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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- IX ZB 102/04
- vom
- 30. März 2006
- in dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung
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- Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Dr. Ganter,
- Kayser und Vill, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Fischer
- am 30. März 2006
- beschlossen:
- Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 16. Zivilsenats
- des Oberlandesgerichts Köln vom 19. März 2004 wird auf Kosten
- der Antragsgegnerin als unzulässig verworfen.
- Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
- 4.537,80 € festgesetzt.
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- Gründe:
- I.
- Die Antragsgegnerin (im Folgenden auch: Schuldnerin), die ihren Wohn-
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- sitz
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- in
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- Belgien
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- hat,
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- wurde
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- durch
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- Urteil
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- des
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- Kantonsgericht
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- Maast-
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- richt/Niederlande vom 23. April 2003 verurteilt, an die Antragstellerin (im Folgenden auch: Gläubigerin) 4.537,80 € zuzüglich Zinsen und Kosten zu zahlen.
- Die Gläubigerin möchte gegen die Schuldnerin, die in Deutschland arbeitet, hier
- vollstrecken.
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- Auf Antrag der Gläubigerin hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des
- Landgerichts das Urteil für vollstreckbar erklärt. Die gegen diesen Beschluss
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- eingelegte sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen wendet
- sich die Antragsgegnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
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- II.
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- Das gemäß § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte
- Rechtsmittel ist unzulässig; denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
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- Der Zulässigkeitsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 15 Abs. 1
- AVAG, § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) liegt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht vor. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu,
- wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige
- Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen
- kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGHZ 154, 288, 291;
- 159, 135, 137 f; BGH, Beschl. v. 22. September 2005 - IX ZB 7/04, NJW-RR
- 2006, 143, 144). Dabei prüft das Rechtsbeschwerdegericht bei der kraft Gesetzes statthaften Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 ZPO ebenso wie bei der
- Nichtzulassungsbeschwerde nur die Zulassungsgründe, welche die Rechtsmittelbegründung nach § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, § 16 Abs. 2 Satz 1 AVAG schlüssig und substantiiert dargelegt hat (BGH, Beschl. v. 29. September 2005
- - IX ZB 430/02, ZInsO 2005, 1162). Beruht die Beschwerdeentscheidung auf
- zwei selbständig tragenden Begründungen, ist die kraft Gesetzes statthafte
- Rechtsbeschwerde unzulässig, wenn nur hinsichtlich einer der beiden Begrün-
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- dungen die Zulässigkeitsvoraussetzungen dargelegt werden (BGH, Beschl. v.
- 29. September 2005 aaO).
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- 1. Die durch die Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob Art. 66
- Abs. 2 Buchst. a i.V.m. Art. 35 Abs. 1 EuGVVO dahingehend auszulegen ist,
- dass sich die Voraussetzungen für die Anerkennung einer nach Inkrafttreten der
- EuGVVO erlassenen Entscheidung auch dann nach den Vorschriften der Abschnitte 3, 4 und 6 des Kapitels II der EuGVVO beurteilen, wenn die Klage im
- Ursprungsmitgliedstaat vor Inkrafttreten der EuGVVO erhoben wurde, ist mit
- dem Beschwerdegericht zu verneinen. In Rechtsprechung und Literatur ist sie
- nicht ernsthaft umstritten.
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- a) Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) ist gemäß ihres Art. 76 Abs. 1 am 1. März
- 2002 in Kraft getreten. Sie findet gemäß Art. 66 Abs. 1 auf solche Klagen Anwendung, die erhoben bzw. aufgenommen worden sind, nachdem diese Verordnung in Kraft getreten ist. Im vorliegenden Fall ist dieses Erfordernis nicht
- erfüllt. Soweit die Rechtsbeschwerde dazu hinreichende Feststellungen vermisst, fehlt es an der Darlegung eines Zulässigkeitsgrundes. Die Antragstellerin
- hat vorgetragen, die Klageschrift sei der Antragsgegnerin durch Gerichtsvollzieher unter dem 5. September 2001 einschließlich deutscher Übersetzung mit
- Terminsladung zum 24. Oktober 2001 zugestellt worden. Dies hat die Schuldnerin nicht bestritten. Damit ist von der Klageerhebung vor dem 1. März 2002
- auszugehen (vgl. BGH, Urt. v. 14. November 1991 - IX ZR 250/90, WM 1992,
- 87, 88, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 116, 77; Geimer in Geimer/Schütze,
- Europäisches Zivilverfahrensrecht 2. Aufl. Art. 66 EuGVVO Rn. 3).
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- b) Ist die Klage im Ursprungsmitgliedstaat vor dem Inkrafttreten dieser
- Verordnung erhoben, die Entscheidung jedoch erst danach erlassen worden,
- richtet sich gemäß Art. 66 Abs. 2 EuGVVO deren Anerkennung und Vollstreckung nach Kapitel III der Verordnung, wenn die Klage im Ursprungsmitgliedstaat erhoben wurde, nachdem das Brüsseler Übereinkommen (EuGVÜ) oder
- das Übereinkommen von Lugano sowohl im Ursprungsmitgliedstaat als auch im
- Anerkennungsstaat in Kraft getreten war (Buchst. a) oder das Gericht aufgrund
- von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II oder eines Abkommens übereinstimmen, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen dem Ursprungsmitgliedsstaat und dem Anerkennungsstaat in
- Kraft war (Buchst. b).
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- Nach Art. 35 Abs. 1 des Kapitels III der Verordnung wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn die Vorschriften der Abschnitte 3, 4 und 6 des Kapitels II verletzt worden sind. Zum Abschnitt 4 gehören die Vorschriften über die
- Zuständigkeit bei Verbrauchersachen (Art. 15 bis 17 EuGVVO). Diese sind jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht anwendbar. Der dem Art. 15 Abs. 1
- EuGVVO zeitlich vorausgehende und hier im Erkenntnisverfahren anwendbare
- Art. 13 Abs. 1 EuGVÜ ist nicht verletzt.
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- Nach Art. 66 Abs. 2 Buchst. b EuGVVO, Art. 54 Abs. 2 EuGVÜ und
- Art. 54 Abs.2 Luganer Übereinkommen bzw. den Parallelvorschriften in den vier
- EuGVÜ-Beitrittsübereinkommen ist die Anerkennung von Urteilen, die in Verfahren ergangen sind, in denen das jeweilige Abkommen noch nicht anwendbar
- war, nach Maßgabe des Titels III jeweils davon abhängig gemacht worden,
- dass die Zuständigkeit des Gerichts des Urteilsstaates vom Gericht des Anerkennungsstaates überprüft wird und aufgrund von Vorschriften vorlag, die mit
- bestimmten Vorschriften des Titels II der Abkommen oder mit Vorschrift eines
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- Abkommens zwischen Urteils- und Anerkennungsstaat übereinstimmten, das im
- Zeitpunkt der Klageerhebung in Kraft war.
- Demgegenüber sieht Art. 66 Abs. 2 Buchst. a EuGVVO eine solche
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- Überprüfung der internationalen Zuständigkeit des Gerichts des Urteilsstaates
- nicht vor. Voraussetzung ist hiernach allein, dass die Klage zu einem Zeitpunkt
- erhoben sein muss, in dem im Ursprungsmitgliedstaat und im Anerkennungsstaat das EuGVÜ in Kraft war. Eine ähnliche Regelung findet sich auch in
- Art. 34 Abs. 2 des 1. EuGVÜ-Beitrittsübereinkommens bezüglich der Anerkennung zwischen den ursprünglich sechs Vertragsstaaten des EuGVÜ. Dennoch
- könnte im Falle des Art. 66 Abs. 2 Buchst. a EuGVVO vom Gericht des Anerkennungsstaates zu prüfen sein, ob vom Gericht des Urteilsstaates gegen die
- Vorschriften des EuGVÜ verstoßen wurde, die für die Anerkennung nach dem
- EuGVÜ erheblich gewesen wären. Dafür spricht, dass gemäß Art. 35 Abs.1, 3
- EuGVVO die Verletzung der dort genannten Bestimmungen zu überprüfen ist.
- Hierzu gehören die hier streitigen Bestimmungen über die Zuständigkeit in
- Verbrauchersachen (Art. 15 bis 17 EuGVVO). Nach der Vorgängerregelung in
- Art. 28 Abs. 1, 3 EuGVÜ waren die dort genannten entsprechenden Zuständigkeitsvorschriften in Art. 13 bis 15 EuGVÜ maßgeblich. Es erscheint zweifelhaft,
- dass die Zuständigkeitsvorschriften in den Übergangsfällen bedeutungslos sein
- sollen.
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- Die Frage kann jedoch offen bleiben. Das Beschwerdegericht hat die
- Vorschriften der Art. 13 bis 15 EuGVÜ in den Blick genommen und eine Verletzung verneint. Die Rechtsbeschwerde greift dies lediglich mit der Begründung
- an, dass selbst dann, wenn die Voraussetzungen des ausschließlichen Gerichtsstandes für Verbrauchersachen gemäß Art. 13 ff EuGVÜ nicht gegeben
- gewesen wären, Feststellungen dazu fehlten, wonach eine andere Vorschrift
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- die Zuständigkeit der niederländischen Gerichte begründet hätte. Dieser Einwand greift nicht durch. Der Ausnahmekatalog des Art. 28 Abs. 1 EuGVÜ (Art.
- 35 Abs. 1 EuGVVO) ist abschließend. Steht fest, dass die dort genannten Vorschriften nicht verletzt sind, findet eine weitere Überprüfung der Zuständigkeit
- nicht statt (Art. 28 Abs. 3 EuGVÜ, Art. 35 Abs. 3 EuGVVO). In diesem Rahmen
- ist eine mögliche Fehlentscheidung des Gerichts des Urteilsstaates hinsichtlich
- seiner internationalen Zuständigkeit hinzunehmen, gleichgültig, ob sie durch
- unzutreffende tatsächliche Feststellungen oder durch fehlerhafte Rechtsanwendung entstanden ist (BGH, Beschl. v. 15. November 2005 - IX ZB 27/02, zur
- Veröffentlichung bestimmt; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht 8. Aufl.
- Art. 35 EuGVVO Rn. 1; Wolf in Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr Art. 28 EuGVÜ Rn. 2; Zöller/Geimer, ZPO 25. Aufl. Art. 35
- EuGVVO Rn. 1; Schlosser, Europäisches Zivilprozessrecht 2. Aufl. Art. 34 bis
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- EuGVVO
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- Rn. 30;
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- Geimer
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- in
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- Geimer/Schütze,
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- aaO
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- Art. 35
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- EuGVVO Rn. 13 f).
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- 2. Die Rechtsbeschwerde hält die Auffassung des Beschwerdegerichts
- für nicht tragfähig, die Schuldnerin habe sich auf das Verfahren vor dem Kantonsgericht Maastricht ohne Rüge der internationalen Zuständigkeit eingelassen, so dass die internationale Zuständigkeit des niederländischen Gerichts
- gemäß Art. 24 EuGVVO begründet worden sei. Die Gläubigerin habe - so die
- Rechtsbeschwerde - eine rügelose Einlassung nicht hinreichend dargelegt.
- Damit werden keine Zulässigkeitsgründe im Sinne des § 574 Abs. 2 ZPO geltend gemacht.
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- Im Übrigen hatte die Antragstellerin vorgetragen, dass sich die Schuldnerin, nachdem zunächst ein Zwischenurteil ergangen war, in einer weiteren Verhandlung zur Sache verteidigt hat. Dies ist von der Schuldnerin nicht bestritten
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- worden. Sie hat sich lediglich auf § 15 Abs. 1 EuGVVO und eine fehlende Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 23 EuGVVO berufen, jedoch nicht behauptet, dass sie vor dem Gericht der Niederlande die fehlende internationale
- Zuständigkeit geltend gemacht habe. Unter diesen Umständen konnte das Beschwerdegericht das unbestrittene Vorbringen der Gläubigerin dahingehend
- verstehen, dass die internationale Zuständigkeit nicht gerügt worden sei und die
- Schuldnerin sich - nicht nur hilfsweise - zur Sache eingelassen habe. Nur eine
- hilfsweise Einlassung wäre für eine in erster Linie erhobene Rüge der fehlenden
- internationalen Zuständigkeit gemäß Art. 24 EuGVVO unschädlich gewesen
- (EuGH, NJW 1984, 2760, 2761; BGH, Urt. v. 2. März 2006 - IX ZR 15/05, zur
- Veröffentlichung bestimmt; Kropholler, aaO § 24 EuGVVO Rn. 10 f).
- Ganter
-
- Kayser
- Lohmann
-
- Vill
- Fischer
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- Vorinstanzen:
- LG Köln, Entscheidung vom 08.10.2003 - 10 O 566/03 OLG Köln, Entscheidung vom 19.03.2004 - 16 W 39/03 -
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