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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 1 StR 646/15
  4. vom
  5. 3. Februar 2016
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
  9. ECLI:DE:BGH:2016:030216B1STR646.15.0
  10. -2-
  11. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Februar 2016 gemäß
  12. § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
  13. 1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 28. August 2015 aufgehoben
  14. a) im Gesamtstrafenausspruch,
  15. b) soweit die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist.
  16. 2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
  17. 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  18. Gründe:
  19. I.
  20. 1
  21. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen elf Einzeltaten zu insgesamt
  22. drei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Sie wurde wegen vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne
  23. Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit fünf selbständigen Fällen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in Tateinheit mit
  24. gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln unter Ein-
  25. -3-
  26. beziehung der mit Entscheidung des Amtsgerichts Plauen vom 29. Oktober
  27. 2014 rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro
  28. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt.
  29. Weiter erfolgte eine Verurteilung der Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr
  30. von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei selbständigen Fällen
  31. jeweils in Tateinheit mit gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben unter
  32. Einbeziehung der mit Entscheidung des Amtsgerichts Aue vom 16. Dezember
  33. 2014 rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 20 Euro
  34. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Schließlich wurde die Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in
  35. nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz
  36. von Betäubungsmitteln zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
  37. und neun Monaten verurteilt.
  38. 2
  39. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Ihr Rechtsmittel hat im Gesamtstrafenausspruch und – soweit eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist – Erfolg (§ 349 Abs. 4
  40. StPO); im Übrigen ist es, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift
  41. vom 4. Januar 2016 ausgeführt hat, unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2
  42. StPO.
  43. II.
  44. 3
  45. 1. Der Ausspruch über die Gesamtstrafen ist rechtsfehlerhaft und daher
  46. aufzuheben.
  47. -4-
  48. 4
  49. a) Das Landgericht hat zunächst zutreffend erkannt, dass bei der Bildung
  50. der Gesamtstrafen für die vorliegend abzuurteilenden und zwischen April 2014
  51. und März 2015 begangenen elf Einzeltaten auch die Einzelstrafen aus dem
  52. Urteil des Amtsgerichts Plauen vom 29. Oktober 2014 (Tatzeit: 1. Mai 2014)
  53. und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aue vom 16. Dezember 2014 (Tatzeit:
  54. 24. Mai 2014) einzubeziehen waren, nachdem die in diesen Verfahren jeweils
  55. verhängten Geldstrafen nach den Feststellungen des Landgerichts noch nicht
  56. bezahlt waren. Ohne Rechtsfehler geht das Landgericht hier auch weiter davon
  57. aus, dass der Verurteilung durch das Amtsgericht Plauen vom 29. Oktober
  58. 2014 eine zäsurbildende Wirkung zukommt.
  59. 5
  60. Zu Unrecht hat das Landgericht aber auch der zweiten Vorverurteilung,
  61. dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aue vom 16. Dezember 2014, eine zweite
  62. Zäsurwirkung beigemessen, obwohl die dieser Entscheidung zu Grunde liegende Tat am 24. Mai 2014 bereits vor der ersten zäsurbildenden Verurteilung begangen wurde. Eine zweite Zäsur – wie vom Landgericht angenommen – und
  63. die Möglichkeit zur Zusammenfassung zu einer weiteren Gesamtstrafe kommt
  64. aber nur für Einzelstrafen wegen Taten in Betracht, die nach der ersten und vor
  65. der zweiten Verurteilung begangen wurden (BGH, Beschluss vom 24. März
  66. 1988 – 1 StR 83/88, BGHSt 35, 243, 245). Zweck des § 55 StGB ist es gerade,
  67. den Täter so zu stellen, als ob das Gericht bei der früheren Verurteilung von
  68. allen gesamtstrafenfähigen Taten gewusst und diese nach §§ 53, 54 StGB abgeurteilt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 1994 – 1 StR 142/94, NStZ
  69. 1994, 482; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 55 Rn. 2 mwN).
  70. 6
  71. b) Richtigerweise hätte daher vom Landgericht aus den bis 29. Oktober
  72. 2014 im vorliegenden Verfahren beendeten Taten und den hierbei verhängten
  73. sechs Einzelstrafen sowie aus den beiden Geldstrafen aus dem Urteil des
  74. Amtsgerichts Plauen vom 29. Oktober 2014 und dem Strafbefehl des Amtsge-
  75. -5-
  76. richts Aue vom 16. Dezember 2014 eine Gesamtstrafe gebildet werden müssen. Eine zweite Gesamtstrafe wäre dann vom Landgericht aus allen für die
  77. weiteren fünf verfahrensgegenständlichen Taten verhängten Einzelstrafen, die
  78. nach dem 29. Oktober 2014 begangen wurden, zu bilden gewesen. Der Senat
  79. weist zudem darauf hin, dass die neu zu bildenden Gesamtstrafen wegen des
  80. Verschlechterungsverbots des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nur so hoch bemessen werden dürfen, dass sie zusammen die Summe der im angefochtenen Urteil verhängten drei Gesamtfreiheitsstrafen nicht übersteigen (BGH, Beschluss
  81. vom 18. August 2015 – 1 StR 305/15, NStZ-RR 2015, 305).
  82. 7
  83. 2. Auch die auf das Fehlen eines Hangs, Drogen im Übermaß zu konsumieren, gestützte Ablehnung der Unterbringung der Angeklagten in einer
  84. Entziehungsanstalt hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
  85. 8
  86. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte die Angeklagte erstmals mit 19 Jahren Crystal, anfänglich nur gelegentlich ca. 0,5 Gramm
  87. Methamphetamin im Monat. Ihr Konsum steigerte sich im Laufe der Zeit auf
  88. 1 bis 1,5 Gramm pro Monat. Zuletzt konsumierte sie dann maximal 0,2 Gramm
  89. Methamphetamin zum Stressabbau täglich. Andere Substanzen nahm die Angeklagte nicht ein.
  90. 9
  91. Das Landgericht stellt auf dieser Grundlage bei der Angeklagten im Hinblick auf ihren Methamphetaminkonsum eine „behandlungsbedürftige Suchtmittelabhängigkeit“ fest und kommt auch zu dem Ergebnis, dass sie die Taten zur
  92. Finanzierung ihres eigenen Konsums begangen habe. Die Nichtanordnung der
  93. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begründet das sachverständig beratene Landgericht damit, dass bei der Angeklagten zwar eine Abhängigkeitserkrankung gegeben sei, was eine Langzeittherapie sinnvoll erscheinen lasse,
  94. jedoch kein besonders schweres Suchtgeschehen vorliege. Insbesondere läge
  95. -6-
  96. ein monovalenter Konsum vor, keine Polytoxikomanie, und ansonsten läge
  97. auch kein intravenöser Konsum von Methamphetamin vor. Auch sei das Persönlichkeitsbild der Angeklagten durch den Drogenkonsum nicht in erkennbarem Umfang verändert; die Voraussetzungen einer Depravation seien nicht gegeben.
  98. 10
  99. b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64
  100. StGB ausgegangen ist.
  101. 11
  102. Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine
  103. eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung
  104. erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese
  105. Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben
  106. muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist
  107. jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen
  108. Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Urteile vom
  109. 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15 Rn. 7, vom 10. November 2004 – 2 StR
  110. 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13). Insoweit kann
  111. dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit,
  112. Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist,
  113. zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen
  114. (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198
  115. und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen dürften, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008
  116. – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15).
  117. -7-
  118. 12
  119. c) Dies zu Grunde gelegt, drängt sich das Vorliegen eines Hanges hier
  120. schon angesichts der bei der Angeklagten festgestellten behandlungsbedürftigen Abhängigkeitserkrankung und ihres Konsumverhaltens auf. Der Senat
  121. kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Zugrundelegung des
  122. zutreffenden Maßstabs einen Hang angenommen hätte. Den bisher getroffenen
  123. Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Anordnung der Maßregel
  124. an dem symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Taten, der Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten oder an der hinreichend konkreten Aussicht auf einen Behandlungserfolg (§ 64 Satz 2 StGB) scheitern müsste.
  125. 13
  126. d) Alle bisherigen Feststellungen konnten aufrechterhalten bleiben, da
  127. sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind.
  128. 14
  129. Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf aber unter Hinzuziehung eines Sachverständigen
  130. (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung sowie
  131. ergänzender Feststellungen. Der neue Tatrichter wird deshalb das Vorliegen
  132. eines Hanges der Angeklagten, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, neu zu beurteilen und auch Feststellungen zu treffen haben, inwieweit ein
  133. symptomatischer Zusammenhang zwischen Drogensucht und den Betäubungsmittelstraftaten der Angeklagten und eine hinreichend konkrete Therapieaussicht besteht. Der neue Tatrichter wird dabei auch § 67 Abs. 2 StGB zu
  134. beachten und mit sachverständiger Hilfe die erforderliche Therapiedauer zu
  135. bestimmen haben.
  136. 15
  137. Dass nur die Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung
  138. der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil
  139. vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04 und Beschluss vom 21. Oktober 2008
  140. – 3 StR 382/08, NStZ-RR 2009, 59). Sie hat die Nichtanwendung des § 64
  141. -8-
  142. StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen
  143. (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362). Der
  144. Senat kann ausschließen, dass das Tatgericht bei Anordnung der Unterbringung auf geringere Freiheitsstrafen erkannt hätte.
  145. Raum
  146. Graf
  147. Radtke
  148. Cirener
  149. Bär