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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IV ZR 169/06
  5. Verkündet am:
  6. 23. Januar 2008
  7. Heinekamp
  8. Justizhauptsekretär
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. MB/KK 94 § 18 Abs. 1 Satz 1 Buchst. d, Abs. 4
  18. Klauseln in Krankenversicherungsverträgen, die dem Versicherer erlauben, mit
  19. Zustimmung eines Treuhänders die Bedingungen zu ändern, wenn sich die
  20. höchstrichterliche Rechtsprechung ändert oder Auslegungszweifel beseitigt
  21. werden sollen, sind unwirksam.
  22. BGH, Urteil vom 23. Januar 2008 - IV ZR 169/06 - OLG Celle
  23. LG Lüneburg
  24. -2-
  25. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
  26. Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2008
  27. für Recht erkannt:
  28. Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des
  29. Oberlandesgerichts Celle vom 15. Juni 2006 wird auf
  30. Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
  31. Von Rechts wegen
  32. Tatbestand:
  33. 1
  34. Der Kläger, ein bundesweiter Dachverband der Verbraucherzentralen, verlangt vom Beklagten, zwei Klauseln zur Bedingungsanpassung in
  35. der privaten Krankenversicherung nicht zu verwenden. § 18 der vom Beklagten verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im Folgenden: AVB) entspricht wörtlich § 18 der Musterbedingungen für die
  36. Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MBKK 94)
  37. und lautet:
  38. (1) Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen können unter hinreichender Wahrung der Belange der Versicherten
  39. vom Versicherer mit Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders mit Wirkung für bestehende Versicherungsverhältnisse, auch für den noch nicht abgelaufenen Teil des Versicherungsjahres, geändert werden
  40. a) bei einer nicht nur vorübergehenden Veränderung der
  41. Verhältnisse des Gesundheitswesens,
  42. -3-
  43. b) im Falle der Unwirksamkeit von Bedingungen,
  44. c) bei Änderungen von Gesetzen, auf denen die Bestimmungen des Versicherungsvertrages beruhen,
  45. d) bei unmittelbar den Versicherungsvertrag betreffenden
  46. Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der
  47. Verwaltungspraxis des Bundesaufsichtsamtes für das
  48. Versicherungswesen oder Kartellbehörden.
  49. Im Fall der Buchstaben c und d ist eine Änderung nur zulässig, soweit sie Bestimmungen über Versicherungsschutz, Pflichten des Versicherungsnehmers, Sonstige Beendigungsgründe, Willenserklärungen und Anzeigen sowie
  50. Gerichtsstand betrifft.
  51. (2) Die neuen Bedingungen sollen den ersetzten rechtlich
  52. und wirtschaftlich weitestgehend entsprechen. Sie dürfen
  53. die Versicherten auch unter Berücksichtigung der bisherigen Auslegung in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht
  54. nicht unzumutbar benachteiligen.
  55. ...
  56. (4) Zur Beseitigung von Auslegungszweifeln kann der Versicherer mit Zustimmung des Treuhänders den Wortlaut
  57. von Bedingungen ändern, wenn diese Anpassung vom bisherigen Bedingungstext gedeckt ist und den objektiven Willen sowie die Interessen beider Parteien berücksichtigt.
  58. Abs. 2 gilt entsprechend.
  59. 2
  60. Der Kläger hält § 18 (1) Satz 1 Buchst. d sowie § 18 (4) AVG für
  61. unwirksam und verlangt bei Meidung von Ordnungsstrafen, dass der Beklagte diese Bestimmungen nicht mehr in Krankenversicherungsverträge
  62. einbezieht und sich bei der Abwicklung derartiger Verträge nicht mehr
  63. auf sie beruft.
  64. -4-
  65. 3
  66. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Beklagte
  67. die Abweisung der Klage.
  68. Entscheidungsgründe:
  69. 4
  70. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
  71. 5
  72. I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in VersR 2006, 1105 veröffentlicht ist, hält die angegriffenen Klauseln für unwirksam. Es stützt sich
  73. dafür u.a. auf folgende Erwägungen: § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB sei
  74. mit wesentlichen Grundgedanken des § 178g Abs. 3 VVG nicht vereinbar
  75. (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Die Vorschrift erläutere nicht etwa den aus
  76. § 178g Abs. 3 VVG nach § 18 (1) Satz 1 Buchst. a AVB übernommenen
  77. Begriff einer nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse
  78. des Gesundheitswesens, sondern gehe darüber hinaus. Nach den Bedingungen des Beklagten komme es anders als in § 178g Abs. 3 VVG
  79. auch nicht darauf an, ob die Änderung erforderlich sei. Da eine Änderung
  80. nach § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB nicht auf Fälle einer erheblichen Störung des Äquivalenzverhältnisses beschränkt sei, sondern eine einseitige, auch durch Mitwirkung eines Treuhänders nicht ausgeglichene
  81. Schlechterstellung des Versicherten ermögliche, werde der Versicherte
  82. auch unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Auch § 18
  83. (4) AVB sei unwirksam, u.a. weil sich der Beklagte damit den Folgen des
  84. § 305c Abs. 2 BGB entziehen wolle. Daher stehe dem nach §§ 3 Abs. 1
  85. Nr. 1, 4 UKlaG klagebefugten Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 1 UKlaG zu.
  86. -5-
  87. 6
  88. II. Die dagegen erhobenen Einwände der Revision greifen nicht
  89. durch.
  90. 7
  91. 1. § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB weicht von § 178g Abs. 3 VVG
  92. nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinne nach ab. Die Klausel ist
  93. daher nicht mehr mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen
  94. Regelung vereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).
  95. 8
  96. Mit Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass sich aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers (vgl.
  97. BGHZ 123, 83, 85) die Bedeutung der streitigen Klausel unter Buchst. d
  98. nicht darin erschöpft, die unter Buchst. a als Grund für eine Veränderung
  99. der Versicherungsbedingungen genannte, nicht nur vorübergehende
  100. Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens zu konkretisieren. Sie steht vielmehr eigenständig neben der zu Buchst. a (und den
  101. anderen, alternativ aufgeführten Gesichtspunkten) angesprochenen Änderungsmöglichkeiten. Dafür spricht zudem, dass § 18 (1) Satz 2 AVB
  102. nur für Satz 1 Buchst. c und d, aber nicht auch für die Bestimmungen zu
  103. a und b die Änderungsbefugnis auf bestimmte Regelungen des Versicherungsvertrages beschränkt. Mithin wird durch die Bestimmung des § 18
  104. (1) Satz 1 Buchst. d dem Versicherer bei einer unmittelbar den Versicherungsvertrag betreffenden Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Änderungsbefugnis unabhängig von den dafür in § 178g
  105. Abs. 3 VVG umschriebenen Voraussetzungen eingeräumt. Über die von
  106. § 178g Abs. 3 VVG gezogenen Grenzen hinaus kann der Versicherer seine Krankenversicherungsbedingungen aber nicht wirksam zum Nachteil
  107. der Versicherungsnehmer ändern (§ 178o VVG, Senatsurteile vom
  108. -6-
  109. 12. Dezember 2007 - IV ZR 130/06 - Tz. 12 a.E. und - IV ZR 144/06 Tz. 15 a.E.). Dem damit vom Gesetzgeber vorgegebenen Leitbild wird
  110. die angegriffene Änderungsklausel in § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB nicht
  111. gerecht.
  112. 9
  113. Abgesehen davon hat der Senat in seinen Urteilen vom 12. Dezember 2007 (aaO) geklärt, dass der Versicherer zu einer Änderung der
  114. Krankenversicherungsbedingungen nach § 178g Abs. 3 VVG nicht allein
  115. deswegen berechtigt ist, weil eine Klausel von der Rechtsprechung in einer dem Verwender ungünstigen Weise ausgelegt wird. Auch insofern ist
  116. § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB mit den wesentlichen Grundgedanken der
  117. gesetzlichen Regelung nicht vereinbar.
  118. 10
  119. 2. Die Bestimmung des § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB benachteiligt den Versicherungsnehmer darüber hinaus auch ihrem Inhalt nach
  120. unangemessen: Abweichend von § 178g Abs. 3 Satz 1 VVG soll es nicht
  121. darauf ankommen, ob eine Änderung der Versicherungsbedingungen zur
  122. hinreichenden Wahrung der Belange der Versicherten erforderlich erscheint; vielmehr soll ausreichen, dass deren Belange hinreichend gewahrt sind. So wird die Eingriffsschwelle gegenüber der gesetzlichen
  123. Regelung zum Nachteil des Versicherungsnehmers herabgesetzt (Prölss
  124. in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 18 MBKK 94 Rdn. 3).
  125. 11
  126. § 18 (2) AVB erlaubt die Ersetzung unwirksamer Bedingungen
  127. durch neue Bedingungen bis zur Grenze einer unzumutbaren Benachteiligung des Versicherungsnehmers, mutet dem Versicherungsnehmer also
  128. "einfache" Benachteiligungen gegenüber dem bisher Vereinbarten zu.
  129. Dass die Änderungsbefugnis von der Zustimmung eines Treuhänders
  130. abhängt, ändert daran nichts. Den Bedingungen lässt sich nämlich nicht
  131. -7-
  132. entnehmen, dass der Treuhänder einer Änderung etwa nicht zustimmen
  133. dürfe, wenn sie über die von § 178g Abs. 3 VVG gezogenen Grenzen hinausgeht.
  134. 12
  135. Im Übrigen hat der Senat bereits zu einer entsprechenden Anpassungsklausel in der Rechtsschutzversicherung entschieden (BGHZ 141,
  136. 153, 154 ff.), dass sie den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 BGB), weil er schlechter gestellt werden könnte, als
  137. er bei Abschluss des Vertrages stand. Insofern ist diese Entscheidung
  138. durchaus auf Krankenversicherungsverträge übertragbar.
  139. 13
  140. 3. Auch die Bestimmung des § 18 (4) AVB ist unwirksam. Sie entspricht nicht dem Leitbild, das der Gesetzgeber in § 305c Abs. 2 BGB für
  141. Zweifelsfragen bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufstellt. Die Unwirksamkeit der Klausel folgt mithin aus § 307
  142. Abs. 2 Nr. 1 BGB. Auch das hat der Senat bereits für eine entsprechende
  143. Klausel in der Rechtsschutzversicherung entschieden (BGHZ aaO 159).
  144. -8-
  145. Etwas anderes ergibt sich nicht aus der in § 18 (4) Satz 2 AVB angeordneten entsprechenden Geltung des § 18 (2) AVB. Insoweit wird auf die
  146. Ausführungen unter 2 Bezug genommen.
  147. Terno
  148. Dr. Schlichting
  149. Felsch
  150. Wendt
  151. Dr. Franke
  152. Vorinstanzen:
  153. LG Lüneburg, Entscheidung vom 14.12.2005 - 2 O 174/05 OLG Celle, Entscheidung vom 15.06.2006 - 8 U 26/06 -