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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- I ZR 124/11
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- Verkündet am:
- 6. Februar 2013
- Führinger
- Justizangestellte
- als Urkundsbeamtin
- der Geschäftsstelle
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- in dem Rechtsstreit
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- Nachschlagewerk:
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- ja
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- BGHZ:
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- nein
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- BGHR:
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- ja
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- Videospiel-Konsolen
- Richtlinie 2001/29/EG Art. 1 Abs. 2 Buchst. a
- Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 1 Abs. 2
- Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl.
- Nr. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10) folgende Frage zur Vorabentscheidung
- vorgelegt:
- Steht Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG der Anwendung einer
- Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG ins nationale Recht umsetzenden
- Vorschrift (hier § 95a Abs. 3 UrhG) entgegen, wenn die in Rede stehende
- technische Maßnahme zugleich nicht nur Werke oder sonstige Schutzgegenstände, sondern auch Computerprogramme schützt?
- BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 - I ZR 124/11 - OLG München
- LG München I
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- Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
- und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Koch und Dr. Löffler
- beschlossen:
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- I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
- II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung
- von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur
- Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und
- der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft
- (ABl. Nr. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10) folgende Frage zur
- Vorabentscheidung vorgelegt:
- Steht Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG der Anwendung einer Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG ins nationale Recht umsetzenden Vorschrift (hier § 95a Abs. 3 UrhG)
- entgegen, wenn die in Rede stehende technische Maßnahme
- zugleich nicht nur Werke oder sonstige Schutzgegenstände,
- sondern auch Computerprogramme schützt?
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- Gründe:
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- I. Die beiden Klägerinnen entwickeln, produzieren und vertreiben Videospiele und Videospiel-Konsolen, darunter die Konsole „Nintendo DS“ und zahlreiche dafür passende Spiele. Die Klägerin zu 1 ist Inhaberin der urheberrechtlichen Schutzrechte an den Computerprogrammen, Sprach-, Musik-, Lichtbild-
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- und Filmwerken sowie Laufbildern, die Bestandteil der Videospiele sind. Die
- Klägerin zu 2 ist ein Tochterunternehmen der Klägerin zu 1.
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- Die Videospiele werden ausschließlich auf besonderen, nur für die Nintendo-DS-Konsole passenden Speichermedien, den „Slot-1-Karten“ angeboten,
- die in den Kartenschacht der Konsole, den „Slot-1“, eingesteckt werden. Die
- Karten verfügen über einen eingebauten Speicher, auf dem die Software sowie
- die Grafik- und Audiodateien der Spiele gespeichert sind. Auf dem Endkundenmarkt sind keine Geräte erhältlich, mit denen die Karten ausgelesen oder
- beschrieben werden können. Ohne eine in den „Slot-1“ eingesteckte Karte können auf der Konsole keine Spiele geladen und gespielt werden. Die Klägerinnen
- haben die „Slot-1-Karten“ speziell für die Nintendo-DS-Konsole entwickelt, um
- damit eine Vervielfältigung der Spiele durch den Durchschnittsverbraucher zu
- verhindern.
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- Die frühere Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer die Beklagten zu 2
- und 3 waren (nachfolgend Beklagte) und über deren Vermögen im Laufe des
- Revisionsverfahrens das Insolvenzverfahren eröffnet und der jetzige Beklagte
- zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist, bot im Jahr 2008 im Internet
- Adapter für die Nintendo-DS-Konsole an. Diese Adapter sind den „Slot-1-Karten“ in Form und Größe genau nachgebildet, damit sie in den „Slot-1“ der Konsole passen. Sie verfügen über einen Einschub für eine Micro-SD-Karte oder
- über einen eingebauten Speicherbaustein („Flash-Speicher“). Nutzer der Konsole können mit Hilfe dieser Adapter im Internet angebotene Kopien von Spielen der Klägerinnen, die von Dritten durch Auslesen der Originalkarten unter
- Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen erstellt worden sind, auf der Konsole
- verwenden. Dazu laden sie solche Kopien der Spiele aus dem Internet herunter
- und übertragen diese sodann entweder auf eine Micro-SD-Karte, die anschließend in den Adapter eingesteckt wird, oder unmittelbar auf den eingebauten
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- Speicherbaustein des Adapters. Mithilfe der Adapter kann die Nintendo-DSKonsole auch für eine Vielzahl von Spielen anderer Anbieter genutzt werden.
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- Die Klägerin zu 1 sieht in dem Vertrieb der Adapter einen Verstoß gegen
- die Vorschrift des § 95a Abs. 3 UrhG zum Schutz wirksamer technischer Maßnahmen (Schutzmaßnahmen), die ihrerseits dem Schutz urheberrechtlich geschützter Werke oder Leistungen dienen. Sie hat daher beantragt, den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu untersagen,
- zu gewerblichen Zwecken in den Kartenschacht der Nintendo-DS-Spielkonsole
- passende sogenannte „Slot-1-Karten“, die über einen internen wiederbeschreibbaren Speicher oder eine Vorrichtung zur Verwendung einer Micro-SDKarte verfügen und geeignet sind, im Internet verfügbare Kopien von NintendoDS-Spielen der Klägerinnen auf einer Nintendo-DS-Konsole abzuspielen, insbesondere die [näher bezeichneten] „Slot-1-Karten“, einzuführen, zu verbreiten,
- zu verkaufen, im Hinblick auf den Verkauf zu bewerben oder zu besitzen.
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- Darüber hinaus hat sie die Verurteilung der Beklagten zur Auskunftserteilung, zur Rechnungslegung und zur Vernichtung der Karten sowie Feststellung
- der Schadensersatzpflicht begehrt. Ferner haben die Klägerin zu 1 markenrechtliche und die Klägerin zu 2 wettbewerbsrechtliche Ansprüche gegen die
- Beklagten erhoben, die im Zusammenhang mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen aber nicht von Bedeutung sind.
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- Das Landgericht hat den auf einen Verstoß gegen § 95a Abs. 3 UrhG
- gestützten Klageanträgen im Wege des Teilurteils stattgegeben (LG München I,
- MMR 2010, 341).
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- Dagegen haben die Beklagten Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren haben die Parteien den Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht
- im Blick darauf, dass die Klägerin zu 1 ihren Schadensersatzanspruch teilweise
- beziffert und inzwischen vor dem Landgericht die Verurteilung der Beklagten
- zur Zahlung von 1 Mio. € beantragt hat, übereinstimmend für teilweise erledigt
- erklärt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen
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- und in Abänderung des Feststellungsausspruchs des landgerichtlichen Urteils
- festgestellt, dass die Beklagten der Klägerin zu 1 einen 1 Mio. € übersteigenden
- Schaden zu ersetzen haben.
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- Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die
- Klägerinnen beantragen, verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Abweisung
- der Klage weiter. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen
- der früheren Beklagten zu 1 hat der jetzige Beklagte zu 1 das Verfahren als Insolvenzverwalter aufgenommen.
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- II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 1 Abs. 2
- Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl.
- Nr. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10; im Folgenden: Richtlinie 2001/29/EG) ab.
- Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
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- 1. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin zu 1 auf einen Verstoß
- der Beklagten gegen die Bestimmung des § 95a Abs. 3 UrhG zum Schutz technischer Maßnahmen gestützten Ansprüche als begründet erachtet. Diese Vorschrift setzt Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG nahezu wörtlich ins deutsche Recht um.
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- 2. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich
- bei der Bestimmung des § 95a Abs. 3 UrhG um ein Schutzgesetz im Sinne von
- § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB zugunsten der Inhaber von Rechten an urheberrechtlich geschützten Werken oder anderen urheberrechtlich geschützten Schutzgegenständen handelt (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2008 - I ZR 219/05, GRUR
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- 2008, 996 Rn. 14 bis 16 = WRP 2008, 1149 - Clone-CD). Die Klägerin zu 1 ist
- daher als Inhaberin der urheberrechtlichen Schutzrechte an den in den Videospielen enthaltenen Sprach-, Musik-, Lichtbild- und Filmwerken sowie Laufbildern berechtigt, die von ihr erhobenen Ansprüche auf Unterlassung (§ 1004
- Abs. 1, § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB), Auskunftserteilung und Rechnungslegung
- (§§ 242, 259 Abs. 1 BGB) geltend zu machen. Ferner kann sie die Feststellung
- der Schadensersatzpflicht (§ 823 Abs. 2 Satz 1 BGB) verlangen. Die Frage, ob
- ein Verstoß gegen § 95a Abs. 3 UrhG ein „anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht“ im Sinne des § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG verletzt (offengelassen
- in BGH, GRUR 2008, 996 Rn. 12 - Clone-CD) und die Klägerin daher auch befugt ist, den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Vernichtung der Karten
- (§ 98 Abs. 1 Satz 1 UrhG) zu erheben, kann beim derzeitigen Stand des Verfahrens offenbleiben.
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- 3. Das Berufungsgericht hat weiter mit Recht angenommen, dass die
- Voraussetzungen des § 95a Abs. 3 Nr.3 UrhG (Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der
- Richtlinie 2001/29/EG) erfüllt sind.
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- a) Gemäß § 95a Abs. 3 Nr. 3 UrhG (Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie
- 2001/29/EG) sind unter anderem die Herstellung, die Einfuhr, die Verbreitung,
- der Verkauf, die Werbung im Hinblick auf Verkauf und der gewerblichen Zwecken dienende Besitz von Vorrichtungen, Erzeugnissen oder Bestandteilen verboten, die hauptsächlich entworfen oder hergestellt werden, um die Umgehung
- wirksamer technischer Maßnahmen zu ermöglichen oder zu erleichtern. Technische Maßnahmen sind unter anderem Vorrichtungen und Bestandteile, die im
- normalen Betrieb dazu bestimmt sind, Handlungen zu verhindern, die geschützte Werke oder andere nach dem Urheberrechtsgesetz geschützte Schutzgegenstände betreffen und die vom Rechtsinhaber nicht genehmigt sind (§ 95a
- Abs. 2 Satz 1 UrhG; Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2001/29/EG). Technische Maßnahmen sind unter anderem wirksam, soweit der Rechtsinhaber mit
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- ihrer Hilfe die Nutzung eines geschützten Werkes oder eines anderen nach
- dem Urheberrechtsgesetz geschützten Gegenstandes durch einen Mechanismus kontrolliert, der die Erreichung des Schutzziels sicherstellt (§ 95a Abs. 2
- Satz 2 UrhG, Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2001/29/EG).
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- b) Das Berufungsgericht hat angenommen, die konkrete Ausgestaltung
- der von den Klägerinnen hergestellten Karten und Konsolen stelle eine wirksame technische Schutzmaßnahme dar, weil aufgrund ihrer Abmessungen ausschließlich die „Slot-1-Karten“ mit dem „Slot-1-Schacht“ der Konsolen kompatibel seien und damit ausschließlich die auf den originalen „Slot-1-Karten“ vertriebenen Spiele der Klägerin zu 1 auf der Nintendo-DS-Konsole gespeichert
- und gespielt werden könnten. Die von den Beklagten vertriebenen Adapterkarten seien hauptsächlich zu dem Zweck entworfen und hergestellt worden, diese
- Schutzmaßnahmen zu umgehen. Dem stehe nicht entgegen, dass über die
- Adapterkarten auch etwa 2000 von Dritten entwickelte Spiele abgespielt werden
- könnten. Die Werbung der Beklagten für die Adapterkarten stelle gezielt auf die
- in wirtschaftlicher Hinsicht allein lukrative Möglichkeit des Abspielens von
- Raubkopien ab; demgegenüber träten die legalen Einsatzmöglichkeiten der
- Adapterkarten eindeutig in den Hintergrund.
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- c) Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben
- nach Ansicht des Senats keinen Erfolg.
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- 4. Es ist jedoch zweifelhaft, ob § 95a Abs. 3 UrhG (Art. 6 Abs. 2 der
- Richtlinie 2001/29/EG) im Streitfall überhaupt anwendbar ist.
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- a) Gemäß § 69a Abs. 5 UrhG finden die Vorschriften der §§ 95a bis 95d
- UrhG auf Computerprogramme keine Anwendung. Die Regelung des § 69a
- Abs. 5 UrhG dient der Umsetzung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie
- 2001/29/EG und ist daher richtlinienkonform auszulegen.
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- Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG lässt die Richtlinie 2001/29/EG - deren Gegenstand der rechtliche Schutz des Urheberrechts
- und der verwandten Schutzrechte ist (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG) die bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über den rechtlichen
- Schutz von Computerprogrammen unberührt und beeinträchtigt sie in keiner
- Weise. Gemäß Erwägungsgrund 50 Satz 2 der Richtlinie 2001/29/EG sollte ein
- gemäß Art. 6 der Richtlinie 2001/29/EG harmonisierter Rechtsschutz technischer Maßnahmen insbesondere nicht auf den Schutz der in Verbindung mit
- Computerprogrammen verwendeten technischen Maßnahmen Anwendung finden, der ausschließlich in der Richtlinie 91/250/EWG - sie ist mittlerweile durch
- die Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
- 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl.
- Nr. L 111 vom 5. Mai 2009, S. 16; im Folgenden nur: Richtlinie 2009/24/EG)
- kodifiziert worden - behandelt wird.
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- Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2009/24/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten, gemäß ihren innerstaatlichen Vorschriften geeignete Maßnahmen
- gegen das Inverkehrbringen und den Erwerbszwecken dienenden Besitz von
- Mitteln vorzusehen, die allein dazu bestimmt sind, die unerlaubte Beseitigung
- oder Umgehung technischer Programmschutzmechanismen zu erleichtern.
- Nach der zur Umsetzung dieser Vorschrift erlassenen Bestimmung des § 69f
- Abs. 2 UrhG kann der Rechtsinhaber vom Eigentümer oder Besitzer verlangen,
- dass Mittel vernichtet werden, die allein dazu bestimmt sind, die unerlaubte Beseitigung oder Umgehung technischer Programmschutzmechanismen zu erleichtern.
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- b) Die zugunsten der Klägerin zu 1 urheberrechtlich geschützten Videospiele bestehen nicht nur aus Sprach-, Musik-, Lichtbild- und Filmwerken sowie
- Laufbildern; vielmehr liegen den Videospielen auch Computerprogramme zugrunde. Es stellt sich daher die Frage, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie
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- 2001/29/EG der Anwendung einer Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG ins
- nationale Recht umsetzenden Vorschrift (hier § 95a Abs. 3 UrhG) entgegensteht, wenn die in Rede stehende technische Maßnahme zugleich nicht nur
- Werke oder sonstige Schutzgegenstände, sondern auch Computerprogramme
- schützt. Diese - entscheidungserhebliche - Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. In Rechtsprechung und Schrifttum werden dazu unterschiedliche
- Auffassungen vertreten.
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- aa) Nach einer Ansicht richtet sich der Schutz technischer Maßnahmen
- bei solchen hybriden Produkten, die zugleich Computerprogramme und andere
- Werke oder urheberrechtlich geschützte Schutzgegenstände enthalten, wegen
- der Vorrangregelung des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG allein nach der speziellen Regelung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie
- 2009/24/EG (vgl. Götting in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl.,
- § 95a UrhG Rn. 4).
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- bb) Nach anderer Ansicht ist das anwendbare Recht bei hybriden Produkten nach dem Schwerpunkt des Schutzes zu bestimmen. Danach ist ausschließlich Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2009/24/EG anwendbar, wenn
- die technische Maßnahme vor allem das Computerprogramm schützt; dagegen
- ist allein Art. 6 der Richtlinie 2001/29/EG anzuwenden, wenn die technische
- Maßnahme in erster Linie dem Schutz anderer Werke oder urheberrechtlich geschützter Schutzgegenstände dient (vgl. Grützmacher in Wandtke/Bullinger,
- Urheberrecht, 3. Aufl., § 69a UrhG Rn. 83; Czychowski in Fromm/Nordemann,
- Urheberrecht, 10. Aufl., § 69a UrhG Rn. 45; Peukert in Loewenheim, Handbuch
- des Urheberrechts, 2. Aufl., § 34 Rn. 8; Kreutzer, CR 2007, 1, 6 f.; vgl. auch
- Wandtke/Ohst in Wandtke/Bullinger aaO § 95a UrhG Rn. 8).
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- Dabei bestehen allerdings unterschiedliche Meinungen zu der Frage, wo
- bei hybriden Produkten und insbesondere Videospielen der Schwerpunkt des
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- Schutzes liegt. Nach einer Ansicht gelten technische Schutzmaßnahmen bei
- Videospielen in erster Linie dem Computercode und nicht den Spielsequenzen
- (Grunert in Wandtke/Bullinger aaO § 69a Rn. 83; Kreutzer, CR 2007, 1, 3 ff.).
- Nach anderer Ansicht ist dies jedenfalls dann der Fall, wenn die Darstellung von
- Werken unmittelbar auf dem Ablauf einer dynamischen Software beruht, die Interaktionen zwischen Nutzer und Spiel ermöglicht (vgl. Peukert in Loewenheim
- aaO § 34 Rn. 8). Nach wiederum anderer Auffassung sollen die technischen
- Schutzmaßnahmen bei Videospielen vor allem die Filmsequenzen schützen
- (vgl. Schmidl in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 2. Aufl., § 95a UrhG Rn. 20).
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- cc) Nach einer dritten Auffassung, die der Senat teilt, ist bei technischen
- Schutzmaßnahmen, die dem Schutz kombinierter Produkte dienen, grundsätzlich sowohl die Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie
- 2009/24/EG als auch die Bestimmung des Art. 6 der Richtlinie 2001/29/EG anwendbar (vgl. LG München I, MMR 2008, 839, 840 f.; so wohl auch High Court
- of Justice [Chancery Division], [2004] EWHC 1738 [Ch] Rn. 26 ff. - Kabushiki
- Kaisha Sony Computer Entertainment Inc. u.a./Ball u.a.; Arnold/Timmann, MMR
- 2008, 286, 287, insbesondere Fn. 7; ähnlich Arlt, MMR 2005, 148, 154). Es erscheint nicht gerechtfertigt, technische Schutzmaßnahmen, die auch dem
- Schutz anderer Werke und urheberrechtlich geschützter Schutzgegenstände
- dienen, nur deshalb dem weiterreichenden Schutz des Art. 6 der Richtlinie
- 2001/29/EG zu entziehen und allein dem Schutz des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der
- Richtlinie 2009/24/EG zu unterstellen, weil sie zugleich dem Schutz von Computerprogrammen dienen. Das gilt auch dann, wenn der Schwerpunkt des
- Schutzes auf den Computerprogrammen liegt. Gegen eine Abgrenzung nach
- dem - oft nicht eindeutig zu bestimmenden - Schwerpunkt des Schutzes spricht
- zudem, dass diese zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen würde. Dass der
- weiterreichende Schutz des Art. 6 der Richtlinie 2001/29/EG bei hybriden Produkten faktisch auch Computerprogrammen zugutekommt, ist hinzunehmen,
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- soweit weiterhin Mittel zur Umgehung technischer Maßnahmen entwickelt oder
- verwendet werden dürfen, die erforderlich sind, um die nach Art. 5 Abs. 3 und
- Art. 6 der Richtlinie 2009/24/EG - ohne Genehmigung oder Zustimmung des
- Rechtsinhabers zulässigen - Handlungen zu ermöglichen (vgl. Erwägungsgrund 50 Satz 3 der Richtlinie 2001/29/EG).
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- Bornkamm
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- Pokrant
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- Koch
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- Büscher
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- Löffler
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- Vorinstanzen:
- LG München I, Entscheidung vom 14.10.2009 - 21 O 22196/08 OLG München, Entscheidung vom 09.06.2011 - 6 U 5037/09 -
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