rechtsvorschriften, Verfahrensgrundsätzen und der ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis der DDR eine Enteignung nur durch förmliche Inanspruchnahmeentscheidung und nicht durch einen Buchungsvorgang durchgeführt werden konnte.
  169. 16
  170. Art. 237 § 1 EGBGB erfasst mit dem Tatbestandsmerkmal der „sonstigen Überführung“ nämlich auch faktische Vorgänge wie die Buchung des
  171. Grundstücks als Volkseigentum, falls dem ein staatlicher Wille und nicht nur ein
  172. Versehen zugrunde lag (Senat, Urteil vom 8. Dezember 2000 - V ZR 489/99,
  173. VIZ 2001, 213, 214; Schmidt-Räntsch, ZfIR 1997, 581, 583; MünchKommBGB/Busche, 4. Aufl., Art. 237 § 1 EGBGB Rn. 7; a.A. Czub, VIZ 1997, 561,
  174. 565 der eine auf Überführung eines Grundstücks in das Volkseigentum gerichtete Rechtshandlung für erforderlich erachtet). Entscheidend für den Bestandsschutz nach Art. 237 § 1 Abs. 1 EGBGB ist zudem nicht, ob das vorgeschriebene Verfahren durchgeführt wurde, sondern ob das angestrebte Ergebnis
  175. nach den vorhandenen Vorschriften erreichbar war (Senatsurteile vom 9. Oktober 1998 - V ZR 214/97, VIZ 1999, 38, 39 und vom 8. Dezember 2000 - V ZR
  176. 489/99, VIZ 2001, 213, 214; Schmidt-Räntsch, ZfIR 1997, 581, 583). Das ist
  177. hier zu bejahen, weil eine Inanspruchnahme des Grundstücks nach den bereits
  178. genannten Rechtsvorschriften der DDR (Aufbau- und Baulandgesetz) möglich
  179. und angesichts der baulichen Nutzung für einen neuen Stadtteil eigentlich auch
  180. geboten gewesen wäre.
  181. 17
  182. b) Ob der Einbeziehung der Fläche des Grundstücks der Kläger in die
  183. durch Umflurung neu gebildeten, als Volkseigentum gebuchten Grundstücke
  184. ein Enteignungswille der staatlichen Organe der DDR zugrunde lag, ist nicht
  185. festgestellt, kann hier jedoch dahinstehen.
  186. -9-
  187. 18
  188. Die Nichtanwendung des Art. 237 § 1 EGBGB stellt sich nämlich
  189. - unabhängig davon - als im Ergebnis richtig dar. Die Vorschrift ist im Wege
  190. einer verfassungskonformen Auslegung nicht auf die Fälle anzuwenden, in denen die staatlichen Stellen der DDR ein Grundstück noch als Privateigentum
  191. behandelt haben, was hier dadurch zum Ausdruck kam, dass der Staatliche
  192. Liegenschaftsdienst der DDR ein Grundbuch für das Grundstück neu angelegt
  193. und die Erblasser als dessen Eigentümer eingetragen hat. Mit der Anerkennung
  194. auch der Überführungen in das Volkseigentum gemäß Art. 237 § 1 EGBGB, die
  195. nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften der DDR nicht wirksam
  196. waren, ist ein entschädigungsloser Verlust der aus dem Eigentum folgenden
  197. Rechte verbunden (vgl. Senat, Urteile vom 10. Oktober 1997 - V ZR 80/96, VIZ
  198. 1998, 94, 95 und vom 6. Juni 2003 - V ZR 320/03, VIZ 2004, 79, 81). Diese
  199. Rechtsfolge ist vor dem Hintergrund des Art. 14 GG nur dann als verhältnismäßig anzusehen, wenn den betroffenen Eigentümern eine nur noch formale Eigentumsposition verblieben war, die in der DDR nicht durchsetzbar und deshalb ohne jeden wirtschaftlichen Wert war (vgl. Senat, Urteil vom 10. Oktober
  200. 1997 - V ZR 80/96, VIZ 1998, 94, 95; BVerfG, VIZ 1998, 507, 508; EGMR,
  201. NJW 2004, 927, 929). Davon kann jedoch keine Rede sein, wenn der für das
  202. Grundbuchwesen zuständige staatliche Liegenschaftsdienst der DDR das Privateigentum an dem Grundstück - ungeachtet aller faktischen Veränderungen respektierte und dies durch die Anlegung eines Grundbuchs für den Eigentümer dokumentierte.
  203. 19
  204. 4. Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht jedoch an, dass die Beklagten als Berechtigte aus der Abwicklung des ehemaligen Volkseigentums nach
  205. Art. 237 § 2 Abs. 2 Satz 1 EGBGB Eigentümer des Grundstücks der Kläger
  206. geworden seien, weil diese die Ausschlussfrist für einen Angriff gegen unrichtige Eintragungen versäumt hätten.
  207. - 10 -
  208. 20
  209. a) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen,
  210. dass vor dem 3. Oktober 1990 im Bestandsblatt der Liegenschaftskartei (§ 105
  211. Abs. 1 Nr. 5 GBV) Eigentum des Volkes eingetragen war, ohne dass dieses
  212. entstanden war.
  213. 21
  214. Das Grundstück der Kläger war am 3. Oktober 1990 eine Teilfläche eines 1974 neu gebildeten, auf dem Bestandsblatt des Liegenschaftskatasters
  215. als Volkseigentum gebuchten Grundstücks, woran die Buchungsvorgänge vom
  216. 20. Februar 1990 nichts geändert hatten. Die von dem Liegenschaftsdienst beabsichtigte Berichtigung durch Abschreibung des Grundstücks der Kläger war
  217. sachenrechtlich nicht wirksam, weil nicht - wie für die Abschreibung einer Teilfläche von einem Grundstück notwendig (vgl. zur Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland: Senatsurteile vom 20. Juni 1962 - V ZR 219/60, BGHZ
  218. 37, 233, 242 und vom 25. Januar 2008 - V ZR 79/07, BGHZ 175, 123, 132
  219. Rn. 25 mwN) - neue Grundstücke gebildet worden waren. In der DDR galten
  220. keine anderen Grundsätze. § 7 Abs. 2 Satz 1 GBVerfO-DDR enthielt eine dem
  221. § 28 Satz 1 GBO entsprechende Regelung für die Anträge. Die gemäß § 18
  222. GDO-DDR erlassene Colido-Grundbuchanweisung sah in Nummer 25 Abs. 3
  223. und 4 vor, dass die Abschreibung von Grundstücken und Grundstücksteilen
  224. unter Streichung einer in der Abteilung 0 eingetragenen Grundstücksnummer
  225. und unter Hinweis auf die neue Grundstücksnummer zu erfolgen habe. Dies
  226. war nicht erfolgt.
  227. 22
  228. b) Das Berufungsgericht bejaht jedoch zu Unrecht einen Eigentumserwerb durch den Buchberechtigten selbst dann, wenn - wie hier - ein neues
  229. Grundbuchblatt für das in Privateigentum gebliebene Grundstück angelegt wurde. Wer am 3. Oktober 1990 fälschlicherweise im Grundbuch als Eigentümer
  230. eingetragen gewesen ist, hat mit Ablauf der Ausschlussfristen nach Art. 237 § 2
  231. EGBGB das Eigentum an dem Grundstück nicht erworben, wenn am 3. Okto-
  232. - 11 -
  233. ber 1990 auch der wahre Eigentümer auf einem anderen Grundbuchblatt eingetragen war. In den Fällen einer Doppelbuchung (Eintragung desselben Flurstücks auf zwei verschiedenen Grundbuchblättern) führte die gegenteilige Auslegung der Norm durch das Berufungsgericht zu dem seltsamen Ergebnis, dass
  234. mit Ablauf der Ausschlussfrist die falsche Buchung richtig und die richtige Buchung falsch geworden wäre.
  235. 23
  236. Ein Rechtserwerb gegen den Inhalt eines Grundbuchs ist jedoch
  237. - ebenso wie bei der Ersitzung nach § 900 BGB (vgl. RGZ 56, 58, 60; Senat,
  238. Urteil vom 19. Oktober 2007 - V ZR 211/06, BGHZ 174, 61, 66) - auch nach
  239. Art. 237 Abs. 2 EGBGB nicht möglich. Der Senat hat, wenngleich in einem anderen Zusammenhang, ausgeführt, dass die richtige Eintragung des wahren
  240. Eigentümers einem gesetzlichen Eigentumserwerb aus der unrichtigen Buchposition mit dem Ablauf der Ausschlussfrist entgegensteht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 13. Februar 2003 - V ZR 38/02, juris und vom 14. März 2003
  241. - V ZR 280/02, VIZ 2003, 344, 345).
  242. 24
  243. aa) Das Gegenteil lässt sich auch nicht mit dem Zweck der Norm begründen, die Eigentumslagen an Grundstücken im Beitrittsgebiet im Interesse
  244. der Rechtssicherheit - unabhängig von der materiellen Rechtslage, allein nach
  245. den Eintragungen im Grundbuch - einer endgültigen Klärung herbeizuführen.
  246. Dieser Zweck rechtfertigt, wenn sich beide Parteien auf eine Eintragung als Eigentümer berufen können, keine Entscheidung gegen den wahren Eigentümer
  247. zugunsten des Nichtberechtigten.
  248. 25
  249. bb) Aus den knappen Gesetzesmaterialen (BT-Drs. 13/7275, S. 33 f.)
  250. und aus den von dem Berufungsgericht zitierten Erläuterungen (SchmidtRäntsch, VIZ 1997, 449, 453) lässt sich für eine derartige Regelungsvorstellung nichts entnehmen. Aus diesen ergibt sich vielmehr, dass der Gesetzgeber
  251. - 12 -
  252. nur die Fälle im Auge hatte, in denen es für das jeweilige Grundstück allein die
  253. unrichtige Eintragung gab. Doppelbuchungen von Volks- und Privateigentum
  254. lagen außerhalb der Vorstellung und des Regelungswillens des Gesetzgebers.
  255. 26
  256. cc) Schließlich ist es ein Gebot der verfassungskonformen Auslegung,
  257. die Vorschrift nicht gegen den im Grundbuch eingetragenen Eigentümer anzuwenden. Das Verstreichen der Ausschlussfrist in Art. 237 § 2 EGBGB führt
  258. - ebenso wie die Anerkennung zwar nicht rechtswirksamer, aber in der DDR
  259. faktisch unangreifbarer Enteignungen nach Art. 237 § 1 EGBGB - zu einem
  260. entschädigungslosen Entzug von Eigentümerrechten. Die Regelung stellt nur
  261. deshalb eine verhältnismäßige Eigentumsbeschränkung nach Art. 14 Abs. 1
  262. Satz 2 GG dar, weil die von dem Eigentumsverlust bedrohten Eigentümer durch
  263. die Nichteintragung ihres Eigentums Anlass und von dem Beitritt an auch acht
  264. Jahre lang Zeit hatten, ihre Eigentümerrechte geltend zu machen und damit
  265. den Rechtsverlust zu vermeiden (Senat, Urteil vom 6. Juni 2003 - V ZR 320/02,
  266. VIZ 2004, 79, 81; BVerfG, LKV 2006, 123). Bei einer Anwendung der Ausschlussfrist auf Doppelbuchungen wäre dem im Grundbuch eingetragenen Eigentümer eine (dem System der Bürgerlichen Rechts widersprechende) Obliegenheit auferlegt worden, sein eingetragenes Recht gegenüber einem aus den
  267. Eintragungen auf einem anderen Grundbuchblatt Berechtigten - notfalls gerichtlich - durchzusetzen; andernfalls wäre es trotz richtiger Eintragung mit Ablauf
  268. der Ausschlussfrist zu einem Rechtsverlust ohne jeden Ausgleich gekommen.
  269. Das wäre eine mit Art. 14 GG unvereinbare, einseitige Entscheidung des Konflikts zwischen zwei nach dem Grundbuch Berechtigten zum Nachteil des wahren Eigentümers.
  270. 27
  271. c) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist es auch nicht entscheidend, dass mit der Neuanlegung des Grundbuchs durch den Liegenschaftsdienst der DDR kein Grundstück im Rechtssinne wieder entstanden war,
  272. - 13 -
  273. weil es einen räumlich abgegrenzten Teil der Erdoberfläche, der im Bestandsverzeichnis des Grundbuchblatts für das Grundstück der Kläger unter Nummer
  274. 1543/87 der Gemarkung N.
  275. 28
  276. gebucht war, nicht mehr gab.
  277. Darauf kommt es nicht an, weil es bei der Auslegung des Art. 237 § 2
  278. EGBGB nicht um den öffentlichen Glauben der Eintragungen im Bestandsverzeichnis (dazu: Senat, Urteil vom 5. Dezember 2005 - V ZR 11/05, NJW-RR
  279. 2006, 662, 663), sondern um die Voraussetzungen eines gesetzlichen Erwerbs
  280. des Eigentums durch Nichteigentümer geht. Mit Art. 237 § 2 EGBGB hat der
  281. Gesetzgeber im Hinblick auf die Rechtverhältnisse in der DDR einen besonderen Erwerbstatbestand aus in der DDR begründeten Buchpositionen geschaffen, wobei er sich wegen der Obliegenheit des wahren Eigentümers, seine Ansprüche aus dem Eigentum zur Vermeidung eines Rechtsverlust innerhalb einer Frist von acht Jahren seit dem Beitritt geltend zu machen, an dem Verwirkungsgedanken orientiert hat (vgl. Senat, Urteil vom 6. Juni 2003 - V ZR
  282. 320/02, VIZ 2004, 79, 80; Schmidt-Räntsch, ZfIR 1997, 581, 585). Demjenigen,
  283. der als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist, kann jedoch nicht - wie einem nicht eingetragenen Berechtigten - zur Last gelegt werden, sich nicht
  284. rechtzeitig um die Herstellung eines die wahre Rechtslage wiedergebenden
  285. Grundbuchs gekümmert zu haben. War der wahre Eigentümer bereits am
  286. 3. Oktober 1990 im Grundbuch eingetragen, vermag auch der Hinweis auf die
  287. Rechtswirklichkeit in der DDR (nachlässiger Umgang mit Rechtsvorschriften;
  288. faktische Unangreifbarkeit der Eintragungen von Volkseigentum) es nicht zu
  289. rechtfertigen, das Vertrauen des Inhabers einer Buchposition auf die unrichtige
  290. Eintragung stärker zu schützen als das des Eigentümers auf eine richtige Eintragung. In diesen Fällen fehlt es vielmehr an einer Voraussetzung des gesetzlichen Erwerbstatbestands nach Art. 237 § 2 EGBGB.
  291. - 14 -
  292. III.
  293. 29
  294. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
  295. Krüger
  296. Stresemann
  297. Brückner
  298. Czub
  299. Weinland
  300. Vorinstanzen:
  301. LG Halle, Entscheidung vom 04.03.2010 - 6 O 516/09 OLG Naumburg, Entscheidung vom 18.02.2011 - 12 U 32/10 -