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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. BLw 14/04
  4. vom
  5. 5. November 2004
  6. in der Landwirtschaftssache
  7. betreffend einen Abfindungsanspruch nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz
  8. Nachschlagewerk:
  9. ja
  10. BGHZ:
  11. nein
  12. BGHR:
  13. ja
  14. ZPO § 309
  15. § 309 ZPO gilt nicht für eine Entscheidung durch Beschluß, die nach mündlicher
  16. Verhandlung ergeht.
  17. BGH, Beschl. v. 5. November 2004 - BLw 14/04 - OLG Dresden
  18. AG Oschatz
  19. -2-
  20. Der Bundesgerichtshof, Senat für Landwirtschaftssachen, hat am 5. November
  21. 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel und die
  22. Richter Prof. Dr. Krüger und Dr. Lemke sowie die ehrenamtlichen Richter Kees
  23. und Andreae
  24. beschlossen:
  25. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluß des Landwirtschaftssenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. Januar 2004 aufgehoben.
  26. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß
  27. des Amtsgerichts Oschatz vom 6. Juli 2000 wird mit der Maßgabe
  28. zurückgewiesen, daß auch der im Verfahren der sofortigen Beschwerde gestellte Zahlungsantrag abgewiesen wird.
  29. Die Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller, der der Antragsgegnerin auch die in
  30. diesen Instanzen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat.
  31. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 9.880,32 €.
  32. -3-
  33. Gründe:
  34. I.
  35. Der Vater des Antragstellers trat 1967 in die LPG "L.
  36. F.
  37. G.
  38. ein, in die er einen Inventarbeitrag sowie eine landwirtschaftliche Nutzfläche
  39. einbrachte. Die LPG wurde nach Zusammenschluß mit einer weiteren Genossenschaft durch Beschluß vom 10. Dezember 1991 in die Rechtsform einer
  40. GmbH & Co. KG umgewandelt. In diesem Zusammenhang schied der Vater
  41. des Antragstellers aus der Genossenschaft aus. Die GmbH & Co. KG wandelte
  42. sich im Jahre 2003 in die Antragsgegnerin um.
  43. Die Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin unterbreitete den anläßlich
  44. der Umwandlung ausgeschiedenen LPG-Mitgliedern im Jahre 1992 Barabfindungsangebote auf der Grundlage der Umwandlungsbilanz zum 31. August
  45. 1991. Danach ließ das Eigenkapital nur eine Auszahlung von 50,57 % der eingebrachten Inventarbeiträge zu. Die Eltern des Antragstellers unterzeichneten
  46. am 20. Oktober 1992 eine entsprechende Barabfindungsvereinbarung, und
  47. zwar über einen Abfindungsbetrag von 2.207,50 DM. Diesen Betrag erhielten
  48. sie per Überweisung vom 25. März 1993.
  49. Der Vater des Antragstellers starb 1994 und wurde von seiner Ehefrau
  50. beerbt. Diese trat etwaige Abfindungsansprüche aus der LPG-Mitgliedschaft
  51. am 8. August 1998 an den Antragsteller ab.
  52. Dieser hält die Abfindungsvereinbarung für unwirksam. Er hat zunächst
  53. einen Anspruch auf bare Zuzahlung in Höhe von 27.727,70 DM nebst Zinsen
  54. -4-
  55. geltend gemacht, den das Landwirtschaftsgericht abgewiesen hat. Im Beschwerdeverfahren hat er den Anspruch in erster Linie auf § 44 Abs. 1 LwAnpG
  56. gestützt. Das Oberlandesgericht hat u.a. über die Höhe des abfindungsrelevanten Eigenkapitals eine Beweisaufnahme durchgeführt und nach mündlicher
  57. Verhandlung dem Antrag in Höhe von 19.324,24 DM (= 9.880,32 €) nebst Zinsen stattgegeben. An diesem am 19. Januar 2004 ergangenen Beschluß hat
  58. u.a. Richter am Amtsgericht G.
  59. mitgewirkt, dessen Abordnung an das
  60. Oberlandesgericht am 31. Dezember 2003 endete.
  61. Mit der - zugelassenen - Rechtsbeschwerde erstrebt die Antragsgegnerin die Wiederherstellung der Entscheidung des Landwirtschaftsgerichts.
  62. II.
  63. Der angefochtene Beschluß unterliegt schon deswegen der Aufhebung,
  64. weil die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Beschwerdegerichts
  65. durchgreift (§ 27 LwVG, § 547 Nr. 1 ZPO). Richter am Amtsgericht G.
  66. war nicht berufen, an dem am 19. Januar 2004 ergangenen Beschluß des Beschwerdegerichts mitzuwirken, da er zu diesem Zeitpunkt dem erkennenden
  67. Gericht nicht mehr angehörte. Letzteres ergibt sich aus dem Vermerk des Vorsitzenden, der die Unterschrift des ausgeschiedenen Richters ersetzt hat. Daß
  68. Richter am Amtsgericht G.
  69. an der letzten mündlichen Verhandlung am
  70. 11. Dezember 2003 teilgenommen hat, ändert daran nichts. Dies wäre nur bei
  71. einem auf mündliche Verhandlung ergehenden Urteil von Bedeutung, da an
  72. dem Urteil diejenigen Richter mitwirken - und nur diese mitwirken dürfen (§ 309
  73. ZPO) -, die an der letzten mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Für
  74. -5-
  75. eine Entscheidung durch Beschluß gilt dies nicht. An einem Beschluß können
  76. nur diejenigen Richter mitwirken, die zum Zeitpunkt des Erlasses, hier also am
  77. 19. Januar 2004, dazu kraft der Geschäftsverteilung berufen waren (vgl. KG
  78. NJW-RR 1994, 278; a.A. Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 309 Rdn. 7).
  79. III.
  80. Der Beschluß hält aber auch in der Sache einer Rechtsprüfung nicht
  81. stand.
  82. a) Die Annahme des Beschwerdegerichts, die Abfindungsvereinbarung
  83. sei wegen Verstoßes gegen die guten Sitten unwirksam (§ 138 Abs. 1 BGB),
  84. wird von den getroffenen Feststellungen nicht getragen. Bei der Frage, ob eine
  85. Abfindungsvereinbarung aus Anlaß des Ausscheidens eines Mitglieds aus einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft sittenwidrig ist, kommt es
  86. nicht auf die Grundsätze an, die für die Sittenwidrigkeit gegenseitiger Verträge
  87. gelten (Gedanke des besonders groben Mißverhältnisses von Leistung und
  88. Gegenleistung). Vielmehr ist entscheidend, ob der in der Abfindungsvereinbarung liegende Verzicht des Mitglieds auf Ansprüche erheblich über das hinausgeht, was die Genossenschaft nach der Vereinbarung zu zahlen bereit ist, und
  89. ob sich der Verzicht bei einer Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck
  90. als ein in seinem Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbarendes Geschäft darstellt (Senat, Beschl. v. 16. Juni 2000, BLw 19/99, WM 2000,
  91. 1762). Das ist hier zu verneinen.
  92. -6-
  93. Das Beschwerdegericht sieht den Sittenverstoß darin, daß das abfindungsrelevante Eigenkapital in der für die Bemessung der gesetzlichen Ansprüche nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz maßgeblichen Schlußbilanz
  94. der
  95. LPG
  96. unter
  97. Verstoß
  98. gegen
  99. Bilanzierungsvorschriften
  100. des
  101. D-Markbilanzgesetzes und des Handelsgesetzbuchs in erheblichem Umfang zu
  102. niedrig ausgewiesen war und so das Mitglied über die Höhe des gesetzlichen
  103. Anspruchs und über die Bedeutung und den Umfang eines Verzichts auf Nachforderungen falsch informiert wurde. Selbst wenn man einen Verstoß gegen
  104. Bilanzierungsvorschriften unterstellt, so führt das allein nicht zur Annahme der
  105. Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB.
  106. Zweifelhaft ist schon, ob der bloße Umstand, daß das Eigenkapital unrichtig ermittelt wird, die darauf beruhende Abfindungsvereinbarung als objektiv
  107. sittenwidrig erscheinen läßt. Nicht jeder Fehler, der bei der Aufstellung einer
  108. Bilanz gemacht wird, verleiht der Abfindungsregelung nach ihrem Gesamtcharakter, also nach Inhalt, Beweggrund und Zweck, das Gepräge der Sittenwidrigkeit. Wie dies im vorliegenden Fall zu beurteilen ist, bedarf jedoch keiner
  109. Entscheidung. Jedenfalls fehlt es nach den getroffenen Feststellungen an den
  110. subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB. Das Beschwerdegericht
  111. hat sich nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht die
  112. Überzeugung davon verschaffen können, daß die für die Rechtsvorgängerin
  113. der Antragsgegnerin handelnden Personen bewußt ein zu niedriges Eigenkapital in die Umwandlungsbilanz aufgenommen haben. Es fehlt daher an einer der
  114. Antragsgegnerin zurechenbaren Kenntnis des Umstandes, in dem das Beschwerdegericht den objektiven Sittenverstoß erblickt.
  115. -7-
  116. Allerdings genügt es in subjektiver Hinsicht, wenn derjenige, dem objektiv ein Sittenverstoß zur Last fällt, sich der Kenntnis bewußt oder grob fahrlässig verschließt (BGHZ 146, 298, 301 m.w.N.). Doch hat das Beschwerdegericht
  117. auch dies nicht festgestellt. Die Umstände lassen eine solche Feststellung
  118. auch nicht zu. Soweit in der Begründung des Beschwerdegerichts anklingt, ein
  119. "massiver Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und
  120. Bilanzierung" mache weitere Feststellungen zur subjektiven Seite des Sittenverstoßes entbehrlich, kann dem nicht gefolgt werden. Ein massiver Verstoß
  121. gegen Bilanzierungsvorschriften läßt ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht
  122. den Schluß darauf zu, daß sich die Verantwortlichen der Erkenntnis des Verstoßes verschlossen haben. Unkenntnis und Unerfahrenheit stellen andere
  123. denkbare Erklärungen für Fehler bei der Aufstellung von Bilanzen dar.
  124. Bei offensichtlichen Verstößen mag dies anders sein. Einen offensichtlichen Verstoß gegen Bilanzierungsvorschriften bei der Ermittlung des abfindungsrelevanten Eigenkapitals hat das Beschwerdegericht hingegen nicht festgestellt. Er liegt - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht - auch
  125. nicht vor. Dagegen steht schon, daß alle Jahresabschlüsse der LPG von einem
  126. Wirtschaftsprüfer geprüft und nicht beanstandet worden sind. Daß diese Testate nach Auffassung des Beschwerdegerichts falsch waren, ändert nichts daran,
  127. daß sie jedenfalls nicht offensichtlich falsch waren, daß sich zumindest etwaige
  128. Fehler nicht aufdrängen mußten, so daß sich die Verantwortlichen der LPG der
  129. Kenntnis bewußt oder grob fahrlässig verschlossen hätten. Dies belegt auch
  130. das Ergebnis der Beweisaufnahme. Das Beschwerdegericht führt selbst an,
  131. daß der Sachverständige B.
  132. zunächst von der Richtigkeit der Rückstellungen
  133. ausgegangen ist. Gerade in diesen Rückstellungen sieht das Beschwerdegericht indes den "massiven Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer
  134. -8-
  135. Buchführung". Selbst wenn dies stimmen sollte, offensichtlich war der Verstoß
  136. angesichts des Beweisergebnisses gerade nicht. Auch das Beschwerdegericht
  137. nimmt dies nicht an.
  138. b) Auch die Hilfsbegründung des Beschwerdegerichts, der Antragsteller
  139. könne nach den Grundsätzen des Fehlens der Geschäftsgrundlage eine Neuberechnung der Abfindung auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen
  140. verlangen, hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
  141. Das Beschwerdegericht nimmt an, die Personifizierungsquote gemäß
  142. dem in der Umwandlungsbilanz angesetzten Eigenkapitalanteil der Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin sei Geschäftsgrundlage der Abfindungsvereinbarung gewesen (DB 42). Ob das richtig ist, kann dahinstehen. Denn an dieser
  143. Grundlage hat sich nichts geändert. Die angebotene und von den Eltern des
  144. Antragstellers angenommene Abfindung bemißt sich nach diesem Bilanzkapital
  145. (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 23. Oktober 1998, BLw 19/98, AgrarR 1999, 56,
  146. 57). Was die Anwendung der Regeln über das Fehlen der Geschäftsgrundlage
  147. möglicherweise rechtfertigen könnte - und was dem Beschwerdegericht vermutlich vorgeschwebt hat -, wäre die Feststellung, daß Geschäftsgrundlage der
  148. Vereinbarung ein Angebot auf der Basis des abfindungsrelevanten Eigenkapitals gewesen ist. Dies hat das Beschwerdegericht aber gerade nicht festgestellt, vielmehr gemeint, der von der Mitgliederversammlung gefaßte Beschluß,
  149. der auf der Umwandlungsbilanz und der daraus ermittelten Personifizierungsquote beruhte, sei Grundlage der angebotenen Abfindungen, und damit auch
  150. der getroffenen Vereinbarungen gewesen (so wie im Fall des Senatsbeschlusses vom 23. Oktober 1998, aaO). Dies mag nicht fernliegen, rechtfertigt aber
  151. -9-
  152. - wie dargelegt - nicht die Anwendung der Rechtsgrundsätze vom Fehlen der
  153. Geschäftsgrundlage.
  154. Daß das rechtlich maßgebliche Eigenkapital Geschäftsgrundlage der
  155. Abfindungsvereinbarung gewesen ist, hat das Beschwerdegericht im übrigen
  156. zu Recht nicht angenommen. Solches liegt schon deswegen fern, weil dann der
  157. ersichtlich mit der Vereinbarung verfolgte Zweck nicht erreicht werden könnte.
  158. Mit der Erfüllung der dem Angebot entsprechenden Zahlungsverpflichtung sollten alle Forderungen des ausscheidenden Mitglieds abgegolten sein. Damit
  159. verträgt sich nicht die Vorstellung, daß die Vertragsparteien letztlich doch nicht
  160. das Bilanzkapital, sondern einen möglicherweise davon abweichenden "wahren Wert" der Genossenschaft als Grundlage ihrer Abfindungsvereinbarung
  161. ansahen. Denn dann führte jede Abweichung - soweit die Zumutbarkeitsgrenze
  162. überschritten ist - zu einer Nachabfindung, und die Abgeltungsklausel liefe
  163. leer.
  164. IV.
  165. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 44, 45 LwVG.
  166. Wenzel
  167. ke
  168. Krüger
  169. Lem-