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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 80/16
  4. vom
  5. 27. April 2016
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Diebstahls u.a.
  9. ECLI:DE:BGH:2016:270416B2STR80.16.0
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 27. April 2016 gemäß § 349 Abs. 2
  12. und 4 StPO beschlossen:
  13. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
  14. Stralsund vom 16. November 2015 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben
  15. jedoch aufrechterhalten.
  16. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
  17. und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  18. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  19. Gründe:
  20. 1
  21. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet
  22. sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem
  23. aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
  24. -3-
  25. I.
  26. 2
  27. Nach den Feststellungen des Landgerichts trat der an einer paranoiden
  28. Schizophrenie leidende Angeklagte in der Zeit vom 5. Oktober 2014 bis
  29. 10. Januar 2015 wie folgt in Erscheinung: Weil er Hunger und Durst hatte, bestellte er in einem Restaurant Essen und Trinken, obwohl er nicht über ausreichende Barmittel verfügte (Fall 1); darüber hinaus entwendete er eine Spendenkasse, die in einer Apotheke aufgestellt war (Fall 2), sowie ein Paket Wurst
  30. und Fleisch aus dem Einkaufsbeutel einer Passantin (Fall 4). In drei Fällen
  31. drang der Angeklagte in die Wohnung eines Nachbarn ein, um sich dort mit einem Verlängerungskabel Strom zu verschaffen, weil die Stromzufuhr in seiner
  32. eigenen Wohnung gesperrt war (Fälle 5, 6 und 8). In einem weiteren Fall drang
  33. er in die Wohnung eines ihm Unbekannten ein, um dort zu übernachten. Weil
  34. ihm dies versagt wurde, zerschlug er eine Tasse (Fall 3). In zwei Fällen verschaffte sich der Angeklagte Zutritt zu einer Klinik, um sich Medikamente bzw.
  35. Vitaminaufbaupräparate zu verschaffen, wobei er einmal den Wachtdienst
  36. täuschte (er sei „under cover“ unterwegs) und ein anderes Mal durch das Fenster in das Gebäude kletterte (Fälle 7 und 11). Der Angeklagte wurde schließlich
  37. bei dem Versuch, in einem Supermarkt Batterien zu entwenden, festgehalten.
  38. Dem Polizeibeamten, dem er übergeben wurde, ergriff er am Arm und stieß ihn
  39. weg, weil er sich nicht durchsuchen lassen wollte (Fall 9 und 10).
  40. 3
  41. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass der
  42. Angeklagte in allen Fällen ohne Schuld gehandelt habe. Aufgrund seiner
  43. schwerwiegenden Erkrankung sei sicher von einer erheblich verminderten
  44. Steuerungsfähigkeit zu den Tatzeitpunkten auszugehen. Nicht ausschließbar
  45. sei die Steuerungsfähigkeit im gesamten Tatzeitraum auch aufgehoben gewesen. Zwar wiesen die Umstände der Tatbegehung nicht in allen Fällen auf eine
  46. akute psychotische Phase hin. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs
  47. -4-
  48. der Taten sei es jedoch nicht möglich, die Schuldfähigkeit des Angeklagten von
  49. Tat zu Tat differenziert zu beurteilen, weshalb zu seinen Gunsten davon auszugehen sei, dass er sich im gesamten Tatzeitraum in einer psychotischen Krankheitsphase befunden habe.
  50. II.
  51. 4
  52. 1. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt. Das Landgericht hat schon nicht hinreichend
  53. dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstaten sicher erheblich
  54. vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB war.
  55. 5
  56. a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen
  57. Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen
  58. darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war
  59. und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen
  60. dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21
  61. StGB unterfallende Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichtsoder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstat auf den
  62. entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen ist (vgl. BGH, Beschluss
  63. vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 mwN).
  64. 6
  65. Wenn sich der Tatrichter – wie hier – darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen,
  66. muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so
  67. -5-
  68. wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung
  69. seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni
  70. 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 mwN). Dies gilt auch in Fällen
  71. paranoider Schizophrenie. Allein die Diagnose einer solchen Erkrankung führt
  72. für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest
  73. längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung
  74. der Schuldfähigkeit (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 - 5 StR
  75. 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014,
  76. 305, 306 mwN). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs
  77. der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich
  78. die festgestellte psychische Störung bei Begehung der jeweiligen Tat auf die
  79. Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und
  80. damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (Senat, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss
  81. vom 27. Januar 2016 - 2 StR 314/15).
  82. 7
  83. b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es
  84. fehlt eine nähere Darlegung des Einflusses des diagnostizierten Störungsbildes
  85. auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den jeweils konkreten Tatsituationen. Die Strafkammer schließt sich insoweit lediglich der Beurteilung des
  86. Sachverständigen an, ohne dessen dafür wesentlichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH,
  87. Beschluss vom 14. April 2010 - 5 StR 123/10 mwN). Die Annahme, dass es
  88. sich bei der Erkrankung des Angeklagten um einen „überdauernden Zustand“
  89. handele und nicht – wie es sonst bei paranoiden Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis regelmäßig der Fall ist – um eine nur schubweise auftretende Erkrankung, ist ebenso wenig durch Tatsachen belegt, wie eine in subakuten Zuständen möglicherweise überdauernd bestehende erheblich vermin-
  90. -6-
  91. derte Steuerungsfähigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR
  92. 545/15;
  93. Müller-Isberner/Eusterschulte
  94. in
  95. Venzlaff/Foerster/Dreßing/Haber-
  96. meyer, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl., S. 227, 236).
  97. 8
  98. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich
  99. insoweit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die festgestellten Taten des Angeklagten weisen - wovon auch das Landgericht ausgegangen ist - nur teilweise
  100. besondere Umstände auf, die auf einen akuten Krankheitsschub hindeuten
  101. können. Auch soweit das Landgericht an anderer Stelle ausgeführt hat, die Taten seien auf „krankheitsbedingte Fehlwahrnehmungen“ des Angeklagten zurückzuführen, der sich zur „Befriedigung seiner Grundbedürfnisse“ (Nahrung,
  102. Strom, Arzneimittel) „zu Diebstahlshandlungen gerechtfertigt“ sehe, wird der
  103. spezifische Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den einzelnen Taten
  104. nicht hinreichend belegt. Denn ungeachtet dessen, dass diese Erwägung eher
  105. auf einen Ausschluss der Unrechtseinsicht hinweist, erscheint das Handeln des
  106. Angeklagten zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung auch ohne Fehlwahrnehmung rational nachvollziehbar.
  107. 9
  108. 2. Die Sache bedarf deshalb im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2010
  109. - 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55 mwN). Von der Aufhebung nicht betroffen sind
  110. jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die deshalb bestehen
  111. bleiben. Die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung weist
  112. -7-
  113. keinen Rechtsfehler auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Insoweit war die Revision zu verwerfen. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den
  114. bisherigen nicht widersprechen.
  115. Fischer
  116. RiBGH Dr. Appl ist
  117. an der Unterschrift
  118. gehindert.
  119. Fischer
  120. Ott
  121. Eschelbach
  122. Zeng