Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

203 lines
11 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 40/10
  4. vom
  5. 7. April 2011
  6. in dem Insolvenzverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. InsO § 295 Abs. 1 Nr. 3, § 292 Abs. 1 Satz 1 und 2
  14. Sieht der Treuhänder im Fall eines abhängig beschäftigten Schuldners von der gesetzlich gebotenen Offenlegung der Abtretungsanzeige gegenüber dessen Arbeitgeber ab, hat er die vom Schuldner abzuführenden Beträge eigenverantwortlich zu berechnen und monatlich einzuziehen.
  15. BGH, Beschluss vom 7. April 2011 - IX ZB 40/10 - LG Hamburg
  16. AG Hamburg
  17. -2-
  18. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Vill,
  19. Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
  20. am 7. April 2011
  21. beschlossen:
  22. Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss der
  23. 26. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 21. Januar 2010
  24. aufgehoben.
  25. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
  26. des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht Hamburg
  27. zurückverwiesen.
  28. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 10.297,48 € festgesetzt.
  29. Gründe:
  30. I.
  31. 1
  32. Das am 23. November 2004 eröffnete vereinfachte Insolvenzverfahren
  33. über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss vom 17. November
  34. 2008 aufgehoben. Der Schuldner ist seit Mai 2008 als Trainer einer EishockeyBundesligamannschaft beschäftigt. Statt seiner Arbeitgeberin die Abtretungserklärung des Schuldners anzuzeigen, vereinbarte der Treuhänder mit dem
  35. Schuldner die Zahlung eines monatlichen Betrages in Höhe von 321,29 €, der
  36. - 3 -
  37. dem vom Arbeitgeber abzuführenden pfändbaren Betrag entsprechen sollte. Mit
  38. anwaltlichem Schreiben vom 8. September 2009 stellte die Gläubigerin den Antrag, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, weil dieser dem
  39. Treuhänder verheimlicht habe, dass er neben seinem monatlichen Nettoeinkommen erhebliche geldwerte Sachleistungen sowie Prämienzahlungen für das
  40. Erreichen von Play-Off-Runden erhalten habe. Außerdem könne er als Cheftrainer eines Eishockey-Bundesligavereins ein erheblich höheres jährliches Einkommen beziehen, als ihm tatsächlich gezahlt werde. Nach Eingang des Versagungsantrags führte der Treuhänder eine Nachberechnung der vom Schuldner abzuführenden Beträge durch, die eine Nachzahlung von mehr als 15.000 €
  41. ergab, die der Schuldner entrichtete. Soweit der Schuldner geldwerte Vorteile
  42. erhielt, gab der Treuhänder gegenüber dem Insolvenzgericht an, hierüber informiert worden zu sein. Der Schuldner habe ihm sämtliche erforderlichen Unterlagen vorgelegt.
  43. 2
  44. Das Insolvenzgericht hat den Versagungsantrag der Gläubigerin zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit ihrer
  45. Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag auf Versagung der
  46. Restschuldbefreiung weiter.
  47. II.
  48. 3
  49. Die gemäß §§ 6, 7, 296 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
  50. ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie führt zur
  51. Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das
  52. Beschwerdegericht.
  53. - 4 -
  54. 4
  55. 1. Das Beschwerdegericht meint, die Antragstellerin verkenne, dass es
  56. zur Erfüllung von Obliegenheiten nicht erforderlich sei, dass der Schuldner regelmäßig Zahlungen erbringe. Dieser könne selbst entscheiden, wann und in
  57. welcher Höhe er Beträge an den Treuhänder abführe. Spätestens zum Ende
  58. der Wohlverhaltensperiode müssten die gesamten ihm obliegenden Zahlungen
  59. geleistet sein. Soweit die Gläubigerin vermute, dass der Schuldner mehr verdiene als dem Treuhänder mitgeteilt, gebe es dafür keine Anhaltspunkte. Der
  60. Schuldner habe sich auf die Berechnung der pfändbaren Beträge durch den
  61. Treuhänder verlassen können. Die geldwerten Leistungen seien dem Treuhänder bekannt gewesen. Dieser habe erklärt, durch den Schuldner immer unverzüglich unterrichtet worden zu sein. Es sei nicht ersichtlich, dass der Schuldner
  62. diesem etwas verheimlicht habe.
  63. 5
  64. 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
  65. 6
  66. a) Die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Schuldner in der Wohlverhaltensphase die von ihm zu erbringenden Zahlungen an den Treuhänder leisten
  67. muss, stellt sich nur für den Schuldner, der eine selbständige Tätigkeit ausübt
  68. (§ 295 Abs. 2 InsO). Diesem obliegt es, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Ob er diese Zahlungen innerhalb bestimmter Zeiträume leisten muss, oder ob er lediglich dafür zu sorgen hat, dass am Ende der
  69. Wohlverhaltensphase der Betrag zur Verfügung steht, den er insgesamt abzuführen hat (vgl. Pape in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl. § 17 Rn. 152 mwN), ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bislang nicht entschieden. Vorliegend geht es aber nicht um einen
  70. wirtschaftlich selbständigen Schuldner. Vielmehr geht der Schuldner einer abhängigen Beschäftigung nach. Für ihn gilt § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Er darf dem
  71. - 5 -
  72. Treuhänder keine von der Abtretungserklärung erfassten Bezüge verheimlichen.
  73. 7
  74. b) Nach § 292 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO ist der Treuhänder verpflichtet,
  75. den zur Zahlung der Bezüge Verpflichteten über die Abtretung zu unterrichten
  76. und die Beträge, die er durch die Abtretung erlangt, und sonstige Leistungen
  77. des Schuldners oder Dritter von seinem Vermögen getrennt zu halten und einmal jährlich aufgrund des Schlussverzeichnisses an die Insolvenzgläubiger zu
  78. verteilen.
  79. 8
  80. aa) Von dieser Verpflichtung ist der Treuhänder abgewichen, indem er im
  81. Einvernehmen mit dem Schuldner von der Vorlage der Abtretungserklärung bei
  82. dessen Arbeitgeber abgesehen hat. Diese möglicherweise letztlich nicht unbedenkliche Vorgehensweise entbindet den Schuldner jedenfalls nicht davon, monatlich die Beträge an den Treuhänder abzuführen, die im Fall der Unterrichtung des Arbeitgebers von der Abtretungserklärung vom Arbeitgeber abzuführen gewesen wären. Den Treuhänder trifft daher die Pflicht, die vom Schuldner
  83. monatlich abzuführenden Beträge anhand der jeweils zu aktualisierenden Angaben des Schuldners nach Maßgabe der §§ 850 ff ZPO zu ermitteln und vom
  84. Schuldner einzufordern. Zahlungen zu beliebigen Zeitpunkten darf der Treuhänder dem Schuldner nicht gestatten.
  85. 9
  86. bb) Dieser Pflicht hat der Treuhänder vorliegend nicht genügt. Hätte er
  87. die vom Schuldner abzuführenden Beträge anstelle des Arbeitgebers des
  88. Schuldners regelmäßig berechnet, wie es seine Aufgabe war, nachdem er die
  89. Abtretungserklärung dem Arbeitgeber nicht vorgelegt hat, hätte sich nicht eine
  90. Nachforderung von mehr als 15.000 € für den Zeitraum Mai 2008 bis April 2009
  91. ergeben dürfen. Diese Nachforderung erfasst zudem nach den Feststellungen
  92. - 6 -
  93. des Beschwerdegerichts nicht einmal den vollen vom Schuldner abzuführenden
  94. Betrag, weil der Treuhänder es unterlassen hat, die vom Arbeitgeber des
  95. Schuldners zur Verfügung gestellten "geldwerten Leistungen" zu berechnen (zu
  96. deren Berücksichtigung entsprechend § 850e Nr. 3 ZPO Wenzel, in Kübler/
  97. Prütting/Bork, InsO § 287 Rn. 8; MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl. § 287
  98. Rn. 37).
  99. 10
  100. c) Allerdings kann dem Schuldner die Restschuldbefreiung aufgrund der
  101. fehlerhaften Verfahrensweise des Treuhänders nicht versagt werden, weil der
  102. Schuldner die vom Treuhänder berechneten Beträge an den Treuhänder abgeführt hat. Insoweit ist es im Rahmen der Anwendung des § 295 Abs. 1 Nr. 3
  103. InsO unerheblich, ob der Schuldner die nach der Gesetzeslage von ihm zu entrichtenden Beträge gezahlt hat. Nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO führt nur das
  104. "Verheimlichen" von Bezügen, die von der Abtretungserklärung erfasst werden,
  105. zur Versagung der Restschuldbefreiung. Berechnet der Treuhänder dagegen
  106. die abzuführenden Beträge fehlerhaft, obwohl er durch den Schuldner zutreffend und vollständig informiert worden ist, hat das Zurückbleiben der Zahlungen
  107. des Schuldners hinter den bei zutreffender Berechnung geschuldeten Beträge
  108. für die Versagung der Restschuldbefreiung mangels Verletzung einer Obliegenheit des Schuldners keine Bedeutung. Soweit kein kollusives Zusammenwirken
  109. vorliegt, können sich allenfalls Nachforderungsansprüche gegen den Schuldner
  110. oder Schadensersatzansprüche gegen den Treuhänder bei pflichtwidriger Berechnung der vom Schuldner abzuführenden Beträge ergeben.
  111. 11
  112. d) Die Gläubigerin macht aber mit Recht geltend, das Beschwerdegericht
  113. habe ihren Vortrag zum Verheimlichen von Bezügen übergangen. Es hat sich
  114. nicht damit auseinandergesetzt, dass der Treuhänder danach trotz regelmäßiger Erhöhung der Nettobezüge des Schuldners auf bis zu 5.138,56 € ab Januar
  115. - 7 -
  116. 2009 noch im Juni 2009 von einem Nettogehalt von 3.800 € ausgegangen ist
  117. und eine Nachberechnung der vom Schuldner abzuführenden Beträge erst im
  118. Oktober 2009 vorgenommen hat, nachdem der Versagungsantrag der Gläubigerin bereits gestellt worden war. Wäre es zutreffend, dass der Schuldner den
  119. Treuhänder entsprechend seinen Verpflichtungen aus § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO
  120. tatsächlich fortlaufend zeitnah über seine erhöhten Nettobezüge unterrichtet
  121. hat, wäre das Schreiben des Treuhänders vom Juni 2009 - gleiches gilt für das
  122. Schreiben des Treuhänders vom 6. April 2009 - und die erst im Oktober 2009
  123. erfolgte Nachberechnung nicht zu erklären. Wann die Unterrichtung des Treuhänders über die erhöhten Nettobezüge tatsächlich erfolgt ist, hat das Beschwerdegericht nicht ermittelt.
  124. III.
  125. Die Entscheidung der Vorinstanz ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist
  126. 12
  127. noch nicht zur Endentscheidung reif und muss zurückverwiesen werden, § 577
  128. Abs. 4 Satz 1 ZPO. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes
  129. hin:
  130. 13
  131. Eine Versagung der Restschuldbefreiung aufgrund des Antrags der
  132. Gläubigerin vom 8. September 2009 kommt dann in Betracht, wenn der
  133. Schuldner dem Treuhänder entgegen § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO die von der
  134. Gläubigerin unwiderlegt dargestellten Leistungen seines Arbeitgebers einschließlich der geldwerten Sachleistungen und der jeweiligen Erhöhungen des
  135. Nettoeinkommens verheimlicht, d.h. nicht in einem engen zeitlichen Zusammenhang zu dem jeweiligen Bezugszeitpunkt von sich mitgeteilt hat (vgl. Pape,
  136. aaO Rn. 145 f), was hier schon im Hinblick auf die gewählte Vorgehensweise
  137. - 8 -
  138. erforderlich war. Der Treuhänder wird dazu unter Angabe des jeweiligen Datums mitzuteilen haben, wann der Schuldner ihm die Bezüge tatsächlich angezeigt hat.
  139. 14
  140. Sollte sich erweisen, dass der Schuldner die Bezüge nicht in dem durch
  141. § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorgegebenen engen zeitlichen Zusammenhang mitgeteilt hat, wird das Beschwerdegericht weiter zu beachten haben, dass eine Heilung der dann vorliegenden Obliegenheitsverletzung des Schuldners nur in Betracht kommt, wenn dieser die ihm obliegende Anzeige nachgeholt hat, bevor
  142. sein Verhalten aufgedeckt und ein Versagungsantrag gestellt worden ist (BGH,
  143. Beschluss vom 17. Juli 2008 - IX ZB 183/07, ZInsO 2008, 920 Rn. 13; vom
  144. - 9 -
  145. 22. Oktober 2009 - IX ZB 9/09, juris Rn. 8; vom 18. Februar 2010 - IX ZB
  146. 211/09, ZInsO 2010, 684 Rn. 6; vom 3. Februar 2011 - IX ZB 99/09, ZInsO
  147. 2011, 447 Rn. 2).
  148. Vill
  149. Gehrlein
  150. Grupp
  151. Pape
  152. Möhring
  153. Vorinstanzen:
  154. AG Hamburg, Entscheidung vom 15.12.2009 - 68c IK 314/04 LG Hamburg, Entscheidung vom 21.01.2010 - 326 T 2/10 -