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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 152/16
  4. vom
  5. 16. November 2017
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. RVG § 15 Abs. 2, Abs. 5 Satz 2
  14. a) Das Verfahren über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil und das vorausgegangene Verfahren sind in gebührenrechtlicher Hinsicht dieselbe Angelegenheit.
  15. b) Ein Rechtsanwalt kann jedenfalls in analoger Anwendung von § 15 Abs. 5
  16. Satz 2 RVG erneut Gebühren verlangen, wenn er nach dem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, der mehr als zwei Kalenderjahre nach Zustellung
  17. des Urteils eingelegt worden ist, in dem gerichtlichen Verfahren weiter tätig
  18. wird.
  19. BGH, Beschluss vom 16. November 2017 - V ZB 152/16 - OLG Brandenburg
  20. LG Frankfurt (Oder)
  21. ECLI:DE:BGH:2017:161117BVZB152.16.0
  22. -2-
  23. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. November 2017 durch die
  24. Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch,
  25. den Richter Dr. Kazele, die Richterin Haberkamp und den Richter Dr. Hamdorf
  26. beschlossen:
  27. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 6.
  28. Zivilsenats
  29. des
  30. Brandenburgischen
  31. Oberlandesgerichts
  32. vom
  33. 3. November 2016 unter Zurückweisung des weitergehenden
  34. Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der
  35. Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder)
  36. vom 23. Oktober 2015 (14 O 31/14) in Höhe von 14.277,38 € nebst
  37. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
  38. dem 4. September 2015 zum Nachteil der Klägerin abgeändert
  39. worden ist.
  40. Im Umfang der Aufhebung wird die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den genannten Kostenfestsetzungsbeschluss zurückgewiesen und dieser klarstellend neu gefasst: Die von der Beklagten an die Klägerin aufgrund des Urteils des Landgerichts
  41. Frankfurt (Oder) vom 29. Juli 2015 (14 O 31/14) zu erstattenden
  42. Kosten werden auf 19.646,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. September 2015
  43. festgesetzt.
  44. Gerichtsgebühren für das Beschwerde- und das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Die der Klägerin entstandenen
  45. -3-
  46. außergerichtlichen Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt die Beklagte.
  47. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  48. 14.922,96 €.
  49. Gründe:
  50. I.
  51. 1
  52. Die Klägerin nahm die Beklagte auf Feststellung der Unwirksamkeit eines notariellen Grundstückskaufvertrags in Anspruch. Das Landgericht verurteilte die Beklagte mit Versäumnisurteil vom 2. Juni 2008 antragsgemäß, legte
  53. ihr die Verfahrenskosten auf und bewilligte die öffentliche Zustellung der Entscheidung. Es setzte im Januar 2009 gegen die Beklagte eine 1,3 Verfahrensgebühr und eine 0,5 Terminsgebühr nebst Auslagen, insgesamt einen Betrag
  54. von 13.831,13 € fest.
  55. 2
  56. Am 24. Januar 2014 hat die Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt, die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung geltend gemacht
  57. und Widerklage sowie Eventualwiderklage erhoben. Das Landgericht hat am
  58. 29. Juli 2015 das Versäumnisurteil aufrechterhalten, der Widerklage im Hilfsantrag stattgegeben und der Beklagten die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Den Gebührenstreitwert hat es auf 1.670.697,35 € festgesetzt.
  59. 3
  60. Die Klägerin verlangt die Festsetzung weiterer Kosten von 20.292,48 €,
  61. darunter eine erneute 1,3 Verfahrensgebühr sowie die 1,2 Terminsgebühr. Das
  62. -4-
  63. Landgericht hat die Kosten antragsgemäß festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Oberlandesgericht den Beschluss abgeändert
  64. und weitere Kosten in Höhe von 5.369,52 € festgesetzt. Mit der zugelassenen
  65. Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihren Festsetzungsantrag weiter. Die
  66. Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
  67. II.
  68. 4
  69. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung u.a. in Rpfleger 2017, 302
  70. veröffentlicht ist, meint, die Prozessbevollmächtigten der Klägerin können insgesamt nur eine 1,3 Verfahrens- und nur eine 1,2 Terminsgebühr aus dem Gebührenstreitwert von 1.670.697,35 € verlangen. Für die Tätigkeit nach dem Einspruch erhielten sie keine zusätzliche Vergütung nach § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG.
  71. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift sei, dass der Rechtsanwalt
  72. neu beauftragt werde, nachdem der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt sei. Daran fehle es. Zwar sei es mit der Zustellung des Versäumnisurteils zu einer Erledigung des Auftrags im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1
  73. RVG gekommen. Den Rechtsanwälten sei aber kein neuer Auftrag erteilt worden. Ein solcher neuer Auftrag wäre kostenrechtlich auch nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzusehen (§ 91 Abs. 1 Satz 1
  74. ZPO). Bei einem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil werde dasselbe Verfahren fortgesetzt, und es liege gebührenrechtlich dieselbe Angelegenheit vor. Die
  75. Vorschrift des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG sei auch nicht analog anwendbar. Es
  76. fehle an einer planwidrigen Regelungslücke. Die von dem Bundesgerichtshof
  77. für den Fall der Anfechtung eines Prozessvergleichs angenommene Lücke habe der Gesetzgeber durch Einfügung von Satz 3 im Jahr 2012 geschlossen.
  78. Das verdeutliche, dass er das Erfordernis der Erteilung eines neuen Auftrags
  79. allein für diese Fälle als entbehrlich angesehen habe.
  80. -5-
  81. III.
  82. 5
  83. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts können die Prozessbevollmächtigten
  84. der Klägerin für die Tätigkeit nach dem Einspruch der Beklagten gegen das
  85. Versäumnisurteil eine erneute 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG
  86. und zusätzlich zu der 0,5 Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV-RVG die 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV-RVG verlangen. Zwar handelt es sich bei dem
  87. Verfahren vor und nach dem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil gebührenrechtlich um eine Angelegenheit (§ 15 Abs. 2 RVG). Die Vorschrift des § 15
  88. Abs. 5 Satz 2 RVG ist aber entsprechend anwendbar, so dass erneute Gebühren für die weitere anwaltliche Tätigkeit entstehen.
  89. 6
  90. 1. Rechtsfehlerfrei geht das Beschwerdegericht zunächst davon aus,
  91. dass das Verfahren über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil und das
  92. vorausgegangene Verfahren in gebührenrechtlicher Hinsicht dieselbe Angelegenheit sind (allg. Ansicht, vgl. OLG Celle, JurBüro 2016, 414; OLG Koblenz,
  93. JurBüro 2010, 584; KG, JurBüro 2008, 647; OLG Köln, Beschluss vom 5. November 2008 - 17 W 227/08, juris Rn. 12; Beschluss vom 21. Juni 2006
  94. - 17 W 126/06, juris Rn. 6; Hartmann, Kostengesetze, 47. Aufl., § 15 RVG
  95. Rn. 32; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 22. Aufl., § 15 Rn. 85, § 17 Rn. 44). Die
  96. Regelung des § 38 BRAGO, wonach das Verfahren über den Einspruch gegen
  97. ein Versäumnisurteil als besondere Angelegenheit galt, ist durch das Gesetz
  98. über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 788) nicht übernommen worden. Es bleibt deshalb bei der in § 16 und § 17 Nr. 1 RVG zum
  99. Ausdruck kommenden allgemeinen Regel, dass das gerichtliche Verfahren in
  100. einem Rechtszug eine Angelegenheit ist (vgl. BGH, Beschluss vom
  101. -6-
  102. 24. März 2016 - III ZB 116/15, NJW-RR 2016, 883 Rn. 7; Ahlmann in
  103. Riedel/Sußbauer, 10. Aufl., RVG, § 15 Rn. 10; Hartmann, Kostengesetze, 47.
  104. Aufl., § 15 RVG Rn. 32; Gerold/Schmidt/Mayer, 22. Aufl., RVG, § 15 Rn. 5 f.,
  105. 14). Der zulässige Einspruch hat keinen Devolutiveffekt, sondern versetzt den
  106. Prozess, soweit der Einspruch reicht, in die Lage zurück, in der er sich vor dem
  107. Eintritt der Versäumnis befand (§ 342 ZPO). Der Rechtsanwalt kann die Gebühren für die Tätigkeit vor und nach dem Einspruch nur einmal fordern (§ 15
  108. Abs. 2 RVG). Es entsteht eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG, und
  109. die ursprünglich aufgrund des ersten Termins angefallene 0,5-Terminsgebühr
  110. nach Nr. 3105 VV-RVG geht in der 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV-RVG
  111. auf (vgl. KG, JurBüro 2008, 647; OLG Koblenz, MDR 2010, 1494; Herget/Zöller,
  112. ZPO, 32. Aufl., § 344 Rn. 2; Hünnekens, Rpfleger 2004, 445, 451).
  113. 7
  114. 2. Anders als das Beschwerdegericht meint, können die Prozessbevollmächtigten der Klägerin für ihre weitere Tätigkeit aber deshalb eine erneute
  115. Vergütung fordern, weil die Beklagte den Einspruch mehr als zwei Kalenderjahre nach Erlass des Versäumnisurteils eingelegt hat. Es kann dahinstehen, ob
  116. das unmittelbar aus § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG folgt. Die Vorschrift ist jedenfalls
  117. analog anwendbar.
  118. 8
  119. a) Nach § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG gilt die weitere Tätigkeit eines Rechtsanwalts als neue Angelegenheit, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei
  120. Kalenderjahren erledigt ist. Von einer solchen Erledigung des früheren Auftrags
  121. der Prozessbevollmächtigten der Klägerin geht das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei aus.
  122. 9
  123. aa) Für die Erledigung des Auftrags im Sinne von § 15 Abs. 5 Satz 2
  124. RVG ist auf die zu § 8 Abs. 1 Satz 1 RVG gefundene Definition dieses Begriffs
  125. -7-
  126. abzustellen (BGH, Beschluss vom 11. August 2010 - XII ZB 60/08, FamRZ
  127. 2010, 1723 Rn. 14; vgl. auch Urteil vom 30. März 2006 - VII ZB 69/05 - NJW
  128. 2006, 1525 Rn. 7 zu § 13 Abs. 5 Satz 2 BRAGO). Danach ist ein Auftrag erledigt, wenn der Anwalt seine Verpflichtungen aus dem Anwaltsvertrag vollständig erfüllt hat. Das ist dann der Fall, wenn von ihm keine weiteren Handlungen
  129. in Erfüllung des Auftrags mehr zu erwarten sind. Die Entscheidung der Frage,
  130. wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
  131. Allgemeine Regeln lassen sich dazu nicht aufstellen (vgl. BGH, Beschluss vom
  132. 13. November 2008 - IX ZR 24/06, juris Rn. 2 mwN). Dabei ist von Bedeutung,
  133. ob der Anwalt selbst seinen Auftrag als erfüllt ansieht oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1978 - VI ZR 115/77, NJW 1979, 264, 265; Rinkler, in
  134. Fischer/Vill/Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 1
  135. Rn. 69). Das Ziel braucht nicht erreicht zu sein (Gerold/Schmidt/Mayer, RVG,
  136. 22. Aufl., § 8 Rn. 10).
  137. 10
  138. bb) Daran gemessen war der von der Klägerin erteilte Anwaltsauftrag erledigt. Die Beklagte hat gegen das am 2. Juni 2008 ergangene und öffentlich
  139. zugestellte Versäumnisurteil nicht innerhalb der vom Gericht nach § 339 Abs. 2
  140. ZPO bestimmten Einspruchsfrist Einspruch eingelegt, und mit einem Einspruch,
  141. ggf. in Verbindung mit einem Wiedereinsetzungsantrag, mussten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin jedenfalls nicht mehr rechnen, nachdem die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO abgelaufen war.
  142. 11
  143. b) Ob, wie das Beschwerdegericht meint, § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG weiter
  144. voraussetzt, dass dem Anwalt für die Tätigkeit in dem Verfahren nach dem Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein neuer Auftrag erteilt worden ist, kann
  145. offen bleiben.
  146. -8-
  147. 12
  148. aa) Allerdings kann sich das Beschwerdegericht insoweit auf die Rechtsprechung des VII. und des XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs stützen
  149. (Beschluss vom 30. März 2006 - VII ZB 69/05, NJW 2006, 1525 Rn. 5 zu § 13
  150. Abs. 5 BRAGO; Beschluss vom 11. August 2010 - XII ZB 60/08, FamRZ 2010,
  151. 1723 Rn. 13). Danach soll § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG nur anwendbar sein, wenn
  152. einem Rechtsanwalt nach Erledigung eines früheren Auftrags ein neuer Auftrag
  153. erteilt wird. An einem solchen neuen Auftrag fehle es, wenn ein durch einen
  154. Prozessvergleich beendeter Prozess nach Anfechtung mehr als zwei Kalenderjahre nach dessen Abschluss fortgesetzt werde. Er sei auch nicht erforderlich,
  155. weil dasselbe Verfahren fortgesetzt werde und der Anwalt weiterhin beauftragt
  156. bleibe (BGH, Beschluss vom 11. August 2010 - XII ZB 60/08, aaO Rn. 13).
  157. 13
  158. bb) Diese Rechtsprechung hat überwiegend Zustimmung (KG, FamRZ
  159. 2011, 667; Finanzgericht Baden-Württemberg, AGS 2010, 606; Ahlmann in
  160. Riedel/Sußbauer, 10. Aufl., RVG, § 15 Rn. 71; Schneider/Wolf, AnwK RVG,
  161. 7. Aufl., § 8 Rn. 73; Enders in Hartung/Schons/Enders, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 2. Aufl., § 15 Rn. 125 ff.), aber auch Ablehnung erfahren. Die Kritiker machen geltend, dass sich aus dem Wortlaut von § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG
  162. das Erfordernis eines neuen Auftrags nicht ergebe (Winkler in Mayer/Kroiß,
  163. RVG, 6. Aufl., § 15 Rn. 159). Sie weisen zudem darauf hin, ein Rechtsanwalt,
  164. dessen Auftrag erledigt sei, müsse stets neu beauftragt werden, damit er weiter
  165. tätig werde; das könne konkludent erfolgen (vgl. Hansens, RVG-Report 2011,
  166. 17, 18; ders., RVG-Report 2017, 54, 55 f.; Onderka, AGS 2010, 479, 480).
  167. 14
  168. cc) Tatsächlich ist zweifelhaft, ob es für die Anwendung des § 15 Abs. 5
  169. Satz 2 RVG auf die Erteilung eines neuen Auftrags ankommt. Es spricht vieles
  170. dafür, dass die Vorschrift auch dann anwendbar ist, wenn der Anwalt in derselben Angelegenheit weiter tätig wird, weil alte Auftrag - wie hier - nur scheinbar
  171. -9-
  172. erledigt ist und deshalb fortbesteht. Der Gesetzgeber hat in § 15 Abs. 5 RVG
  173. eine Situation beschrieben, in der der Anwalt in derselben Angelegenheit weiter
  174. tätig wird. Dafür soll er grundsätzlich nicht mehr an Gebühren verdienen, als er
  175. erhalten hätte, wenn er von vornherein mit dem weiteren Tätigwerden beauftragt worden wäre (Satz 1). Der Anwalt soll seine Gebühren aber noch einmal
  176. verlangen können, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren
  177. im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 RVG erledigt ist (Satz 2). Ob die weitere Tätigkeit einen neuen Auftrag erfordert, dürfte unmaßgeblich sein.
  178. 15
  179. c) Die Frage muss hier nicht entschieden werden. Ein Rechtsanwalt kann
  180. jedenfalls in analoger Anwendung von § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG erneut Gebühren verlangen, wenn er nach dem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, der
  181. mehr als zwei Kalenderjahre nach Zustellung des Urteils eingelegt worden ist,
  182. in dem gerichtlichen Verfahren weiter tätig wird. Es kommt nicht darauf an, ob
  183. diese Tätigkeit auf einem neuen oder auf dem scheinbar erledigten alten Auftrag beruht.
  184. 16
  185. aa) Die Vorschrift des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG trifft keine Aussage dazu,
  186. ob die Tätigkeit eines Rechtsanwalts nach einem Einspruch, der mehr als zwei
  187. Kalenderjahre nach Erlass des Versäumnisurteils eingelegt worden ist, als neue
  188. Angelegenheit im Sinne dieser Vorschrift gilt. Könnte der Rechtsanwalt für eine
  189. solche Tätigkeit nur dann noch einmal Gebühren verlangen, wenn ihm ein neuer Auftrag im Sinne der Rechtsprechung des VII. und des XII. Zivilsenats des
  190. Bundesgerichtshofs erteilt würde, hätte der Gesetzgeber diese Fallgestaltung
  191. übersehen, obwohl sie von dem der Vorschrift zu Grunde liegenden Gedanken,
  192. dass der Rechtsanwalt sich, weil eine lange Zeit vergangen ist, vollkommen neu
  193. einarbeiten muss (BT-Drucks. 12/6962 S. 102 zur Vorgängerregelung des § 13
  194. Abs. 5 Satz 2 BRAGO), erfasst wird. Da sich die Fallkonstellation bei Schaffung
  195. - 10 -
  196. des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG bzw. des inhaltsgleichen § 13 Abs. 5 Satz 2
  197. BRAGO nicht aufdrängte, lässt sich der unterbliebenen Regelung keine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gegen einen Anspruch des Anwalts
  198. auf erneute Gebühren entnehmen. Es ist deshalb von einer planwidrigen Lücke
  199. auszugehen.
  200. 17
  201. Die Lücke ist durch eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 5 Satz 2
  202. RVG zu schließen. Der der Vorschrift zugrunde liegende Gedanke - der
  203. Rechtsanwalt muss sich, weil eine lange Zeit vergangen ist, vollkommen neu
  204. einarbeiten - passt auch hier. Wird nach mehr als zwei Kalenderjahren Einspruch gegen ein Versäumnisurteil eingelegt und das Verfahren fortgesetzt,
  205. muss ein Rechtsanwalt sich wegen des Zeitablaufs neu in die Angelegenheit
  206. einarbeiten. Es wäre unbillig, wenn er für seine weitere Tätigkeit nicht erneut
  207. Gebühren erhalten würde.
  208. 18
  209. bb) Ein der analogen Anwendung von § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG entgegenstehender Wille des Gesetzgebers ergibt sich, anders als das Beschwerdegericht meint, nicht aus § 15 Abs. 5 Satz 3 RVG. Aus dieser durch das Gesetz
  210. zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) und zur
  211. Änderung anderer Vorschriften vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2182) geschaffenen Regelung lässt sich nicht auf ein „beredtes Schweigen“ des Gesetzgebers schließen, das es verbieten könnte, § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG auf weitere
  212. Fälle analog anzuwenden. Der Gesetzgeber wollte im Hinblick auf die Rechtsprechung des XII. Zivilsenats (Beschluss vom 11. August 2010 - XII ZB 60/08,
  213. FamRZ 2010, 1723) lediglich sicherstellen, dass der Fall der Vergleichsanfechtung und der Fall der Wiedereröffnung des Verfahrens auf Antrag des Klägers
  214. nach der Beendigung des Verfahrens auf der Grundlage eines in einem Musterverfahren geschlossenen Vergleichs gleichgestellt werden (BT-Drucks.
  215. - 11 -
  216. 17/8799 S. 28). Daraus kann nicht gefolgert werden, er habe in § 15 Abs. 5
  217. Satz 3 RVG eine abschließende Regelung treffen, jede weitere analoge Anwendung von § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG also ausschließen wollen.
  218. 19
  219. 3. Die Vergütung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin für die Tätigkeit nach dem Einspruch gegen das Versäumnisurteil ist aber, anders als von
  220. ihr beantragt, nach dem bei Erteilung des unbedingten Prozessauftrags im Jahr
  221. 2007 geltenden Recht zu berechnen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 2 RVG). Die
  222. 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG aus 1.670.697,35 € (§ 22 Abs. 1
  223. RVG) beträgt 8.574,80 € und die 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV-RVG
  224. 7.915,20 €. Bei Hinzurechnung der Postentgeltpauschale nach Nr. 7002
  225. VV-RVG von 20,00 € und der Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG in Höhe
  226. von 3.136,90 € belaufen sich die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden weiteren Kosten auf 19.646,90 €. Auf die Rechtsbeschwerde war daher
  227. unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen der Beschluss des Berufungsgerichts entsprechend abzuändern.
  228. - 12 -
  229. IV.
  230. 20
  231. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, Nr. 1812 und
  232. 1826 KV-GKG. Für das Beschwerde- und das Rechtsbeschwerdeverfahren war
  233. nach billigem Ermessen zu bestimmen, dass eine Gerichtsgebühr nicht zu erheben ist.
  234. Stresemann
  235. Schmidt-Räntsch
  236. Haberkamp
  237. Kazele
  238. Hamdorf
  239. Vorinstanzen:
  240. LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 23.10.2015 - 14 O 31/14 OLG Brandenburg, Entscheidung vom 03.11.2016 - 6 W 79/16 -