Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

263 lines
13 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 42/04
  4. vom
  5. 30. März 2004
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Mordes u.a.
  9. -2-
  10. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 30. März 2004 gemäß § 349 Abs. 2
  11. und 4 StPO beschlossen:
  12. 1.
  13. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  14. Landgerichts Halle vom 9. Dezember 2002
  15. a)
  16. im Ausspruch über die im Fall II. B 1. (Überfall
  17. "M.
  18. ") verhängte Einzelstrafe,
  19. b)
  20. im Ausspruch über die Gesamtstrafe sowie
  21. c)
  22. im Ausspruch über die besondere Schuldschwere
  23. aufgehoben.
  24. 2.
  25. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  26. Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des
  27. Landgerichts zurückverwiesen.
  28. 3.
  29. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
  30. Gründe:
  31. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes, versuchten Totschlags und gemeinschaftlicher versuchter schwerer räuberischer Erpressung
  32. unter Einbeziehung der Strafen aus zwei früheren Verurteilungen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Ferner hat es die besondere
  33. Schwere der Schuld festgestellt und den Angeklagten verurteilt, an die Neben-
  34. -3-
  35. klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro nebst Zinsen zu zahlen.
  36. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er
  37. das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das
  38. Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen Teilerfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
  39. 1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch. Insoweit verweist der Senat
  40. auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom
  41. 25. Februar 2004. Das Vorbringen in der Gegenerklärung des Verteidigers
  42. Rechtsanwalt Prof. Dr. Mü.
  43. vom 16. März 2004 führt zu keinem anderen Er-
  44. gebnis.
  45. Anlaß zu ergänzenden Bemerkungen sieht der Senat lediglich insoweit,
  46. als die Revision eine Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit der
  47. Hauptverhandlung (§ 338 Nr. 6 StPO) im Hinblick darauf rügt, daß am
  48. 19. Verhandlungstag an der Saaltür der Zettel angebracht war: "Kein Zutritt
  49. während laufender Verhandlung - Zutritt nur während der Pausen".
  50. Es kann dahingestellt bleiben, ob, wie der Generalbundesanwalt meint,
  51. dieser Rüge schon deshalb der Erfolg zu versagen ist, weil die Revision nicht
  52. vorgetragen hat, daß sich durch den Hinweis an der Eingangstür zum Sitzungssaal tatsächlich jemand von der Teilnahme an der Sitzung hat abhalten
  53. lassen (vgl. BGH NJW 1980, 249 f.; Kuckein in KK 5. Aufl. StPO § 344 Rdn. 49
  54. m.N.). Denn die Rüge ist jedenfalls deshalb nicht zulässig ausgeführt (§ 344
  55. Abs. 2 Satz 2 StPO), weil es an dem vollständigen Vortrag des prozessualen
  56. Geschehens fehlt, das dieser sitzungspolizeilichen Maßnahme des Gerichts
  57. vorausging und zu ihr Anlaß gab. Wie dem Revisionsvorbringen entnommen
  58. -4-
  59. werden kann und durch die dienstliche Erklärung der Vorsitzenden Richterin
  60. bestätigt wird, war die Anbringung des Hinweises an der Eingangstür zum Sitzungssaal am 19. Verhandlungstag die Reaktion auf Störungen des Sitzungsverlaufs nicht nur durch das Verhalten der Besucher im Sitzungssaal, sondern
  61. auch durch deren ständiges Verlassen und Wiederbetreten des Saales. Dieses
  62. Verhalten führte aber nicht nur - was die Revision insoweit vorträgt - zu Abmahnungen an die anwesenden Zuhörer an den beiden vorangehenden Verhandlungstagen (25. und 26. Juli 2002). Vielmehr weist das Protokoll jedenfalls
  63. auch schon für den 16. Verhandlungstag (22. Juli 2002) aus, daß die Vorsitzende die Zuschauer darauf hingewiesen hat, daß während der laufenden
  64. Hauptverhandlung "nicht ständig rein- und rausgegangen werden kann, da das
  65. die Hauptverhandlung stört" (Protokollband II Bl. 19). Hierauf kam es für die
  66. Beurteilung, ob die vom Gericht getroffene Maßnahme den Grundsatz der Öffentlichkeit verletzt hat, an. Allerdings hätte der Senat Bedenken, allgemein zur
  67. Sicherung eines ungestörten Verlaufs der Hauptverhandlung den Zutritt zur
  68. Verhandlung nur während der Sitzungspausen zuzulassen. Denn der Öffentlichkeitsgrundsatz verlangt, daß grundsätzlich jedermann jederzeit den Zutritt
  69. zu öffentlichen Gerichtsverhandlungen haben muß (vgl. grundlegend BGHSt
  70. 22, 297). Der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt indes nicht uneingeschränkt. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen, daß eine ungestörte Verhandlung ebenso wichtig wie die Kontrolle des Verfahrensgangs
  71. durch die Allgemeinheit sein kann (BGHSt aaO S. 301; BGHSt 21, 72, 73; 27,
  72. 13, 15). So hat der Bundesgerichtshof etwa in der Anordnung des Vorsitzenden, die Tür zum Sitzungssaal während der Urteilsbegründung möglichst geschlossen zu halten, um Störungen in dem beengten Sitzungssaal zu vermeiden, keinen Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens gesehen (BGHSt 24, 72). Für die Abwägung, welchem Gesichtspunkt im
  73. -5-
  74. Einzelfall Vorrang gebührt, kommt es, wenn es um die Abwehr von eingetretenen oder zu erwartenden Störungen geht, jeweils auf deren Ausmaß an. Dazu
  75. gehörte hier auch, daß sich die Besucher dieser Hauptverhandlung ersichtlich
  76. länger - als es die Revision vorträgt - von der Abmahnung störenden Verhaltens
  77. unbeeindruckt
  78. zeigten,
  79. bevor
  80. dann
  81. schließlich
  82. am
  83. 19. Hauptverhandlungstag der Hinweis an der Eingangstür des Sitzungssaals
  84. angebracht wurde. Erst das volle Ausmaß der dieser Maßnahme vorangehenden Störung läßt die Beurteilung zu, ob ausnahmsweise die vorübergehende
  85. Gestattung des Zutritts nur während der Verhandlungspausen noch als sachgerechte Einschränkung des Grundsatzes der Öffentlichkeit hinzunehmen war.
  86. 2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
  87. ergeben.
  88. Auch
  89. die
  90. Verurteilung
  91. wegen
  92. zum
  93. Nachteil
  94. des
  95. Sch.
  96. begangenen Mordes hält im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand. Mit
  97. zutreffender Begründung hat das Landgericht das Vorliegen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe angenommen. Deshalb gefährdet es den Bestand des Urteils insoweit nicht, daß das Landgericht zu Unrecht auch das Vorliegen der weiteren Mordmerkmale der Heimtücke und der Verdeckungsabsicht
  98. angenommen hat:
  99. Nach ständiger Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in feindlicher
  100. Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur Tötung
  101. ausnutzt (Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 211 Rdn. 16 m.N.). Dabei kommt es
  102. für die Annahme von Arglosigkeit auf den Beginn der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung an (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2, 6, 8, 13, 16,
  103. 21, 27). Wie das Landgericht selbst annimmt, war das Tatopfer aber (späte-
  104. -6-
  105. stens) beim Aussteigen aus dem Pkw nicht mehr arglos (UA 55). Das Landgericht kommt gleichwohl zur Annahme der Heimtücke mit der Erwägung, "daß
  106. der Angeklagte, als er Sch.
  107. zum Einsteigen in den Pkw veranlaßte,
  108. ihn quasi in eine 'Falle' lockte und ihn ... wehrlos machte" (UA 55). Insoweit
  109. ergeben die Feststellungen indes nicht, daß der Angeklagte - worauf es ankam
  110. - zu diesem Zeitpunkt bereits den Tötungsentschluß gefaßt hatte. Vielmehr
  111. wollte der Angeklagte danach am Tatort "die Abstrafung ... fortsetzen" (UA 18).
  112. Dies aber läßt - zumal mit Blick auf die Schläge, die der Angeklagte dem Geschädigten unmittelbar zuvor versetzt hatte - den Schluß zu, daß der Angeklagte dem Geschädigten im Park zunächst - wie auch der Zeuge B.
  113. an-
  114. nahm - "nur" noch eine "Abreibung verpassen" wollte (UA 19).
  115. Soweit die Jugendkammer desweiteren das Mordmerkmal der Verdekkungsabsicht angenommen und gemeint hat, der Angeklagte habe "in der Absicht (gehandelt), einen Zeugen, der ihn bezüglich der Tat 'M.
  116. ' bela-
  117. stete, auszuschalten" (UA 55), stellt dies eine bloße, durch keine Tatsachen
  118. gestützte Vermutung dar. Auch wenn der Angeklagte davon ausgegangen war,
  119. daß Sch.
  120. seinen, des Angeklagten, Namen bei der Polizei im Zu-
  121. sammenhang mit den Ermittlungen wegen des Überfalls auf die Gaststätte
  122. "M.
  123. " genannt und ihn der Beteiligung an der Tat bezichtigt habe, folgt
  124. daraus noch nicht, daß der Angeklagte die Tötung des Sch.
  125. in der Ab-
  126. sicht beging, seine Überführung hinsichtlich der Beteiligung an dem Raubüberfall durch Beseitigung eines Belastungszeugen zu erschweren. Die Erkenntnisse der Strafverfolgungsbehörden über den gegen ihn geäußerten Verdacht der Tatbeteiligung konnte der Angeklagte durch die Tötung des
  127. Sch.
  128. nicht rückgängig machen (vgl. zur Beseitigung eines Belastungs-
  129. zeugen nach Anklageerhebung BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 6). Da-
  130. -7-
  131. für, daß der Angeklagte damit rechnete, Sch.
  132. werde ihn weiter belasten,
  133. geben die Feststellungen nichts her. Vielmehr war das - ersichtlich beherrschende - Motiv des Angeklagten, sich mit der Tötung an Sch., "der es
  134. gewagt hatte, ihn zu 'verpfeifen', zu rächen" und zugleich "anderen gegenüber
  135. ein Exempel zu statuieren, um ein für allemal klarzustellen, daß man ungestraft
  136. nicht gegen ihn bei der Polizei vorgehen könne" (UA 55/56). Hierin hat das
  137. Landgericht zu Recht niedrige Beweggründe im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB
  138. gesehen; eine Verdeckungsabsicht läßt dies indes nicht erkennen.
  139. 3. Die Revision hat zum Rechtsfolgenausspruch teilweise Erfolg.
  140. Der Strafausspruch weist einen durchgreifenden Rechtsfehler auf, soweit es die wegen des Überfalls auf die Gaststätte "M.
  141. " verhängte Einzel-
  142. strafe von drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe anlangt. Das Landgericht hat das Vorliegen eines minder schweren Falles des § 250 Abs. 3 StGB
  143. verneint und die Einzelstrafe dem nach § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB
  144. gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB entnommen. "Eine weitere
  145. Strafrahmenverschiebung wegen der nicht ausschließbar herabgesetzten
  146. Schuldfähigkeit infolge Alkohols nahm die Kammer nicht vor, weil lediglich zu
  147. Gunsten des Angeklagten nicht ausschließbar eine solche angenommen wurde, nach Aussage der Zeugin W. der Angeklagte jedoch keinen alkoholisierten
  148. Eindruck hinterließ und keine Ausfallerscheinungen zeigte" (UA 67). Diese Erwägung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. In tatsächlicher Hinsicht steht sie in Widerspruch zu der eigenen Würdigung der Jugendkammer,
  149. mit der sie die Voraussetzungen des § 21 StGB angenommen hat. Im übrigen
  150. ist es rechtsfehlerhaft, der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit deswegen ein geringeres Gewicht beizumessen, weil sie nicht erwiesen, sondern
  151. -8-
  152. nach dem Zweifelssatz lediglich unterstellt wurde (st. Rspr.; BGHR StGB § 21
  153. Strafrahmenverschiebung 4, 17; Tröndle/Fischer aaO § 21 Rdn. 18 m.w.N.).
  154. Bei dieser Sachlage kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob die
  155. weiteren Strafzumessungserwägungen, der Angeklagte habe "nur zur Befriedigung eigener Bedürfnisse" und "völlig unverhältnismäßig" gehandelt, auch entspreche die Tat "der allgemeinen egoistischen Einstellung des Angeklagten"
  156. (UA 66), durchgreifenden Bedenken unter dem Gesichtspunkt des § 46 Abs. 3
  157. StGB begegnen.
  158. 4. Die Aufhebung der im Fall II. B 1. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe hat hier die Aufhebung der lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe zur Folge. Damit entfällt zugleich der Ausspruch über die besondere
  159. Schuldschwere. Denn § 57 b StGB knüpft, wenn auf lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt wird, die Feststellung der besonderen Schwere
  160. der Schuld (§ 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) an eine zusammenfassende
  161. Würdigung aller einzelnen Straftaten. Dazu verhält sich das angefochtene Urteil nicht. Im übrigen kann der Ausspruch über die besondere Schuldschwere
  162. hier aber auch deshalb nicht bestehen bleiben, weil - wie oben zu 2. ausgeführt
  163. - die vom Landgericht angenommenen Mordmerkmale der Heimtücke und der
  164. Verdeckungsabsicht entfallen, die Jugendkammer bei ihrer Schuldschwerebeurteilung aber ausdrücklich auch auf die Verwirklichung von drei Mordmerkmalen abgestellt hat. Soweit im übrigen das Landgericht insoweit zudem gemeint hat, "die Zweck-Mittel-Relation (sei) sichtlich nicht gegeben, so daß auch
  165. insoweit eine über das Normalmaß hinausgehende Schuld des Angeklagten"
  166. vorgelegen habe (UA 69), hat es lediglich Umstände berücksichtigt, die bereits
  167. für die Annahme der niedrigen Beweggründe maßgeblich sind. Darin liegt ein
  168. -9-
  169. Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, der auch
  170. bei der Schuldschwerebeurteilung Beachtung verlangt (BGHSt 42, 226).
  171. 5. Die aufgezeigten Rechtsfehler lassen die getroffenen Feststellungen
  172. unberührt; diese können deshalb bestehen bleiben. Dies schließt ergänzende
  173. Feststellungen durch den neuen Tatrichter, die mit den getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.
  174. Tepperwien
  175. Maatz
  176. 
  177.   
  178. Kuckein
  179.