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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 320/12
  5. Verkündet am:
  6. 19. November 2013
  7. Stoll
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 17. September 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann
  15. und den Richter Prof. Dr. Strohn, die Richterinnen Caliebe und Dr. Reichart
  16. sowie den Richter Sunder
  17. für Recht erkannt:
  18. Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 7. Zivilsenats
  19. des Oberlandesgerichts München vom 19. September 2012 im
  20. Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers mit den Hauptanträgen (Berufungsanträge zu 1 und 2) zurückgewiesen worden ist.
  21. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
  22. und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
  23. an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  24. Von Rechts wegen
  25. Tatbestand:
  26. 1
  27. Der Kläger beteiligte sich mit Beitrittserklärungen vom 25. Juli 2001 (Anlage K 2) und vom 12. September 2001 (Anlage K 3) als atypisch stiller Gesellschafter an der beklagten Aktiengesellschaft im Rahmen des Beteiligungsprogramms „Classic“ mit einer „Einmaleinlage“ in Höhe von jeweils DM 40.000 zuzüglich eines Agios. Der Kläger zahlte die Beteiligungssummen zuzüglich Agio
  28. -3-
  29. und erhielt Ausschüttungen in Höhe von 23.505,05 €. Mit Schreiben seiner anwaltlichen Bevollmächtigten vom 17. November 2010 (Anlage K 6) erklärte der
  30. Kläger die außerordentliche Kündigung der Beteiligung, vorsorglich deren Widerruf nach dem Haustürwiderrufsgesetz sowie die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und verlangte im Wege des Schadensersatzes Rückzahlung der
  31. auf die Beteiligung geleisteten Zahlungen abzüglich erhaltener Ausschüttungen.
  32. 2
  33. Seine auf Zahlung von 19.852,51 € nebst Zinsen sowie auf die Feststellung, dass der Beklagten keinerlei Ansprüche aus den atypisch stillen Beteiligungsverträgen mehr zustehen, hilfsweise auf die Berechnung und Zahlung
  34. eines Auseinandersetzungsguthabens gerichtete Klage hat das Landgericht
  35. abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom
  36. Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt,
  37. verfolgt der Kläger sein Klagebegehren nach den Hauptanträgen weiter.
  38. Entscheidungsgründe:
  39. 3
  40. Die Revision hat Erfolg und führt unter Aufhebung der angefochtenen
  41. Entscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit die Berufung des Klägers mit den in der Berufungsinstanz gestellten
  42. Hauptanträgen zurückgewiesen worden ist.
  43. 4
  44. I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
  45. 5
  46. Der Kläger könne gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche auf
  47. Rückabwicklung seiner atypisch stillen Gesellschaftsbeteiligung nicht mit Erfolg
  48. geltend machen. Im vorliegenden Fall einer mehrgliedrigen atypischen stillen
  49. Gesellschaft fänden die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft Anwendung
  50. -4-
  51. mit der Folge, dass der Kläger gegen die Beklagte bei Auflösung des Gesellschaftsverhältnisses „ex nunc“ nur einen Anspruch auf ein Abfindungsguthaben
  52. habe.
  53. 6
  54. Es läge hier keine Konstruktion mit immer wieder neuen jeweils zweigliedrigen stillen Gesellschaften mit jeweiligen neuen einzelnen Anlegern vor.
  55. Der vorliegende Vertrag regele vielmehr eine Beteiligung an einer mehrgliedrigen atypisch stillen Gesellschaft dergestalt, dass zwischen den einzelnen stillen
  56. Gesellschaftern untereinander und dem Geschäftsinhaber insgesamt nur eine
  57. einzige atypisch stille Gesellschaft bestehe. Soweit der Bundesgerichtshof eine
  58. Ausnahme von den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft für die zweigliedrige stille Gesellschaft zugelassen habe, sei maßgeblich darauf abgestellt
  59. worden, dass die Rechtsbeziehung auf eine zweiseitige beschränkt sei, es somit an einer „vielschichtigeren Interessenlage“ fehle. Das sei bei der vorliegenden Konstruktion, bei der eine Nähe zur Publikumsgesellschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts vorliege, anders. Die Beteiligungsbeträge der stillen Gesellschafter bildeten u.a. das Vermögen des Handelsgeschäfts, aus dem zwangsläufig im Falle der Rückabwicklung der Beteiligung die
  60. Rückzahlung der Einlage zu erfolgen habe. Es bestehe daher die Gefahr eines
  61. „Windhundrennens“ der stillen Gesellschafter und deshalb sei der einzelne Gesellschafter auf seinen Abfindungsanspruch zu verweisen.
  62. 7
  63. II. Die Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsgericht hat
  64. zwar rechtsfehlerfrei angenommen, dass zwischen den Parteien kein bloß
  65. zweigliedriges Gesellschaftsverhältnis zustande gekommen ist, sondern der
  66. Kläger einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft in Form einer Publikumsgesellschaft beigetreten ist, bei der nach Invollzugsetzung für den Fall etwaiger anfänglicher Mängel die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft Anwendung
  67. finden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schließt die Anwen-
  68. -5-
  69. dung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft einen Anspruch des Klägers
  70. auf Ersatz von Vermögensschäden, die ihm - nach seinem Vorbringen - durch
  71. pflichtwidriges Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Zusammenhang mit seinem Beitritt zur Gesellschaft entstanden sind, jedoch nicht von
  72. vornherein aus. Auch bei Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft kann der Anleger, der sich an einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft
  73. beteiligt hat, unter Anrechnung des ihm bei Beendigung seines (fehlerhaften)
  74. Gesellschaftsverhältnisses gegebenenfalls zustehenden Abfindungsanspruchs
  75. von dem Geschäftsinhaber Ersatz eines darüber hinausgehenden Schadens
  76. verlangen, wenn dadurch die gleichmäßige Befriedigung etwaiger Abfindungsoder Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter nicht
  77. gefährdet ist.
  78. 8
  79. 1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind die Grundsätze
  80. über die fehlerhafte Gesellschaft auch auf typische oder atypische stille Gesellschaften anwendbar (BGH, Urteil vom 29. November 2004 - II ZR 6/03, ZIP
  81. 2005, 254, 255; Urteil vom 23. Juli 2013 - II ZR 143/12 Rn. 17 mwN). Dem steht
  82. nicht entgegen, dass bei der stillen Gesellschaft kein Gesamthandsvermögen
  83. besteht (BGH, Urteil vom 29. November 1952 - II ZR 15/52, BGHZ 8, 157,
  84. 166 f.; Urteil vom 25. November 1976 - II ZR 187/75, WM 1977, 196, 197; Urteil
  85. vom 22. Oktober 1990 - II ZR 247/89, NJW-RR 1991, 613, 614; Beschluss vom
  86. 21. September 2009 - II ZR 250/07, ZIP 2009, 2155 Rn. 6 mwN). Die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft beruht vielmehr allgemein
  87. darauf, dass es zu unerträglichen Ergebnissen führen würde, eine auf Dauer
  88. angelegte und tatsächlich vollzogene Leistungsgemeinschaft in Form einer Gesellschaft, für welche die Beteiligten Beiträge erbracht und Werte geschaffen,
  89. die Gewinnchancen genutzt und gemeinschaftlich das Risiko getragen haben,
  90. mit rückwirkender Kraft aufzuheben und damit so zu behandeln, als ob sie niemals bestanden hätte. Ein - bereits durch Zahlung der Einlage (BGH, Urteil vom
  91. -6-
  92. 29. November 2004 - II ZR 67/03, ZIP 2005, 254, 255; Urteil vom 23. Juli 2013
  93. - II ZR 143/12, ZIP 2013, 1761 Rn. 17) - in Vollzug gesetztes fehlerhaftes Gesellschaftsverhältnis ist daher unabhängig von der individuellen Gestaltung des
  94. Einzelfalls regelmäßig nicht von Anfang an nichtig, sondern wegen etwaiger
  95. anfänglicher Mängel nur mit Wirkung für die Zukunft vernichtbar. Das gilt auch
  96. für die (atypische wie typische) stille Gesellschaft. Sie ist ebenfalls eine echte
  97. Risikogemeinschaft mit einer meist auf lange Zeit vereinbarten Teilung des Gewinns und Verlusts des Unternehmens, zu dem auch der stille Gesellschafter
  98. seinen Beitrag erbracht hat. Die Gesichtspunkte, die für die Anwendung der
  99. Regeln der fehlerhaften Gesellschaft sprechen, treffen daher im Grundsatz
  100. gleichermaßen zu (BGH, Urteil vom 29. Juni 1970 - II ZR 158/69, BGHZ 55, 5,
  101. 8 f.).
  102. 9
  103. Die rechtliche Anerkennung der fehlerhaften Gesellschaft findet nur da
  104. ihre Grenze, wo gewichtige Interessen der Allgemeinheit oder besonders
  105. schutzbedürftiger Personen entgegenstehen (BGH, Urteil vom 29. Juni 1970
  106. - II ZR 158/69, BGHZ 55, 5, 9; Urteil vom 25. März 1974 - II ZR 63/72, BGHZ
  107. 62, 234, 241). Selbst der Umstand, dass ein stiller Gesellschafter durch betrügerisches Verhalten des Geschäftsinhabers zum Abschluss des Gesellschaftsvertrags bestimmt worden ist, rechtfertigt es aber nicht, die durch die Invollzugsetzung des Gesellschaftsverhältnisses geschaffenen Rechtstatsachen
  108. rückwirkend zu beseitigen und statt des Gesellschaftsrechts die allgemeinen
  109. Regeln des bürgerlichen Rechts zur Anwendung zu bringen (vgl. BGH, Urteil
  110. vom 12. Mai 1954 - II ZR 167/53, BGHZ 13, 320, 323; Urteil vom 29. Juni 1992
  111. - II ZR 284/91, ZIP 1992, 1552, 1554). Der Schutz des Betrogenen wird
  112. dadurch hinreichend gewahrt, dass die arglistige Täuschung für ihn einen wichtigen Grund zur Kündigung der Gesellschaft bildet (BGH, Urteil vom 29. Juni
  113. 1970 - II ZR 158/69, BGHZ 55, 5, 10).
  114. -7-
  115. 10
  116. 2. Der Senat ist zunächst auch bei Ansprüchen wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten beim Abschluss eines stillen Gesellschaftsvertrags davon ausgegangen, dass die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft eine rückwirkende Auflösung des Vertragsverhältnisses verbieten und bis
  117. zur Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses der Durchsetzung eines auf
  118. Rückgewähr der Einlage gerichteten Schadensersatzanspruchs aus vorvertraglichem Verschulden entgegenstehen (BGH, Urteil vom 24. Mai 1993
  119. - II ZR 136/92, ZIP 1993, 1089, 1090 f.). Später hat er angenommen, dass jedenfalls ein solcher Schadensersatzanspruch mit dem Begehren, den stillen
  120. Gesellschafter so zu stellen, als hätte er den Gesellschaftsvertrag nicht abgeschlossen und seine Einlage nicht geleistet, in einer zweigliedrigen stillen Gesellschaft nicht den Beschränkungen nach den Grundsätzen der fehlerhaften
  121. Gesellschaft unterliegt (BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - II ZR 354/02, ZIP 2004,
  122. 1706, 1707; Urteil vom 13. September 2004 - II ZR 276/02, ZIP 2004, 2095,
  123. 2098; Urteil vom 29. November 2004 - II ZR 6/03, ZIP 2005, 254, 256; Urteil
  124. vom 21. März 2005 - II ZR 140/03, ZIP 2005, 753, 757).
  125. 11
  126. Zur Begründung hat er auf die Besonderheiten der stillen Gesellschaft (in
  127. dem damaligen Anlagemodell) im Gegensatz zu einer Publikumsgesellschaft in
  128. der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer Kommanditgesellschaft abgestellt. Wer einer solchen Publikumsgesellschaft beitrete, um
  129. sein Vermögen anzulegen, könne bei einer mangelhaften Aufklärung über die
  130. Risiken und Chancen des Anlageprojekts von der Gesellschaft weder Schadensersatz noch sonst Rückabwicklung seiner Gesellschaftsbeteiligung verlangen, weil die fehlerhafte Aufklärung der Gesellschaft nicht zugerechnet werden
  131. könne. Der einzelne Gesellschafter habe auf die Beitrittsverträge neuer Gesellschafter keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten, trete insoweit auch nicht in Erscheinung und sei im Gegenteil bei seinem eigenen Eintritt in die Gesellschaft
  132. regelmäßig selbst getäuscht oder jedenfalls nicht ordnungsgemäß aufgeklärt
  133. -8-
  134. worden. Wohl aber habe der eintretende Gesellschafter Schadensersatzansprüche gegen die Initiatoren der Gesellschaft, gegen die Gründungsgesellschafter und gegen diejenigen, die sonst für die Mängel seines Beitritts verantwortlich seien (BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - II ZR 354/02, ZIP 2004, 1706,
  135. 1707 f.).
  136. 12
  137. Bei der stillen Gesellschaft (nach dem damaligen Anlagemodell) trete der
  138. Anleger dagegen nicht einer bestehenden Publikumsgesellschaft bei, sondern
  139. bilde mit der von dem Initiator des Anlageprojekts gegründeten Aktiengesellschaft eine neue - stille - Gesellschaft. Dabei beschränkten sich seine Rechtsbeziehungen allein auf diese Aktiengesellschaft. Sie schulde ihm bei einer Beendigung der stillen Gesellschaft das Auseinandersetzungsguthaben. Zugleich
  140. hafte sie ihm nach den Grundsätzen der Prospekthaftung und des Verschuldens bei Vertragsschluss, jeweils i.V.m. § 31 BGB und ggf. § 278 BGB, auf
  141. Schadensersatz. Anders als bei einer Publikumsgesellschaft richteten sich der
  142. Auseinandersetzungs- und der Schadensersatzanspruch gegen dieselbe Person. Nicht eine solche Gesellschaft sei Adressat des gesellschaftsrechtlichen
  143. Rückabwicklungsanspruchs, sondern ausschließlich die als Inhaberin des Handelsgewerbes i.S. des § 230 HGB auftretende Aktiengesellschaft, mit der allein
  144. der stille Gesellschaftsvertrag zustande gekommen sei und die zugleich im Wege des Schadensersatzes verpflichtet sei, etwaige Minderungen der gesellschaftsrechtlichen Einlage auszugleichen. Dann aber könne der Schadensersatzanspruch nicht nach den Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft beschränkt sein. Auch der Schutz der Gläubiger gebiete eine solche Beschränkung nicht, schon weil es bei der stillen Gesellschaft an einem durch Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften geschützten Gesellschaftsvermögen fehle (BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - II ZR 354/02, ZIP 2004, 1706,
  145. 1707 f.). Dass es bei einer Vielzahl stiller Gesellschafter mit gleichartigen Schadensersatzansprüchen zu einem Gläubigerwettlauf kommen könne, rechtfertige
  146. -9-
  147. - wie auch sonst bei einer Gläubigerkonkurrenz z.B. gegenüber einem prospektverantwortlichen
  148. Gründungsgesellschafter - keine andere Beurteilung
  149. (BGH, Urteil vom 13. September 2004 - II ZR 276/02, ZIP 2004, 2095, 2098).
  150. Demjenigen, der sich aufgrund eines Prospektmangels, einer Verletzung der
  151. Aufklärungspflicht oder aus sonstigen Gründen schadensersatzpflichtig gemacht habe, dürfe es nicht zugutekommen, dass er gleichzeitig auch an dem
  152. mit dem geschädigten Anleger geschlossenen Gesellschaftsvertrag beteiligt sei
  153. (BGH, Urteil vom 29. November 2004 - II ZR 6/03, ZIP 2005, 254, 256; Urteil
  154. vom 21. März 2005 - II ZR 140/03, ZIP 2005, 753, 757).
  155. 13
  156. 3. Dabei hat der Senat allerdings offen gelassen, ob die Beschränkungen
  157. eines auf Rückabwicklung gerichteten Schadensersatzanspruchs nach den
  158. Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft auch dann wegfallen, wenn es sich
  159. nicht um eine zweigliedrige stille Gesellschaft, sondern um den Beitritt zu einer
  160. mehrgliedrigen stillen Gesellschaft handelt. Diese Frage ist nunmehr dahingehend zu entscheiden, dass bei einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft jedenfalls in der im vorliegenden Fall gegebenen Ausgestaltung die Grundsätze über
  161. die fehlerhafte Gesellschaft mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass der Kläger von der Beklagten nicht im Wege des Schadensersatzes wegen eines vorvertraglichen Aufklärungsverschuldens die Rückabwicklung seiner Beteiligung
  162. durch Rückgewähr seiner Einlage verlangen kann. Er hat vielmehr einen Anspruch auf ein (etwaiges) Abfindungsguthaben nach den Regeln der fehlerhaften Gesellschaft und ergänzend, je nach Vermögenslage des Handelsbetriebs
  163. und der Höhe der - hypothetischen - Abfindungsansprüche der übrigen stillen
  164. Gesellschafter, einen Anspruch auf Ersatz seines durch den Abfindungsanspruch nicht ausgeglichenen Schadens.
  165. - 10 -
  166. 14
  167. a) Im vorliegenden Fall richten sich die Rechtsbeziehungen zwischen
  168. dem Kläger und der Beklagten sowie den übrigen stillen Gesellschaftern nach
  169. dem im Emissionsprospekt (Anlage K 1) abgedruckten atypisch stillen Gesellschaftsvertrag (im Folgenden: GV). Nach der von der Beklagten verwendeten,
  170. vom Kläger unterzeichneten „Beitrittserklärung (Zeichnungsschein) als atypisch
  171. stiller Gesellschafter“ erklärt der Beitretende, dass für seine Beteiligung der im
  172. Prospekt abgedruckte atypisch stille Gesellschaftsvertrag gilt (Anlage K 2 und
  173. 3). In der Beitrittserklärung ist ferner vorgesehen, dass der „Antrag“ des Beitretenden vom Vorstand der Beklagten angenommen wird. Durch den von allen
  174. stillen Gesellschaftern mit ihrer Beitrittserklärung als verbindlich anerkannten
  175. stillen Gesellschaftsvertrag ist somit durch vertragliche Vereinbarung ein Gesellschaftsverhältnis zwischen allen stillen Gesellschaftern und der Beklagten
  176. zustande gekommen. Der Beitritt des einzelnen stillen Gesellschafters zu dieser
  177. Gesellschaft ist dabei, wie bei Publikumsgesellschaften üblich (vgl. BGH, Urteil
  178. vom 17. November 1975 - II ZR 120/74, WM 1976, 15 f.; Urteil vom 14. November 1977 - II ZR 95/76, WM 1978, 136, 137), in der Weise erfolgt, dass die Beklagte die dazu erforderlichen Willenserklärungen auch im Namen der bereits
  179. beigetretenen stillen Gesellschafter abgegeben hat. Die insoweit erforderliche
  180. Ermächtigung der Beklagten ergibt sich daraus, dass sich die stillen Gesellschafter durch Unterzeichnung der Beitrittserklärung in Verbindung mit § 1 Nr. 3
  181. GV ausdrücklich damit einverstanden erklärt haben, dass sich weitere atypisch
  182. stille Gesellschafter an dem Handelsgewerbe der Beklagten beteiligen.
  183. 15
  184. Durch den Abschluss des stillen Gesellschaftsvertrags ist eine sog.
  185. mehrgliedrige stille Gesellschaft begründet worden. Dies folgt schon aus der
  186. Bestimmung des § 1 Nr. 2 GV. Dort wird die Vereinbarung, dass sich die Anleger am Handelsgewerbe der Beklagten als atypisch stille Gesellschafter beteiligen, ausdrücklich dahingehend erläutert, dass die Gesellschafter an Gewinn
  187. und Verlust sowie an den stillen Reserven der Vermögenssubstanz beteiligt
  188. - 11 -
  189. sind und die einem Kommanditisten vergleichbaren Mitwirkungsrechte haben
  190. (§ 1 Nr. 2 Satz 2 GV), dass sie zusammen mit dem Geschäftsinhaber eine sogenannte mehrgliedrige atypisch stille Gesellschaft bilden (§ 1 Nr. 2 Satz 3 GV)
  191. und dass mehrgliedrig heißt, dass nur eine atypisch stille Gesellschaft zwischen
  192. dem Geschäftsinhaber und allen atypisch stillen Gesellschaftern besteht (§ 1
  193. Nr. 2 Satz 4 GV). Dass es sich nicht um (mehrere) bloß zweiseitige stille Gesellschaftsverhältnisse jeweils zwischen der Beklagten und den einzelnen stillen
  194. Gesellschaftern handelt, ergibt sich auch daraus, dass nach § 6 GV Gesellschafterbeschlüsse in Gesellschafterversammlungen oder im schriftlichen Beschlussverfahren gefasst werden und nach § 15 Nr. 1 GV die Kündigung eines
  195. stillen Gesellschafters nicht die Auflösung der stillen Gesellschaft insgesamt,
  196. sondern lediglich das Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters zur Folge
  197. hat.
  198. 16
  199. Das vorliegend vereinbarte stille Gesellschaftsverhältnis zwischen der
  200. Beklagten und allen stillen Gesellschaftern ist ferner dadurch gekennzeichnet,
  201. dass nach § 5 Nr. 1 Satz 1 GV die Geschäftsführung zwar allein der Beklagten
  202. als Geschäftsinhaberin zusteht, sie aber nur zur Vornahme aller Rechtsgeschäfte befugt ist, die zum laufenden Betrieb gehören. Über den laufenden Geschäftsbetrieb hinausgehende Maßnahmen darf die Beklagte nur mit Zustimmungsbeschluss der atypisch stillen Gesellschafter vornehmen (§ 5 Nr. 1 letzter
  203. Satz GV). Gesellschafterbeschlüsse bedürfen entweder der einfachen Mehrheit
  204. der abgegebenen und vertretenen Stimmen (§ 6 Nr. 1 GV) oder - etwa bei Änderung des Gesellschaftsvertrags - einer Mehrheit von 75 Prozent der abgegebenen Stimmen (§ 6 Nr. 2 GV). Gesellschafterversammlungen werden mindestens einmal jährlich zur Mitteilung und Genehmigung des Jahresabschlusses
  205. vom Geschäftsinhaber einberufen oder finden statt, wenn das Interesse der
  206. Gesellschaft dies erfordert oder wenn stille Gesellschafter, die zusammen mehr
  207. als 25 Prozent des stillen Gesellschaftskapitals repräsentieren, eine Gesell-
  208. - 12 -
  209. schafterversammlung unter schriftlicher Angabe von Gründen hierfür verlangen
  210. (§ 7 Nr. 1 Satz 2 GV).
  211. 17
  212. Im Rahmen der Gewinn- und Verlustbeteiligung ist vereinbart, dass die
  213. Beklagte als Geschäftsbesorgungsvergütung einen ergebnisunabhängigen
  214. Vorabgewinn in Höhe von 0,75 Prozent p.a. auf das gezeichnete atypisch stille
  215. Gesellschaftskapital erhält (§ 10 Nr. 1 GV). Ferner steht ihr ein weiterer Vorabgewinn in Höhe von bis zu 10 Prozent zu, sobald die Gewinn- und Verlustkonten der atypisch stillen Gesellschafter ausgeglichen sind. Die atypisch stillen
  216. Gesellschafter sind an dem nach Maßgabe von § 12 GV zu berechnenden
  217. Steuerbilanzgewinn entsprechend dem Verhältnis ihrer eingezahlten Einlage
  218. zur Summe der eingezahlten Einlagen sämtlicher atypisch stiller Gesellschafter
  219. zuzüglich des voll eingezahlten Grundkapitals der Beklagten zum Zeitpunkt des
  220. Abschlusses des stillen Gesellschaftsvertrags beteiligt. Am Steuerbilanzverlust
  221. nimmt der atypisch stille Gesellschafter entsprechend dem Verhältnis seiner
  222. eingezahlten Einlage zur Summe der eingezahlten Einlagen sämtlicher atypisch
  223. stiller Gesellschafter bis zur Höhe seiner Einlage teil. Eine Beteiligung der Beklagten am Verlust erfolgt nicht (§ 10 Nr. 2 b Satz 2 GV). Soweit ein Bilanzverlust durch verlustbeteiligte atypisch stille Einlagen nicht gedeckt werden kann,
  224. wird dieser zur Verrechnung mit zukünftigen Gewinnen zu Lasten aller atypisch
  225. stillen Gesellschafter vorgetragen (§ 10 Nr. 2 c Satz 2 GV).
  226. 18
  227. Die Beteiligung der stillen Gesellschafter am Vermögen ist nach § 9
  228. Nr. 1, § 16 GV dahingehend geregelt, dass sie im Falle ihres Ausscheidens
  229. oder bei Liquidation des Unternehmens der Beklagten entsprechend dem Verhältnis ihrer erbrachten Kapitalbeteiligung zu den Einlagen der anderen stillen
  230. Gesellschafter und dem voll eingezahlten Grundkapital des Geschäftsinhabers
  231. „einen Anteil an dem seit ihrem Beitritt zu dem Unternehmen der Beklagten gebildeten Vermögen einschließlich der stillen Reserven der bilanzierten Wirt-
  232. - 13 -
  233. schaftsgüter (stille Reserven = Substanzwert des Unternehmens)“ erhalten.
  234. Grundlage der Bestimmung des den atypisch stillen Gesellschaftern bei Beendigung der Gesellschaft zustehenden Abfindungsguthabens ist der Auseinandersetzungswert für das gesamte Unternehmen der Beklagten, der die Beteiligung des atypisch stillen Gesellschafters an dem seit seinem Beitritt gebildeten
  235. Vermögen einschließlich der stillen Reserven in der Beklagten sowie seinen
  236. Anteil am Ertrags- und Substanzwert (Geschäftswert) als Differenz zwischen
  237. den Anfangs- und Endwerten berücksichtigt, § 16 Nr. 1 GV (zum Auseinandersetzungsanspruch des atypisch stillen Gesellschafters nach dem tatsächlichen
  238. Geschäftswert vgl. BGH, Urteil vom 13. April 1995 - II ZR 132/94, WM 1995,
  239. 1277, 1278).
  240. 19
  241. b) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass bei der vorliegenden Gestaltung des stillen Gesellschaftsverhältnisses die Grundsätze
  242. über die fehlerhafte Gesellschaft der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs des stillen Gesellschafters entgegenstehen, wenn der Ersatz des
  243. entstandenen Schadens im Wege der Rückabwicklung der Beteiligung erfolgen
  244. soll.
  245. 20
  246. aa) Anders als bei den Anlagemodellen, die den Senatsentscheidungen
  247. aus den Jahren 2004 und 2005 zugrunde lagen, besteht bei der vorliegenden
  248. Gestaltung nicht lediglich eine Vielzahl voneinander unabhängiger, bloß zweigliedriger stiller Gesellschaftsverhältnisse zwischen den jeweiligen Anlegern
  249. und der Beklagten. Durch den von allen stillen Gesellschaftern mit ihrer jeweiligen Beitrittserklärung als verbindlich anerkannten stillen Gesellschaftsvertrag ist
  250. vielmehr durch vertragliche Vereinbarung ein Gesellschaftsverhältnis zwischen
  251. allen stillen Gesellschaftern und der Beklagten zustande gekommen. Aus den
  252. Regelungen in § 1 Nr. 2 GV sowie insbesondere in den §§ 6 und 7 GV über
  253. Gesellschafterbeschlüsse und die Gesellschafterversammlung und in § 15 Nr. 1
  254. - 14 -
  255. GV über die Wirkung einer Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses durch
  256. einen stillen Gesellschafter ergibt sich eindeutig, dass sich die mit der Abgabe
  257. der Beitrittserklärung begründete Rechtsbeziehung nicht auf ein nur zweiseitiges stilles Gesellschaftsverhältnis zwischen dem jeweiligen Anleger und der
  258. Beklagten beschränkt, sondern der stille Gesellschafter einer aus der Beklagten
  259. und allen stillen Gesellschaftern bestehenden Publikumsgesellschaft beitritt.
  260. 21
  261. bb) Auf diese - zulässige (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994
  262. - II ZR 32/94, BGHZ 127, 176, 179) - Gestaltung eines einheitlichen Gesellschaftsverhältnisses zwischen dem Geschäftsinhaber und mehreren stillen Gesellschaftern sind schon wegen des schutzwürdigen Bestandsinteresses der
  263. Beteiligten grundsätzlich die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft anzuwenden. Die aus der Beklagten und allen stillen Gesellschaftern bestehende (stille)
  264. Gesellschaft ist nicht nur durch die Zahlung der Einlagen der stillen Gesellschafter in Vollzug gesetzt worden. Nach § 7 Nr. 1 Satz 1 GV ist ferner mindestens einmal jährlich ein Beschluss über die Genehmigung des Jahresabschlusses zu fassen. Die Gewinn- und Verlustbeteiligung richtet sich dabei gemäß
  265. § 10 GV nach dem Verhältnis der Einlage des einzelnen stillen Gesellschafters
  266. zu den Einlagen sämtlicher stiller Gesellschafter. Es widerspräche dem Charakter der vorliegenden Gestaltung als einer auf Dauer angelegten und tatsächlich
  267. vollzogenen Leistungsgemeinschaft in Form einer Gesellschaft, für welche die
  268. Beteiligten Beiträge erbracht und Werte geschaffen, die Gewinnchancen genutzt und gemeinschaftlich das Risiko getragen haben, wenn Maßnahmen, die
  269. nach Invollzugsetzung der Gesellschaft auf der Grundlage des zum jeweiligen
  270. Zeitpunkt maßgeblichen Gesellschafterbestands getroffen worden sind, mit
  271. rückwirkender Kraft geändert werden müssten, weil ein einzelner (oder mehrere) Anleger im Wege eines Schadensersatzanspruches die Rückgängigmachung seiner Beteiligung begehrt, so wie hier der Kläger mit seiner im Juli 2011
  272. eingereichten Klage fast 10 Jahre nach seinem Beitritt zur Gesellschaft.
  273. - 15 -
  274. 22
  275. cc) Die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft ist
  276. nicht nur im Verhältnis zu der aus der Beklagten und allen stillen Gesellschaftern bestehenden Gesellschaft, sondern auch in Bezug auf den aus dem Beitrittsvertrag hergeleiteten Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte geboten, mit dem der Kläger so gestellt werden will, als habe er sich nicht als stiller
  277. Gesellschafter beteiligt (gegen einen Rückabwicklungsanspruch bei der mehrgliedrigen atypisch stillen Gesellschaft mit teils unterschiedlicher Begründung
  278. und unter unterschiedlichen Voraussetzungen
  279. auch MünchKommHGB/K.
  280. Schmidt, 3. Aufl., § 230 Rn. 133 ff.; Westermann, Handbuch Personengesellschaften, Rn. 221b ff.; ders., VGR 2009, 145, 165 f.; Wälzholz, DStR 2003,
  281. 1533, 1535; Hey, NZG 2004, 1097, 1098; Armbrüster/Joos, ZIP 2004, 189, 192;
  282. Bayer/Riedel, NJW 2003, 2567, 2572 Fn. 56; für eine Beschränkung des Ersatzanspruchs auf das „Eigenvermögen“ des Geschäftsinhabers Konzen, Festschrift H. P. Westermann, 2008, S. 1133, 1153 f.; gegen eine Differenzierung
  283. zwischen Schadensersatzansprüchen und anderen Nichtigkeitsfolgen Schäfer,
  284. ZHR 2006, 373, 391 ff., der sich allerdings grundsätzlich gegen die Anwendung
  285. der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auf die stille Gesellschaft wendet;
  286. vgl. ferner MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, 6. Aufl., § 705 Rn. 359 f.; Schäfer
  287. in Großkommentar/HGB, 5. Aufl., § 105 Rn. 329 f.; Soergel/Hadding/Kießling,
  288. BGB, 13. Aufl., § 705 Rn. 92; zur Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften
  289. Gesellschaft auf Anleger, die bis zur Eintragung als Kommanditisten im Handelsregister als atypische stille Gesellschafter unter entsprechender Anwendung der Regelungen des Kommanditgesellschaftsvertrags beteiligt sein sollten, vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - IX ZR 198/10, ZIP 2013, 1533 Rn. 29).
  290. 23
  291. Zwar ist auch bei der vorliegenden Gestaltung wie bei bloß zweiseitigen
  292. stillen Gesellschaftsverhältnissen die Beklagte als Inhaberin des Handelsgewerbes i.S. des § 230 HGB und nicht die aus allen stillen Gesellschaftern und
  293. der Beklagten bestehende Gesellschaft rechtlich Adressatin des nach Beendi-
  294. - 16 -
  295. gung des fehlerhaften Gesellschaftsverhältnisses gegebenen Abfindungs- oder
  296. Auseinandersetzungsanspruchs. Bei einer isolierten Betrachtung, die allein auf
  297. die rechtliche Trennung zwischen der nach außen handelnden Beklagten und
  298. der lediglich als Innengesellschaft bestehenden (stillen) Gesellschaft zwischen
  299. der Beklagten und allen stillen Gesellschaftern abstellt, bliebe jedoch unberücksichtigt, dass die Regelungen über den Bestand der einzelnen Beteiligungen
  300. einschließlich der Rechtsfolgen ihrer Beendigung im Gesellschaftsvertrag der
  301. aus allen stillen Gesellschaftern und der Beklagten bestehenden Gesellschaft
  302. vereinbart und die Bestimmungen über Auseinandersetzung und Abfindung
  303. beim Ausscheiden eines stillen Gesellschafters mit Blick auf die Gesamtheit
  304. aller stillen Gesellschafter getroffen sind. Auch im Hinblick auf die Vermögenszuordnung würde eine auf bloße Rechtsbeziehungen jeweils zwischen den einzelnen stillen Gesellschaftern und der Beklagten bezogene Betrachtungsweise
  305. den wirtschaftlichen Gegebenheiten der vorliegenden Gestaltung nicht gerecht.
  306. Zwar sind die Einlagezahlungen der stillen Gesellschafter nach der Mittelverwendungskontrolle durch die Treuhänderin (§ 5 Nr. 2 GV) in das Vermögen der
  307. Beklagten übergegangen und verfügt die aus der Beklagten und allen stillen
  308. Gesellschaftern bestehende Gesellschaft als solche folglich über kein Gesellschaftsvermögen. Als Schuldnerin der im atypisch stillen Gesellschaftsvertrag
  309. geregelten Abfindungs- und Auseinandersetzungsansprüche kommt demgemäß auch nur die Beklagte in Betracht. Gleichwohl ist das rechtlich der Beklagten zustehende stille Gesellschaftskapital bei einer wirtschaftlichen Betrachtung
  310. der aus der Beklagten und allen stillen Gesellschaftern gebildeten gesellschaftsrechtlichen Gestaltung zuzuordnen. In diesem Gebilde hat die Beklagte
  311. eine der einer Komplementärin einer Kommanditgesellschaft vergleichbare Stellung inne, die stillen Gesellschafter sind Kommanditisten gleichgestellt. Die Beklagte erhält eine ergebnisunabhängige Geschäftsbesorgungsvergütung und
  312. gegebenenfalls einen Vorabgewinn von bis zu 10 Prozent; am Verlust ist sie
  313. - 17 -
  314. nicht beteiligt. Bei einem Grundkapital der Ende 1998 als GmbH gegründeten,
  315. Anfang 2000 in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Beklagten in Höhe von
  316. 767.000 €, dessen Erhöhung auf 5 Mio. € der Beklagten nach § 1 Nr. 3 GV vorbehalten ist, und einem stillen Gesellschaftskapital von bis zu 250 Mio. DM (§ 4
  317. Nr. 1 GV) tragen somit im Wesentlichen die stillen Gesellschafter das wirtschaftliche Risiko des von der Beklagten geführten Unternehmens.
  318. 24
  319. Wegen der Verzahnung der einzelnen Beteiligungen sowohl miteinander
  320. als auch mit dem rechtlich der Beklagten zustehenden Vermögen einschließlich
  321. des durch die Einlagen der stillen Gesellschafter eingeworbenen Kapitals, die
  322. hier durch die zwischen der Beklagten und allen stillen Gesellschaftern gebildete (Innen)Gesellschaft bewirkt wird, unterscheidet sich die vorliegende Konstellation auch von der Inanspruchnahme von Initiatoren, Gründungsgesellschaftern oder sonstigen Personen, die für Mängel des Beitritts eines (stillen) Gesellschafters zu einer (stillen) Gesellschaft verantwortlich sind. In diesen Fällen
  323. sind die Vermögenmassen, aus denen mit gegen diese Personen gerichteten
  324. Schadensersatzansprüchen Befriedigung begehrt wird, rechtlich und wirtschaftlich selbstständig und unterliegen keiner der vorliegenden Gestaltung vergleichbaren gesellschaftsrechtlichen Bindung unter Einbeziehung sämtlicher
  325. Anleger. Die gesellschaftsrechtliche Verknüpfung der Rechtsbeziehungen aller
  326. stillen Gesellschafter zu der Beklagten und zueinander lässt es auch nicht zu, in
  327. dem Umstand, dass es bei einer gehäuften Inanspruchnahme der Beklagten
  328. durch stille Gesellschafter zu einem Gläubigerwettlauf kommen kann, lediglich
  329. eine bei jeder Gläubigerkonkurrenz mögliche Folge zu sehen. Bei einer wie hier
  330. durch tatsächliche Invollzugsetzung einer fehlerhaften Gesellschaft bewirkten
  331. gesellschaftsrechtlichen Bindung gebietet es schon die gesellschafterliche
  332. Treuepflicht, dass jedenfalls die gesellschaftsrechtlichen Abfindungs- und Auseinandersetzungsansprüche der einzelnen (ggf. fehlerhaft) Beigetretenen nur
  333. im Wege einer geordneten Auseinandersetzung geltend gemacht werden kön-
  334. - 18 -
  335. nen. Aus diesem Grunde kann nach der Rechtsprechung des Senats sogar
  336. dann eine Verpflichtung des einzelnen Gesellschafters zur Zahlung seiner Einlage trotz arglistiger Täuschung bestehen, wenn die Gesellschaft nach Aufdeckung des Betrugs abgewickelt wird, weil die Erfüllung der Einlagepflicht in einem solchen Fall der einheitlichen Verteilung der Vermögensverluste aller getäuschten Gesellschafter dient (BGH, Urteil vom 6. Februar 1958 - II ZR 210/56,
  337. BGHZ 26, 330, 336).
  338. 25
  339. 4. Aus den soeben genannten Gründen führt die Anwendung der
  340. Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft zwar dazu, dass ein Anleger bei einer
  341. Gestaltung wie der vorliegenden nicht im Wege des Schadensersatzes Rückgängigmachung seiner Beteiligung verlangen kann. Er ist allerdings - auch unabhängig von einer (fehlerhaft) vereinbarten Befristung - berechtigt, das stille
  342. Gesellschaftsverhältnis unter Berufung auf den (behaupteten) Vertragsmangel
  343. durch sofort wirksame Kündigung nach § 234 Abs. 1 HGB, § 723 BGB mit der
  344. Folge zu beenden, dass ihm gegebenenfalls ein nach den gesellschaftsvertraglichen Regeln zu berechnender Abfindungsanspruch zusteht (vgl. BGH, Urteil
  345. vom 3. Juli 2013 - II ZR 143/12, ZIP 2013, 1761 Rn. 23 mwN). Dabei ist ein etwaiger auf einer Pflichtverletzung des Geschäftsinhabers bei dem Beitritt des
  346. stillen Gesellschafters beruhender Schadensersatzanspruch dergestalt zu berücksichtigen, dass sich der geschädigte Anleger seinen Abfindungsanspruch
  347. anrechnen lassen muss und daher allenfalls Ersatz eines den Abfindungsanspruch übersteigenden Schadens verlangen kann (vgl. BGH, Urteil vom
  348. 29. Juni 1970 - II ZR 158/69, BGHZ 55, 5, 10).
  349. 26
  350. Bei der hier gegebenen mehrgliedrigen stillen Gesellschaft ist wegen des
  351. oben dargelegten vorrangigen Interesses der Mitgesellschafter an einer geordneten Abwicklung die weitere Einschränkung geboten, dass ein über den nach
  352. gesellschaftsrechtlichen Regeln zu berechnenden Abfindungsanspruch hinaus-
  353. - 19 -
  354. gehender Schadensersatzanspruch des stillen Gesellschafters die gleichmäßige Befriedigung der Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter nicht gefährden darf. Solange eine Schmälerung solcher Ansprüche anderer Anleger droht, ist der einzelne Anleger an der Durchsetzung eines auf Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Beitritt gestützten Schadensersatzanspruchs gegen den Geschäftsinhaber gehindert (vgl.
  355. dazu Konzen, Festschrift H.P. Westermann, 2008, S. 1133, 1153 f.). Eine solche Gefährdung des schutzwürdigen Interesses der übrigen Anleger an einer
  356. geordneten Abwicklung droht nicht, wenn und soweit das Vermögen des Geschäftsinhabers im Zeitpunkt der Entscheidung über den Schadensersatzanspruch eines einzelnen Anlegers sowohl die zu diesem Zeitpunkt bestehenden
  357. (hypothetischen) Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche aller stillen
  358. Gesellschafter als auch den Schadensersatzanspruch des betreffenden Anlegers deckt. Das ist der Fall, wenn bei einer auf diesen Zeitpunkt bezogenen
  359. fiktiven Auseinandersetzungsrechnung der gesamten mehrgliedrigen stillen Gesellschaft das Vermögen des Geschäftsinhabers ausreichen würde, um die
  360. (hier gemäß § 16 GV zu berechnenden hypothetischen) Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche aller stillen Gesellschafter vollständig sowie den
  361. auf die den eigenen Abfindungsanspruch übersteigende Ersatzleistung gerichteten Schadensersatzanspruch des klagenden Anlegers (hier ggf. aus dem der
  362. Beklagten gemäß § 16 Nr. 1 a letzter Absatz GV nach dem Verhältnis ihres eingezahlten Grundkapitals zum stillen Gesellschaftskapital zustehenden Anteil am
  363. Auseinandersetzungswert ihres gesamten Unternehmens) ganz oder teilweise
  364. zu befriedigen. Ist dies nicht der Fall, kommt gleichwohl zumindest eine Feststellung des Schadensersatzanspruchs dem Grund und der Höhe nach in Betracht, da hierdurch die (hypothetischen) Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der anderen stillen Gesellschafter nicht gefährdet werden.
  365. - 20 -
  366. 27
  367. Ist die Gesellschaft zwischen allen stillen Gesellschaftern tatsächlich
  368. aufgelöst und bestehen nach Beendigung der Auseinandersetzung zwischen
  369. dem Geschäftsherrn und allen stillen Gesellschaftern keine Auseinandersetzungsansprüche mehr, so stehen die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft
  370. einem verbleibenden, ggf. dem Grunde und dem Betrag nach bereits festgestellten Schadensersatzanspruch eines geschädigten Anlegers gleichfalls nicht
  371. mehr entgegen. In dem zuletzt genannten Fall mag es zwar zu einem „Wettlauf“
  372. zwischen geschädigten Anlegern mit ihren gegen den Geschäftsinhaber gerichteten Schadensersatzansprüchen kommen. Die Mitgesellschafter stehen sich
  373. dabei jedoch nicht als solche, sondern lediglich als wie auch sonst miteinander
  374. konkurrierende Gläubiger eines Schuldners gegenüber. Aus diesem Grunde
  375. genügt es für den Wegfall des sich aus den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft ergebenden Hindernisses auch, wenn das verbleibende Vermögen
  376. des Geschäftsinhabers im Zeitpunkt der Entscheidung über den gegen ihn gerichteten Schadensersatzanspruch neben diesem die (bestehenden und hypothetischen) Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter deckt. Es ist dagegen nicht erforderlich, dass es auch ausreicht, um vergleichbare Schadensersatzansprüche anderer (getäuschter) stiller
  377. Gesellschafter zu befriedigen.
  378. 28
  379. 5. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dem Kläger nach diesen
  380. Grundsätzen ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zusteht, hat das
  381. Berufungsgericht von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt aus nicht geprüft. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Abweisung der Klage
  382. nach dem Hauptbegehren daher keinen Bestand haben. Sie stellt sich auch
  383. nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
  384. - 21 -
  385. 29
  386. Da in der Erklärung eines Gesellschafters, seinen Beitritt mit rückwirkender Kraft beseitigen zu wollen, in der Regel sein Wille zum Ausdruck kommt, die
  387. Bindung an die Gesellschaft und die Mitgesellschafter jedenfalls mit sofortiger
  388. Wirkung zu beenden (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1974 - II ZR 27/73,
  389. BGHZ 63, 338, 344 f.; Urteil vom 16. Dezember 2002 - II ZR 109/01, BGHZ
  390. 153, 214, 223), kann auch im vorliegenden Fall von einer Kündigung des (stillen) Gesellschaftsverhältnisses durch den Kläger ausgegangen werden. Dass
  391. der Kläger seinen Schadensersatzanspruch nicht unter Anrechnung eines etwaigen Abfindungsguthabens berechnet hat, rechtfertigt eine (vollständige) Abweisung der Klage nicht, weil der Geschädigte nicht ohne weiteres an eine von ihm
  392. ursprünglich gewählte Art der Schadensberechnung gebunden ist (vgl. BGH,
  393. Urteil vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 4 mwN) und dem
  394. Kläger daher Gelegenheit gegeben werden muss, sein Klagevorbringen an die
  395. in den Vorinstanzen nicht erörterten, oben dargelegten rechtlichen Vorgaben
  396. anzupassen. Für die Berechnung seines etwaigen Abfindungsanspruchs, dem
  397. die nur den weitergehenden Schadensersatzanspruch betreffende, auf die Sicherung ungeschmälerter eventueller Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der anderen stillen Gesellschafter gerichtete Sperre nicht entgegenstünde, ist der Kläger zudem auf die Mitwirkung der Beklagten angewiesen, die
  398. gemäß § 16 Nr. 1 Buchst. g GV mit der Ermittlung des Abfindungsguthabens
  399. einen Wirtschaftsprüfer zu beauftragen hat.
  400. 30
  401. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts
  402. und des Vorbringens der Parteien kann auch nicht angenommen werden, dass
  403. einem über einen Abfindungsanspruch hinausgehenden Schadensersatzbegehren des Klägers zur Sicherung etwaiger Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der Mitgesellschafter der Erfolg zu versagen wäre. Ob und in
  404. welcher Höhe solche (hypothetischen) Ansprüche der anderen stillen Gesellschafter bestehen und aus dem Vermögen der Beklagten befriedigt werden
  405. - 22 -
  406. können, steht nicht fest und müsste gegebenenfalls die Beklagte darlegen und
  407. beweisen, wenn sie sich einem Schadensersatzanspruch des Klägers gegenüber darauf berufen wollte, dieser sei wegen einer Gefährdung der Abfindungsund Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter zumindest gegenwärtig nicht oder nicht in voller Höhe durchsetzbar. Im Übrigen wäre
  408. selbst für den Fall des Bestehens eines solchen Hindernisses das auf Zahlung
  409. eines bestimmten Schadensersatzbetrages gerichtete Leistungsbegehren des
  410. Klägers dahin auszulegen, dass jedenfalls die Feststellung des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs in dieser Höhe begehrt wird. Sofern die sonstigen Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs gegeben sind, stünde der Umstand, dass das Vermögen der Beklagten im Zeitpunkt der Entscheidung zur Befriedigung etwaiger (hypothetischer) Abfindungsoder Auseinandersetzungsansprüche und des Schadensersatzanspruchs nicht
  411. ausreichte, wie unter II. 4. ausgeführt, einer Feststellung seines Bestehens
  412. nicht entgegen.
  413. 31
  414. 6. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, soweit die Berufung des Klägers mit dem Hauptbegehren zurückgewiesen worden ist (§ 562
  415. Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563
  416. Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit es die bislang offen gebliebenen Feststellungen zu
  417. - 23 -
  418. den tatsächlichen Voraussetzungen des vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruchs treffen kann.
  419. Bergmann
  420. Strohn
  421. Reichart
  422. Caliebe
  423. Sunder
  424. Vorinstanzen:
  425. LG München I, Entscheidung vom 23.04.2012 - 35 O 15133/11 OLG München, Entscheidung vom 19.09.2012 - 7 U 2261/12 -