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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. StB 27/16
  4. vom
  5. 8. September 2016
  6. Nachschlagewerk: ja
  7. BGHSt:
  8. nein
  9. Veröffentlichung:
  10. ja
  11. VStGB § 8 Abs. 1 Nr. 9
  12. Auch ein Verstorbener gilt als nach dem humanitären Völkerrecht zu
  13. schützende Person im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB.
  14. BGH, Beschluss vom 8. September 2016 - StB 27/16 - OLG Frankfurt am Main
  15. in dem Strafverfahren
  16. gegen
  17. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland u.a.
  18. ECLI:DE:BGH:2016:080916BSTB27.16.0
  19. -2-
  20. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie
  21. des Beschwerdeführers und seiner Verteidiger am
  22. 8. September 2016 gemäß § 304 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO
  23. beschlossen:
  24. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. August
  25. 2016 wird verworfen.
  26. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
  27. tragen.
  28. Gründe:
  29. I.
  30. 1
  31. Der Angeklagte wurde am 25. Februar 2015 aufgrund des Haftbefehls
  32. des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Februar 2015 (6120 Js
  33. 206406/14) festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
  34. Nachdem der Senat diesen Haftbefehl durch Beschluss vom 28. Juli 2016 (AK
  35. 41/16) wegen Unverhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs der Untersuchungshaft auf dessen Grundlage aufgehoben hat, wird die Untersuchungshaft nunmehr aufgrund des Haftbefehls des Oberlandesgerichts Frankfurt am
  36. Main vom 16. Juni 2016 (5 - 3 StE 4/16 - 4 - 3/16) vollzogen.
  37. 2
  38. Gegenstand dieses Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe in
  39. der Zeit von September 2013 bis Anfang Februar 2014 in Syrien als mit einem
  40. Sturmgewehr des Typs Kalaschnikow bewaffnetes Mitglied des "ISIG" an
  41. -3-
  42. Kampfhandlungen und der Verstümmelung der Leiche eines gegnerischen
  43. Kämpfers mitgewirkt sowie eine propagandistisch nutzbare Videoaufnahme
  44. dieser Verstümmelung erstellt und sich dadurch in zwei Fällen als Mitglied an
  45. einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten
  46. darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder
  47. Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen, dabei jeweils
  48. tateinheitlich die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen ausgeübt, ohne dass
  49. der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem Gesetz
  50. über die Kontrolle von Kriegswaffen beruht habe oder eine Anzeige nach § 12
  51. Abs. 6 Nr. 1 oder § 26a KrWaffKontrG erstattet worden sei, sowie in einem Fall
  52. tateinheitlich damit im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person
  53. in schwerwiegender Weise entwürdigend und erniedrigend behandelt (strafbar
  54. gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB, § 22a Abs. 1
  55. Nr. 6 KrWaffKontrG, § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB).
  56. 3
  57. Wegen des dem Haftbefehl zugrunde liegenden Vorwurfs hat der Generalbundesanwalt unter dem 25. Mai 2016 Anklage beim Oberlandesgericht
  58. Frankfurt am Main erhoben. Mit Beschluss vom 5. August 2016 hat das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Dagegen hat
  59. der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 8. August 2016 Beschwerde eingelegt.
  60. II.
  61. 4
  62. Die Beschwerde ist unbegründet.
  63. 5
  64. 1. Der Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.
  65. -4-
  66. 6
  67. a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden
  68. Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
  69. 7
  70. aa) Der "Islamische Staat im Irak und in Großsyrien" (im Folgenden:
  71. ISIG) bzw. nunmehr der "Islamische Staat" (im Folgenden: IS) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich
  72. ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die
  73. historische Region "ash-Sham" - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden
  74. "Gottesstaat" zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak
  75. und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer
  76. nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der
  77. sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als "Feind des Islam" begreift; die Tötung
  78. solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.
  79. 8
  80. Die Organisation geht zurück auf die als "al-Qaida im Irak (AQI)" bekannt
  81. gewordene, von Abu Musab al-Zarqawi geführte Gruppierung "Tanzim Qa'idat
  82. al-Jihad fi Bilad ar-Rafidain" ("Organisation der Basis des Jihad im Zweistromland") und deren Vorgängerorganisationen. Nach Leistung des Treueids auf
  83. Osama bin Laden und dessen "al-Qaida" ernannte bin Laden al-Zarqawi im
  84. Dezember 2005 zu seinem Stellvertreter im Irak.
  85. 9
  86. Im Jahr 2006 schloss sich die Vereinigung mit anderen Gruppierungen
  87. unter der Dachorganisation "Schura-Rat der Mudschahedin im Irak" zusammen, aus der nach dem Tod al-Zarqawis im Juni 2006 der "Islamische Staat im
  88. Irak" (ISI) unter der Führung von Abu Ayyub al-Masri hervorging. Nachdem dieser im Frühjahr 2010 bei einer Operation der US-Armee getötet worden war,
  89. übernahm Abubakr al-Baghdadi die Führung des ISI und griff ab dem Jahr
  90. -5-
  91. 2012 - einem Aufruf des Anführers der al-Qaida, al-Zawahiri, folgend - in den
  92. syrischen Bürgerkrieg ein, indem er Kämpfer dorthin entsandte. Im Januar 2012
  93. hatten sich die in Syrien agierenden, überwiegend syrischen Kämpfer unter der
  94. Führung des im Irak kampferprobten Syrers Muhammad al-Jaulani zu der terroristischen Vereinigung "Jabhat an-Nusra li-Ahl ash-Sham" (im Folgenden: JaN)
  95. zusammengeschlossen, die von al-Baghdadi als dem ISI unterstehende Regionalorganisation vorgesehen war. Um seinen Führungsanspruch zu dokumentieren, verkündete er im April 2013 den Zusammenschluss von ISI und JaN zur
  96. Organisation "Islamischer Staat Irak und Großsyrien". Al-Jaulani lehnte diesen
  97. Zusammenschluss in der Folgezeit zwar ab und betonte die Eigenständigkeit
  98. der JaN; gleichwohl setzte sich der von al-Baghdadi befehligte ISIG mit eigenen
  99. Kämpfern in Syrien fest und erhielt als radikalere Organisation vielfach Zulauf
  100. von Mudschahedin anderer Organisationen, etwa der JaN. Nachdem ein
  101. Schlichtungsversuch der al-Qaida-Führung erfolglos geblieben war, kam es
  102. Anfang des Jahres 2014 zum Bruch al-Baghdadis sowohl mit al-Qaida als auch
  103. mit der JaN, der im April 2014 mit einer öffentlichen Lossagung des ISIG vom
  104. al-Qaida-Netzwerk bestätigt wurde.
  105. 10
  106. Dem ISIG gelang es, sich in einigen Regionen Nordsyriens als Ordnungsmacht festzusetzen. Aus dem Kampf gegen das Assad-Regime zog sich
  107. die Organisation in der Folge weitgehend zurück und konzentrierte sich auf die
  108. Machterhaltung in den von ihr beherrschten Gebieten. Angehörige anderer Oppositionsgruppen sowie Teile der Zivilbevölkerung, die den Herrschaftsanspruch des ISIG in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Im August 2013 kam es bei Operationen mehrerer Gruppen in
  109. der Provinz Latakia unter der Führung des ISIG zu Massakern unter der regierungstreuen alawitischen Zivilbevölkerung, denen 190 Menschen zum Opfer
  110. fielen; weitere ca. 200 wurden entführt. Unter den syrischen Oppositionsgrup-
  111. -6-
  112. pen ist die Organisation wegen des von ihr eingeschlagenen Weges zwischenzeitlich isoliert; teils im offenen Kampf gegen den ISIG haben andere Gruppierungen in einigen Regionen wieder die Oberhand gewonnen. Auch al-Qaida
  113. distanzierte sich Mitte Mai 2014 ausdrücklich vom Vorgehen des ISIG.
  114. 11
  115. Wegen der Parteinahme der libanesischen "Hizbollah" für das AssadRegime verübte der ISIG ferner am 2. Januar 2014 einen Bombenanschlag in
  116. einem schiitischen Wohngebiet von Beirut, der vier Menschen tötete und 77
  117. verletzte. Daneben kam es zu weiteren Aktionen im Irak, so zu dem Überfall auf
  118. die Gefängnisse in Abu Ghuraib und Tadshi am 22. Juli 2013 sowie einem
  119. Selbstmordanschlag in Arbil am 29. September 2013 mit jeweils mehreren Todesopfern.
  120. 12
  121. In der Folge verlagerte der ISIG seine Aktivitäten zunehmend in den Irak,
  122. wo es ihm Anfang Juni 2014 u.a. gelang, die Stadt Mosul unter seine Gewalt zu
  123. bringen.
  124. 13
  125. Die Führung des ISIG bestand aus dem "Emir" Abu Bakr al-Baghdadi,
  126. dem "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche unterstellt waren, so
  127. ein "Kriegsminister" und ein "Propagandaminister". Der Führungsebene zugeordnet waren beratende "Shura-Räte" sowie "Gerichte", die über die Einhaltung
  128. der Regeln der Sharia wachten. Veröffentlichungen wurden in der Medienabteilung "Al-Furqan" produziert und über die Medienstelle "al-I'tisam" verbreitet.
  129. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung bestand aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift: "Allah Rasul - Muhammad", auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die etwa 10.000 Kämpfer - im Kern sunnitische
  130. Teile der ehemaligen Streitkräfte des Regimes von Saddam Hussein - waren
  131. -7-
  132. dem "Kriegsminister" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem
  133. Kommandeur gegliedert.
  134. 14
  135. Im Juni 2014 rief der offizielle Sprecher des ISIG das "Kalifat" aus und
  136. erklärte al-Baghdadi zum "Kalifen", dem die Muslime weltweit Gehorsam zu
  137. leisten hätten. Zugleich wurde die Umbenennung des ISIG in "Islamischer
  138. Staat" (IS) verkündet. Dadurch verdeutlichte die Vereinigung - bei Beibehaltung
  139. der bisherigen ideologischen Ausrichtung - eine Abkehr von der regionalen
  140. Selbstbeschränkung auf ein "Großsyrien" und erhob einen Führungs- und Herrschaftsanspruch in Bezug auf das gesamte "Haus des Islam". Zugleich eingeleitete organisatorische Veränderungen, so die Bildung von "Räten" für Einzelressorts, die Einteilung der besetzten Gebiete in Gouvernements und die Einrichtung eines Geheimdienstapparates zielen auf die Schaffung totalitärer
  141. staatlicher Strukturen.
  142. 15
  143. bb) Der Angeklagte ließ sich am 17. September 2013 beim ISIG als
  144. Kämpfer registrieren. Er gliederte sich von diesem Tag an bis Anfang Februar
  145. 2014 zwecks Erfüllung einer vermeintlichen religiösen Pflicht in Kenntnis und
  146. Billigung der Ziele und Vorgehensweisen des ISIG wissentlich und willentlich in
  147. die Organisation sowie deren Weisungshierarchie ein und ordnete sich dem
  148. Willen der Führung des ISIG unter. Er beteiligte sich fortlaufend - zum Beispiel
  149. am 10. Oktober sowie am 6., 7. und 8. November 2013 - an bewaffneten
  150. Kämpfen des ISIG. Er war dabei mit einem Sturmgewehr vom Typ Kalaschnikow ausgerüstet und in einen Kampfverbund von mindestens fünf Personen
  151. eingebunden, der sich in die vorderste Reihe der Kampflinien begab, von denen sich jedenfalls eine im November 2013 nahe Aleppo befand.
  152. 16
  153. Am 7. November 2013 rückte die Einheit des ISIG, der auch der Angeklagte angehörte, gegen 6.10 Uhr in eine von gegnerischen Kämpfern aufge-
  154. -8-
  155. gebene Stellung ein, die sich an einem nicht näher bekannten Ort in der Gegend von Aleppo befand. Der Angeklagte und seine Mitkämpfer suchten dort
  156. zunächst nach verwertbaren Gegenständen wie Waffen und Proviant. Gegen
  157. 6.55 Uhr traten sie aufgrund eines gemeinsam gefassten Entschlusses an den
  158. auf der Erde liegenden Leichnam eines entweder im Kampf gefallenen oder in
  159. Gefangenschaft ermordeten gegnerischen Kämpfers heran, um diesen zu
  160. misshandeln und zu schmähen. Während der Angeklagte das Geschehen mit
  161. seinem Mobiltelefon filmte, schnitt ein Mitkämpfer dem Getöteten mithilfe eines
  162. Messers beide Ohren und die Nase ab.
  163. 17
  164. Der Angeklagte begleitete diese Handlungen durch Ausrufe wie "jetzt
  165. schneiden wir ihm Ohren ab", "ab die Nase", "in die Hölle, in die Hölle ... Allahu
  166. Akbar ... Allahu Akbar" sowie durch höhnisches Lachen. Mit den Worten "mögest du in der Hölle schmoren, du Hurensohn!" versetzte der Angeklagte dem
  167. Getöteten sodann einen Tritt in das entstellte Gesicht. Danach schwenkte er
  168. die Aufnahme auf sein eigenes Gesicht und sprach mit erhobenem Zeigefinger
  169. das muslimische Glaubensbekenntnis. Anschließend forderte er einen nicht
  170. näher identifizierten, mit einem Sturmgewehr bewaffneten Milizionär seiner
  171. Einheit mit den Worten "Kuffar! Mach jetzt, im Namen Allahs!" auf, dem Getöteten in den Kopf zu schießen, was der Mitkämpfer auch tat. Durch den Austritt
  172. des Geschosses wurde ein Stück des Schädels des Leichnams weggesprengt.
  173. Der Angeklagte filmte die ausgetretene Gehirnmasse in Nahaufnahme und
  174. kommentierte dies mit den Worten "Allah sei Dank". Dabei kam es dem Angeklagten und seinen Mitkämpfern darauf an, den Getöteten, den sie als "Ungläubigen" ansahen, zu verhöhnen und in seiner Totenehre herabzuwürdigen,
  175. wobei der Angeklagte die Erniedrigung durch die Filmaufnahmen bewusst und
  176. gewollt vertiefte.
  177. -9-
  178. 18
  179. b) Der dringende Tatverdacht beruht im Hinblick auf die terroristische
  180. Vereinigung ISIG bzw. IS auf den diesbezüglichen Auswerteberichten des Bundeskriminalamtes und Gutachten des Sachverständigen Dr. S.
  181. 19
  182. .
  183. Der dringende Verdacht, dass sich der Angeklagte beim ISIG als Kämpfer registrieren ließ und sich anschließend - bewaffnet mit einem Sturmgewehr
  184. des Typs Kalaschnikow - an Kampfhandlungen der Organisation beteiligte,
  185. ergibt sich aus Vermerken des Bundeskriminalamtes, wonach diesem am
  186. 25. Februar 2016 insgesamt 50 Personalbögen übergeben wurden, die nach
  187. den bislang vorliegenden Erkenntnissen von der "Generaldirektion der Grenze"
  188. des ISIG ausgestellt wurden und Registrierungsdaten von Personen enthalten,
  189. die zum ISIG nach Syrien gereist sind; auf einem der Personalbögen befinden
  190. sich Daten, die dem Angeklagten zuzuordnen sind. Außerdem übermittelten die
  191. türkischen Ermittlungsbehörden Lichtbilder, die den mit einem Hemd bekleideten Angeklagten zeigen, auf dessen linken Ärmel ein Emblem aufgenäht ist,
  192. das den Ausführungen des Islamwissenschaftlers Sch.
  193. zufolge den arabi-
  194. schen Namenszug des ISIG zeigt. Die Teilnahme des Angeklagten an den
  195. Kampfhandlungen sowie an der Leichenschändung wird überdies durch diverse
  196. Videoaufnahmen belegt, die auf dem Mobilfunkgerät des Angeklagten gesichert
  197. wurden.
  198. 20
  199. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in dem
  200. Haftbefehl sowie der Anklageschrift und die dort in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.
  201. 21
  202. c) Danach hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit in zwei
  203. Fällen als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und
  204. deren Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag
  205. (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu bege-
  206. - 10 -
  207. hen, und dabei jeweils tateinheitlich die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen
  208. ausgeübt, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen beruhte oder eine
  209. Anzeige nach § 12 Abs. 6 Nr. 1 oder § 26a KrWaffKontrG erstattet worden war,
  210. sowie in einem Fall tateinheitlich damit im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu
  211. schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend und erniedrigend
  212. behandelt, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2
  213. StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG, § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB, § 25 Abs. 2,
  214. §§ 52, 53 StGB.
  215. 22
  216. Die nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB strafbewehrte schwerwiegende entwürdigende oder erniedrigende Behandlung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person - wozu gemäß § 8 Abs. 6 Nr. 3 VStGB insbesondere Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei zählen,
  217. welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind - erfasst auch Verstorbene; die Vorschrift dient insoweit auch dem Schutz der Totenehre bzw. der über den Tod hinaus fortwirkenden Würde des Menschen
  218. (Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1238; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, 2. Aufl., § 8 VStGB Rn. 204). Das ergibt sich aus dem Sinn und
  219. Zweck der Norm. Der Gesetzgeber wollte mit dem VStGB die Strafvorschriften
  220. des Römischen Statuts (IStGH-Statut) umsetzen und sicherstellen, dass
  221. Deutschland stets in der Lage ist, die in die Zuständigkeit des Internationalen
  222. Strafgerichtshofs (IStGH) fallenden Verbrechen selbst zu verfolgen, weshalb
  223. die durch das VStGB normierte Strafbarkeit gegenüber derjenigen nach dem
  224. IStGH-Statut teilweise sogar bewusst ausgedehnt wurde (BT-Drucks. 14/8524,
  225. S. 12). § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB orientiert sich an Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi)
  226. und Buchst. c (ii) IStGH-Statut (BT-Drucks. 14/8524, S. 28), wonach die ent-
  227. - 11 -
  228. würdigende und erniedrigende Behandlung in internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten als Kriegsverbrechen erfasst wird. Zur Auslegung dieser Norm dienen gemäß Art. 9 Abs. 1 IStGH-Statut die sog. Verbrechenselemente. Darin ist im Hinblick auf die Elemente, die Art. 8 Abs. 2
  229. Buchst. b (xxi) und Buchst. c (ii) IStGH-Statut betreffen, jeweils in einer Fußnote ausgeführt, dass auch Tote erfasst sind (Verbrechenselemente zu Art. 8
  230. Abs. 2 Buchst. b (xxi), Ziffer 1 Fn. 49; zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. c (ii), Ziffer 1
  231. Fn. 57). Gleichermaßen ist dementsprechend auch § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB zu
  232. verstehen (vgl. zu allem Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1236, 1238).
  233. 23
  234. Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Das folgt hinsichtlich der Mitgliedschaft des Angeklagten in einer terroristischen Vereinigung im Ausland entweder unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom
  235. 31. Juli 2009 - StB 34/09, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 1) oder - ebenso
  236. wie im Hinblick auf den Verstoß gegen § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG - aus
  237. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil der Angeklagte Deutscher ist und das Gebiet, in
  238. dem er sich als Mitglied des ISIG bzw. IS bei den Kampfhandlungen beteiligte,
  239. effektiv keiner staatlichen Strafgewalt unterlag. Im Übrigen sind Personenzusammenschlüsse, die sich terroristischer Akte bedienen, um die grundlegende
  240. Gesellschaftsordnung zu ändern, gemäß Art. 304 bis 306 des syrischen Strafgesetzbuches und das Tragen bzw. der Besitz von Schusswaffen ohne Waffenschein nach den §§ 39, 41 des syrischen Präsidialerlasses Nr. 51 vom
  241. 24. September 2001 am Tatort ebenfalls mit Strafe bedroht. Die Anwendbarkeit
  242. des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB ergibt sich aus § 1 VStGB.
  243. 24
  244. Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung
  245. zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern oder Unterstützern des ISIG
  246. bzw. IS liegt vor.
  247. - 12 -
  248. 25
  249. 2. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2
  250. StPO) und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO).
  251. 26
  252. a) Der Angeklagte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer hohen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine
  253. hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Insbesondere sind die
  254. persönlichen und familiären Bindungen des Angeklagten nicht geeignet, den
  255. Fluchtanreiz zu relativieren. Sie haben ihn nicht davon abgehalten, schon einmal nach Syrien zu reisen, um sich dem ISIG anzuschließen. Auch seine Ehefrau nach islamischem Ritus,
  256. H.
  257. , und seine Kinder waren bereits
  258. aus Deutschland ausgereist. Zudem ist nicht ersichtlich, dass der Angeklagte
  259. seine religiös-fanatische Motivation, die seiner mitgliedschaftlichen Beteiligung
  260. am ISIG zugrunde lag, aufgegeben hat. In Anbetracht dessen ist zu erwarten,
  261. dass sich der Angeklagte, sollte er in Freiheit gelangen, dem Strafverfahren
  262. entziehen wird (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
  263. 27
  264. b) Jedenfalls begründen die genannten Umstände entgegen der Ansicht
  265. des Beschwerdeführers die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere
  266. Inhaftierung des Angeklagten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer
  267. der Untersuchungshaft auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) auf den
  268. Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO gestützt werden
  269. kann.
  270. 28
  271. c) Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO sind
  272. aus den oben genannten Gründen nicht erfolgversprechend.
  273. 29
  274. 3. Schließlich steht die Fortdauer der Untersuchungshaft entgegen der
  275. Ansicht des Beschwerdeführers auch unter Berücksichtigung der bereits vollzo-
  276. - 13 -
  277. genen Untersuchungshaft sowie der in der Türkei erlittenen Freiheitsentziehung
  278. nicht außer Verhältnis zu der Schwere der dem Angeklagten zur Last gelegten
  279. Taten und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1
  280. Satz 1 StPO). Daraus, dass der Senat den der Untersuchungshaft ursprünglich
  281. zugrunde liegenden Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom
  282. 24. Februar 2015 durch Beschluss vom 28. Juli 2016 unter diesem Gesichtspunkt aufgehoben hat, ergibt sich nichts anderes. Gegenstand dieses Haftbefehls war der Vorwurf, der Angeklagte habe sich in der Zeit von Oktober 2013
  283. bis zum 9. Februar 2014 ein Maschinengewehr des Typs Kalaschnikow, Handgranaten sowie eine mit Ammonium- und Kaliumnitrat gefüllte Rohrbombe verschafft, um sich an den Kampfhandlungen islamistischer Gruppierungen gegen
  284. das Assad-Regime zu beteiligen, und die Rohrbombe am 9. Februar 2014 an
  285. H.
  286. übergeben, die noch am selben Tage mit der Sprengvorrich-
  287. tung im Gepäck nach Deutschland habe zurückfliegen wollen, und dadurch eine gegen das Leben gerichtete (§ 211 StGB) schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, die nach den Umständen bestimmt und geeignet gewesen
  288. sei, die Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen, indem er sich eine
  289. Schusswaffe und eine Sprengvorrichtung verschaffte (§ 89a Abs. 1 und 2 Nr. 2
  290. StGB), tateinheitlich damit über Kriegswaffen die tatsächliche Gewalt ausgeübt,
  291. ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach
  292. dem Kriegswaffenkontrollgesetz beruht habe (§ 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a
  293. KrWaffKontrG), sowie entgegen § 2 Abs. 3 WaffG i.V.m. Anl. 2 Abschnitt 1 Nr.
  294. 1.3.4 einen Gegenstand besessen, in dem unter Verwendung explosionsgefährlicher Stoffe eine Explosion ausgelöst werden könne (§ 52 Abs. 1 Nr. 1
  295. WaffG). Demgegenüber wiegen die dem Haftbefehl des Oberlandesgerichts
  296. Frankfurt am Main vom 16. Juni 2016 zugrunde liegenden Tatvorwürfe, wonach
  297. sich der Angeklagte über einen längeren Zeitraum an Kampfhandlungen sowie
  298. an einer Leichenschändung beteiligte, deutlich schwerer.
  299. - 14 -
  300. 30
  301. Der Einwand des Beschwerdeführers, dass das Verfahren insoweit zögerlich betrieben worden sei, geht fehl. Die nunmehr gegen den Angeklagten
  302. erhobenen Vorwürfe beruhen auf der Auswertung von Beweismitteln, die den
  303. Ermittlungsbehörden erst seit Februar 2016 zur Verfügung standen. Der Generalbundesanwalt hat insoweit bereits unter dem 25. Mai 2016 Anklage erhoben,
  304. die der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 14. Juli
  305. 2016 zur Hauptverhandlung zugelassen hat; die Hauptverhandlung vor dem
  306. Oberlandesgericht hat am 22. August 2016 begonnen. In Anbetracht dessen
  307. kann von einem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot keine Rede sein.
  308. Schäfer
  309. Gericke
  310. Tiemann