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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. V ZR 309/01
  5. Verkündet am:
  6. 29. November 2002
  7. K a n i k,
  8. Justizamtsinspektorin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. ZGB § 55 Abs. 2
  19. Eine Funktionsvollmacht berechtigte nicht zur Vertretung eines Betriebes beim
  20. Abschluß eines beurkundungsbedürftigen Vertrages.
  21. BGH, Urt. v. 29. November 2002 - V ZR 309/01 - Kammergericht
  22. LG Berlin
  23. -2-
  24. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 29. November 2002 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
  26. Dr. Wenzel und die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein,
  27. Dr. Gaier
  28. und
  29. Dr. Schmidt-Räntsch
  30. für Recht erkannt:
  31. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des
  32. 18. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 31. Juli
  33. 2001 aufgehoben.
  34. Die
  35. Berufung
  36. der
  37. Beklagten
  38. gegen
  39. das
  40. Urteil
  41. der
  42. 9. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 7. August 1997
  43. wird zurückgewiesen.
  44. Die Beklagten tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
  45. Von Rechts wegen
  46. Tatbestand:
  47. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Kaufvertrags über ein
  48. Gebäude.
  49. -3-
  50. Die Beklagten bewohnten aufgrund Mietvertrags ein auf einem volkseigenen Grundstück errichtetes Einfamilienhaus in B.
  51. -P.
  52. . Rechtsträger
  53. des Grundstücks war die Versorgungseinrichtung des Ministerrats der DDR
  54. (VEM). Im Dezember 1989 beschloß der Ministerrat, die Einfamilienhäuser, die
  55. sich in der Rechtsträgerschaft der VEM befanden, zu verkaufen. Mit notariell
  56. beurkundetem Vertrag vom 20. Februar 1990 kauften die Beklagten das von
  57. ihnen bewohnte Haus und beantragten die Verleihung eines Nutzungsrechts
  58. an dem Grundstück. Die VEM wurde in der Notarverhandlung von dem Leiter
  59. ihrer Abteilung Recht und Grundstücksverkehr, E.
  60. , vertreten. Zur Ge-
  61. nehmigung des Vertrages nach der Grundstücksverkehrsverordnung, zur Begründung von Gebäudeeigentum und zur Verleihung eines Nutzungsrechts an
  62. dem Grundstück kam es bis zum 3. Oktober 1990 nicht. Die Beklagten berühmen sich einer Antragsberechtigung nach § 3 Abs. 3 SachenRBerG.
  63. Durch Bescheid vom 26. Januar 1995 wurde das Eigentum an dem
  64. Grundstück der Klägerin zugeordnet. Sie hält den Kaufvertrag vom 20. Februar
  65. 1990 für unwirksam. Sie hat beantragt, die Unwirksamkeit des Vertrages festzustellen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Kammergericht hat
  66. die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 21. Juli 1998 zurückgewiesen. Dieses Urteil hat der Senat durch Urteil vom 26. November 1999, V ZR 325/98, NJ
  67. 2000, 372 aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und
  68. Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen. Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil hat das Kammergericht der Berufung der Beklagten stattgegeben und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.
  69. -4-
  70. Entscheidungsgründe:
  71. I.
  72. Das Berufungsgericht meint, der Kaufvertrag vom 20. Februar 1990 wirke gegen die Klägerin. Die VEM sei beim Abschluß des Kaufvertrages mit den
  73. Beklagten zwar nicht wirksam vertreten gewesen, weil E.
  74. weder nach
  75. dem Geschäftsverteilungsplan der VEM vertretungsberechtigt noch durch gesiegelte Vollmacht bevollmächtigt gewesen sei. Nach Treu und Glauben sei es
  76. der Klägerin jedoch verwehrt, sich auf die Nichtigkeit des Vertrages zu berufen.
  77. Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  78. II.
  79. Die Revision hat allerdings keinen Erfolg, soweit sie geltend macht, das
  80. Berufungsgericht sei durch das Senatsurteil vom 26. November 1999 gem.
  81. § 565 Abs. 2 ZPO daran gehindert gewesen, die Berufung der Klägerin auf die
  82. mangelnde Vertretung der VEM beim Abschluß des Vertrages vom 20. Februar
  83. 1990 als durch Treu und Glauben ausgeschlossen zu werten.
  84. Das Berufungsgericht hat im ersten Berufungsurteil ausgeführt, der
  85. Kaufvertrag vom 20. Februar 1990 sei nichtig, weil die Rechtsträgerschaft an
  86. dem Grundstück vor dem Verkauf des Gebäudes auf den Rat des Stadtbezirks
  87. B.
  88. -P.
  89. hätte übertragen werden müssen. E.
  90. habe das Gebäude
  91. allein als Vertreter des Rates des Stadtbezirks verkaufen können. Das ist nach
  92. -5-
  93. dem Senatsurteil vom 26. November 1999 rechtsfehlerhaft. Allein insoweit war
  94. das Berufungsgericht gebunden.
  95. Zu der nunmehr von dem Berufungsgericht entschiedenen Frage, ob der
  96. Klägerin die Berufung auf das Fehlen einer wirksamen Vertretung der VEM in
  97. der Notarverhandlung versagt ist, enthält das Senatsurteil vom 26. November
  98. 1999 keine Aussage. Soweit der Senat sich im Verfahren V ZR 325/98 an einer
  99. abschließenden Entscheidung gehindert gesehen hat, weil es zur Frage der
  100. Vertretung der VEM beim Abschluß des Vertrages vom 20. Februar 1990 weiterer Feststellungen bedürfe, bedeutet die Zulässigkeit der Geltendmachung des
  101. Vertretungsmangels durch die Klägerin nur eine mittelbare Grundlage der Entscheidung. Derartige Grundlagen einer Entscheidung nehmen nach ständiger
  102. Rechtsprechung an der Bindungswirkung eines aufhebenden Erkenntnisses
  103. nicht teil (BGHZ 3, 321, 325 f; 22, 370, 373; Senatsurt. v. 7. Februar 1969,
  104. V ZR 115/65, NJW 1969, 661).
  105. III.
  106. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß die VEM in der Urkundsverhandlung nicht wirksam vertreten worden ist. Das ist nicht zu beanstanden.
  107. 1. Eine organschaftliche Befugnis von E.
  108. zur Vertretung der VEM
  109. bestand nicht. Nach § 9 Abs. 1 der Ordnung über die Stellung und die Aufgaben der Versorgungseinrichtung des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik B.
  110. -N.
  111. vom 16. Juli 1984 wurde die VEM
  112. im Rechtsverkehr durch ihren Direktor, im Falle dessen Verhinderung durch
  113. -6-
  114. den beauftragten Stellvertreter des Direktors, vertreten. Gemäß § 9 Abs. 2 der
  115. Ordnung waren darüber hinaus "die Bereichsdirektoren, Abteilungsleiter und
  116. anderen Leiter berechtigt, die Versorgungseinrichtung entsprechend den
  117. Festlegungen des Geschäftsverteilungsplans zu vertreten". Die Stellung des
  118. Leiters der Abteilung Recht und Grundstücksverkehr war in Ziff. 3.5. des Geschäftsverteilungsplans der VEM vom 1. Dezember 1987 geregelt. Nach dem
  119. dritten Anstrich der Bestimmung oblag dem Leiter der Abteilung "die Vertretung
  120. der Einrichtung im Rechtsverkehr mit der Vollmacht des Direktors". Die Notwendigkeit der Bevollmächtigung ist in dem siebten Anstrich "für den Erwerb
  121. von Grundstücken und Gebäuden" ausdrücklich wiederholt worden. Daß sie
  122. nicht auch für die im folgenden Anstrich angesprochene Berechtigung des
  123. Leiters vorgesehen ist, "auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen alle
  124. weiteren Rechtsgeschäfte in Grundstückssachen abzuschließen", bedeutet
  125. nicht, daß hierunter die Veräußerung von Gebäuden fiel, die auf Grundstücken
  126. in der Rechtsträgerschaft der VEM errichtet waren. Denn die Geschäftsordnung der VEM sah solche Verkäufe nicht vor.
  127. 2. Eine Bevollmächtigung von E.
  128. zur Vertretung der VEM in be-
  129. glaubigter oder gesiegelter Form (§§ 295 Abs. 2 Satz 2 , 297 Satz 2, 57 Abs. 2
  130. Satz 2 ZGB, Art. 231 § 8 Abs. 1 EGBGB) war entgegen der Meinung der Revisionserwiderung auch nicht deshalb entbehrlich, weil es zu den ständigen Aufgaben von E.
  131. gehört hätte, die VEM beim Verkauf von Gebäuden auf
  132. den Grundstücken zu vertreten, die sich in ihrer Rechtsträgerschaft befanden
  133. (§ 55 Abs. 2 Satz 1 ZGB). Auch soweit Mitarbeiter eines Betriebes oder einer
  134. einem Betrieb gleichgestellten Einrichtung (§ 11 Abs. 3 ZGB) in der
  135. Schlußphase der DDR damit betraut waren, Grundstücke und Gebäude aus
  136. dem Volkseigentum zu verkaufen, gehörte dies nicht zu den Aufgaben, die ei-
  137. -7-
  138. nem Mitarbeiter eines Betriebes üblicherweise übertragen waren und daher
  139. aufgrund Funktionsvollmacht erfolgen konnten (vgl. Mühlmann/Krüger, NJ
  140. 1976, 93, 95). Die Verkäufe von Gebäuden auf volkseigenen Grundstücke
  141. dienten nicht der Erfüllung der allgemein einem Betrieb obliegenden Aufgaben,
  142. sondern erfolgten zur Privatisierung des Volkseigentums in einer historisch
  143. einmaligen Situation. Die hierzu abgeschlossenen Verträge bedurften notarieller Beurkundung und staatlicher Genehmigung (§§ 295 Abs. 2 Satz 2, 297
  144. Satz 2 ZGB). Der Abschluß derartiger Verträge war kein übliches Geschäft, bei
  145. dem der Geschäftspartner eines Betriebes der Notwendigkeit enthoben sein
  146. sollte, sich der Bevollmächtigung des für den Betrieb Handelnden zu versichern, und bei dem es umgekehrt von dem Betrieb hinzunehmen war, daß ein
  147. Mitarbeiter die ihm erteilte Vollmacht überschritt. Das "Handbuch für Notare der
  148. Deutschen Demokratischen Republik" ging deswegen für beurkundungspflichtige Rechtsgeschäfte auch von der Vertretung eines Betriebs durch den gesetzlichen Vertreter aus (Handbuch S. 23 ff). Von dessen Befähigung zur Vertretung hatte sich der Notar vor der Beurkundung durch Einsichtnahme in das
  149. jeweilige Register zu versichern und dies in der Urkunde zu vermerken (Ziff.
  150. 3.2.2. der Ordnung über die Organisation der Arbeit des staatlichen Notariats).
  151. Im Falle der Vertretung durch einen rechtsgeschäftlichen Vertreter war dessen
  152. Vollmacht nachzuweisen (Handbuch S. 27). Das ist mit der Annahme unvereinbar, die formlose Betrauung mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben in
  153. einem Betrieb könne zu der Befugnis führen, beurkundungsbedürftige Verträge
  154. in Vertretung des Betriebs zu schließen.
  155. 3. Ohne Erfolg wendet sich die Revisionserwiderung auch gegen die
  156. Feststellung des Berufungsgerichts, E.
  157. habe bei Abschluß des Vertrages
  158. vom 20. Februar 1990 nicht aufgrund gesiegelter Vollmacht der VEM gehan-
  159. -8-
  160. delt. Die insoweit gegen das Verfahren des Berufungsgerichts erhobenen Rügen hat der Senat geprüft. Sie greifen nicht durch. Von einer Darstellung wird
  161. gem. § 565a ZPO a.F. abgesehen.
  162. -9-
  163. IV.
  164. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht jedoch, der Klägerin sei unter
  165. dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben die Berufung auf die mangelnde
  166. Vertretung der VEM bei Abschluß des Kaufvertrags verwehrt. Zwar ist nach der
  167. ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH, Urt. v. 10. Mai
  168. 2001, III ZR 111/99, WM 2001, 1723, 1725) bei der Frage, ob eine öffentlichrechtliche Körperschaft trotz der Verletzung der für sie geltenden besonderen
  169. Formvorschriften auf Vertragserfüllung in Anspruch genommen werden kann,
  170. wegen der gleichartigen Interessenlage, wie sie bei der Mißachtung von allgemeinen Formvorschriften besteht, immer zu prüfen, ob der Grundsatz von Treu
  171. und Glauben einer Berufung auf den Formmangel entgegensteht. Grundsätzlich kommt dies nur dann in Betracht, wenn die Nichtigkeitsfolge für den anderen Vertragsteil schlechthin untragbar ist oder wenn das für die Willensbildung
  172. der Körperschaft maßgebliche Beschlußorgan den Abschluß des Verpflichtungsgeschäfts gebilligt hat. Diese Rechtsprechung betrifft aber nur die Verletzung von Formvorschriften, nicht dagegen den Mangel der Vertretungsmacht.
  173. Dieser Mangel kann im Ergebnis grundsätzlich nicht durch den Einwand des
  174. Verstoßes gegen Treu und Glauben außer Kraft gesetzt werden (BGH aaO
  175. S. 1726). So verhält es sich hier. Der durch E.
  176. als vollmachtlosen Ver-
  177. treter abgeschlossene Kaufvertrag vom 20. Februar 1990 ist mangels Genehmigung durch die VEM unwirksam. Insoweit käme lediglich eine Verpflichtung
  178. von E.
  179. auf Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 59 Abs. 2 ZGB in
  180. - 10 -
  181. Betracht. Daß der Verkauf des Gebäudes an die Beklagten auf einen Beschluß
  182. des Ministerrats der DDR zurückgeht, ist dagegen ebenso ohne Bedeutung wie
  183. die Tatsache, daß der Urkundsnotar im Hinblick auf die Vertretungsmacht von
  184. E.
  185. einem Irrtum unterlegen ist. Beides führt nicht unter dem Gesichts-
  186. punkt Treu und Glauben zu einer Beschränkung der Rechte der Klägerin.
  187. Wenzel
  188. Krüger
  189. Gaier
  190. Klein
  191. Schmidt-Räntsch