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- BUNDESGERICHTSHOF
- IM NAMEN DES VOLKES
- URTEIL
- 4 StR 246/16
- vom
- 8. Dezember 2016
- in der Strafsache
- gegen
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- wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
- Menge u.a.
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- ECLI:DE:BGH:2016:081216U4STR246.16.0
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- Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Dezember
- 2016, an der teilgenommen haben:
- Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
- Sost-Scheible,
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- Richterin am Bundesgerichtshof
- Roggenbuck,
- Richter am Bundesgerichtshof
- Cierniak,
- Bender,
- Dr. Paul
- als beisitzende Richter,
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- Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
- als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
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- Rechtsanwalt
- als Verteidiger,
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- Justizangestellte
- als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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- für Recht erkannt:
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- 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
- des Landgerichts Konstanz vom 17. Februar 2016 mit den
- Feststellungen aufgehoben,
- a) im Fall II. 6 der Urteilsgründe,
- b) in den Einzelstrafaussprüchen in den Fällen II. 1 bis 5
- der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
- 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
- Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen
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- Gründe:
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- 1
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer
- Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur
- Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit
- ihrem auf die Sachrüge gestützten, vom Generalbundesanwalt teilweise vertretenen Rechtsmittel, mit dem sie den Schuldspruch im Fall II. 6 der Urteilsgründe
- sowie sämtliche Strafaussprüche angreift. In diesem Umfang hat die Revision
- Erfolg.
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- I.
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- 1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
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- Der Angeklagte verkaufte – jeweils um Gewinn zu erzielen – im Jahr
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- 2014 an
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- in zwei Fällen 3 g Heroin für 90 € (Fälle II. 2 und 3 der
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- R.
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- Urteilsgründe). Ferner verkaufte er ihm Ende August 2014 100 g Marihuana für
- 650 € (Fall II. 1 der Urteilsgründe) und Mitte September 2014 200 g Marihuana
- und 4 g Heroin für insgesamt 1.420 € (Fall II. 4 der Urteilsgründe).
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- Im Oktober 2014 übergab der Angeklagte
- dieser für ihn in H.
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- R.
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- 1.000 €, damit
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- Amphetamin mit einem Nassgewicht von 1 kg für
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- 1.000 € einkauft, das der Angeklagte mit Gewinn weiterveräußern wollte. Dem
- kam
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- R.
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- am 7./8. November 2014 nach; er erwarb für den Angeklag-
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- ten Amphetamin mit einem Nassgewicht von 955 g, das nach der Trocknung
- noch ein Gewicht von 295,5 g und einen Wirkstoffanteil von mindestens ca.
- 160 g Amphetaminbase aufwies. Noch vor der Übergabe des Amphetamins an
- den Angeklagten konnte
-
- R.
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- festgenommen und das Amphetamin
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- sichergestellt werden (Fall II. 5 der Urteilsgründe).
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- Bei der am 29. April 2015 erfolgten Durchsuchung des Reihenhauses
- des Angeklagten wurden insgesamt 103,095 g Marihuana mit einem Wirkstoffanteil von über 14 g THC sichergestellt, das vom Angeklagten für den gewinnbringenden Verkauf bestimmt war. Bei dem Reihenhaus handelt es sich um ein
- zweistöckiges, über vier Zimmer verfügendes Gebäude, in dem der Angeklagte
- wohnte und seine beiden Söhne jeweils eigene Zimmer und „eigene Bereiche“
- hatten, aber keine „strikte Trennung“ der Wohnbereiche bestand. Von dem
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- Marihuana befanden sich knapp 4 g im Kühlschrank der Küche im unteren
- Stockwerk. Weitere 99,2 g verwahrte der Angeklagte in einem Eimer auf dem
- vom Wohnzimmer aus zu betretenden Balkon im oberen Stockwerk. In einem
- Schrank im Wohnzimmer, „gut“ fünf Meter vom Balkon entfernt, wurden ferner
- zwei Butterflymesser aufgefunden; neben der Balkontür befand sich in einem
- Fach im „Barbereich“ zudem eine Feinwaage (Fall II. 6 der Urteilsgründe).
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- 6
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- 2. Die Strafkammer bewertet das Verhalten des Angeklagten in den Fällen II. 1 bis 4 der Urteilsgründe jeweils als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) und entnimmt die Strafe dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG. § 29 Abs. 3 BtMG erörtert sie in keinem dieser
- Fälle. Bei den Fällen II. 5 und 6 der Urteilsgründe nimmt sie unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge an. Ein bewaffnetes
- Handeltreiben im Fall II. 6 sei nicht erwiesen, weil nicht festgestellt werden
- konnte, „ob sich die Butterflymesser tatsächlich während eines Teilakts des
- Handeltreibens griffbereit in räumlicher Nähe befanden“ (UA S. 8); vielmehr sei
- möglich, dass die Aktivitäten des Angeklagten seit dem Bezug der Wohnung
- über ein schlichtes Deponieren des Marihuanas nicht hinausgegangen seien.
- Letztlich könne dies jedoch dahinstehen, da jedenfalls „die subjektive Tatseite
- nicht zweifelsfrei“ festgestellt werden könne, da „die oftmals gleichzeitige gemeinsame Nutzung der Wohnung durch den Angeklagten und dessen Söhne
- Spielraum für Interpretationen und Spekulationen hinsichtlich der Zugehörigkeit
- der Messer“ lasse „und somit auch hinsichtlich eines präsenten, aktuellen Bewusstseins im Sinne einer jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit durch den Angeklagten“ (UA S. 9).
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- 3. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der von ihr erhobenen Sachrüge im Fall II. 6 der Urteilsgründe unter anderem, dass die Strafkammer
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- rechtsfehlerhaft den Besitz des Angeklagten an den Messern verneint habe;
- zudem sei bereits das Lagern der Betäubungsmittel ein Teilakt des Handeltreibens. In den Fällen II. 1 bis 4 der Urteilsgründe vermisst sie die Prüfung von
- § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG (gewerbsmäßiges Handeln). Ferner beanstandet
- sie die Bemessung der Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe und die Aussetzung zur Bewährung.
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- II.
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- Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam beschränkt auf den
- Schuldspruch im Fall II. 6 der Urteilsgründe sowie sämtliche Strafaussprüche.
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- Zwar hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils beantragt und zugleich die Verletzung
- sachlichen Rechts gerügt. Gegenstand der Begründung ist neben Angriffen
- gegen die Strafaussprüche allerdings nur der Schuldspruch im Fall II. 6 der
- Urteilsgründe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Revisionsbegründung. Dieser ist jedoch unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV
- zu entnehmen, dass die Schuldsprüche in den Fällen II. 1 bis 5 der Urteilsgründe sowie das Unterbleiben einer Verfallsentscheidung und einer Entscheidung
- über eine Unterbringung nach § 64 StGB nicht angegriffen werden sollen.
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- III.
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- In diesem Umfang hat das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg.
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- 1. Der Schuldspruch im Fall II. 6 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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- a) Denn die Strafkammer geht bei der Prüfung des objektiven Tatbestandes des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG von einem unzutreffenden Maßstab aus.
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- aa) Das für die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 30a
- Abs. 2 Nr. 2 BtMG notwendige Mitsichführen von Gegenständen, die zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind, liegt dann vor, wenn der Täter
- gefährliche Gegenstände bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat,
- dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Hierfür genügt, dass die gefährlichen
- Gegenstände dem Täter in irgendeinem Stadium des Tathergangs zur Verfügung stehen, d.h. sich so in seiner räumlichen Nähe befinden, dass er sich ihrer
- jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand, und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann. Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen, so reicht es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur
- Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand des Mitsichführens eines gefährlichen Gegenstands nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist
- (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Weber, BtMG, 4. Aufl., § 30a Rn. 145). Demgemäß sind die Voraussetzungen des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG als erfüllt angesehen worden in Fällen, in denen dem Handel treibenden Täter eine Waffe oder
- ein gefährlicher Gegenstand bei Drogenverkaufsfahrten, in seinem Vorratslager
- oder beim Strecken oder Portionieren griffbereit zur Verfügung stand, selbst
- wenn er die Drogen, ohne die Waffe oder den Gegenstand bei sich zu haben,
- außerhalb der Wohnung übergibt (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Juni
- 2015 – 1 StR 211/15, NStZ 2016, 613 f.; vom 5. April 2016 – 1 StR 38/16,
- BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 13 mwN).
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- bb) Dies zugrunde gelegt hätte die Strafkammer prüfen müssen, ob der
- Angeklagte die Butterflymesser jedenfalls während des Vorrätighaltens des Betäubungsmittels mitführte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. Juli 2012 – 2 StR
- 205/12 mwN).
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- Zwar stellt der bloße Aufenthalt in einer Wohnung selbst noch keinen
- Teilakt des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dar (BGH, Beschluss vom
- 24. September 2015 – 2 StR 126/15, NStZ 2016, 123, 124). Es reicht aber aus,
- dass der Täter zugleich Betäubungsmittel und Waffe bzw. gefährlichen Gegenstand dergestalt in Verwahrung hält, dass ihm der gleichzeitige Zugriff hierauf
- möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2014 – 3 StR 503/14, StV
- 2015, 641 mwN). Dies hätte im Hinblick auf die vom Landgericht getroffenen
- Feststellungen zu den auf dem Balkon aufbewahrten Betäubungsmitteln und
- den im Wohnzimmerschrank befindlichen Butterflymessern der Prüfung bedurft.
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- b) Auch die Ausführungen der Strafkammer zur subjektiven Tatseite des
- § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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- Zwar erfordert die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des
- § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG – wie ausgeführt –, dass der Täter die Waffe oder den
- gefährlichen Gegenstand bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat,
- dass er sich der Waffe bzw. des gefährlichen Gegenstandes jederzeit bedienen
- kann. Dies liegt aber bei der vom Angeklagten erst im April 2015 (UA S. 3) und
- im Zeitpunkt der polizeilichen Durchsuchung „frisch bezogenen“ Wohnung (UA
- S. 7), den vorangegangenen Taten im unmittelbaren Umfeld seiner früheren
- Wohnung (UA S. 9) sowie der in der Nähe der verwahrten Betäubungsmittel
- und der Butterflymesser aufgefundenen Feinwaage nahe, ohne dass es auf die
- Eigentumsverhältnisse an den Messern ankommt. Jedenfalls hätten diese Um-
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- stände der Erörterung im Rahmen der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite bedurft. Dass die Butterflymesser zur Verletzung von Menschen bestimmt
- waren, bedurfte keiner näheren Begründung; denn bei ihnen handelt es sich um
- sogenannte gekorene Waffen i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 2b WaffG („tragbare Gegenstände“), bei denen die erforderliche Zweckbestimmung zur Verletzung von
- Personen ohne weitere Feststellungen regelmäßig auf der Hand liegt (BGH,
- Beschluss vom 5. April 2016 – 1 StR 38/16 aaO).
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- 2. Auch die Strafaussprüche haben keinen Bestand.
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- a) Dies folgt hinsichtlich Fall II. 6 der Urteilsgründe und der Gesamtstrafe
- bereits aus der Aufhebung des Schuldspruchs in diesem Fall.
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- b) In den Fällen II. 1 bis 4 beanstandet die Staatsanwaltschaft zu Recht,
- dass die Strafkammer es unterlassen hat, jeweils ein gewerbsmäßiges Handeln
- des Angeklagten zu prüfen. Anlass hierfür bestand – wie der Generalbundesanwalt zu Recht dargelegt hat – schon angesichts der Handelsmengen im
- 2. Halbjahr 2014 und der hierbei vom Angeklagten erzielten Gewinne, wobei
- der Senat die Feststellung, dass der Angeklagte „die Betäubungsmittel“ in den
- Fällen II. 1 bis 4 und 6 der Urteilsgründe für 3 €/Gramm erworben und er bei
- den Verkäufen einen Preis von 6,50 €/Gramm erzielt habe, nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe auf den Erwerb und die Veräußerung von
- Marihuana bezieht.
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- Auch im Fall II. 5 hält die Bemessung der Einzelstrafe der Überprüfung
- nicht stand, da das Landgericht dem Angeklagten (auch) bei dieser Tat ohne
- nähere Erläuterung und ohne erkennbare Relevanz für die Strafbemessung
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- zugutehält, dass „nach den Finanzermittlungen bei dem Angeklagten keine
- großen Gelder festgestellt werden“ konnten (UA S. 10).
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- 3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf
- hin, dass der Feststellung der (genauen) Wirkstoffgehalte der Betäubungsmittel
- in den Fällen II. 1 bis 4 der Urteilsgründe weder die Teilrechtskraft des Schuldspruchs noch die Bindungswirkung infolge nicht aufgehobener Feststellungen
- entgegensteht.
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- 4. Das Urteil weist keine durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des
- Angeklagten auf (§ 301 StPO).
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- Sost-Scheible
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- Roggenbuck
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- Bender
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- Cierniak
-
- Paul
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