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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 77/06
  5. Verkündet am:
  6. 19. Juli 2007
  7. Bürk
  8. Jusitzhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. InsO §§ 76, 313 Abs. 2 Satz 3
  19. Soll der Treuhänder mit der Anfechtung beauftragt werden, so hat hierüber die Gläubigerversammlung durch Beschluss zu entscheiden. Dies gilt auch für ein vereinfachtes Insolvenzverfahren, an dem nur ein Gläubiger beteiligt ist.
  20. BGH, Urteil vom 19. Juli 2007 - IX ZR 77/06 - OLG Rostock
  21. LG Schwerin
  22. -2-
  23. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  24. vom 19. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer, die Richter
  25. Vill, Cierniak, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Detlev Fischer
  26. für Recht erkannt:
  27. Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 13. März 2006 wird auf Kosten des Klägers
  28. zurückgewiesen.
  29. Von Rechts wegen
  30. Tatbestand:
  31. 1
  32. W.
  33. (fortan Schuldner), über dessen Vermögen auf An-
  34. trag des Finanzamtes Schwerin mit Beschluss vom 3. März 2003 das vereinfachte Insolvenzverfahren eröffnet wurde, hatte mit notarieller Urkunde vom
  35. 14. Februar 2002 Kaufpreisansprüche gegen seine frühere Ehefrau an die Beklagte abgetreten. Als Gegenleistung hatte sich die Beklagte verpflichtet, den
  36. Schuldner bei Bedarf Zeit seines Lebens zu pflegen.
  37. 2
  38. Der Kläger wurde zum Treuhänder bestellt. Er nimmt die Beklagte im
  39. Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückabtretung sowie Rückzahlung zwischenzeitlich erhaltener 18.406,53 € in Anspruch. Das Finanzamt ist einziger
  40. Gläubiger im Verfahren. Es hat den Kläger mit schriftlicher Erklärung vom
  41. -3-
  42. 16. November 2004 mit der Durchführung der Insolvenzanfechtung gegen die
  43. Beklagte beauftragt.
  44. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Beru-
  45. 3
  46. fungsgericht hat der Berufung der Beklagten stattgegeben und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klaganspruch
  47. weiter.
  48. Entscheidungsgründe:
  49. 4
  50. Die Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
  51. I.
  52. 5
  53. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in NZI 2006, 357 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Kläger sei zur Insolvenzanfechtung nicht berechtigt.
  54. Nach § 313 Abs. 2 InsO sei der Treuhänder hierzu nur befugt, wenn die Gläubigerversammlung ihn beauftrage. Auch wenn nur ein Gläubiger, wie vorliegend
  55. gegeben, vorhanden sei, könne auf das Erfordernis der Beauftragung im Wege
  56. der Gläubigerversammlung nicht verzichtet werden. Die Gläubigerversammlung
  57. bestehe nicht nur aus den Gläubigern und dem Treuhänder, sondern sie finde
  58. im Rahmen einer Gerichtsverhandlung statt, an der das Insolvenzgericht mitzuwirken habe. Dem Gericht komme eine neutrale Stellung zu. Es habe insbesondere die Aufgabe, zwischen Gläubiger und Treuhänder, die nicht zwingend
  59. gleichlaufende Interessen verfolgen müssten, zu vermitteln. In der Gläubigerversammlung hätte das Gericht darüber befinden müssen, ob die Beauftragung
  60. -4-
  61. des Treuhänders sachdienlich sei, wenn es nur einen Gläubiger gebe, dem das
  62. durch die Anfechtung Erlangte zufließe. Der Umstand, dass nur ein Gläubiger
  63. vorhanden sei, spreche gerade nicht für die Entbehrlichkeit einer förmlichen
  64. Gläubigerversammlung.
  65. Im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft könne der Kläger die
  66. 6
  67. Rechte des Finanzamts nicht verfolgen. Es fehle am notwendigen, schutzwürdigen Interesse an der Prozessführung. Mit seiner Aufgabe als Partei kraft Amtes im öffentlichen Interesse sei die Tätigkeit des Treuhänders für einen Insolvenzgläubiger nicht vereinbar. Der vorgegebene Interessenwiderstreit zwischen
  68. Insolvenzmasse und dem nicht bevorrechtigten Gläubiger sei auch bei Beteiligung eines einzigen Gläubigers nicht aufgehoben.
  69. II.
  70. 7
  71. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
  72. 8
  73. 1. Im vereinfachten Insolvenzverfahren werden die Aufgaben des Insolvenzverwalters durch den Treuhänder wahrgenommen. Im Gegensatz zum Regelinsolvenzverfahren steht das Anfechtungsrecht nicht ihm zu, sondern jeder
  74. Insolvenzgläubiger ist zur Anfechtung von Rechtshandlungen nach den §§ 129
  75. bis 147 InsO berechtigt. Diese die Gläubigerautonomie betonende Regelung
  76. (vgl. Pape, ZInsO 1999, 305) wird nunmehr durch § 313 Abs. 2 Satz 3 InsO,
  77. eingeführt durch das Insolvenzänderungsgesetz 2001, ergänzt. Danach kann
  78. die Gläubigerversammlung auch den Treuhänder mit der Anfechtung beauftragen.
  79. -5-
  80. Die mit § 313 Abs. 2 InsO a.F. erfolgte Verlagerung der Anfechtungs-
  81. 9
  82. kompetenz auf die Gläubiger, die eine Vereinfachung des Verfahrens und eine
  83. kostengünstige Abwicklung ermöglichen sollte (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf einer Insolvenzordnung, Bundestags-Drucksache 12/7302 S. 193), hat, wie der Novellengesetzgeber festgestellt
  84. hat, in der Praxis eine wirksame Durchsetzung der Anfechtung in nicht wenigen
  85. Verbraucherinsolvenzverfahren verhindert. Mit der zusätzlichen Möglichkeit,
  86. dem Treuhänder die Durchsetzung der Anfechtung zu übertragen, sollte die
  87. bisherige Zurückhaltung der Gläubiger und deren Informationsdefizit, was die
  88. einzelnen Anfechtungsumstände anging, überwunden werden (Entwurf eines
  89. Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze, Bundestags-Drucksache 14/5680, S. 33). Die vom Gesetzgeber gewählte Verfahrensweise, die Beauftragung des Treuhänders durch die Gläubigerversammlung
  90. auszusprechen, bedeutet zugleich, dass hierdurch von der zunächst angestrebten Verfahrensvereinfachung und einer kostengünstigen Abwicklung Abstand
  91. genommen wurde. Die Einschaltung der Gläubigerversammlung führt zu einem
  92. organisatorischen Mehraufwand für die Gläubiger und das gemäß § 74 InsO
  93. beteiligte Insolvenzgericht.
  94. 2. Nach § 313 Abs. 2 Satz 3 InsO kann die Beauftragung des Treuhän-
  95. 10
  96. ders nur durch Beschluss der Gläubigerversammlung erfolgen. Als Gläubigerversammlung ist dabei ausschließlich eine vom Insolvenzgericht einberufene
  97. und vom Gericht geleitete Zusammenkunft der Gläubiger anzuerkennen
  98. (Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 313 Rn. 2a; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZVI
  99. 2002, 5; Fuchs, ZInsO 2002, 358, 359). Eine spontane oder eine vom Verwalter
  100. einberufene Zusammenkunft ist keine Gläubigerversammlung im vorgenannten
  101. Sinn.
  102. -6-
  103. 11
  104. Beschlüsse, die nicht durch die vom Gericht geleitete Gläubigerversammlung gefasst werden, sind keine Beschlüsse im Sinne von § 76 InsO und
  105. daher nichtig (Kübler/Prütting, InsO § 76 Rn. 7). Entgegen auf den Wortlaut des
  106. § 76 Abs. 2 InsO bezogenen Erwägungen ist für die Durchführung einer Gläubigerversammlung nicht die Anwesenheit von mindestens zwei Gläubigern notwendig. Wie bereits zum Recht der Konkursordnung anerkannt (Jäger/Weber,
  107. KO 8. Aufl. § 94 Rn. 2; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 94 Rn. 2), ist es auch
  108. für das Verfahren der Beschlussfassung nach § 76 InsO ausreichend, dass
  109. mindestens ein Gläubiger anwesend ist und von seinem Stimmrecht Gebrauch
  110. macht (HK-InsO/Eickmann, InsO 4. Aufl. § 76 Rn. 5; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl.
  111. § 76 Rn. 18).
  112. 12
  113. 3. Entgegen der Ansicht der Revision kann bei einem Verbraucherinsolvenzverfahren, an dem nur ein Gläubiger beteiligt ist, nicht von den vorstehenden Grundsätzen abgewichen werden.
  114. 13
  115. a) Der Gesetzgeber hat mit der Einführung einer Anfechtungsmöglichkeit
  116. durch den Treuhänder in § 313 Abs. 2 Satz 3 InsO von der bisherigen Verfahrensvereinfachung, die durch eine Verlagerung der Anfechtungskompetenz auf
  117. die Gläubiger gekennzeichnet war, wieder Abstand genommen. Die von ihm
  118. gewählte Verfahrensweise, die Beauftragung im Wege der Beschlussfassung
  119. durch eine Gläubigerversammlung vorzunehmen, dient, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, dem Ausgleich möglicher unterschiedlicher
  120. Interessen, was durch die Leitungsbefugnis seitens des Insolvenzgerichts gewährleistet wird. Die Abhaltung einer Gerichtsverhandlung sichert ferner, dass
  121. etwaige Stimmrechtsausschlüsse beachtet werden (vgl. HK-InsO/Eickmann
  122. aaO § 76 Rn. 5; Kübler/Prütting InsO § 76 Rn. 22). Auch bei der Beteiligung nur
  123. eines Gläubigers können diese Umstände von Bedeutung sein.
  124. -7-
  125. 14
  126. b) Die vom Gesetzgeber gewählte Systematik, wonach - anders als bei
  127. der Anfechtung durch einen Gläubiger - dem Treuhänder die Anfechtungsbefugnis allein durch die Gläubigerversammlung übertragen werden kann, lässt
  128. keinen Raum für die von der Revision angestrebte Ausnahmeregelung. Würde
  129. für ein Insolvenzverfahren, an dem nur ein Gläubiger beteiligt ist, vom Erfordernis der Beauftragung im Wege der Gläubigerversammlung Abstand genommen
  130. werden, müsste zudem geklärt werden, ob dies auch für sonstige Verfahren, an
  131. denen nur wenige Gläubiger beteiligt sind, gleichermaßen zu gelten hat. Die
  132. von der Revision angeführten Gesichtspunkte einer Verfahrensvereinfachung
  133. und -beschleunigung würden sich dort ebenso stellen. Eine hinreichend klare
  134. Abgrenzung der Verfahren mit einem oder nur wenigen weiteren Gläubigern zu
  135. den übrigen Verfahren wäre kaum möglich. Für die vom Senat vertretene Auffassung spricht auch die vom Gesetzgeber in § 313 Abs. 2 InsO getroffene Kostentragungsregelung, nach der Massekosten nur dann entstehen sollen, wenn
  136. die Gläubigerversammlung den Auftrag zur Anfechtung erteilt hat, während in
  137. allen übrigen Fällen der Anfechtende Erstattung seiner Kosten nur aus dem
  138. durch den Rechtsstreit Erlangten erhält.
  139. 15
  140. Auch der von der Revision weiter geltend gemachte Gesichtspunkt, das
  141. Insolvenzgericht sei in seinem Eröffnungsbeschluss zunächst von der Durchführung des schriftlichen Verfahrens (§ 312 Abs. 2 InsO) ausgegangen, ist nicht
  142. geeignet, die Beschlussfassung in der Gläubigerversammlung für entbehrlich
  143. anzusehen. Das Insolvenzgericht hat seine Entscheidung selbst unter den Vorbehalt anderweitiger Erkenntnisse gestellt und deshalb davon gesprochen, es
  144. werde vorerst keine Gläubigerversammlung einberufen. Die Beauftragung des
  145. Treuhänders zur Anfechtung ist aber ein Umstand, der die Abhaltung einer vom
  146. Gericht durchzuführenden Gläubigerversammlung notwendig macht.
  147. -8-
  148. 16
  149. 4. Der Ansicht der Revision, aus der durch den Gläubiger ausgesprochenen Beauftragung könne eine gewillkürte Prozessstandschaft zur Führung des
  150. vorliegenden Anfechtungsprozesses abgeleitet werden, ist nicht zu folgen. Das
  151. Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, für die Einräumung
  152. einer gewillkürten Prozessstandschaft fehle es an einem schutzwerten rechtlichen Bedürfnis.
  153. 17
  154. Wird der Treuhänder im Wege der Beauftragung durch die Gläubigerversammlung mit der Führung eines Anfechtungsprozesses betraut, so kann er, im
  155. Gegensatz zu dem von der Gläubigerversammlung beauftragten Gläubiger, den
  156. Auftrag zur Anfechtung nicht ablehnen. Soweit die Gläubigerversammlung von
  157. ihrem in § 313 Abs. 2 Satz 3 InsO verankerten Recht der Beauftragung
  158. Gebrauch macht, erwächst aus dieser Entscheidung eine entsprechende Pflicht
  159. des Treuhänders zum Tätigwerden (Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 313
  160. Rn. 85). Nach entsprechender Beauftragung durch die Gläubigerversammlung
  161. führt der Treuhänder den Prozess als Partei kraft Amtes in gesetzlicher Prozessstandschaft (Uhlenbruck/Vallender aaO Rn. 86).
  162. 18
  163. Die Annahme einer zulässigen gewillkürten Prozessstandschaft setzt
  164. nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein schutzwürdiges
  165. Interesse des Prozessstandschafters an der Rechtsverfolgung voraus (vgl.
  166. BGHZ 119, 237, 242; 125, 197, 199; BGH, Urt. v. 3. April 2003 - IX ZR 287/99,
  167. NJW 2003, 2231, 2232). Angesichts des vom Gesetzgeber für notwendig erachteten Verfahrensweges zur Erlangung der gesetzlichen Prozessstandschaft
  168. ist kein berechtigtes Interesse des Treuhänders erkennbar, eine zusätzliche
  169. Möglichkeit zur Prozessführung zu erhalten.
  170. -9-
  171. 19
  172. 5. Ob ein einzelner Gläubiger den Treuhänder im Wege der Vertretung
  173. mit der Durchführung der Anfechtung betrauen kann (so Fuchs, ZInsO 2002,
  174. 358, 359), bedarf hier keiner Entscheidung. Eine derartige Prozessführung betrifft nicht dessen Eigenschaft als Treuhänder, sondern würde ein Tätigsein als
  175. Vertreter des jeweiligen Gläubigers bedeuten. Die Frage eines Parteiwechsels
  176. auf Klägerseite wurde in der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2006
  177. vor dem Berufungsgericht erörtert und klägerseits ausdrücklich verneint.
  178. Dr. Gero Fischer
  179. Vill
  180. Lohmann
  181. Cierniak
  182. Dr. Detlev Fischer
  183. Vorinstanzen:
  184. LG Schwerin, Entscheidung vom 06.09.2005 - 1 O 117/03 OLG Rostock, Entscheidung vom 13.03.2006 - 3 U 136/05 -