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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- IX ZB 25/11
- vom
- 19. Januar 2012
- in dem Insolvenzverfahren
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- Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
- Prof. Dr. Kayser, die Richter Raebel, Prof. Dr. Gehrlein, Grupp und die Richterin
- Möhring
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- am 19. Januar 2012
- beschlossen:
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- Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 85
- des Landgerichts Berlin vom 30. November 2010 wird auf Kosten
- des weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
- Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.000 € festgesetzt.
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- Gründe:
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- I.
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- Der weitere Beteiligte zu 1 wurde mit Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zum Treuhänder bestellt.
- Das Insolvenzgericht beauftragte ihn nach § 8 Abs. 3 InsO, die erforderlichen
- Zustellungen an die Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme der Zustellungen an
- den Schuldner durchzuführen. Mit seinem Schlussbericht und dem Vergütungsantrag legte der weitere Beteiligte zu 1 dem Insolvenzgericht die Rechnung eines Drittunternehmers vor, dem er die Ausführung der Zustellungen übertragen
- hatte und der je Erstzustellung 30 € und je weiterer Zustellung 20 € berechnete.
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- Er kündigte an, diese Rechnung aus der Masse zu begleichen. Das Insolvenzgericht bestellte den weiteren Beteiligten zu 1 auch für die Wohlverhaltensperiode zum Treuhänder, äußerte aber Bedenken bezüglich der Erstattungsfähigkeit der eingereichten Rechnung. Im Folgenden stellte sich heraus, dass der
- weitere Beteiligte zu 1 die Rechnung bereits vollumfänglich aus der Masse beglichen hatte, obwohl von den abgerechneten zwölf Zustellungen nur drei Zustellungen von dem Drittunternehmer, die übrigen aber vom weiteren Beteiligten
- zu 1 selbst ausgeführt worden waren. Der Aufforderung des Insolvenzgerichts,
- den bezahlten Betrag bis auf einen Betrag von 2,70 € je Zustellung zu erstatten,
- kam der weitere Beteiligte zu 1 nicht nach.
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- Das Insolvenzgericht hat daraufhin den weiteren Beteiligten zu 1 entlassen und den weiteren Beteiligten zu 2 zum Treuhänder bestellt. Es hat seine
- Entscheidung damit begründet, dass der weitere Beteiligte zu 1 seine Amtspflichten verletzt habe. Dessen sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der weitere Beteiligte zu 1 mit der
- Rechtsbeschwerde.
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- II.
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- Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6, 292 Abs. 3 Satz 2, § 59
- Abs. 2 Satz 1 InsO i.V.m. Art. 103f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und
- auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2, § 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
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- 1. Das Beschwerdegericht hat offen gelassen, ob sich der Treuhänder
- pflichtwidrig verhalten hat. Es hat ausgeführt, als Entlassungsgrund komme neben einer Pflichtverletzung des Treuhänders auch eine Situation in Betracht, bei
- der das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Insolvenzgericht und
- dem Treuhänder in einem Maße gestört oder zerrüttet sei, dass ein gedeihliches Zusammenwirken nicht mehr möglich erscheine. Dies sei hier der Fall,
- weil zwischen dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder seit Jahren Streit
- über die Frage bestehe, ob der Treuhänder für die ihm nach § 8 Abs. 3 InsO
- übertragenen Zustellungsaufgaben einen Zuschlag zur Vergütung entsprechend § 3 Abs. 1 InsVV verlangen könne. Der Streit, der zu einer Vielzahl von
- Beschwerdeverfahren geführt habe, habe sich inzwischen auf die Frage ausgeweitet, ob der Treuhänder die Zustellungsaufgaben auf ein externes Unternehmen übertragen dürfe, das unter derselben Anschrift firmiere wie er selbst
- und dessen Vorstand seine Anwaltspartnerin sei, und ob er dafür Auslagenersatz verlangen könne. Schließlich habe das Insolvenzgericht den Treuhänder in
- zahlreichen anderen Verfahren entlassen.
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- 2. Diese Begründung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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- a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist es allerdings nicht zu
- beanstanden, dass das Beschwerdegericht mit der Störung des Vertrauensverhältnisses einen Gesichtspunkt herangezogen hat, auf den das Insolvenzgericht
- seine Entscheidung noch nicht gestützt hatte. Das Beschwerdegericht ist nicht
- auf die rechtliche Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung beschränkt,
- sondern kann als vollwertige zweite Tatsacheninstanz eine eigene Ermessensentscheidung treffen (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2008 - IX ZB 60/07, juris
- Rn. 2; vom 17. September 2009 - IX ZB 62/08, NZI 2009, 864 Rn. 3; Münch-
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- Komm-InsO/Ganter, 2. Aufl., § 6 Rn. 53a; HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 6
- Rn. 33).
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- b) Die Entlassung des Treuhänders setzt wie die Entlassung eines Insolvenzverwalters einen wichtigen, die Entlassung rechtfertigenden Grund voraus
- (§ 292 Abs. 3 Satz 2, § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO). Mit der vom Beschwerdegericht
- gegebenen Begründung lässt sich ein solcher nicht bejahen.
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- aa) Ein die Entlassung rechtfertigender wichtiger Grund liegt vor, wenn
- eine Pflichtverletzung des Verwalters feststeht und es in Anbetracht der Erheblichkeit der Pflichtverletzung, insbesondere ihrer Auswirkungen auf den Verfahrensablauf und die berechtigten Belange der Beteiligten, sachlich nicht mehr
- vertretbar erscheint, den Verwalter oder Treuhänder in seinem Amt zu belassen. Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vom Tatrichter zu treffen (BGH, Beschluss
- vom 8. Dezember 2005 - IX ZB 308/04, WM 2006, 440, 441; vom 9. Juli 2009
- - IX ZB 35/09, ZVI 2009, 404 Rn. 9; vom 17. März 2011 - IX ZB 192/10, ZVI
- 2011, 167 Rn. 18).
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- bb) Eine Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Insolvenzgericht reicht für die Entlassung des Verwalters
- nicht aus, wenn sie lediglich auf persönlichem Zwist beruht (BGH, Beschluss
- vom 8. Dezember 2005, aaO; vom 1. März 2007 - IX ZB 47/06, WM 2007, 842
- Rn. 8). Dies gilt entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts auch dann,
- wenn das Vertrauensverhältnis in einem Maße gestört ist, dass ein gedeihliches
- Zusammenwirken nicht mehr möglich erscheint. Denn mit einer Entlassung des
- Verwalters ist ein Eingriff in sein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf
- Berufsausübung nach Art. 12 GG verbunden (BGH, Beschluss vom 8. Dezem-
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- ber 2005 - IX ZB 308/04, WM 2006, 440, 441; vom 9. Juli 2009 - IX ZB 35/09,
- WM 2009, 1662 Rn. 6). Dieser Eingriff ist in der Regel nur dann als verhältnismäßig gerechtfertigt, wenn die Störung des Vertrauensverhältnisses ihre
- Grundlage in einem pflichtwidrigen Verhalten des Verwalters hat, welches objektiv geeignet ist, das Vertrauen des Insolvenzgerichts in seine Amtsführung
- schwer und nachhaltig zu beeinträchtigen (vgl. zur Entlassung des Mitglieds
- eines Gläubigerausschusses BGH, Beschluss vom 1. März 2007, aaO Rn. 6).
- Dabei kommt auch ein Fehlverhalten des Verwalters in einem anderen Insolvenzverfahren in Betracht, sofern aus diesem Verhalten zu schließen ist, dass
- die rechtmäßige und geordnete Abwicklung des laufenden Verfahrens bei einem Verbleiben des Verwalters im Amt nachhaltig beeinträchtigt werden würde.
- Dies kann etwa der Fall sein, wenn masseschädigende Verhaltensweisen erheblichen Umfangs in anderen Insolvenzverfahren die generelle Unzuverlässigkeit des Verwalters erweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2011 - IX ZB
- 192/10, WM 2011, 663 Rn. 20).
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- cc) Indem das Beschwerdegericht eine die gedeihliche Zusammenarbeit
- ausschließende Störung oder Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen
- dem Gericht und dem Treuhänder als Entlassungsgrund anerkennt, ohne dass
- es insoweit auf ein Verschulden des Treuhänders oder auf sonstige weitere
- sachliche Voraussetzungen ankäme, hat es diesen Maßstab verkannt.
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- 3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Nach dem vom Beschwerdegericht selbst festgestellten Sachverhalt und den von ihm in Bezug genommenen
- Feststellungen des Insolvenzgerichts ist die festgestellte schwere Störung des
- Vertrauensverhältnisses auf ein pflichtwidriges Verhalten des weiteren Beteilig-
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- ten zu 1 zurückzuführen, das objektiv geeignet war, eine solche Störung zu bewirken.
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- a) Vieles spricht dafür, dass der weitere Beteiligte zu 1 seine Pflichten als
- Treuhänder bereits dadurch verletzt hat, dass er mit der Durchführung der ihm
- übertragenen Zustellungen zu Lasten der Masse einen Drittunternehmer zu einem Preis beauftragte, der mit 30 € je Erstzustellung und 20 € je weiterer Zustellung erkennbar über dem Marktpreis gelegen haben dürfte. Die Kosten für
- die Ausführung einer Zustellung durch eigenes Personal des Insolvenzverwalters hat Graeber (ZInsO 2007, 204 f) mit rund 2,80 € je Zustellung ermittelt. Die
- Durchführung der Zustellungen darf zwar an Dritte übertragen werden (§ 8
- Abs. 3 Satz 2 InsO, § 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV). Eine Delegation auf Kosten der
- Masse muss aber - unbeschadet vergütungsrechtlicher Konsequenzen - zu
- marktüblichen Konditionen erfolgen.
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- b) Pflichtwidrig war jedenfalls, dass der weitere Beteiligte zu 1 die Beauftragung des Drittunternehmers mit der Durchführung der Zustellungen nicht sogleich dem Insolvenzgericht anzeigte. Vorstand des beauftragten Unternehmens war die Ehefrau und Mitgesellschafterin der Anwaltssozietät des weiteren
- Beteiligten zu 1. Ein Insolvenzverwalter ist verpflichtet, von sich aus dem Insolvenzgericht einen Sachverhalt anzuzeigen, der bei unvoreingenommener, lebensnaher Betrachtungsweise die ernstliche Besorgnis rechtfertigen kann, dass
- der Verwalter als befangen an seiner Amtsführung verhindert ist (BGH, Urteil
- vom 24. Januar 1991 - IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262, 275, 277). Zu § 42 ZPO
- ist anerkannt, dass die Ehe des Richters mit dem Vertretungsorgan einer beteiligten Partei ein Befangenheitsgrund sein kann (etwa Zöller/Vollkommer, ZPO,
- 29. Aufl., § 42 Rn. 12 unter Hinweis auf VGH Kassel, AnwBl 1991, 161; vgl.
- auch OLGR Jena 2000, 77 und LG Hanau, NJW-RR 2003, 1368). Entspre-
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- chend kann der Umstand, dass die Ehefrau des Treuhänders Vorstand des von
- ihm mit delegierten Aufgaben entgeltlich betrauten Unternehmens ist, die Besorgnis der Befangenheit des Treuhänders begründen. Er muss deshalb vom
- Treuhänder dem Insolvenzgericht angezeigt werden.
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- c) Zusammen mit seinem Vergütungsantrag legte der weitere Beteiligte
- zu 1 die Rechnung des Drittunternehmers dem Insolvenzgericht vor. Damit genügte er der Anzeigepflicht nach § 8 Abs. 2 InsVV. Pflichtwidrig verschwieg er
- aber, dass der Drittunternehmer zu dem überhöhten Preis auch Zustellungen
- abrechnete, die nicht von jenem, sondern vom weiteren Beteiligten zu 1 ausgeführt worden waren. Pflichtwidrig und möglicherweise strafbar war ferner, dass
- der weitere Beteiligte zu 1 die zu Unrecht berechneten Zustellungen an den
- Drittunternehmer bezahlte.
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- d) Jedenfalls in der Zusammenschau sind diese Pflichtverletzungen geeignet, das Vertrauen des Insolvenzgerichts in eine den gesetzlichen Vorschrif-
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- ten entsprechende, verlässlich korrekte und nicht ständiger Kontrolle bedürfende Amtsführung schwer und nachhaltig zu stören.
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- Kayser
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- Raebel
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- Grupp
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- Gehrlein
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- Möhring
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- Vorinstanzen:
- AG Berlin-Köpenick, Entscheidung vom 19.10.2010 - 34 IK 177/06 LG Berlin, Entscheidung vom 30.11.2010 - 85 T 449/10 -
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