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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XII ZR 59/12
  5. Verkündet am:
  6. 9. Oktober 2013
  7. Breskic
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB §§ 242 Cc, 371
  19. a) Der Gläubiger verwirkt einen rechtskräftig ausgeurteilten Zahlungsanspruch
  20. nicht allein dadurch, dass er über einen Zeitraum von 13 Jahren keinen Vollstreckungsversuch unternimmt.
  21. b) Zur Herausgabe eines Vollstreckungstitels bei mehreren Titelschuldnern.
  22. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2013 - XII ZR 59/12 - OLG Hamburg
  23. LG Hamburg
  24. -2-
  25. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Oktober 2013 durch die
  26. Richter Dr. Klinkhammer, Weber-Monecke, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und
  27. Guhling
  28. für Recht erkannt:
  29. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats
  30. des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 20. April
  31. 2012 aufgehoben.
  32. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
  33. auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tatbestand:
  36. 1
  37. Die Beklagte (im Folgenden: Gläubigerin) erwirkte als gewerbliche Vermieterin in den Jahren 1993 und 1994 insgesamt fünf Vollstreckungstitel (Urteile und Kostenfestsetzungsbeschlüsse) gegen den Kläger (im Folgenden:
  38. Schuldner) und seinen Mitmieter. Die Forderungen sind teilweise befriedigt;
  39. weitere Zahlungen sind streitig. Der Schuldner hat die vollständige Tilgung aller
  40. Schuldtitel behauptet, er verfüge jedoch über keine Unterlagen und Belege aus
  41. dem fraglichen Zeitraum mehr, da diese bereits vernichtet seien und auch von
  42. -3-
  43. der Bank nicht mehr reproduziert werden könnten.
  44. 2
  45. Der letzte Vollstreckungsversuch hatte in Form einer Wohnungsdurchsuchung im April 1995 stattgefunden. Danach ruhte die Angelegenheit, bis die
  46. Gläubigerin im Jahr 2008 ein Inkassounternehmen mit der Einziehung der Forderung beauftragte.
  47. 3
  48. Mit seiner Klage hat der Schuldner die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung und die Herausgabe der Titel verlangt. Das Landgericht hat der
  49. Klage stattgegeben, weil die titulierten Ansprüche verwirkt seien. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Gläubigerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet
  50. sich deren vom Senat zugelassene Revision.
  51. Entscheidungsgründe:
  52. 4
  53. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
  54. I.
  55. 5
  56. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die titulierten Ansprüche seien verwirkt. Die Gläubigerin
  57. habe die Forderung über einen langen Zeitraum von 13 Jahren nicht geltend
  58. gemacht. Das außerdem erforderliche Umstandsmoment sei darin verwirklicht,
  59. dass der Schuldner sich darauf eingerichtet habe und nach den gesamten Umständen auch darauf habe einrichten dürfen, dass die Gläubigerin ihre Rechte
  60. -4-
  61. aus den Titeln nicht mehr geltend machen werde. Der Schuldner sei nach dem
  62. Ablauf von etwa 13 Jahren von 1995 bis zu dem Zeitpunkt, als sich das Inkassobüro im Jahr 2008 bei ihm gemeldet habe, nicht mehr in der Lage, die von
  63. ihm behauptete Erfüllung der streitgegenständlichen Forderung zu beweisen.
  64. Sämtliche schriftlichen Beweismittel stünden nicht mehr zur Verfügung, nachdem die zehnjährigen Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien. Die fehlende
  65. Sicherung von Belegen zum Nachweis der Erfüllung stelle eine berechtigte Vertrauensdisposition des Schuldners dar, wenn der letzte Vollstreckungsversuch
  66. mehr als zehn Jahre zurückliege. Jedenfalls habe die Gläubigerin den Schuldner innerhalb der zehn Jahre darauf hinweisen müssen, dass ihrer Auffassung
  67. nach die titulierten Ansprüche noch nicht vollständig erfüllt seien und er daher
  68. weiter mit Vollstreckungsmaßnahmen rechnen müsse.
  69. II.
  70. 6
  71. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
  72. 7
  73. 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Rechtsgedanke der Verwirkung, der auch im Miet- und Pachtrecht gilt, ein Unterfall der
  74. unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens. Danach
  75. ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem
  76. gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das
  77. Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Die Annahme einer Verwirkung setzt somit neben dem Zeitablauf das Vorliegen besonderer, ein solches
  78. Vertrauen des Verpflichteten begründender Umstände voraus. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und
  79. zu würdigenden Umständen des Einzelfalles (Senatsurteile vom 17. November
  80. -5-
  81. 2010 - XII ZR 124/09 - NJW 2011, 445 und vom 27. Januar 2010 - XII ZR
  82. 22/07 - NZM 2010, 240 Rn. 32 mwN).
  83. 8
  84. 2. Ob der Ablauf von 13 Jahren, während derer die Titel nicht vollstreckt
  85. wurden, eine ausreichend lange Zeitspanne darstellt, bei der eine Anspruchsverwirkung grundsätzlich in Betracht kommt, kann im Ergebnis ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Schuldner eine Vertrauensdisposition getroffen
  86. hat, indem er die Belege, die nach seinem Vorbringen bereits im Jahr 1997
  87. durch seinen Steuerberater vernichtet worden waren, nicht von der Bank reproduzieren ließ, bevor sie dort gelöscht wurden.
  88. 9
  89. Denn jedenfalls kann dem Oberlandesgericht nicht in der Annahme gefolgt werden, der Schuldner habe sich nach den gesamten Umständen darauf
  90. einrichten dürfen, dass die Gläubigerin ihre Rechte aus den Titeln nicht mehr
  91. geltend machen werde.
  92. 10
  93. a) Bei dem Rechtsgedanken der Verwirkung kommt es in erster Linie auf
  94. das Verhalten des Berechtigten an. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete
  95. Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen
  96. werden. Dabei ist das Verhalten des Berechtigten nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Maßgebend ist insoweit, ob bei objektiver Beurteilung
  97. der Verpflichtete dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob er sich also darauf einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht
  98. mehr zu rechnen brauche (BGHZ 25, 47, 52 = NJW 1957, 1358; RGZ 155,
  99. 152).
  100. 11
  101. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen daher
  102. zu dem reinen Zeitablauf besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtferti-
  103. -6-
  104. gen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen
  105. (BGHZ 105, 290, 298 = NJW 1989, 836; BGH Urteile vom 18. Januar 2001 - VII
  106. ZR 416/99 - NJW 2001, 1649; vom 14. November 2002 - VII ZR 23/02 - NJW
  107. 2003, 824 und vom 30. Oktober 2009 - V ZR 42/09 - NJW 2010, 1074). Der
  108. Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden
  109. (BGH Urteile BGHZ 43, 289, 292 = NJW 1965, 1532; vom 20. Dezember 1968
  110. - V ZR 97/65 - WM 1969, 182; vom 29. Februar 1984 - VIII ZR 310/82 - NJW
  111. 1984, 1684 vom 27. März 2001 - VI ZR 12/00 - NZV 2001, 464, 466 und vom
  112. 14. November 2002 - VII ZR 23/02 - NJW 2003, 824 juris Rn. 9).
  113. 12
  114. Hinzu kommt, dass es sich hier um titulierte Ansprüche handelt. Lässt ein
  115. Gläubiger seinen Anspruch durch Gerichtsurteil titulieren, gibt er bereits
  116. dadurch zu erkennen, dass er die Forderung durchsetzen will und sich dazu
  117. eines Weges bedient, der ihm dies grundsätzlich für die Dauer von 30 Jahren
  118. ermöglicht. Bei dieser Ausgangslage liegt die Annahme, ein anschließendes
  119. Ruhen der Angelegenheit könne bedeuten, der Gläubiger wolle den Anspruch
  120. endgültig nicht mehr durchsetzen, umso ferner.
  121. 13
  122. Abgesehen davon ist der Schuldner nach etwaiger Erfüllung der Schuld
  123. keineswegs schutzlos. Er kann nicht nur eine Quittung beanspruchen (§ 368
  124. BGB), sondern auch den Titel selbst vom Gläubiger heraus verlangen (§ 371
  125. BGB analog).
  126. 14
  127. b) Nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen liegt ein
  128. vertrauensbegründendes Verhalten der Gläubigerin nicht vor. Nach den Annahmen des Oberlandesgerichts war die Angelegenheit bei der Gläubigerin außer Kontrolle geraten und deshalb 13 Jahre lang unbeachtet geblieben. Das ist
  129. kein Umstand, aus dem ein Schuldner das Vertrauen gründen darf, ein titulierter
  130. Rechtsanspruch solle nicht mehr durchgesetzt werden.
  131. -7-
  132. 15
  133. Im Übrigen ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass der
  134. Schuldner seine Belege mit der Erwägung vernichtete bzw. die vom Steuerberater vorzeitig vernichteten Belege nicht reproduzieren ließ, dass diese wegen
  135. Ablauf der steuerlichen Aufbewahrungsfristen nicht mehr benötigt würden. Mithin beruht seine Vertrauensdisposition nicht auf Umständen aus der Sphäre der
  136. Gläubigerin.
  137. 16
  138. Damit fehlt es insgesamt an einem für die Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment.
  139. 17
  140. 3. a) Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht abschließend in der
  141. Sache entscheiden, weil das Oberlandesgericht - von seinem Standpunkt aus
  142. folgerichtig - keine Feststellungen zu der behaupteten Erfüllung der Schuld getroffen hat.
  143. 18
  144. b) Die Sache ist auch nicht teilweise insoweit entscheidungsreif, als die
  145. Herausgabe der Titel verlangt wird. Entgegen der Revision wird diese nicht bereits deshalb zu Unrecht verlangt, weil die Titel beim Gläubiger noch zur Vollstreckung gegen einen zweiten Schuldner - den Mitmieter - benötigt würden.
  146. 19
  147. Eine auf § 371 BGB analog gestützte Klage auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung eines unter § 794 ZPO fallenden Titels ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig, wenn über eine Vollstreckungsabwehrklage rechtskräftig zu Gunsten des Herausgabeklägers entschieden worden ist und die Erfüllung der dem Titel zu Grunde liegenden Forderung zwischen den Parteien unstreitig ist oder vom Titelschuldner zur Überzeugung des Gerichts bewiesen wird (BGH Urteil vom 5. März 2009 - IX ZR
  148. 141/07 - NJW 2009, 1671 Rn. 16 mwN). Das gilt entgegen der Revision auch
  149. dann, wenn der Titel noch zur Vollstreckung gegen einen weiteren Schuldner
  150. -8-
  151. berechtigen könnte. Denn soweit mehrere Schuldner als Gesamtschuldner verurteilt sind und einer der Gesamtschuldner die Schuld beglichen hat, bleibt für
  152. den Gläubiger nichts mehr zu vollstrecken. Soweit sie hingegen nach Kopfteilen
  153. verurteilt sind, sind so viele Ausfertigungen zu erteilen, wie Schuldner vorhanden sind; jede Ausfertigung ist insoweit nur mit der Klausel gegen je einen der
  154. Schuldner zu versehen (Zöller/Stöber ZPO 29. Aufl. § 724 Rn. 12; Seiler in
  155. Thomas/Putzo ZPO 33. Aufl. § 724 Rn. 11; Saenger ZPO 4. Aufl. § 724 Rn. 10;
  156. Prütting/Gehrlein/Kroppenberg ZPO 4. Aufl. § 724 Rn. 8). Der Schuldner könnte
  157. daher diejenige Ausfertigung heraus verlangen, die mit der gegen ihn gerichteten Vollstreckungsklausel versehen ist. Zur Vollstreckung gegen den anderen
  158. Schuldner müsste sich der Gläubiger eine andere Ausfertigung mit Vollstreckungsklausel nur gegen diesen erteilen lassen.
  159. 20
  160. c) Schließlich erweist sich die Entscheidung auch nicht bereits insoweit
  161. als richtig, wie die Beklagte zur Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung
  162. des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 23. Juni 1994 - 326 O 391/93 - verurteilt worden ist. Zwar ist die diesem Titel zugrunde liegende Schuld unstreitig
  163. erfüllt. Es bedarf jedoch noch weiterer Aufklärung, ob sich die in den Händen
  164. -9-
  165. der Gläubigerin befindliche vollstreckbare Ausfertigung des Titels gegen den
  166. Kläger richtet und er deshalb zur Geltendmachung des Titelherausgabeanspruchs aktivlegitimiert ist.
  167. Klinkhammer
  168. Weber-Monecke
  169. Nedden-Boeger
  170. Schilling
  171. Guhling
  172. Vorinstanzen:
  173. LG Hamburg, Entscheidung vom 10.11.2011 - 311 O 96/10 OLG Hamburg, Entscheidung vom 20.04.2012 - 4 U 159/11 -