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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- V ZB 185/10
- vom
- 7. April 2011
- in der Abschiebungshaftsache
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- Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. April 2011 durch den
- Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
- beschlossen:
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- Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der
- 10. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 22. Juni 2010 aufgehoben.
- Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Bremen
- vom 3. Februar 2010 die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat.
- Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen
- werden der Freien Hansestadt Bremen auferlegt.
- Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
- 3000 €.
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- Gründe:
- I.
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- Die Betroffene, eine liberianische Staatsangehörige, reiste eigenen Angaben zufolge im Januar 2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie verfügte bei ihrer Einreise über einen italienischen Aufenthaltstitel, aber nicht über
- eine zur Erwerbstätigkeit berechtigende Aufenthaltserlaubnis der deutschen
- Behörden. Am 2. Februar 2010 wurde sie in einem Bordell in Bremen von der
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- Polizei wegen des Verdachts des illegalen Aufenthalts und der illegalen Erwerbstätigkeit festgenommen. Mit Verfügung der Beteiligten zu 2 vom 3. Februar 2010 wurde die Betroffene wegen unerlaubten Aufenthalts unter Androhung
- der Abschiebung nach Italien aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
- Auf den Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht die Haft zur Si-
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- cherung der Abschiebung bis zum 2. März 2010 angeordnet. Der hiergegen
- gerichteten Beschwerde der Betroffenen hat das Amtsgericht teilweise abgeholfen und die Haftanordnung am 11. Februar 2010 aufgehoben, weil es wegen
- der Vorlage eines Flugtickets nunmehr als glaubhaft ansah, dass die Betroffene
- sich der Abschiebung nicht entziehen werde. Der weitere Antrag der Betroffenen festzustellen, dass die Haft von Beginn an rechtswidrig war, hat weder im
- Abhilfeverfahren noch vor dem Beschwerdegericht Erfolg gehabt. Mit ihrer
- Rechtsbeschwerde verfolgt die Betroffene den Fortsetzungsfeststellungsantrag
- weiter.
- II.
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- Das Beschwerdegericht nimmt den Haftgrund der unerlaubten Einreise
- nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG im Wesentlichen mit der Begründung
- an, die Betroffene habe entgegen Art. 5 Abs. 1 Buchstabe c Schengener
- Grenzkodex nicht über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfügt und sei ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel eingereist, um sich
- durch Prostitution ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Bis zur Vorlage des
- Flugtickets sei nach den Gesamtumständen zu befürchten gewesen, dass die
- Betroffene die Bundesrepublik nicht freiwillig verlassen, sondern untertauchen
- werde. Damit seien auch die Voraussetzungen des Haftgrunds nach § 62
- Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG erfüllt.
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- III.
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- 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist sie ohne Zulassung statthaft, weil auch ein Beschluss des Beschwerdegerichts, der einen
- Fortsetzungsfeststellungsantrag zurückweist, von § 70 Abs. 3 Satz 2 FamFG
- erfasst wird (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10, juris
- Rn. 4, 10).
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- 2. Sie ist auch begründet. Die Beschwerdeentscheidung hält rechtlicher
- Nachprüfung nicht stand, weil der Haftanordnung schon kein zulässiger Haftantrag zugrunde lag.
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- a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist Verfahrensvoraussetzung und aus diesem Grund in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu
- prüfen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010,
- 210, 211; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, FGPrax 2010, 316, 317;
- Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10 Rn. 6, juris). In dem Haftantrag müssen gemäß § 417 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 FamFG unter anderem die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung dargelegt werden.
- Demzufolge muss der Antrag auch Ausführungen dazu enthalten, ob das nach
- § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorliegt, wenn sich aus dem Antrag selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren
- anhängig ist. Ohne das Einvernehmen darf Sicherungshaft nicht angeordnet
- werden; dass das Einvernehmen später hergestellt werden könnte, ist unerheblich (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 93/10, NVwZ 2010, 1574 Rn. 6
- ff.; Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10 Rn. 8, juris). Wie der Senat
- - allerdings erst nach Erlass der Entscheidungen der Vorinstanzen - bereits entschieden hat, ist das Fehlen entsprechender Ausführungen deshalb ein Be-
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- gründungsmangel, der zur Unzulässigkeit des Antrags führt (Senat, Beschluss
- vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, juris Rn. 9).
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- b) So verhält es sich hier. Die erforderlichen Angaben zu dem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft fehlen.
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- aa) Aus dem Antrag der Beteiligten zu 2 auf Anordnung der Abschiebungshaft ergaben sich zwingende Hinweise darauf, dass strafrechtliche Ermittlungen gegen die Betroffene geführt wurden. Denn darin wird ausgeführt, sie
- sei wegen des Verdachts der illegalen Erwerbstätigkeit und des illegalen Aufenthalts von der Polizei festgenommen worden. Zudem ergibt sich aus dem
- beigefügten Protokoll, dass die Betroffene nach der Festnahme als Beschuldigte belehrt und vernommen worden ist.
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- bb) Das Fehlen eines zulässigen Haftantrags kann nicht rückwirkend geheilt werden, weil es sich bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die
- Behörde um eine Verfahrensgarantie handelt, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1
- Satz 1 GG fordert (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax
- 2010, 210, 211; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511,
- 1512; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10 Rn. 14, juris; Beschluss
- vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10 Rn. 26, juris). Deshalb ist ohne weitere
- Sachaufklärung festzustellen, dass die Haftanordnung und die Beschwerdeentscheidung die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
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- IV.
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- Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2
- FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO; die Festsetzung des Beschwerdewerts
- folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
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- Krüger
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- Stresemann
- Brückner
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- Roth
- Weinland
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- Vorinstanzen:
- AG Bremen, Entscheidung vom 03.02.2010 – 92 XIV 56/10 –
- LG Bremen, Entscheidung vom 22.06.2010 – 10 T 152/10 (b) –
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