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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 1 StR 64/12
  4. vom
  5. 20. März 2012
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen versuchten Totschlags u.a.
  9. -2-
  10. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. März 2012 gemäß § 349
  11. Abs. 4 StPO beschlossen:
  12. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 17. November 2011 im gesamten Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  13. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
  14. und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
  15. eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
  16. Landgerichts zurückverwiesen.
  17. Gründe:
  18. 1
  19. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
  20. Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung in
  21. zwei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
  22. von fünf Jahren verurteilt. Es hat weiter die Unterbringung des Angeklagten in
  23. einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung angeordnet und
  24. zum einen bestimmt, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt vor der
  25. Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu vollziehen ist, und zum anderen, dass vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt drei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vorweg zu vollziehen sind.
  26. 2
  27. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und die er auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt wissen will.
  28. -3-
  29. 3
  30. Sein Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Der gesamte Maßregelausspruch war aufzuheben.
  31. 4
  32. 1. Die Beschränkung auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung
  33. (§ 66 StGB) ist hier unwirksam. Die Anfechtung erstreckt sich auch auf die zugleich angeordnete Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Beide
  34. Anordnungen sind - wie sich auch aus den Urteilsgründen ergibt (UA S. 42 ff.) untrennbar verknüpft. Sie können nicht losgelöst voneinander geprüft und beurteilt werden (vgl. auch § 72 StGB).
  35. 5
  36. 2. Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66
  37. StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es kann dahinstehen, ob die
  38. vom Landgericht gegebene Begründung der neueren Rechtsprechung des
  39. Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09
  40. u.a., NJW 2011, 1931) und des Bundesgerichtshofs (vgl. u.a. BGH, Urteil vom
  41. 8. Februar 2012 - 2 StR 346/11; BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 4 StR
  42. 594/11) gerecht wird. Die Maßregelanordnung war schon deshalb aufzuheben,
  43. weil die Strafkammer bei der Prüfung des Hangs und im Rahmen der Gefahrenprognose zulässiges Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu dessen
  44. Nachteil verwertet hat (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011
  45. - 5 StR 267/11; BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 5 StR 189/11 und
  46. BGH, Beschluss vom 5. April 2011 - 3 StR 12/11 jeweils mwN). Der Angeklagte
  47. bestreitet die Taten im Wesentlichen (UA S. 20 bis 22). Die Strafkammer stellt
  48. gleichwohl bei Bejahung der materiellen Voraussetzungen des § 66 StGB u.a.
  49. darauf ab, dass der Angeklagte zu seinen Taten nicht steht, diese im Wesentlichen bestreitet, sein Verhalten bagatellisiert und die Opferzeugin der Lüge bezichtigt (UA S. 40/41). Dieses Verhalten durfte ihm im Zuge der Maßregelanordnung nicht angelastet werden. Anderenfalls wäre der Angeklagte gezwungen, seine Verteidigungsstrategie aufzugeben, will er hinsichtlich der Siche-
  50. -4-
  51. rungsverwahrung einer ihm ungünstigen Entscheidung entgegenwirken (vgl.
  52. BGH aaO).
  53. 6
  54. Die Aufhebung der Anordnung der Sicherungsverwahrung zieht die Aufhebung der Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach sich,
  55. da beide hier untrennbar miteinander verknüpft sind.
  56. 7
  57. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft die Zeit der erlittenen Untersuchungshaft von der Dauer des Vorwegvollzugs der Unterbringung gemäß § 64 StGB abgezogen hat (vgl. hierzu u.a.
  58. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 - 5 StR 423/11 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 28. September 2011 - 2 StR 376/11; BGH, Beschluss vom
  59. 28. Juni 2011 - 4 StR 17/11 jeweils mwN; auch Fischer, StGB, 59. Aufl., Rn. 9a
  60. zu § 67 StGB).
  61. 8
  62. Es kann auch dahinstehen, ob im vorliegenden Fall zu erörtern gewesen
  63. wäre, dass sich an die Unterbringung in die Entziehungsanstalt erst die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anschließt, der Angeklagte also nicht
  64. -5-
  65. ohne Weiteres im Anschluss an die Therapie in Freiheit kommt (vgl. hierzu
  66. BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 14 = BGH, Beschluss vom
  67. 9. Oktober 1998 - 2 StR 423/98 zu § 67 Abs. 2 StGB aF).
  68. Nack
  69. Rothfuß
  70. Jäger
  71. Elf
  72. Sander