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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 169/14
  4. vom
  5. 22. Oktober 2015
  6. in der Rücküberstellungssache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. FamFG § 62, § 70 Abs. 3 Satz 3
  14. a) Auch nach der Einführung von § 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG kann die beteiligte Behörde ein in der Hauptsache erledigtes Freiheitsentziehungsverfahren nicht mit
  15. dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG fortsetzen.
  16. b) Eine auf die Kostenentscheidung beschränkte Rechtsbeschwerde der beteiligten
  17. Behörde ist auch nach der Einführung von § 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG nur bei einer entsprechenden Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft.
  18. c) Hat sich die Hauptsache vor Einlegung des Rechtsmittels erledigt, kann die beteiligte Behörde das Rechtsbeschwerdeverfahren jedenfalls dann nicht mit einem
  19. Kostenantrag fortsetzen, wenn das Rechtsmittel hinsichtlich des Kostenpunkts
  20. nicht zugelassen worden ist.
  21. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZB 169/14 - LG Halle
  22. AG Merseburg
  23. -2-
  24. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Oktober 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
  25. und Weinland, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
  26. beschlossen:
  27. Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 12. August 2014 wird als unzulässig verworfen.
  28. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in
  29. der Rechtsbeschwerdeinstanz werden dem Landkreis Saalekreis
  30. auferlegt.
  31. Damit erledigt sich der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von
  32. Verfahrenskostenhilfe.
  33. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  34. 5.000 €.
  35. Gründe:
  36. I.
  37. 1
  38. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 1. August 2014 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung von dessen Rücküberstellung nach Italien bis zum
  39. 4. September 2014 angeordnet. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das
  40. -3-
  41. Landgericht mit Beschluss vom 12. August 2014 unter Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts den Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft
  42. zurückgewiesen, die sofortige Entlassung des Betroffenen aus der Haft angeordnet und die Rechtswidrigkeit der angeordneten Haft festgestellt. Mit der von
  43. dem Landgericht nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde beantragt die beteiligte Behörde festzustellen, dass der Beschluss des Landgerichts rechtswidrig war
  44. und sie in ihren Rechten verletzt, hilfsweise, festzustellen, dass der Beschluss
  45. „aus dem Kostenpunkt rechtswidrig war“ und sie in ihren Rechten verletzt, und
  46. dem Betroffenen die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
  47. II.
  48. 2
  49. Nach Ansicht des Landgerichts durfte Haft zur Sicherung der Rücküberstellung des Betroffenen nach Italien nicht angeordnet werden, weil die Rücküberstellungsfrist von sechs Monaten nach Art. 20 Abs. 2 der Verordnung (EG)
  50. Nr. 343/2003 (ABl. EG Nr. L 50 S. 1 = heute Art. 29 Abs. 2 der Verordnung (EU)
  51. Nr. 604/2013, ABl. EU Nr. 180 S. 31) abgelaufen gewesen sei.
  52. III.
  53. 3
  54. Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde ist unzulässig.
  55. 4
  56. 1. Die Rechtsbeschwerde war bei Einlegung am 8. September 2014 unzulässig, weil sie nach § 70 FamFG in der seinerzeit geltenden Fassung nur bei
  57. Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft war (Senat, Beschluss vom
  58. 10. Februar 2010 - V ZB 35/10, FGPrax 2010, 98 Rn. 2) und das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hatte.
  59. -4-
  60. 5
  61. 2. Sie ist mit dem Inkrafttreten von § 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG am
  62. 1. August 2015 nicht zulässig geworden.
  63. 6
  64. a) Nach § 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG ist zwar auch die Rechtsbeschwerde
  65. der beteiligten Behörde ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft.
  66. Für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist das jetzt geltende Verfahrensrecht zugrunde zu legen, weil die Änderung des § 70 Abs. 3 FamFG durch
  67. Art. 7 des Gesetzes vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) mit sofortiger Wirkung
  68. in Kraft getreten ist und Überleitungsvorschriften, die Ausnahmen für anhängige
  69. Verfahren vorsehen, nicht erlassen worden sind.
  70. 7
  71. b) Das führt aber nicht zur Zulässigkeit des Rechtsmittels.
  72. 8
  73. aa) Die Hauptsache hatte sich schon vor der Einlegung der Rechtsbeschwerde durch die beteiligte Behörde erledigt. Die durch das Amtsgericht angeordnete Haft hatte nämlich am 4. September 2014 geendet und war abgelaufen, als die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde vom 8. September 2014
  74. bei dem Bundesgerichtshof einging.
  75. 9
  76. bb) Ein Rechtsbeschwerdeverfahren kann die beteiligte Behörde nach
  77. Erledigung der Hauptsache nicht mit einem Antrag nach § 62 FamFG fortsetzen
  78. (Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 22/12, BGHZ 196, 118 Rn. 9,
  79. 11 f.).
  80. 10
  81. (1) Daran hat sich entgegen der Ansicht der beteiligten Behörde durch
  82. die Einführung von § 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG mit dem Gesetz vom 27. Juli
  83. 2015 (BGBl. I S. 1386) nichts geändert. Mit dieser Ergänzung hat der Gesetzgeber erreichen wollen, dass sowohl der Betroffene als auch die Behörde zu-
  84. -5-
  85. lassungsfrei Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen über die Anordnung
  86. oder Aufhebung von Haft zur Sicherung der Abschiebung, Zurückschiebung
  87. oder Rücküberstellung einlegen können (Beschlussempfehlung zu dem Gesetz
  88. vom 27. Juli 2015 in BT-Drucks. 18/5420 S. 30). Damit hat der Gesetzgeber
  89. zwar den Gleichlauf der Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde mit derjenigen des Betroffenen hergestellt, dessen Fehlen der Senat seinerzeit als zusätzliches Argument für den Ausschluss eines Feststellungsantrags der beteiligten
  90. Behörde
  91. angeführt
  92. hatte
  93. (Beschluss
  94. vom
  95. 31.
  96. Januar
  97. 2013
  98. - V ZB 22/12, BGHZ 196, 118 Rn. 13). Diese Annäherung der Rechtsbehelfe
  99. ändert aber nichts Entscheidendes.
  100. 11
  101. (2) Das in der Vorschrift geforderte berechtigte Interesse an der Feststellung, dass die Entscheidung sie in ihren Rechten verletzt hat, hat die an einem
  102. Freiheitsentziehungsverfahren beteiligte Behörde nicht. Es besteht nämlich an
  103. sich nicht, weil der Beschwerdeführer durch die Entscheidung lediglich noch
  104. Auskunft über die Rechtslage erhielte, ohne dass damit eine wirksame Regelung getroffen werden könnte. Es lässt sich nicht schon aus der Beeinträchtigung von - auch der antragstellenden Behörde zustehenden - Rechten im Sinne
  105. des § 59 Abs. 1 FamFG ableiten. Das Interesse des Beteiligten an der Feststellung der Rechtslage muss vielmehr in besonderer Weise schutzwürdig sein,
  106. was regelmäßig eine Verletzung von Grundrechten voraussetzt (Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 22/12, BGHZ 196, 118 Rn. 11). Die entsprechende Anwendung der Norm im Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum
  107. effektiven Rechtsschutz von Betroffenen und unter Zugrundlegung der Absicht
  108. des Gesetzgebers, diese Rechtsprechung einfachrechtlich mit § 62 FamFG
  109. umzusetzen, gerade daraus abgeleitet, dass der Betroffene ohne eine solche
  110. Vorschrift sein Rehabilitationsinteresse nicht effektiv durchsetzen könnte (Be-
  111. -6-
  112. schlüsse vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150 Rn. 9 und
  113. vom 31. Januar 2013 - V ZB 22/12, BGHZ 196, 118 Rn. 12). Der Gesetzgeber
  114. hat die Änderung von § 70 Abs. 3 FamFG nicht zum Anlass genommen, die
  115. Voraussetzungen für die Feststellung der Rechtswidrigkeit zu verändern. Er hat
  116. nicht einmal erwogen, durch eine Ergänzung von § 74 Abs. 4 FamFG oder in
  117. anderer Weise ausdrücklich zu regeln, dass diese Vorschrift auch im Rechtsbeschwerdeverfahren gilt. Eine entsprechende Anwendung auf das Rechtsmittel
  118. der beteiligten Behörde lässt sich unter diesem Gesichtspunkt nicht rechtfertigen (Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 22/12, BGHZ 196, 118
  119. Rn. 11).
  120. 12
  121. (3) Sie lässt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr begründen. Diese begründet ein berechtigtes Interesse an der
  122. Feststellung der Rechtswidrigkeit nur, wenn sie konkret ist (OLG Düsseldorf,
  123. FamRZ 2014, 330, 331) und wenn zu erwarten ist, dass gerade der Beschwerdeführer von einer gleichartigen Rechtsverletzung betroffen sein wird. Daran
  124. fehlt es aber, wenn nur ein Interesse an der abstrakten Klärung einer Rechtsfrage für die künftige Rechtspraxis einer Behörde angestrebt wird (vgl. für einen
  125. Notar OLG München, FGPrax 2010, 269; Keidel/Budde, FamFG, 18. Aufl., § 62
  126. Rn. 21). So liegt es hier.
  127. 13
  128. cc) Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht mit dem Hilfsantrag der beteiligten Behörde zulässig, festzustellen dass die Entscheidung des Landgerichts im
  129. Hinblick auf den Kostenpunkt rechtswidrig war und sie in ihren Rechten verletzt
  130. hat.
  131. 14
  132. (1) Wenn mit diesem Antrag eine Beschränkung der Rechtsbeschwerde
  133. auf die Kostenentscheidung angestrebt werden sollte, wäre die Rechtsbe-
  134. -7-
  135. schwerde unzulässig. Das folgt zwar nicht, wie bis zu dem Inkrafttreten des
  136. FGG-Reformgesetzes, daraus, dass eine isolierte Anfechtung der Kostenentscheidung unzulässig wäre (vgl. zum früheren Recht: § 20a Abs. 1 Satz 1
  137. FGG). Ein vergleichbarer Ausschluss ist im geltenden Recht nicht mehr vorgesehen. Ein solches Rechtsmittel müsste auch keinen Beschwerdewert erreichen, wenn es sich - wie hier - um eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit handelt (BGH, Beschlüsse vom 25. September 2013 - XII ZB 464/12, NJW
  138. 2013, 3523 Rn. 7 und 27. November 2013 - XII ZB 597/13, NJW-RR 2014, 129
  139. Rn. 4). Der Antrag wäre jedoch deswegen unzulässig, weil eine Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde, die sich allein gegen die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren richtet, nach wie vor der Zulassung bedürfte. Die
  140. Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde ist zwar nach § 70 Abs. 3 Satz 3
  141. FamFG ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in
  142. § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG genannten Verfahren richtet. Gegenstand
  143. einer auf den Kostenpunkt beschränkten Rechtsbeschwerde wäre aber nicht
  144. die Verweigerung der freiheitsentziehenden Maßnahme oder deren Aufhebung,
  145. sondern allein die Kostenentscheidung des Beschwerdegerichts. Diese wäre
  146. regelmäßig auch nur daraufhin überprüfbar, ob das Beschwerdegericht die
  147. Grenzen seines in der Regel bestehenden Ermessens bei der Auferlegung und
  148. Verteilung der Verfahrenskosten überschritten hat. Nichts spricht dafür, dass
  149. der Gesetzgeber auch solche Rechtsmittel der beteiligten Behörde ohne Zulassung für statthaft hat erklären wollen (vgl. BT-Drucks. 18/5420 S. 30).
  150. 15
  151. (2) Eine Umdeutung des Antrags in eine Erledigungserklärung verbunden mit dem Antrag, dem Betroffenen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,
  152. scheidet ebenfalls aus.
  153. -8-
  154. 16
  155. Hier war die Hauptsache schon bei Abfassung der Rechtsbeschwerdeschrift der beteiligten Behörde erledigt, weil die ursprünglich angeordnete Haft
  156. zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen wäre. In dieser Konstellation
  157. kommt eine Erledigungserklärung verbunden mit einem Kostenantrag nur in
  158. Betracht, wenn die angegriffene Entscheidung im Kostenpunkt isoliert angreifbar wäre. Ist das aber - wie hier - nicht der Fall, scheidet sie aus (vgl. Senat,
  159. Beschluss vom 8. Dezember 2011 - V ZB 170/11, NJW-RR 2012, 651 Rn. 7).
  160. IV.
  161. 17
  162. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 430 FamFG, Art. 5 EMRK
  163. analog. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 36 Abs. 3
  164. GNotKG.
  165. Stresemann
  166. Schmidt-Räntsch
  167. Göbel
  168. Weinland
  169. Haberkamp
  170. Vorinstanzen:
  171. AG Merseburg, Entscheidung vom 01.08.2014 - 14 XIV (B) 19/14 LG Halle, Entscheidung vom 12.08.2014 - 1 T 61/14 -