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352 lines
24 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. EnVR 68/10
  4. Verkündet am:
  5. 18. Oktober 2011
  6. Bürk
  7. Justizhauptsekretärin
  8. als Urkundsbeamtin
  9. der Geschäftsstelle
  10. in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
  11. -2-
  12. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  13. vom 18. Oktober 2011 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
  14. Prof. Dr. Tolksdorf und die Richter Dr. Raum, Dr. Strohn, Dr. Grüneberg und
  15. Dr. Bacher
  16. beschlossen:
  17. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Kartellsenats
  18. des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27. Mai 2010 wird auf Kosten der Betroffenen zurückgewiesen.
  19. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
  20. auf 30.000 € festgesetzt.
  21. Gründe:
  22. I.
  23. 1
  24. Die Betroffene betreibt einen ca. 220.000 m2 großen Campingplatz auf
  25. einem gepachteten Gelände. Von den dort vorhandenen etwa 450 Parzellen
  26. sind 330 an Dauermieter vergeben, die hierauf kleinere Ferienhäuser errichtet
  27. oder Wohnmobile abgestellt haben. Die Betroffene ließ auf eigene Kosten eine im Eigentum des Stromlieferanten stehende - Trafostation herstellen. Von dort
  28. aus werden sternförmig Freileitungen über Masten zu Verteilern geführt. An
  29. diese Verteiler schließen sich die Mieter (teilweise auch über Steckerverbindungen) an.
  30. -3-
  31. 2
  32. Die Betroffene hatte zunächst den Antrag gestellt, die von ihr betriebene
  33. Stromversorgungsanlage als Objektnetz anzuerkennen, diesen Antrag aber
  34. später wieder zurückgenommen. Zeitgleich prüfte die Landesregulierungsbehörde die Festsetzung von Netznutzungsentgelten. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 stellte sie fest, dass die Betroffene ein Energieversorgungsnetz
  35. betreibe, und setzte unter anderem vorläufige Höchst-Netznutzungsentgelte
  36. fest. Zugleich ordnete die Landesregulierungsbehörde (Ziffer 6 des Tenors des
  37. angefochtenen Bescheids) an, dass die Betroffene als Betreiberin eines Elektrizitätsversorgungsnetzes zum Zwecke der vollständigen Prüfung ihrer Netzkosten spätestens zum 31. März 2010 einen vollständigen Bericht über die Ermittlung ihrer Netzentgelte nach § 28 StromNEV vorzulegen habe. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde der Betroffenen war nur teilweise erfolgreich. Das Beschwerdegericht hat den Bescheid der Landesregulierungsbehörde - wegen fehlender Ermächtigungsgrundlage - insoweit aufgehoben, als die
  38. Landesregulierungsbehörde allgemein die Netzeigenschaft der Stromversorgungsanlage der Betroffenen festgestellt und für diese vorläufige HöchstNetznutzungsentgelte bestimmt hat. Es hat jedoch die weitergehende Beschwerde gegen die der Betroffenen als Netzbetreiberin auferlegte Vorlage eines Berichts gemäß § 28 StromNEV zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich
  39. die Betroffene mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
  40. II.
  41. 3
  42. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen hat keinen Erfolg.
  43. 4
  44. 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung
  45. ausgeführt, dass sich die Anordnung in Ziffer 6 des Bescheids aus der Netzbetreibern nach § 28 StromNEV obliegenden Pflicht ergebe, einen Bericht über
  46. die Ermittlung der Netzkosten zu erstellen. Die Betroffene sei Betreiberin eines
  47. -4-
  48. Energieversorgungsnetzes. Der Begriff des Energieversorgungsnetzes müsse
  49. nach dem Verständnis des Energiewirtschaftsgesetzes weit ausgelegt werden.
  50. Mindestvoraussetzung für das Vorliegen eines Energieversorgungsnetzes sei
  51. dabei, dass die Anlage nachgelagerte Letztverbraucher versorge. Dieses Erfordernis erfülle die in Frage stehende Anlage, da die Betroffene Elektrizität an
  52. ihre Kunden weiterverkaufe und ihnen gegenüber auch gesondert abrechne.
  53. Auch wenn dies nicht ihren Haupterwerbszweck darstelle, sei sie damit ihrer
  54. objektiven Funktion nach Stromhändlerin gegenüber den an ihr Netz angeschlossenen Letztverbrauchern. Hinzu komme, dass die Betroffene - so jedenfalls ihre Darlegung - bei den ihr zur Verfügung stehenden 450 Plätzen
  55. 330 Dauermietverhältnisse eingegangen sei. Die Anlage wirke mithin wie eine
  56. kleine Siedlung. Sie könne deshalb auch nicht als eine sogenannte Kundenanlage angesehen werden. Die Strombelieferung der Platznutzer stelle sich nicht
  57. nur als kalkulatorisches Unterelement des Mietzinses dar. Vielmehr verkaufe
  58. die Betroffene Elektrizität an die Platznutzer weiter und erbringe somit eine eigenständige Leistung.
  59. 5
  60. Das Beschwerdegericht führt zur Begründung seiner Rechtsauffassung
  61. weiter aus, dass diese Einordnung des Netzes der Betroffenen auch der Zielsetzung des Energiewirtschaftsgesetzes entspreche. Die Betroffene monopolisiere nämlich die Stromversorgung und nehme den Platzmietern die Möglichkeit, selbst (günstigere) Lieferanten zu suchen. Für das gefundene Ergebnis
  62. spreche ergänzend auch ein gesetzessystematischer Gesichtspunkt. Das Netz
  63. der Betroffenen erfülle wesentliche Merkmale eines Objektnetzes im Sinne des
  64. § 110 EnWG aF. Solche Objektnetze seien aber begrifflich Energieversorgungsnetze, für die lediglich nach § 110 EnWG aF eine gewisse Privilegierung
  65. gelte. Ob die Anlage letztendlich tatsächlich als privilegiertes Objektnetz anzusehen sei, bedürfe keiner Entscheidung. Die Feststellung eines Objektnetzes
  66. sei antragsabhängig und die Betroffene habe einen entsprechenden Antrag
  67. nach § 110 EnWG aF zurückgenommen. Im Übrigen sei die (europarechtliche)
  68. -5-
  69. Wirksamkeit der Ausnahmeregelung zweifelhaft. Soweit sich die Betroffene wegen der von ihr geschätzten Kosten von 5.000 € für die Umsetzung der Dokumentationspflichten als übermäßig belastet ansehe, könne dem nicht gefolgt
  70. werden. Abgesehen davon, dass ein Aufwand in dieser Größenordnung nicht
  71. unverhältnismäßig sei, bestehe keine normative Grundlage, von einer Berichtspflicht nach § 28 StromNEV abzusehen.
  72. 6
  73. 2. Die gegen diese Begründung gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde bleiben erfolglos.
  74. 7
  75. a) Ohne Rechtsfehler hat das Beschwerdegericht die Stromleitungen, die
  76. über die Trafostation an die einzelnen Campingnutzer geführt werden, als Elektrizitätsversorgungsnetz im Sinne des § 28 StromNEV angesehen.
  77. 8
  78. aa) Weder das Energiewirtschaftsgesetz noch die gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien, zu deren Umsetzung dieses Gesetz ergangen ist, enthalten
  79. eine Definition des "Netzes". Gleiches gilt für die Stromnetzentgeltverordnung.
  80. Die Bestimmung des Begriffs "Energieversorgungsnetz" in § 3 Nr. 16 EnWG
  81. erklärt den Netzbegriff nicht, sondern setzt ihn voraus. Seine Auslegung muss
  82. - worauf das Beschwerdegericht zutreffend hingewiesen hat - aus einer Zusammenschau der energiewirtschaftsrechtlichen Begriffsbestimmungen unter
  83. Berücksichtigung der Zielsetzungen des Gesetzes entwickelt werden (vgl. dazu
  84. auch Salje, EnWG, § 3 Rn. 128).
  85. 9
  86. Besondere Bedeutung kommt dabei den Vorschriften der § 3 Nr. 29c und
  87. Nr. 36 EnWG zu. Die Regelung der Nr. 29c bezeichnet ein Netz, das überwiegend der Belieferung von Letztverbrauchern über örtliche Leitungen dient, als
  88. örtliches Verteilernetz. Die Bestimmung der Nr. 36 umschreibt näher, wann eine
  89. Versorgung mit Energie vorliegt. Danach stellen - neben deren Gewinnung - der
  90. Vertrieb von Energie an Kunden und der Betrieb eines Energieversorgungsnet-
  91. -6-
  92. zes eine Versorgung im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes dar. Dies verdeutlicht, dass der Begriff des Netzes vor dem Hintergrund seiner Versorgungsfunktion zu sehen ist. Werden durch die Anlage Dritte, insbesondere Verbraucher, mit Strom versorgt, ist der in § 1 Abs. 1 EnWG genannte Zweck des Gesetzes berührt, eine sichere, verbraucherfreundliche und effiziente Versorgung
  93. der Allgemeinheit mit leitungsgebundener Elektrizität zu gewährleisten. Es entspricht der Zielsetzung des im Jahre 2005 grundlegend novellierten Energiewirtschaftsgesetzes, dem Verbraucher Auswahlmöglichkeiten hinsichtlich der
  94. Person seines Stromversorgers einzuräumen. Dies erfordert aber ein weites
  95. Verständnis des Netzbegriffs. Um die Belieferung mit Elektrizität durch jeden
  96. Anbieter zu ermöglichen, müssen grundsätzlich alle Anlagen, die einer Versorgung der Letztverbraucher dienen, dem Netzbegriff unterfallen. Für diese weite
  97. Auslegung sprechen im Übrigen auch die Regelungen der § 3 Nr. 16, 17
  98. EnWG, die den Gesichtspunkt der Versorgung mit Energie in den Vordergrund
  99. rücken. Mithin hat das Beschwerdegericht das Kriterium der Versorgung Dritter
  100. zu Recht als zentralen Gesichtspunkt für die Abgrenzung gesehen und vermengt nicht - wie die Betroffene meint - die Begriffe "Netz" und "Versorgung".
  101. 10
  102. Ausgehend davon stellt sich das System von Stromleitungen auf dem
  103. Gelände der Betroffenen als ein Elektrizitätsversorgungsnetz dar. Über dieses
  104. System werden die Mieter der 450 Parzellen, insbesondere die 330 Dauermieter, mit dem Strom versorgt, den sie bei der Nutzung ihrer Wohnmobile oder
  105. Ferienhäuser verbrauchen. Diesen Strom beziehen sie, ohne eine Alternative
  106. zu haben, von der Betroffenen, die ihnen gegenüber auch abrechnet und so
  107. - wie das Oberlandesgericht zutreffend ausführt - der objektiven Funktion nach
  108. Stromhändlerin ist, die ihre Kunden nur über ein Elektrizitätsversorgungsnetz
  109. versorgen kann.
  110. 11
  111. bb) Das Stromversorgungssystem der Betroffenen ist keine Kundenanlage im Sinne des § 3 Nr. 24a EnWG, die, auch wenn sie die Voraussetzungen
  112. -7-
  113. des Begriffs "Energieversorgungsnetz" eigentlich erfüllt, kraft der ausdrücklichen Anordnung in § 3 Nr. 16 EnWG aus diesem Begriff herausgenommen ist.
  114. Die ausdrückliche Ausgrenzung der Kundenanlage soll - so die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 17/6072, S. 51) - die Bestimmung ermöglichen, an welchem
  115. Punkt das regulierte Netz beginnt und die unregulierte Kundenanlage endet.
  116. 12
  117. Durch das Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 2011 (BGBl. I, S. 1554) ist die Kundenanlage jetzt in § 3
  118. Nr. 24a EnWG gesetzlich definiert. Die Voraussetzung für eine Kundenanlage
  119. im Sinne des § 3 Nr. 24a EnWG ist nach Buchst. a), dass sich die Anlage auf
  120. einem räumlich zusammengehörenden Gebiet befindet. Nach den Materialien
  121. (BT-Drucks. aaO) sollen hierfür vor allem eng begrenzte "Hausanlagen", im
  122. Einzelfall auch Energieanlagen, die sich über ein größeres Grundstück erstrecken, in Betracht kommen. Ob diese Voraussetzung hier auf der Grundlage der
  123. Feststellungen des Beschwerdegerichts zu bejahen sind, kann hier ebenso dahinstehen wie die Frage, ob die Anlage wettbewerblich unbedeutend im Sinne
  124. des Buchst. c) ist. Zentrales Kriterium ist nach Buchst. d), dass die Anlage jedermann zur Belieferung der Letztverbraucher mit Strom diskriminierungsfrei
  125. und unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird. Jedenfalls diese Voraussetzung
  126. liegt bei der Anlage der Betroffenen nicht vor, weil sie den Platzmietern nicht die
  127. Wahl des Stromlieferanten überlässt, sondern vielmehr selbst als Stromversorgerin auftritt und den in Anspruch genommenen Strom direkt und gesondert
  128. gegenüber diesen abrechnet.
  129. 13
  130. cc) Die "Netzeigenschaft" des Stromversorgungssystems der Betroffenen
  131. kann auch nicht aus anderen Gründen verneint werden.
  132. 14
  133. Allerdings dürfen die Regelungen des § 3 Nr. 16, 24a EnWG nicht dahin
  134. verstanden werden, dass ein System von Stromleitungen nur dann kein Energieversorgungsnetz darstellt, wenn es sich um eine Kundenanlage handelt, also
  135. -8-
  136. nur dann, wenn dem Letztverbraucher die Wahl des Stromlieferanten vorbehalten bleibt. Dass § 3 Nr. 16 EnWG Kundenanlagen im Sinne des § 3 Nr. 24a
  137. EnWG ausdrücklich aus dem Begriff des Energieversorgungsnetzes herausnimmt, schließt die Annahme weiterer Ausnahmen nicht aus. Anderenfalls wären selbst die Stromleitungen in einem Hotel ein eigenständiges (der Regulierung unterliegendes) Elektrizitätsnetz, weil die Hotelgäste als Letztverbraucher
  138. regelmäßig nicht den Stromlieferanten wählen können. Um solche nach den
  139. Zielsetzungen des Energiewirtschaftsgesetzes nicht mehr gewollte Ergebnisse
  140. zu vermeiden, müssen etwa solche Innenanlagen, die hinter dem Hausanschluss gelegen und dadurch gekennzeichnet sind, dass zwar an Dritte Strom
  141. geliefert, aber die zur Verfügung gestellte Strommenge nicht gesondert mit den
  142. Kunden abgerechnet wird, auch von Elektrizitätsversorgungsnetzen unter der
  143. Geltung von § 3 Nr. 16 und 24a EnWG nF abgegrenzt werden.
  144. 15
  145. Wesentliches Unterscheidungskriterium ist, dass den regelmäßig häufig
  146. wechselnden und die Leistungen nur kurzfristig nutzenden Letztabnehmern die
  147. Stromversorgung in einem Gesamtpaket angeboten wird, in dem diese ein (regelmäßig untergeordneter) Bestandteil ist, der nicht gesondert abgerechnet
  148. wird, sondern vom Preis umfasst ist. Bei einer solchen Sachverhaltskonstellation erscheint es nicht angemessen, dem Nutzer die Wahl des Stromlieferanten
  149. zu überlassen. Dies wird im Übrigen weder vom Geschäftsverkehr erwartet
  150. noch ist es von der regulatorischen Zielsetzung des Energiewirtschaftsrechts
  151. gefordert. Gleiches mag auch für andere Konstellationen gelten, in denen das
  152. eine Stromlieferung einschließende Leistungspaket nur kurzfristig und nicht für
  153. eine gewisse Dauer in Anspruch genommen wird. Ob und gegebenenfalls unter
  154. welchen Voraussetzungen Innenanlagen die Netzqualität im Sinne des § 3
  155. Nr. 16 EnWG fehlt, braucht der Senat aber letztlich nicht zu entscheiden. Denn
  156. das von der Betroffenen auf ihrem Campingplatz betriebene Stromversorgungssystem erfüllt ersichtlich nicht die Voraussetzungen für einen solchen
  157. Ausnahmetatbestand.
  158. -9-
  159. 16
  160. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen des Beschwerdegerichts lässt sich ausschließen, dass das Stromversorgungsnetz der Betroffenen eine Innenanlage darstellen konnte, die nicht dem Netzbegriff des § 3
  161. Nr. 16 EnWG unterfällt. Nach seinen Ausführungen vermittele die Anlage der
  162. Betroffenen das Bild einer kleinen Siedlung, die durch den hohen Anteil von
  163. Dauermietern gekennzeichnet sei; denn von 450 Plätzen seien 330 dauerhaft
  164. vermietet. Von den Dauermietern hätten ca. 150 kleinere bis mittelgroße Ferienhäuser auf dem Gelände erstellt. Auch die von der Betroffenen selbst in ihrer
  165. Rechtsbeschwerde genannten Stromverbräuche pro Parzelle weisen aus, dass
  166. diese in ihrer Größenordnung an kleinere Haushalte heranreichen. Nach ihrer
  167. Größe und ihrem Zuschnitt ist es zur Verwirklichung der Zielsetzungen des § 1
  168. EnWG geboten, die Anlage als eigenständiges Elektrizitätsversorgungsnetz im
  169. Sinne des § 3 Nr. 16 EnWG zu qualifizieren. Eine Regulierung des Netzes und
  170. die hierdurch den Endkunden, also den Mietern der Parzellen, eröffnete Wahlmöglichkeit ihres Stromlieferanten entsprechen mithin dem Zweck des Gesetzes.
  171. 17
  172. Deshalb trifft auch der Gedanke der Rechtsbeschwerde nicht zu, wonach
  173. angeblich Zufälligkeiten der Abrechnungskonzeption über die Netzqualität entscheiden sollen. Ihr eigener Vortrag zeigt Abweichungen im Stromverbrauch
  174. auf, der von unter 50 KW bis über 2.300 KW pro Einheit reicht. Es ist schon
  175. fraglich, ob derart gravierende Unterschiede sachgerecht mit einer Pauschale in
  176. die Preisbildung einfließen könnten, zumal die Betroffene dann das (erhebliche)
  177. Risiko von relevanten Strommehrentnahmen des für die Platzmieter praktisch
  178. kostenfreien Stroms träfe. Letztlich kommt es aber entscheidend darauf an, worin die angebotene Leistung besteht. Wenn die Betroffene den Platzmietern, die
  179. zudem überwiegend Dauermieter sind, die Möglichkeit eröffnet, durch Anschluss an ihre Elektrizitätsversorgungsanlage von ihr Strom zu beziehen, dann
  180. versorgt sie diese mit Strom über das von ihr zur Verfügung gestellte Leitungssystem und erhält hierfür von diesen ein gesondertes Entgelt. Sie ist damit
  181. - 10 -
  182. Stromversorgerin, unabhängig davon, ob die Energieversorgung für sie Hauptoder Nebenzweck ist.
  183. 18
  184. dd) Die Anlage stellt auch keine Ansammlung von mehreren Direktleitungen dar. Eine Direktleitung ist gemäß § 3 Nr. 12 EnWG eine Leitung, die einen
  185. Produktionsstandort mit einem Kunden verbindet. Insoweit grenzt sich die Direktleitung ebenfalls vom Netz ab (Hellermann in Britz/Hellermann/Hermes,
  186. EnWG, 2. Aufl., § 3 Rn. 25). Sie ist nicht Bestandteil des Netzes und kann ohne
  187. Beeinträchtigung des Verbundnetzes hinweggedacht werden (Salje, EnWG, § 3
  188. Rn. 56).
  189. 19
  190. Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht erfüllt. Es liegt - entgegen
  191. der Auffassung der Betroffenen - nicht nur dann ein Netz vor, wenn die Leitungen "vermascht" sind. Ein solches Verständnis ist zu eng, weil es im Ergebnis
  192. die durch Stichleitungen versorgten Einzelkunden aus dem Anwendungsbereich
  193. des Energiewirtschaftsgesetzes ausnehmen und damit dessen Regulierungszwecken nicht gerecht würde. Es ist nicht erforderlich, dass jede einzelne Versorgungsleitung durch ein selbständiges Kabel wieder in das allgemeine Netz
  194. zurückführt. Deshalb unterfällt auch ein "Strahlennetz", bei dem die Leitungen
  195. strahlenförmig von einem Punkt in verschiedene Richtungen ausgehen, dem
  196. Netzbegriff (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2004 - VIII ZR 391/03 Rn. 15,
  197. RdE 2005, 79).
  198. 20
  199. Daran, dass die Anlage der Betroffenen mithin ein Stromnetz und keine
  200. Ansammlung von Direktleitungen darstellt, ändert sich auch dadurch nichts,
  201. dass die Platzmieter teilweise die Netzverbindung durch Steckanschlüsse herstellen. Es kommt nämlich nicht darauf an, wie die Verbindung zum Netz gestaltet ist, sondern nur darauf, ob der jeweilige Platzmieter an das von der Betroffenen vorgehaltene Energieversorgungssystem angeschlossen ist.
  202. - 11 -
  203. 21
  204. ee) Die Qualifizierung des Stromleitungssystems auf dem Gelände der
  205. Betroffenen als Energieversorgungsnetz wird durch die gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien gestützt. Sowohl die mittlerweile außer Kraft getretene Richtlinie 2003/54/EG vom 26. Juni 2003 (ABl. Nr. L 176, S. 37) als auch die Richtlinie
  206. 2009/72/EG des Europäischen Parlamentes und des Rats vom 13. Juli 2009
  207. (ABl. Nr. L 211, S. 55 - EltRL 2009), die gemäß ihrem Art. 49 Abs. 1 allerdings
  208. erst seit 3. März 2011 anzuwenden ist - und mithin vom Beschwerdegericht
  209. nicht zu beachten war -, belegen den aus den vorgenannten Regelungen entwickelten Netzbegriff. Zwar enthalten diese beiden Richtlinien gleichfalls keine
  210. Begriffsbestimmung des Netzes. Die in ihnen inhaltsgleich getroffenen Begriffsbestimmungen zur Verteilung (Art. 2 Nr. 5 EltRL 2009) und zum Verteilernetzbetreiber (Art. 2 Nr. 6 EltRL 2009) legen aber das hier gefundene Ergebnis nahe. Die Verteilung bezeichnet den Transport von Elektrizität zum Zwecke der
  211. Belieferung der Kunden über Verteilernetze. Dabei ist der Begriff des Netzes
  212. aus der Perspektive des Kunden, also desjenigen, der mit Strom beliefert wird,
  213. zu sehen. Denn auch die Erwägungsgründe verdeutlichen, dass ein Ziel der
  214. Richtlinie die Trennung von Netz und Stromlieferung ist, um so einen wirksamen Wettbewerb weiter zu fördern und dem Endkunden die Auswahl des aus
  215. seiner Sicht am besten geeigneten Stromanbieters zu ermöglichen (vgl. Erwägungsgründe Nr. 3, 4, 11, 26, 51 und 57 der EltRL 2009). Wenn die Richtlinie
  216. (Art. 2 Nr. 19 EltRL 2009) "versorgen" insoweit enger definiert als die Begriffsbestimmung des § 3 Nr. 36 EnWG, indem allein auf den Verkauf bzw. Weiterverkauf abgestellt wird, ist dies ohne Bedeutung. Hierdurch sollte letztlich nur
  217. die Trennung von Netzbetrieb und Stromverkauf unterstrichen werden.
  218. 22
  219. Auch der 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009, der die sogenannten
  220. geschlossenen Verteilernetze zum Gegenstand hat, spricht gegen die Sichtweise der Betroffenen. Dort sind "große Campingplätze" als Anwendungsfälle eines geschlossenen Verteilernetzes genannt, für die der nationale Gesetzgeber
  221. Erleichterungen im Regulierungsverfahren vorsehen kann (Art. 28 EltRL 2009).
  222. - 12 -
  223. Dies setzt aber gedanklich voraus, dass solche auf Campingplätzen typischerweise vorhandenen Elektrizitätsübertragungsanlagen als "Stromnetze" zu qualifizieren sein können, weil ansonsten die Privilegierungsmöglichkeit des Art. 28
  224. EltRL 2009 ins Leere liefe. Die Richtlinie erwähnt ausdrücklich nur die "großen"
  225. Campingplätze. Dies mag allerdings als Indiz dafür gesehen werden, dass
  226. "kleinere" Campingplätze bereits nicht als Netzbetreiber im Sinne dieser Richtlinie anzusehen sind. Letztlich kann dies jedoch offen bleiben. Schon nach den
  227. Angaben der Betroffenen muss ihr Campingplatz im Hinblick auf die Anzahl der
  228. Plätze als überdurchschnittlich und mithin als "groß" angesehen werden, weil er
  229. mehr als das Doppelte an Stellplätzen als ein Campingplatz im Durchschnitt
  230. aufweist.
  231. 23
  232. b) Die Betroffene ist im Sinne des § 3 Nr. 4 EnWG Betreiberin dieses
  233. Elektrizitätsversorgungsnetzes. Ihre möglicherweise fehlende Eigentümerstellung an der von ihr errichteten Trafostation steht dem nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, dass die Betroffene das Leitungssystem unterhält und die bestimmungsgemäße Nutzung organisiert (Hellermann in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Aufl., § 3 Rn. 12; Salje, EnWG, § 3 Rn. 16). Da die Betroffene
  234. den von ihr bezogenen Strom durch das von ihr unterhaltene Leitungssystem
  235. an die Platzmieter weiterleitet und mit diesen abrechnet, hat sie das Beschwerdegericht zutreffend als Betreiberin des Netzes angesehen.
  236. 24
  237. c) Ob das Netz der Betroffenen als Netz im Sinne des § 110 EnWG einzuordnen ist, kann hier offen bleiben. Mit dem Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 2011 (BGBl. I S. 1554) wurde
  238. - in Umsetzung der oben genannten EltRL 2009 - der frühere Objektnetztatbestand des § 110 EnWG aF (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 24. August 2010 EnVR 17/09, ZNER 2010, 584 - Flughafennetz Leipzig/Halle) novelliert. Der
  239. Gesetzgeber hat in Anlehnung an Art. 28 (i.V.m. Erwägungsgrund 30) EltRL
  240. 2009 nunmehr sogenannte geschlossene Verteilernetze privilegiert (vgl. BT-
  241. - 13 -
  242. Drucks.17/6072, S. 94). Allerdings bedarf eine solche Einstufung nach § 110
  243. Abs. 2 EnWG eines vorherigen Antrags des Netzbetreibers. Ob ein solcher gestellt wurde, ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht aufzuklären. Ebenso kann
  244. das Rechtsbeschwerdegericht nicht der tatrichterlicher Prüfung vorbehaltenen
  245. Frage nachgehen, inwieweit es der Feststellung eines geschlossenen Verteilernetzes entgegenstünde, dass über das Netz der Betroffenen auch Dauermieter
  246. versorgt werden und ob diese gegebenenfalls als Letztverbraucher, die Energie
  247. für den Eigenverbrauch im Haushalt beziehen, angesehen werden müssten
  248. (vgl. § 110 Abs. 2 Satz 2 EnWG nF).
  249. 25
  250. d) Entgegen der Auffassung der Betroffenen ergibt sich auch aus der
  251. - nach ihrer Meinung - geringen Größe ihres Netzes nichts anderes. Ebenso
  252. wenig spielt es eine Rolle, dass sie das Stromversorgungsnetz nicht als Hauptzweck betreibt (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2008 - C-439/06 Rn. 53, Slg.
  253. 2008 I-3913 = RdE 2008, 245 - citi-works). Wie schon im Hinblick auf die Vorgängerrichtlinie (EuGH aaO Rn. 49) wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht
  254. bestimmte Übertragungs- oder Verteilernetze allein schon aufgrund ihrer Größe
  255. oder ihres Stromverbrauchs vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2009 ausnehmen. Für "isolierte Kleinstnetze" im Sinne des Art. 2 Nr. 27 EltRL hat
  256. Deutschland keine Ausnahmeregelung nach Art. 44 EltRL herbeigeführt. Selbst
  257. wenn hier ein solches isoliertes Kleinstnetz vorläge, kann schon deshalb die
  258. Netzqualität der Stromversorgungsanlage der Betroffenen nicht in Zweifel gezogen werden. Hierfür spricht auch - worauf die Landesregulierungsbehörde
  259. zutreffend hinweist - der Privilegierungstatbestand des § 110 EnWG, weil die
  260. dort erfassten geschlossenen Verteilernetze häufig unter den in Art. 2 Nr. 27
  261. EltRL genannten Verbrauchsgrenzen liegen werden, ohne dass ihnen deshalb
  262. der Netzcharakter fehlen würde. Vielmehr setzt die Regelung des § 110 EnWG
  263. das Vorliegen eines Elektrizitätsversorgungsnetzes im Sinne des § 3 Nr. 16
  264. EnWG gerade voraus und sieht für geschlossene Verteilernetze nur bestimmte
  265. Ausnahmeregelungen vor.
  266. - 14 -
  267. 26
  268. Jenseits der hier nicht zu prüfenden Voraussetzungen des § 110 EnWG
  269. erscheint die Anwendung energiewirtschaftsrechtlicher Normen, insbesondere
  270. auch des § 28 StromNEV, weder unbillig noch unverhältnismäßig. Die von der
  271. Betroffenen zu erbringenden Aufwendungen für die Erstellung eines Berichts
  272. nach § 28 StromNEV können - wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat - gleichfalls nicht ohne weiteres als unverhältnismäßig angesehen
  273. werden.
  274. Tolksdorf
  275. Raum
  276. Grüneberg
  277. Strohn
  278. Bacher
  279. Vorinstanz:
  280. OLG Stuttgart, Entscheidung vom 27.05.2010 - 202 EnWG 1/10 -