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1172 lines
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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. EnVR 51/14
  4. Verkündet am:
  5. 26. Januar 2016
  6. Bürk
  7. Amtsinspektorin
  8. als Urkundsbeamtin
  9. der Geschäftsstelle
  10. in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
  11. Nachschlagewerk:
  12. ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. Karenzzeiten
  18. EnWG § 10c Abs. 6
  19. a) Die für die zweite Führungsebene bestehenden Karenzzeitenregelungen in § 10c
  20. Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 EnWG verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht.
  21. b) § 10c Abs. 6 EnWG erfasst diejenigen Führungskräfte der zweiten Führungsebene, die umfangreiche Kenntnisse über die technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seinen Zustand haben müssen und die unternehmerischen Entscheidungen der obersten Unternehmensleitung in Bezug auf Betrieb, Wartung
  22. und Entwicklung des Netzes maßgeblich beeinflussen können.
  23. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2016 - EnVR 51/14 - OLG Düsseldorf
  24. ECLI:DE:BGH:2016:260116BENVR51.14.0
  25. -2-
  26. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom
  27. 26. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die Richter Prof. Dr. Strohn, Dr. Grüneberg, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß
  28. beschlossen:
  29. Auf die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur wird der Beschluss
  30. des
  31. 3. Kartellsenats
  32. des
  33. Oberlandesgerichts
  34. Düsseldorf
  35. vom
  36. 25. August 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Beschwerdegericht den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 5. Februar
  37. 2013 abgeändert hat.
  38. Die Beschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 2 bis 20
  39. gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 5. Februar 2013
  40. werden insgesamt zurückgewiesen.
  41. Die Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 2,
  42. 3, 5, 7, 10 und 13 bis 20 werden zurückgewiesen.
  43. Die Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens
  44. einschließlich der notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur werden der Antragstellerin und den Beigeladenen zu 2 bis 20 auferlegt.
  45. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
  46. -3-
  47. Gründe:
  48. I.
  49. 1
  50. Die Beteiligten streiten um Rechtmäßigkeit und Auslegung der Karenzzeitenregelungen des § 10c EnWG.
  51. 2
  52. Die Antragstellerin betreibt bundesweit ein 2.300 km langes Gasfernleitungsnetz.
  53. Sie
  54. ist
  55. ein
  56. 100-prozentiges
  57. Tochterunternehmen
  58. der
  59. W.
  60. KG, die über mehrere Unternehmen in den Bereichen Erdgashandel,
  61. -vertrieb
  62. und
  63. -speicherung
  64. aktiv
  65. ist.
  66. Die
  67. Anteile
  68. an
  69. der
  70. W.
  71. KG werden zu 50,02% von der zum B. -Konzern gehörenden W. Beteiligungs-GmbH
  72. GmbH
  73. gehalten.
  74. zur russischen O.
  75. 3
  76. Die
  77. G.
  78. und
  79. zu
  80. 49,98%
  81. GmbH
  82. gehört
  83. von
  84. der
  85. über
  86. die
  87. G.
  88. O.
  89. .
  90. Mit Bescheid vom 5. Februar 2013 zertifizierte die Bundesnetzagentur die
  91. Antragstellerin gemäß § 4a EnWG als Unabhängige Transportnetzbetreiberin. Zu
  92. diesem Zeitpunkt waren die Beigeladenen zu 2 und 3 Geschäftsführer der Antragstellerin, wobei der Beigeladene zu 2 für den Geschäftsbereich "Steuerung und Finanzen (GT)" und der Beigeladene zu 3 für den Geschäftsbereich "Netz (GN)" zuständig war. Die Beigeladenen zu 4 bis 20 gehörten der zweiten Führungsebene an
  93. und leiteten jeweils einen der Bereiche "Recht und Versicherung (GTJ)", "Einkauf
  94. (GTB)", "Controlling (GTC)", "Gasdisposition (GTD)", "Vertragsermittlung (GTE)",
  95. "Finanzen und Steuern (GTF)", "Personal und Verwaltung (GTH)", "IT Management
  96. (GTI)", "Kapazitätsmanagement (GTK)", "Marktgebietsmanagement (GTM)", "Regulierungsmanagement (GTR)", "Leitungsrechte und -dokumentation (GNL)", "Anlagentechnik (GNA)", "Montage (GNM)", "Trassenengineering (GNT)", "Betriebstechnik
  97. Ost (GNO)" und "Betriebstechnik West (GNW)". Nummer 3 des Tenors des Zertifizierungsbescheids enthält die Feststellung, dass die jeweilige Leitung dieser Bereiche
  98. -4-
  99. den Vorgaben des § 10c Abs. 6 EnWG unterliege. In der Begründung des Bescheids
  100. wird insoweit ausgeführt, dass lediglich die drei weiteren Fachbereiche "Kommunikation (GT/S)", "Qualitätsmanagement (GT-QM)" und "Sicherheit, Umwelt und Gesundheit (HSE)" netzfremde, nicht von § 10c Abs. 6 EnWG erfasste Tätigkeiten ausüben
  101. würden. Ferner lehnte die Bundesnetzagentur in Nummer 6 des Bescheids den Antrag der Antragstellerin auf Nichtanwendung der Karenzzeitenregelungen für die
  102. zweite Führungsebene ab.
  103. 4
  104. Zum 1. Oktober 2013 veränderte die Antragstellerin ihre Führungsstruktur,
  105. wobei zugleich der Beigeladene zu 3 aus der Geschäftsführung ausschied. Zwischen
  106. der Geschäftsführung und der Fachbereichsebene richtete die Antragstellerin eine
  107. neue zweite Führungsebene ein, die aus drei Ressorts besteht. Das Ressort 1
  108. "Steuerung und Finanzen" wird - neben seiner Geschäftsführertätigkeit - von dem
  109. Beigeladenen zu 2 geleitet und umfasst die Fachbereiche GTC, GTF, GTH, GTJ und
  110. GTR. Das Ressort 2 "Netz" wird von dem Beigeladenen zu 3 geleitet und aus den
  111. Fachbereichen GNA, GNL, GNM, GNO, GNT und GNW gebildet. Dem Ressort 3
  112. "Kapazität und Entwicklung" steht ein weiterer Geschäftsführer vor; es umfasst die
  113. Fachbereiche GTB, GTD, GTE, GTI, GTK und GTM. Mit Schreiben vom 2. Dezember
  114. 2013 teilte die Bundesnetzagentur der Antragstellerin hierzu mit, dass nach ihrer Auffassung die Leiter der den Ressorts 1 und 3 zugehörigen Fachbereiche weiterhin der
  115. zweiten Führungsebene zuzuordnen seien, weil diese Ressorts von den amtierenden
  116. Geschäftsführern geleitet würden und damit weiterhin unmittelbar der Geschäftsführung nachgeordnet seien. Dagegen sei in Bezug auf das Ressort 2 nur noch deren
  117. Leiter, der Beigeladene zu 3, als zweite Führungsebene einzustufen, während die
  118. Fachbereichsleiter des Ressorts 2 nicht mehr den Karenzzeitenregelungen unterfielen, so dass für diese nunmehr die "Abkühlungszeit" begonnen habe.
  119. 5
  120. Mit ihrer Beschwerde hat sich die Antragstellerin gegen die Feststellung in
  121. Nummer 3 des Bescheids vom 5. Februar 2013, soweit sich diese nicht auf die
  122. Fachbereiche "Gasdisposition (GTD)", "Kapazitätsmanagement (GTK)", "Marktgebietsmanagement (GTM)", "Betriebstechnik Ost (GNO)" und "Betriebstechnik West
  123. -5-
  124. (GNW)" bezieht, gewandt. Ferner hat sie - unter Aufhebung von Nummer 6 des Zertifizierungsbescheids - die Feststellung begehrt, dass die Sperrzeiten für die Geschäftsführung und die Mitarbeiter der zweiten Führungsebene der Antragstellerin
  125. nicht gelten, hilfsweise, dass die Karenzzeit maximal ein halbes Jahr, höchst hilfsweise einen anderen unter vier Jahren liegenden Zeitraum betrage. Die Beigeladenen zu 4 bis 15 haben beantragt, Nummer 3 des Zertifizierungsbescheids aufzuheben, soweit sich die Feststellung zu ihren Lasten auf die nachlaufende Karenzzeit
  126. bezieht. Schließlich haben die Beigeladenen zu 2 bis 20 - unter Aufhebung von
  127. Nummer 6 des Zertifizierungsbescheids - die Feststellung begehrt, dass die Karenzregelungen für sie nicht gelten, hilfsweise, dass die nachlaufende Karenzzeit maximal ein halbes Jahr, höchst hilfsweise einen anderen unter vier Jahren liegenden
  128. Zeitraum betrage.
  129. 6
  130. Das Beschwerdegericht hat den Bescheid in Nummer 3 abgeändert und
  131. festgestellt, dass - zum Zeitpunkt des Zertifizierungsbescheids und vorbehaltlich einer Einordnung der jeweiligen Fachbereichsleiterstellen als "2. Führungsebene" derzeit - die jeweilige Leitung der Bereiche "Gasdisposition (GTD)", "Kapazitätsmanagement (GTK)", "Marktgebietsmanagement (GTM)", "Betriebstechnik Ost (GNO)",
  132. "Betriebstechnik West (GNW)", "Vertragsermittlung (GTE)", "Anlagentechnik (GNA)",
  133. "Montage (GNM)", "Trassenengineering (GNT)", "IT Management (GTI)" und "Einkauf (GTB)" den Vorgaben des § 10c Abs. 6 EnWG unterliege. Die weitergehende
  134. Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Dagegen wenden sich die
  135. Antragstellerin, die Beigeladenen zu 2 und 3 sowie zu 5, 7, 10 und 13 bis 20 und die
  136. Bundesnetzagentur mit ihren - vom Beschwerdegericht zugelassenen - Rechtsbeschwerden, mit denen sie ihre jeweiligen Begehren weiterverfolgen.
  137. -6-
  138. II.
  139. 7
  140. Die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur ist begründet; sie führt - soweit die Beschwerde Erfolg gehabt hat - zur Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts und zur vollumfänglichen Zurückweisung der Beschwerde der Beschwerdeführer. Die Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen
  141. sind dagegen unbegründet.
  142. 8
  143. 1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
  144. begründet:
  145. 9
  146. Die Beschwerden seien teilweise begründet. Die Karenzzeitenregelungen
  147. seien allerdings verfassungsgemäß, weil sie nicht in unzulässiger Weise in Grundrechte, sei es aus dem Grundgesetz, sei es aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union abgeleitete Rechte, eingriffen. Dabei könne dahinstehen, ob die
  148. Vorschrift des § 10c EnWG - wegen der detaillierten europäischen Vorgaben - an der
  149. Charta der Grundrechte der Europäischen Union oder am Grundgesetz zu messen
  150. sei. Die hier betroffenen Grundrechte wiesen nach deutschem und europäischem
  151. Recht weitgehend ähnliche Schutzbereiche auf, die indes nicht in unverhältnismäßiger Weise berührt würden.
  152. 10
  153. Die Karenzzeitenregelungen griffen zwar in den Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GRCh, der Berufsausübungsfreiheit der betroffenen Netzbetreiber und die Berufswahlfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG der jeweiligen
  154. Leiter der zweiten Führungsebene ein. Der Eingriff sei aber gerechtfertigt. Die Regelungen seien geeignet, das Diskriminierungspotential innerhalb des Unternehmensverbunds zu vermindern. Es liege auf der Hand, dass innerhalb eines Konzerns
  155. schon aufgrund einer oft jahrelangen Zusammenarbeit in verschiedenen Positionen
  156. im Unternehmen ein relevantes Diskriminierungspotential bestehen könne. Es sei
  157. daher naheliegend, dass für das Entflechtungsmodell des Unabhängigen Transportnetzbetreibers als "dritte Option" einer Entflechtung besondere gesetzliche An-
  158. -7-
  159. forderungen vorzusehen seien, um die Unabhängigkeit der Beteiligten sicherzustellen.
  160. 11
  161. Die Karenzzeitenregelungen seien zur Zielerreichung erforderlich, nachdem
  162. die Europäische Union und mit ihr der deutsche Gesetzgeber zu dem Ergebnis gekommen seien, dass die Entflechtung bis zum Jahr 2009 nicht in dem notwendigen
  163. Maße umgesetzt worden sei. Die mit den Gas- und Stromrichtlinien und deren Umsetzung in §§ 6 ff. EnWG erfolgten Änderungen seien deshalb erforderlich gewesen.
  164. Dies werde durch zahlreiche andere Vorschriften und Verbote im Energierecht, die
  165. ebenfalls das Ziel hätten, Diskriminierungen zu vermeiden, nicht in Frage gestellt.
  166. Denn durch die Sperrfristen solle präventiv verhindert werden, dass Diskriminierungen in besonders sensiblen Unternehmensbereichen überhaupt erst entstünden.
  167. 12
  168. Schließlich seien die Bestimmungen auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Durch diese Vorschriften würden zwar Führungskräfte in ihren persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt. Die Sperrfristen bezögen sich aber nur auf
  169. bestimmte Tätigkeiten im Unternehmensverbund, weshalb es den Führungskräften
  170. möglich und zumutbar sei, außerhalb des Unternehmens eine neue (Karriere-)Position zu suchen. Die Länge der Karenzzeiten von drei und vier Jahren sei nicht zu beanstanden. Der Betrieb eines Übertragungsnetzes stelle ein natürliches Monopol dar,
  171. bei dem von vornherein ein erhebliches Diskriminierungspotential bestehen könne,
  172. dessen Vermeidung von hoher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung sei. Außerdem
  173. komme hinzu, dass die (eigentums-)rechtliche Entflechtung bei diesem "dritten" Modell nur unvollständig erfolge.
  174. 13
  175. Aus diesen Gründen sei auch ein Eingriff in die Eigentumsgarantie aus
  176. Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 17 Abs. 1 Satz 1 GRCh rechtmäßig, sofern die Karenzzeitenregeln als zukunftsgerichtete, gegebenenfalls die künftigen Erwerbschancen beeinträchtigende Normen überhaupt den Schutzbereich dieses Grundrechts tangierten.
  177. -8-
  178. 14
  179. Schließlich sei auch der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20
  180. GRCh nicht verletzt. Es sei sachgerecht, lediglich die Wechselmöglichkeiten innerhalb des Unternehmensverbunds zu beschränken, weil hier das Diskriminierungspotential strukturell größer sei als bei einem Wechsel von oder nach außen. Eine mögliche Ungleichbehandlung mit Führungskräften der beiden anderen Entflechtungsvarianten sei ebenfalls gerechtfertigt; bei dem eigentlich unvollkommenen Entflechtungsmodell des Unabhängigen Transportnetzbetreibers seien strenge Anforderungen an die persönliche Unabhängigkeit der Führungskräfte zu stellen. Schließlich sei
  181. auch eine Unterscheidung zwischen Führungskräften und sonstigem Personal sachgerecht, weil bei Führungskräften aufgrund ihrer Entscheidungsmöglichkeiten die
  182. erhöhte Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie relevante Informationen in diskriminierender Weise tatsächlich verwendeten.
  183. 15
  184. Die Vorschrift des § 10c Abs. 6 EnWG erfasse nur die Leiter der zweiten
  185. Führungsebene, die für Betrieb, Wartung oder Entwicklung des Netzes verantwortlich
  186. seien. Entgegen dem weiten Verständnis der Bundesnetzagentur schließe dies nicht
  187. die gesamte zweite Führungsebene ein. Vielmehr seien nach Wortlaut, Historie, Systematik und Sinn und Zweck der Regelung nur diejenigen Fachbereichsleiter gemeint, die eine persönliche und sachliche Verantwortung für die drei relevanten Bereiche trügen. Insbesondere beziehe sich der Begriff "Betrieb" nicht auf den gesamten Netzbetrieb, weil ansonsten die weiteren Merkmale der "Wartung" und "Entwicklung" des Netzes bedeutungslos wären. Darüber hinaus werde der Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG durch den Begriff "verantwortlich" weiter eingeschränkt. Nach der Gesetzesbegründung sei dieser auf die Personen zu beschränken, die erheblichen Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen und umfangreiche Kenntnisse über die technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seinen
  188. Zustand hätten. Der Zweck der Vorschrift könnte zwar für eine weite Auslegung
  189. sprechen, weil dies dem Ziel der Entflechtung stärker dienen würde; eine solche Auslegung sei jedoch mit den übrigen Auslegungsgrundsätzen nicht vereinbar. Vor allem
  190. aber sei im Hinblick auf die Länge der Karenzzeiten ein enges Verständnis der Norm
  191. im Sinne einer grundrechtsschonenden Auslegung geboten.
  192. -9-
  193. 16
  194. Nach diesen Maßgaben unterfielen außer den Leitern der Bereiche GTD,
  195. GTK, GTM, GNO und GNW auch die Fachbereichsleiter GTE, GNA, GNM, GNT, GTI
  196. und GTB dem Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG. Diese seien nach der
  197. Aufgabenbeschreibung der Antragstellerin ebenfalls im engeren Sinne für "Betrieb,
  198. Wartung und Entwicklung des Netzes" verantwortlich. Dies gelte insbesondere auch
  199. für den Leiter GTI, der dafür verantwortlich sei, alle IT-Prozesse und damit insbesondere auch gaswirtschaftliche Prozesse zu optimieren. Der Leiter GTB sei nicht nur für
  200. die allgemeine Beschaffung von Material, sondern auch für die Beschaffung spezieller netzspezifischer Komponenten verantwortlich.
  201. 17
  202. Dagegen würden die Leiter der Abteilungen GTC, GTF, GTH, GTR, GTJ und
  203. GNL von § 10c Abs. 6 EnWG nicht erfasst. Der Einfluss im Unternehmen auf finanzielle Mittel, Buchhaltung, Jahresabschluss und Personal genüge nicht, um eine Steuerung des Netzbetriebs oder der Netzentwicklung anzunehmen. Eine Verantwortlichkeit für die Bearbeitung von Rechtsfragen reiche dazu ebenfalls nicht aus; soweit die
  204. Rechtsabteilung Handlungsempfehlungen entwerfe und auf Haftungsrisiken hinweise, sei damit eine faktische Bindung der Geschäftsleitung nicht verbunden. Die Abteilung GNL erfülle vor allem Archivaufgaben.
  205. 18
  206. 2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten
  207. stand.
  208. 19
  209. a) Das Beschwerdegericht hat allerdings zu Recht angenommen, dass die
  210. Karenzzeitenregelungen des § 10c Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 EnWG nicht
  211. gegen höherrangiges Recht verstoßen. Die dagegen gerichteten Angriffe der
  212. Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 2, zu 3, zu 5, zu 7,
  213. zu 10 und zu 13 bis 20 (das sind die Beschwerdeführer zu 3, zu 4, zu 6, zu 8, zu 11
  214. und zu 14 bis 21; im Folgenden: die Beigeladenen) bleiben ohne Erfolg.
  215. 20
  216. aa) Es spricht einiges dafür, dass die Vorschriften an der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu messen sind. Nach der ständigen Rechtspre-
  217. - 10 -
  218. chung des Gerichtshofs der Europäischen Union finden die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen
  219. Anwendung (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013 - C-617/10, NJW 2013, 1415
  220. Rn. 19 mwN - Åkerberg Fransson; Urteil vom 30. April 2014 - C-390/12, EuZW 2014,
  221. 597 Rn. 33 - Pfleger ua). Dies betrifft zum einen Fälle, in denen Mitgliedstaaten das
  222. Gemeinschaftsrecht, vor allem Verordnungen und Richtlinien, umsetzen oder durch
  223. allgemeine Rechtsakte oder Einzelakte durchführen (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli
  224. 1989 - 5/88, Slg. 1989, 2609 Rn. 17 ff. - Wachauf), und zum anderen Fälle, in denen
  225. Mitgliedstaaten Grundfreiheiten auf Grund geschriebener oder ungeschriebener
  226. Schrankenvorbehalte im Gemeinschaftsrecht durch nationales Recht einschränken
  227. (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juni 1991 - C-260/89, Slg. 1991, I-2925 Rn. 41 ff. - ERT).
  228. Hier dürfte die erste Fallgruppe einschlägig sein. Nach der Gesetzesbegründung zu
  229. § 10c EnWG dient die Vorschrift der Umsetzung von Art. 19 der Richtlinie
  230. 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über
  231. gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der
  232. Richtlinie 2003/54/EG (im Folgenden: Stromrichtlinie oder StromRL) und von Art. 19
  233. der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli
  234. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung
  235. der Richtlinie 2003/55/EG (im Folgenden: Gasrichtlinie oder GasRL). Dabei wird in
  236. den Materialien betont, dass die Richtlinie "keinen Gestaltungsspielraum zulässt"
  237. (BT-Drucks. 17/6072, S. 63 zu § 10c Abs. 2) oder "ein Gestaltungsspielraum für den
  238. deutschen Gesetzgeber (nicht) erkennbar" sei (BT-Drucks. 17/6072, S. 64 zu § 10c
  239. Abs. 5). Infolgedessen entsprechen § 10c Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 EnWG
  240. nahezu wortgleich Art. 19 Abs. 8 Satz 3, Abs. 3 und 7 GasRL.
  241. 21
  242. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nichts
  243. anderes. Danach kommen die Unionsgrundrechte jedenfalls dann zur Anwendung,
  244. wenn - wie hier anzunehmen - keine Umsetzungsspielräume verbleiben oder es um
  245. eine Systementscheidung geht (vgl. BVerfGE 118, 79, 95 ff. mwN).
  246. - 11 -
  247. 22
  248. (1) Entgegen den Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen verstoßen Art. 19 der Richtlinien und ihre Umsetzung in § 10c EnWG nicht
  249. gegen die Berufsfreiheit, die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht
  250. nach Art. 15 bis 17 der Charta. Zwar ist deren Schutzbereich berührt oder kann - insbesondere im Hinblick auf das Eigentumsrecht - als berührt unterstellt werden. Nach
  251. der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofes können aber weder das Eigentumsrecht noch die freie Berufsausübung oder die unternehmerische Freiheit uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden (vgl. nur EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1994
  252. - C-306/93, Slg. 1994, I-5555 Rn. 22 = EuZW 1995, 109 - SMW Winzersekt).
  253. 23
  254. Nach dieser Rechtsprechung, die nunmehr in Art. 52 Abs. 1 der Charta normiert worden ist, können folglich die Ausübung des Eigentumsrechts und der unternehmerischen Freiheit sowie die freie Berufsausübung Beschränkungen unterworfen
  255. werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten
  256. Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (vgl. EuGH, Slg. 1994, I-5555
  257. Rn. 22 = EuZW 1995, 109 - SMW Winzersekt). Nach Art. 52 Abs. 1 der Charta muss
  258. eine solche Einschränkung, damit sie zulässig ist, ferner gesetzlich vorgesehen sein
  259. und den Wesensgehalt dieser Freiheiten und Rechte achten. Unter Wahrung des
  260. Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit darf sie außerdem nur vorgenommen werden,
  261. wenn sie erforderlich ist und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entspricht (vgl. EuGH, EuZW 2014, 597 Rn. 58 - Pfleger
  262. ua). Dabei kommt den Gemeinschaftsorganen grundsätzlich ein weiter Ermessensund Prognosespielraum zu, dessen Weite der Unionsgerichtshof insbesondere im
  263. Rahmen wirtschaftspolitischer Maßnahmen besonders hervorhebt (vgl. EuGH, Slg.
  264. 1994, I-5555 Rn. 21 = EuZW 1995, 109 - SMW Winzersekt). Die Rechtmäßigkeit einer in diesem Bereich erlassenen Maßnahme kann nur dann beeinträchtigt sein,
  265. - 12 -
  266. wenn diese Maßnahme zur Erreichung des Ziels, das das zuständige Organ verfolgt,
  267. offensichtlich ungeeignet ist (vgl. EuGH aaO).
  268. 24
  269. (2) Nach diesen Maßgaben ist der mit § 10c Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1,
  270. Abs. 5 EnWG verbundene Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit, der unternehmerischen Freiheit und des Eigentumsrechts nach Art. 52 Abs. 1 der Charta gerechtfertigt.
  271. 25
  272. (a) Die Karenzzeitenregelungen sind Bestandteil des sogenannten ITOModells als einer der drei Entflechtungsoptionen des 3. EU-Liberalisierungspakets
  273. zur Vollendung des Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkts. Während die Kommission
  274. in ihren Richtlinien-Vorschlägen vom 19. September 2007 (KOM(2007) 528 endg.
  275. und KOM(2007) 529 endg.) in Bezug auf die Transportnetzbetreiber für die Einführung der eigentumsrechtlichen Entflechtung ("Ownership Unbundling", OU) - also den
  276. Zwangsverkauf der Netze - votiert und das Modell des Unabhängigen Systembetreibers ("Independent System Operator", ISO) nur als zweitbeste Alternative angesehen
  277. hatte, hat als dritte Alternative das Modell eines Unabhängigen Transportnetzbetreibers ("Independent Transmission Operator", ITO) erst auf Initiative von acht Mitgliedstaaten unter Führung von Frankreich und Deutschland Eingang in die Richtlinien
  278. gefunden (vgl. dazu Schmidt-Preuß, et 9/2009, 82 ff.; Monopolkommission, Sondergutachten Nr. 59, BT-Drucks. 17/7181, S. 111 f.). Hintergrund für die Überlegungen
  279. der Kommission zur Erforderlichkeit einer Entflechtung der Transportnetzbetreiber
  280. war der Befund, dass der durch die bisherigen Vorschriften und Maßnahmen vorgegebene Rahmen nicht ausgereicht hat, um das Ziel eines gut funktionierenden Binnenmarkts zu verwirklichen (Erwägungsgründe 5 und 7 GasRL, Erwägungsgründe 7
  281. und 10 StromRL). Dazu hat sie insbesondere auf ihre Mitteilung "Untersuchung der
  282. europäischen Gas- und Elektrizitätssektoren gemäß Art. 17 der Verordnung (EG)
  283. Nr. 1/2003 (Abschlussbericht)" vom 10. Januar 2007 verwiesen. Diese Untersuchung
  284. hat ergeben, dass durch die vertikale Integration der Versorgungs- und Netztätigkeiten ein systemimmanenter Interessenkonflikt besteht, der zu einem Mangel an Investitionen und zu Diskriminierung geführt hat (S. 13 der Mitteilung). Um diesen Interes-
  285. - 13 -
  286. senkonflikt aufzulösen und um Verzerrungen bei den Anreizen für Eigentümer
  287. und/oder Netzbetreiber durch die Interessen der verbundenen Versorgungsunternehmen zu vermeiden, hat es die Kommission für notwendig erachtet, die bisherige
  288. - unzureichende - Entflechtung weiter voranzutreiben, wobei sie die eigentumsrechtliche Entflechtung als wirksamstes Mittel angesehen hat (aaO; Erwägungsgrund 8
  289. GasRL, Erwägungsgrund 11 StromRL). Die in der Gas- und Stromrichtlinie vorgesehenen Entflechtungsmodelle sollen daher vor allem dem Zweck dienen, bei vertikal
  290. integrierten Unternehmen die Gefahr einer Diskriminierung in der Ausübung des
  291. Netzgeschäfts zu vermeiden und Anreize zu schaffen, ausreichend in die Netze zu
  292. investieren (Erwägungsgrund 6 GasRL, Erwägungsgrund 9 StromRL).
  293. 26
  294. (b) Vor diesem Hintergrund begegnen die Karenzzeitenregelungen keinen
  295. grundrechtlichen Bedenken.
  296. 27
  297. (aa) Sie sind zur Erreichung der genannten Ziele geeignet und erforderlich.
  298. Die Vorschriften dienen der Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Netzzugangs, der besseren Durchsetzung einer diskriminierungsfreien Tarifgestaltung, der
  299. Verhütung von Quersubventionierungen durch missbräuchlich überhöhte Netzentgelte, der Verhinderung einer Weitergabe vertraulicher Informationen im Konzern und
  300. der Unterbindung wettbewerbshemmender Investitionsentscheidungen gerade auch
  301. mit Blick auf den grenzüberschreitenden Handel im Binnenmarkt (vgl. Monopolkommission, Sondergutachten Nr. 49, BT-Drucks. 16/7087, S. 161; Mohr, N&R 2015, 45,
  302. 47). Aufgrund der Einbindung des Transportnetzbetreibers in den Verbund eines vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens ist zu besorgen, dass der Netzbetreiber seine Tätigkeit nicht auf eine möglichst effiziente Bereitstellung der Netzdienste im Sinne des § 21 Abs. 2 EnWG ausrichtet, sondern auf eine Beförderung
  303. der Interessen der Wettbewerbsbereiche des Energieversorgungsunternehmens (vgl.
  304. BVerwGE 137, 58 Rn. 44 [zu § 9a AEG]; Mohr, N&R 2015, 45, 46). Dies kann sich in
  305. offenen Netzzugangsdiskriminierungen zeigen, aber auch mittelbar in Form überhöhter Netzentgelte zur Quersubventionierung der Wettbewerbsbereiche und einem am
  306. Konzerninteresse ausgerichteten Ausbau der Netze.
  307. - 14 -
  308. 28
  309. Insbesondere im Hinblick auf die - in § 6 Abs. 1 Satz 1 EnWG ausdrücklich
  310. normierten - Entflechtungsziele eines transparenten und diskriminierungsfreien Netzbetriebs ist es erforderlich, die Karenzzeitenregelungen nicht nur auf die Geschäftsleitung, sondern auch auf die leitenden Mitarbeiter der zweiten Führungsebene zu
  311. erstrecken. Auch diese können wichtige Tätigkeiten im Hinblick auf einen diskriminierungsfreien Netzbetrieb ausüben, weil sie insoweit - anders als ein Sachbearbeiter über einen hinreichend großen Überblick über die Netztätigkeit ihres Arbeitgebers
  312. und eine entsprechende Verantwortung verfügen. Die Gefahr einer Beförderung der
  313. Interessen des Energieversorgungsunternehmens besteht dabei nicht nur bei den
  314. Führungskräften der rein technisch-netzbezogenen Fachabteilungen, sondern auch
  315. bei denjenigen, die einen maßgeblichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen ausüben.
  316. 29
  317. (bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und
  318. der Beigeladenen steht der Erforderlichkeit der Karenzzeitenregelungen nicht entgegen, dass diese durch die übrigen Maßnahmen zur Gewährleistung von Transparenz
  319. und diskriminierungsfreier Ausgestaltung und Abwicklung des Netzbetriebs und damit zur Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der
  320. Versorgung mit Gas und Strom entbehrlich sind.
  321. 30
  322. Das ITO-Modell als dritte Möglichkeit einer Entflechtung umfasst zwar insgesamt ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Erreichung der genannten Ziele. Dazu
  323. gehören neben den besonderen Entflechtungsvorgaben für Transportnetzbetreiber
  324. nach §§ 8 ff. EnWG die Zertifizierungspflicht nach § 4a EnWG, die Vorschriften über
  325. die Vertraulichkeit wirtschaftlich sensibler Informationen und die Verpflichtung zur
  326. diskriminierungsfreien Verwendung dieser Informationen nach § 6a EnWG, die Verpflichtungen zur diskriminierungsfreien Gewährung von Netzanschluss (§ 17 EnWG)
  327. und Netzzugang (§ 20 EnWG) sowie die Vorschriften über - angemessene, diskriminierungsfreie und transparente - Bedingungen und Entgelte für den Netzzugang
  328. (§ 21 EnWG). Diese Maßnahmen werden flankiert durch die Bestellung eines
  329. Gleichbehandlungsbeauftragten beim Unabhängigen Transportnetzbetreiber (§ 10e
  330. - 15 -
  331. Abs. 2 EnWG), die staatliche Entgeltregulierung (§ 21a EnWG), ein ausdrückliches
  332. Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot nebst entsprechenden Missbrauchsverfahren (§§ 30, 31 EnWG) und umfangreiche behördliche Eingriffsbefugnisse (§ 65
  333. EnWG).
  334. 31
  335. Dessen ungeachtet haben aber der europäische Richtliniengeber wie auch
  336. der nationale Gesetzgeber den Karenzzeitenregelungen eine besondere Bedeutung
  337. für die Unabhängigkeit des Fernleitungsnetzbetreibers beigemessen (vgl. Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL, BT-Drucks. 17/6072, S. 64).
  338. Insoweit ist es konsequent, dass die Verpflichtung zur Vertraulichkeit wirtschaftlich
  339. sensibler Informationen und zu ihrer diskriminierungsfreien Verwendung nicht nur
  340. den Unabhängigen Transportnetzbetreiber und das vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen selbst trifft, sondern - um die Effektivität des ITO-Modells zu
  341. gewährleisten - auch auf die Führungskräfte erstreckt wird. Denn gerade den Karriere- und Wechselmöglichkeiten innerhalb des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens wohnt ein nicht unerhebliches Diskriminierungspotential inne.
  342. Da eine natürliche Person ihr vorhandenes Wissen schlechterdings nicht "verschließen" kann, kann der Gefahr einer Diskriminierung durch einen Wissenstransfer nur
  343. durch nachlaufende Karenzzeiten begegnet werden. Entsprechendes gilt für die vorlaufenden Karenzzeiten im Hinblick auf die Gefahr einer Bevorzugung des vertikal
  344. integrierten Energieversorgungsunternehmens und einer Ausrichtung der zu fällenden unternehmerischen Entscheidungen an dessen Interessen.
  345. 32
  346. (cc) Die sektorspezifischen Tätigkeitsverbote sind schließlich auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Karenzzeitenregelungen dienen dem gewichtigen
  347. öffentlichen Interesse der Union und ihrer Mitgliedstaaten an einem funktionierenden,
  348. wettbewerblichen Energiemarkt, der ein hohes Rechtsgut verkörpert. Die Sperrfristenregeln gelten nur innerhalb des vertikal integrierten Unternehmens. Sie schließen
  349. eine Tätigkeit bei einem anderen Netzbetreiber oder auch in einem netzfremden
  350. Tochterunternehmen innerhalb des (vertikal integrierten) Unternehmensverbunds,
  351. wenn es sich etwa um ein Mehrspartenunternehmen handelt, nicht aus. Die verblei-
  352. - 16 -
  353. benden Nachteile der Führungskräfte bei ihrem beruflichen Fortkommen innerhalb
  354. des vertikal integrierten Unternehmens und die Erschwerungen bei der Personalund Nachwuchsplanung des Unternehmens treten dagegen hinter die mit den Karenzzeitenregelungen verbundenen Ziele zurück.
  355. 33
  356. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die in der Gas- und Stromrichtlinie
  357. vorgesehenen Entflechtungsmaßnahmen die Reaktion des europäischen Richtlinienund nationalen Gesetzgebers auf eine bis dahin von der Kommission als unzureichend festgestellte Entflechtung der Transportnetzbetreiber mit der damit verbundenen Gefahr der Diskriminierung in der Ausübung des Netzgeschäfts und fehlender
  358. Anreize zur Investition in das Netz darstellten. Gegen diese Einschätzung ist aufgrund des dem Richtliniengebers zukommenden weiten Ermessens- und Prognosespielraums nichts zu erinnern; hiergegen bringt auch die Rechtsbeschwerde nichts
  359. vor. Das Modell des Unabhängigen Transportnetzbetreibers ist zudem - im Vergleich
  360. zu den beiden anderen Modellen - für das vertikal integrierte Unternehmen mit den
  361. geringsten Eingriffen verbunden. Für die Geschäftsleitung und die Führungskräfte
  362. der zweiten Führungsebene stellt sich die Rechtslage nicht schlechter dar als bei
  363. dem Modell einer eigentumsrechtlichen Entflechtung.
  364. 34
  365. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und der
  366. Beigeladenen ist auch die Länge der Karenzzeitenregelungen nicht zu beanstanden.
  367. Auch insoweit kommt dem europäischen Richtlinien- und nationalen Gesetzgeber ein
  368. weiter Gestaltungsspielraum zu. Der nationale Gesetzgeber ist in § 10c Abs. 5
  369. EnWG über die in Art. 19 Abs. 7 GasRL vorgesehen Mindestfrist von vier Jahren
  370. nicht hinausgegangen. Die Dauer der Fristen von drei bzw. vier Jahren begegnet
  371. keinen Bedenken. Sie sind geeignet und erforderlich, das erhebliche Diskriminierungspotential im Rahmen des Netzbetriebs zu minimieren. Vor diesem Hintergrund
  372. gehen die Hinweise der Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen auf die Regelung für Handelsvertreter nach §§ 74 ff. HGB, die nur ein zweijähriges Tätigkeitsverbot und zudem nur gegen eine Karenzentschädigung zulassen (vgl.
  373. dazu BVerfGE 81, 242, 252 ff.), oder auf die aktienrechtliche Vorschrift des § 100
  374. - 17 -
  375. Abs. 2 Nr. 4 AktG für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat ins Leere. Diese
  376. Regelungen betreffen (lediglich) den bilateralen Interessenkonflikt zwischen Prinzipal
  377. und Agent bzw. die - ebenfalls wichtige - Frage einer guten Unternehmensführung
  378. ("Corporate Governance"); sie dienen indes nicht dem gewichtigen öffentlichen Interesse an einem diskriminierungsfreien Netzbetrieb und einem wirksamen Wettbewerb
  379. auf dem Erdgas- und Elektrizitätsbinnenmarkt. Im Hinblick darauf sprechen diese
  380. - wenn überhaupt - sogar eher dafür, dass die Karenzzeitenregelungen deutlich über
  381. diejenigen nach §§ 74 ff. HGB bzw. § 100 Abs. 2 Nr. 4 AktG hinausgehen dürfen.
  382. 35
  383. bb) Soweit sich die Rechtsbeschwerdeführer auf eine Verletzung ihrer
  384. Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG berufen, ergibt sich nichts anderes. Deren
  385. Schutzbereich stimmt mit demjenigen der Art. 15 bis 17 der Charta überein und kann
  386. hier ebenfalls als berührt angesehen werden. Der Eingriff ist indes aus den vorstehenden Gründen gerechtfertigt.
  387. 36
  388. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf das Grundrecht auf freie Berufsausübung der Beigeladenen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Freiheit der
  389. Berufswahl der Beigeladenen - hier in der Form des Berufswechsels - betroffen oder
  390. lediglich ein Eingriff in ihre Freiheit der Berufsausübung gegeben ist, weil eine - zeitlich verzögerte oder praktisch verhinderte - Beförderung auf eine andere Position
  391. innerhalb des vertikal integrierten Unternehmens nicht als eigenständiger Beruf anzusehen wäre. Selbst dann, wenn hier die strengeren Maßstäbe, die an eine Zulassungsbeschränkung bei der Wahl eines Zweitberufs zu stellen sind (vgl. dazu
  392. BVerfGE 21, 173, 181; 22, 275, 276), Anwendung finden sollten, begegnen die Karenzzeitenregelungen des § 10c EnWG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
  393. 37
  394. Regelungen, die die Aufnahme der Berufstätigkeit von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig machen, sind nur gerechtfertigt, soweit sie zum
  395. Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erforderlich sind, d.h. soweit der Schutz von Gütern in Frage steht, denen bei sorgfältiger Abwägung der Vorrang vor dem Freiheitsanspruch des einzelnen eingeräumt werden muss, und soweit
  396. - 18 -
  397. dieser Schutz nicht auf andere Weise, nämlich mit Mitteln, die die Berufswahl nicht
  398. oder weniger einschränken, gesichert werden kann (vgl. nur BVerfGE 7, 377, 406 f.;
  399. 55, 185, 196). Dies ist hier der Fall.
  400. 38
  401. Die Karenzzeitenregelungen dienen dem gewichtigen öffentlichen Interesse
  402. an einem diskriminierungsfreien Netzbetrieb und der Sicherstellung eines wirksamen
  403. und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas und der
  404. Sicherung eines langfristig angelegten leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs
  405. von Energieversorgungsnetzen. Dahinter müssen die Interessen der Betroffenen an
  406. einem in zeitlicher Hinsicht unbeschränkten beruflichen Fortkommen zurückstehen,
  407. zumal es ihnen unbenommen bleibt, eine solche Position außerhalb des vertikal integrierten Unternehmens oder - bei einem Mehrspartenunternehmen - auch innerhalb des vertikal integrierten Unternehmens zu erlangen.
  408. 39
  409. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Karenzzeitenregelungen im Hinblick
  410. auf Anwendungsbereich und Dauer durch ein milderes, aber gleich geeignetes Mittel
  411. ersetzt werden könnten. Die Sperrfristen sollen die Unabhängigkeit des Transportnetzbetreibers auf personeller Ebene gewährleisten, indem ein "Wissenstransfer"
  412. innerhalb des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens unterbunden
  413. wird. Dazu bedarf es einer gewissen Anzahl von Jahren. Die Dauer der Karenzzeiten
  414. von drei und vier Jahren ist nicht unverhältnismäßig lang; sie liegt unterhalb der
  415. Dauer einer Regulierungsperiode von fünf Jahren (§ 3 Abs. 2 ARegV). Zur Vermeidung des für den Wettbewerb besonders gefährlichen "Wissenstransfers" aus dem
  416. Transportnetzbetreiber heraus ist es auch gerechtfertigt, dass die Karenzzeit für ausscheidende Führungskräfte vier Jahre (§ 10 Abs. 5 EnWG) und für eintretende Führungskräfte (nur) drei Jahre beträgt (§ 10 Abs. 2 Satz 1 EnWG).
  417. 40
  418. cc) Schließlich ist auch der Gleichheitssatz aus Art. 20 der Charta oder Art. 3
  419. Abs. 1 GG nicht verletzt.
  420. - 19 -
  421. 41
  422. Im Hinblick darauf, dass die Kommission in ihrer Untersuchung der europäischen Gas- und Elektrizitätssektoren bei vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen einen systemimmanenten Interessenkonflikt festgestellt hat, der zu einem
  423. Mangel an Investitionen und zu Diskriminierung geführt hat, ist es sachgerecht, die
  424. Karenzzeitenregelungen auf berufliche Wechsel innerhalb des Unternehmensverbunds, aber nicht zu Drittunternehmen zu beschränken. Eine mögliche Ungleichbehandlung mit Führungskräften von Unternehmen, die sich einer der beiden anderen
  425. Entflechtungsvarianten unterworfen haben, wäre ebenfalls gerechtfertigt, weil mit den
  426. Sperrfristen die - nach der Einschätzung des Richtliniengebers - für die Zielerreichung an sich unvollkommenen Maßnahmen des Modells des Unabhängigen Transportnetzbetreibers aufgewogen werden sollen, um die Effektivität dieses Modells sicherzustellen (vgl. Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL). Davon abgesehen enthalten auch die beiden anderen Entflechtungsvarianten mit § 8
  427. Abs. 2, § 9 Abs. 2 Satz 1 EnWG Vorschriften, die die persönliche Unabhängigkeit der
  428. handelnden Führungspersonen gewährleisten sollen. Die unterschiedliche Behandlung von Geschäftsleitern und Führungskräften der zweiten Führungsebene einerseits und den übrigen Mitarbeitern des Transportnetzbetreibers andererseits ist bereits mangels vergleichbaren Kenntnisstands und mangels vergleichbarer Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungen des Unternehmens sachgerecht. Schließlich
  429. ist es auch sachgerecht, dass die Karenzzeitenregelungen uneingeschränkt nur für
  430. Transportnetzbetreiber gelten; dies beruht darauf, dass nach der Einschätzung des
  431. europäischen Richtliniengebers das Diskriminierungspotential vor allem auf der Ebene der Fernleitungsnetze und weniger auf der Verteilerebene besteht (vgl. Erwägungsgrund 25 GasRL, Erwägungsgrund 26 StromRL).
  432. 42
  433. b) Das Beschwerdegericht hat auch den sachlichen Anwendungsbereich des
  434. § 10c Abs. 6 EnWG im Grundsatz zutreffend bestimmt. Danach werden von dieser
  435. Vorschrift nicht nur die Leiter derjenigen Abteilungen erfasst, die sich lediglich in
  436. technischer Hinsicht mit Betrieb, Wartung und Entwicklung des Netzes befassen,
  437. sondern auch die Führungskräfte der zweiten Führungsebene, die umfangreiche
  438. Kenntnisse über die technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seinen Zu-
  439. - 20 -
  440. stand haben müssen und die unternehmerischen Entscheidungen der obersten Unternehmensleitung maßgeblich beeinflussen können.
  441. 43
  442. aa) Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur ist § 10c Abs. 6 EnWG
  443. nicht dahin auszulegen, dass im Zweifel alle leitenden Mitarbeiter der zweiten Führungsebene erfasst sind, sofern der Netzbetreiber nichts Anderweitiges nachweist.
  444. Eine solche Zweifelsregelung widerspricht dem Charakter dieser Vorschrift als
  445. - grundrechtsrelevanter - Eingriffsnorm, die nur bei Vorliegen der in ihr positiv umschriebenen Tatbestandsmerkmale anwendbar ist.
  446. 44
  447. Insoweit hat der Netzbetreiber allerdings im Rahmen der ihm obliegenden
  448. Mitwirkungspflichten nach § 69 EnWG unter anderem das Organisationsschema und
  449. eine detaillierte Arbeitsplatzbeschreibung der fraglichen Führungsstellen vorzulegen.
  450. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit kann die Regulierungsbehörde
  451. von den Ermittlungsmaßnahmen nach § 68 EnWG Gebrauch machen.
  452. 45
  453. bb) Ebenfalls richtig ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass
  454. unter dem Begriff "Betrieb" nicht der (gesamte) Netzbetrieb an sich zu verstehen ist,
  455. weil ansonsten die weiteren Tatbestandsmerkmale der Wartung und Entwicklung des
  456. Netzes ohne eigenständige Bedeutung wären. Ausgangspunkt der Auslegung einer
  457. Norm ist ihr Wortlaut. Hätte der Gesetzgeber in § 10c Abs. 6 EnWG alle Leiter der
  458. zweiten Führungsebene erfassen wollen, hätte es genügt, das Eingreifen der Vorschrift lediglich davon abhängig zu machen, dass die betreffenden Mitarbeiter "unmittelbar" der obersten Führungsebene unterstellt sind. Der Dreiklang aus Betrieb, Wartung und Entwicklung spricht dafür, dass (nur) diejenigen Bereichsleiter erfasst werden, die aufgrund des Aufgabenzuschnitts ihrer Fachbereiche oder Abteilungen
  459. maßgeblichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen zu den technischen Eigenschaften des Transportnetzes, seinem Zustand und seiner Fortentwicklung haben und dazu umfangreiche diskriminierungsrelevante Kenntnisse darüber
  460. haben müssen.
  461. - 21 -
  462. 46
  463. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin und der Beigeladenen dürfen
  464. diese Tatbestandsvoraussetzungen nicht dahin verengt werden, dass nur die Fachbereiche erfasst werden, die rein technische, netzbezogene Aufgaben zu erfüllen
  465. haben. § 10c Abs. 6 EnWG nimmt zwar mit den Begriffen des Betriebs, der Wartung
  466. und der Entwicklung des Netzes auf die in Art. 17 Abs. 2 Buchst. e StromRL/GasRL
  467. genannten Kernaufgaben des Transportnetzbetreibers Bezug, ohne aber den Anwendungsbereich darauf einzuschränken. Insoweit hat die Aufzählung in Art. 17
  468. Abs. 2 StromRL/GasRL keine abgrenzende, sondern lediglich eine konkretisierende
  469. Funktion. Auch bei den übrigen in dieser Regelung genannten Bereichen handelt es
  470. sich um Kernaufgaben des Transportnetzbetreibers, wie etwa bei der Investitionsplanung und der Netzplanungskompetenz (vgl. Monopolkommission, Sondergutachten
  471. Nr. 59, BT-Drucks. 17/7181, S. 112), aber auch bei anderen unternehmensspezifischen Einrichtungen, wie unter anderem Rechtsabteilung, Buchhaltung und ITDiensten. Dies zeigt sich vor allem daran, dass für sie aufgrund ihrer Bedeutung für
  472. den Netzbetrieb und des Umfangs der gespeicherten unternehmensinternen, wirtschaftlich sensiblen Daten noch weitere Entflechtungsmaßnahmen vorgesehen sind
  473. (vgl. nur Art. 17 Abs. 5 StromRL/GasRL, § 10c Abs. 5 EnWG für IT-Abteilung, Art. 17
  474. Abs. 6 StromRL/GasRL, § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, § 10a Abs. 7 EnWG für Rechnungswesen).
  475. 47
  476. Dieses Verständnis wird durch Art. 19 Abs. 8 StromRL/GasRL belegt, wonach die der obersten Unternehmensleitung unmittelbar unterstellten Personen mit
  477. dem Betrieb, der Wartung oder der Entwicklung des Netzes "befasst" sein müssen.
  478. Es genügt eine für die Aufgabenerfüllung der entsprechenden Fachabteilung notwendige Kenntnis der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines
  479. Zustands, verbunden mit einer maßgeblichen Einflussmöglichkeit auf die Entscheidungen der Unternehmensführung, ohne dass damit zugleich verlangt wird, dass der
  480. Fachbereich die technischen Aufgaben selbst ausführt. Soweit in den Materialien zu
  481. § 10c Abs. 6 EnWG als Beispiel für die betroffenen Personen der zweiten Führungsebene der Hauptbereichsleiter Netz genannt wird (BT-Drucks. 17/6072, S. 64), ist
  482. dies zwar zutreffend, vermag aber im Hinblick auf den (weiten) Wortlaut dieser Norm
  483. - 22 -
  484. wie auch des Art. 19 Abs. 8 StromRL/GasRL keinen engeren Anwendungsbereich zu
  485. begründen.
  486. 48
  487. Insoweit ist im Rahmen der systematischen Auslegung zu berücksichtigen,
  488. dass alle drei Entflechtungsmodelle die bestehenden Interessenkonflikte zwischen
  489. Erzeugern, Lieferanten und Fernleitungsnetzbetreibern wirksam, d.h. (gleich) effektiv
  490. beseitigen wollen (vgl. Erwägungsgrund 9 GasRL, Erwägungsgrund 12 StromRL).
  491. Die Entflechtungsmodelle sollen lediglich auf unterschiedlichen konstruktiven Wegen
  492. eine effektive Trennung der Sparten Erzeugung/Versorgung und der Transportnetze
  493. bewirken. Aufgrund der fehlenden eigentumsrechtlichen Entflechtung muss die Effektivität des ITO-Modells durch besondere zusätzliche Vorschriften sichergestellt werden (vgl. Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL). Dies erfordert
  494. die Durchtrennung unerwünschter Wissens- und Informationsschnittstellen und sogenannter weicher Faktoren wie der bewussten oder unbewussten Verbesserung der
  495. persönlichen Karrierechancen derjenigen Führungskräfte, die umfangreiche Kenntnisse über die technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seinen Zustand
  496. haben müssen und erheblichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen
  497. in Bezug auf Betrieb, Wartung und Entwicklung des Netzes haben. Dazu gehören
  498. neben der Geschäftsleitung jedenfalls auch die Leiter der zweiten Führungsebene,
  499. soweit sie für Kerntätigkeiten des Unabhängigen Transportnetzbetreibers zuständig
  500. sind.
  501. 49
  502. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin spricht die Vorschrift des § 10d
  503. Abs. 3 EnWG nicht für eine engere Auslegung des § 10c Abs. 6 EnWG. Nach dieser
  504. Vorschrift sind die Karenzzeitenregelungen nur für weniger als die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrates anwendbar. Daraus lässt sich indes wegen des unterschiedlichen Regelungszwecks für eine Auslegung des § 10c Abs. 6 EnWG nichts gewinnen. Die Vorschriften der §§ 10c, 10d EnWG unterscheiden zwar zwischen dem Aufsichtsrat, der Unternehmensleitung, der zweiten Führungsebene und den übrigen
  505. Mitarbeitern des Unabhängigen Transportnetzbetreibers. Diese Regelungen sind
  506. aber nicht allein mit einer verhältnismäßigen Abstufung der Entflechtungsintensität zu
  507. - 23 -
  508. erklären, sondern tragen dem komplexen Interessengeflecht zwischen dem Unternehmensverbund und der rechtlichen sowie faktischen Unabhängigkeit des Netzbetriebs Rechnung. Dabei hat der Aufsichtsrat eine Sonderstellung, weil er nicht nur
  509. Kontrollorgan der Geschäftsleitung ist, sondern über ihn die Anteilseigner - d.h. die
  510. Muttergesellschaft des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens - ihre
  511. eigenen Unternehmensinteressen einfließen lassen dürfen. Demgegenüber müssen
  512. sich die Vorgaben für die personelle Unabhängigkeit des für das operative Tagesgeschäft zuständigen Managements des Unabhängigen Transportnetzbetreibers allein
  513. an den Entflechtungszielen eines transparenten und diskriminierungsfreien Netzbetriebs orientieren. Aufgrund dessen können die in § 10d Abs. 3 EnWG geschützten
  514. Anteilseignerinteressen für die Interpretation des § 10c Abs. 6 EnWG nicht maßgeblich sein (vgl. Mohr, N&R 2015, 45, 47 f.).
  515. 50
  516. cc) Die Materialien bestätigen dieses Auslegungsergebnis. Danach sollen die
  517. Führungskräfte erfasst werden, "die zwar nicht der Unternehmensleitung angehören,
  518. also keine Vertretungsbefugnis für den Unabhängigen Transportnetzbetreiber haben,
  519. aber eine sonst vergleichbare Stellung" (BT-Drucks. 17/6072, S. 64). Dies wird dahingehend näher präzisiert, dass "dieser Personenkreis ... ebenfalls erheblichen Einfluss und umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustandes" hat (BT-Drucks. 17/6072, S. 64). Das entspricht
  520. der in den Gesetzesmaterialien in Bezug genommenen Vorstellung des europäischen Richtliniengebers, wonach eine wirksame Entflechtung mittels der Vorschriften
  521. für die unabhängigen Fernleitungsnetzbetreiber vor allem auf den Pfeiler der Maßnahmen zur Organisation und Verwaltung der Fernleitungsnetzbetreiber gestützt
  522. werden soll (Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL). Nach diesen Erwägungsgründen soll die Unabhängigkeit des Fernleitungsbetreibers insbesondere durch die Karenzzeiten sichergestellt werden, in denen in dem vertikal integrierten Unternehmen keine Leitungsfunktion ausgeübt wird oder keine sonstige
  523. wichtige Funktion wahrgenommen wird, die Zugang zu den gleichen Informationen
  524. wie eine leitende Position eröffnen. Dies bedeutet, dass es für die Anwendbarkeit
  525. des § 10c Abs. 6 EnWG nicht darauf ankommt, ob die betreffende Führungskraft ei-
  526. - 24 -
  527. ne netzbezogene, technische Abteilung leitet, sondern vor allem darauf, ob sie - innerhalb der zweiten Führungsebene - umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustandes haben muss und erheblichen Einfluss auf die netzbezogenen Entscheidungen der Geschäftsleitung hat.
  528. 51
  529. dd) Schließlich sprechen auch Sinn und Zweck des § 10c EnWG für dieses
  530. Normverständnis.
  531. 52
  532. Die Vorschrift regelt die personelle Trennung der Unternehmensleitung und
  533. der weiteren Führungskräfte des Unabhängigen Transportnetzbetreibers von der
  534. Muttergesellschaft des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens, deren
  535. Tochtergesellschaften und Mehrheitsanteilseignern, um damit deren berufliche Unabhängigkeit zu gewährleisten (vgl. Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19
  536. StromRL). Durch die Sicherung der beruflichen Handlungsunabhängigkeit der Führungskräfte des Unabhängigen Transportnetzbetreibers sollen in Ergänzung zur formalen personellen Entflechtung Anreize unterbunden werden, zur Verbesserung der
  537. persönlichen Karrierechancen oder der persönlichen Vergütung Marktaktivitäten des
  538. vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens gegenüber dessen Wettbewerbern zu bevorzugen (BerlKommEnR/Säcker/Mohr, 3. Aufl., EnWG § 10c Rn. 1).
  539. Es soll der mit der von der Kommission als unzureichend festgestellten Entflechtung
  540. der Transportnetzbetreiber verbundenen Gefahr der Diskriminierung in der Ausübung
  541. des Netzgeschäfts und der Gefahr fehlender Anreize zur Investition in das Netz begegnet werden. Aufgrund der Einbindung des Transportnetzbetreibers in den Verbund eines vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens ist zu besorgen,
  542. dass der Netzbetreiber seine Tätigkeit nicht auf eine möglichst effiziente Bereitstellung der Netzdienste im Sinne des § 21 Abs. 2 EnWG ausrichtet, sondern auf eine
  543. Beförderung der Interessen der Wettbewerbsbereiche des Energieversorgungsunternehmens (vgl. BVerwGE 137, 58 Rn. 44 [zu § 9a AEG]; Mohr, N&R 2015, 45, 46).
  544. Dies kann sich in offenen Netzzugangsdiskriminierungen zeigen, aber auch mittelbar
  545. in Form überhöhter Netzentgelte zur Quersubventionierung der Wettbewerbsbereiche und einem am Konzerninteresse ausgerichteten Ausbau der Netze.
  546. - 25 -
  547. 53
  548. Diese Zielsetzung wird nicht nur durch eine bloß formale personelle Entflechtung der Führungskräfte des Unabhängigen Transportnetzbetreibers und des vertikal
  549. integrierten Energieversorgungsunternehmens erreicht, sondern bedarf auch einer
  550. Durchtrennung unerwünschter Wissens- und Informationsschnittstellen und sogenannter weicher Faktoren wie der bewussten oder unbewussten Verbesserung der
  551. persönlichen Karrierewünsche der einzelnen Führungskräfte. Nur dann bestehen
  552. wirksame Anreize für das mit dem Netzbetrieb und allen damit zusammenhängenden
  553. Kerntätigkeiten betraute Personal des Unabhängigen Transportnetzbetreibers, damit
  554. dieses aus eigenem Antrieb einen transparenten und diskriminierungsfreien Netzbetrieb sicherstellt (Mohr, N&R 2015, 45, 46).
  555. 54
  556. § 10c Abs. 6 EnWG soll die Gefahr der Diskriminierung in der Ausübung des
  557. Netzgeschäfts und der Gefahr fehlender Anreize zur Investition in das Netz begegnen. Im Verfahren der Entscheidungsfindung zielt die Vorschrift damit nicht nur auf
  558. deren abschließende Phase - das "Treffen" der Entscheidung - und auch nicht nur
  559. auf das die Entscheidung "treffende" Personal, sondern nimmt auch weitere Phasen
  560. der Entscheidungsvorbereitung und die insofern damit befassten Personen in den
  561. Blick. Erfasst werden damit unter anderem alle Vorbereitungshandlungen, mit denen
  562. sachlich auf die zu treffende Entscheidung Einfluss genommen wird oder Einfluss
  563. genommen werden kann (vgl. BVerwGE 137, 58 Rn. 38 zu § 9a AEG). Auch insoweit
  564. besteht die naheliegende Gefahr, dass die mit diesen Entscheidungen befasste Person den Interessen des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens im
  565. Zweifel den Vorzug gibt, schon weil sie dort ihre bisherige berufliche Laufbahn zurückgelegt hat - beruflich "groß geworden" ist - und ihre künftige Laufbahn nicht in
  566. Frage stellen will (vgl. BVerwGE 137, 58 Rn. 44 zu § 9a AEG).
  567. 55
  568. Aufgrund dessen ist es zur Zielerreichung folgerichtig, wenn von § 10c
  569. Abs. 6 EnWG nicht nur die Führungskräfte derjenigen Abteilungen erfasst werden,
  570. die sich lediglich in technischer Hinsicht mit Betrieb, Wartung und Entwicklung des
  571. Netzes befassen, sondern auch die Führungskräfte, die aufgrund ihrer beruflichen
  572. Tätigkeit über umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Trans-
  573. - 26 -
  574. portnetzes und seines Zustandes verfügen und innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs maßgeblichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung des Transportnetzbetreibers ausüben.
  575. 56
  576. ee) Der Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG wird durch das weitere
  577. Tatbestandsmerkmal der Verantwortlichkeit lediglich in persönlicher Hinsicht, nicht in
  578. sachlicher Hinsicht eingeschränkt.
  579. 57
  580. Nach den Materialien sollen mit diesem Kriterium die Führungskräfte erfasst
  581. werden, "die zwar nicht der Unternehmensleitung angehören, also keine Vertretungsbefugnis für den Unabhängigen Transportnetzbetreiber haben, aber eine sonst
  582. vergleichbare Stellung" (BT-Drucks. 17/6072, S. 64). Dabei handelt es sich jedenfalls
  583. um die Leiter der jeweiligen Fachabteilung, während zweifelhaft ist, ob auch ihre
  584. Stellvertreter, die durchaus über denselben Kenntnisstand bezüglich der technischen
  585. Eigenschaften des Transportnetzes verfügen können, erfasst werden.
  586. 58
  587. Ob nach dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 8 StromRL/GasRL der von dieser
  588. Norm betroffene Personenkreis weiter gezogen werden könnte, bedarf keiner Entscheidung. Die jeweiligen Fachbereichsleiter werden augenscheinlich erfasst. Dies
  589. zeigt auch ein Blick in die englische und französische Fassung der Richtlinien. Die
  590. Formulierungen "... to those directly reporting to them on matters related to the operation, maintenance or development of the network" bzw. "... celles qui leur rendent
  591. directement compte à propos de questions liées à l’exploitation, à la maintenance ou
  592. au développement du réseau" legen nahe, dass zumindest die der Geschäftsleitung
  593. unmittelbar nachgeordneten Bereichsleiter von Art. 19 Abs. 8 StromRL/GasRL erfasst sein sollen, weil diese eine unmittelbare und umfassende Berichtspflicht gegenüber der Geschäftsleitung haben.
  594. 59
  595. Der persönliche Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG ist damit im
  596. Hinblick auf die Führungskräfte der zweiten Führungsebene dahin eindeutig bestimmt, dass jedenfalls die jeweiligen Fachbereichsleiter von der Vorschrift erfasst
  597. - 27 -
  598. werden. Der von der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und der Beigeladenen
  599. gerügte Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz liegt
  600. nicht vor.
  601. 60
  602. ff) Schließlich bedarf es zur Frage des Kenntnisstands des jeweiligen Fachbereichsleiters keiner konkreten Feststellungen des Tatrichters im Einzelfall. Vielmehr stellen Gesetz und Richtlinien insoweit auf eine generalisierende Betrachtungsweise auf der Grundlage der konkreten Aufgabenbeschreibung innerhalb des
  603. Organisationsschemas des Transportnetzbetreibers ab. Die Karenzzeitenregelungen
  604. sollen die Effektivität des ITO-Modells sicherstellen und die im Hinblick auf die Ziele
  605. der Entflechtung bestehenden Schwächen dieses Modells insbesondere im Vergleich
  606. zu dem Modell der eigentumsrechtlichen Entflechtung ausgleichen (vgl. Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL). Aufgrund dessen ist allein maßgeblich, welchen Aufgabenbereich der betreffende Leiter der zweiten Führungsebene hat
  607. und welche Kenntnisse über die technischen Eigenschaften des Transportnetzes und
  608. seines Zustands er zur Erfüllung seiner Aufgaben üblicherweise besitzen muss.
  609. 61
  610. gg) Dieses Auslegungsergebnis entspricht den oben dargestellten grundrechtlichen Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des
  611. Grundgesetzes und bedarf im Hinblick darauf keiner Korrektur im Sinne einer unionsrechts- oder verfassungskonformen Auslegung. Der Anwendungsbereich des § 10c
  612. Abs. 6 EnWG ist in persönlicher Hinsicht durch die Beschränkung auf die Leiter der
  613. zweiten Führungsebene und in sachlicher Hinsicht durch die Merkmale des maßgeblichen Einflusses auf die netzbezogenen unternehmerischen Entscheidungen der
  614. Geschäftsleitung und der umfangreichen Kenntnisse der technischen Eigenschaften
  615. des Netzes und seines Zustands hinreichend bestimmt. Im Hinblick auf die mit den
  616. Karenzzeiten verbundene Zielsetzung der Sicherstellung der Effektivität des ITOModells, um für einen gerechten Wettbewerb, hinreichende Investitionen, den Zugang neuer Marktteilnehmer und die Integration der Strom- und Erdgasmärkte zu
  617. sorgen, sind die Karenzzeiten geeignet, erforderlich und verhältnismäßig.
  618. - 28 -
  619. 62
  620. c) Nach diesen Maßgaben werden für den - hier maßgeblichen - Zeitpunkt
  621. der angefochtenen Zertifizierungsentscheidung neben den Leitern der Fachbereiche
  622. GTD, GTK, GTM, GNO und GNW auch die Leiter der Fachbereiche GTE, GNA,
  623. GNM, GNT, GTI und GTB sowie - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts
  624. - auch diejenigen der Fachbereiche GTC, GTF, GTH, GTJ, GTR und GNL von § 10c
  625. Abs. 6 EnWG erfasst. Insoweit hat die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur
  626. Erfolg, während die Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen
  627. unbegründet sind. Im Einzelnen:
  628. 63
  629. aa) Der Fachbereich "Vertragsenergieermittlung (GTE)" ist nach den unangefochten gebliebenen Feststellungen des Beschwerdegerichts für die technische
  630. Gasmessung und Gasabrechnung, die Gasbeschaffenheit und die Messanlagen, wie
  631. etwa Nacheichungen zuständig. Dazu gehört nach dem Vorbingen der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und der Beigeladenen auch die Konzeption der Messverfahren sowie die Aufbereitung und Übermittlung abrechnungsrelevanter Messdaten. Die darauf fußende Annahme des Beschwerdegerichts, der Leiter der Abteilung
  632. GTE unterfalle § 10c Abs. 6 EnWG, ist nicht zu beanstanden.
  633. 64
  634. Die dagegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerden der Antragstellerin
  635. und der Beigeladenen bleiben ohne Erfolg. Aufgrund der Aufgabenbeschreibung ist
  636. ohne weiteres davon auszugehen, dass der Fachbereichsleiter GTE über umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands verfügen muss und auch die unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung im Bereich des Messwesens maßgeblich beeinflussen kann. Das
  637. Messwesen ist ein wichtiger Teil des Netzbetriebs, was bereits die detaillierten Rahmenregelungen der §§ 21b bis 21i EnWG zeigen. Messstellenbetrieb und Messung
  638. sind wichtige Hilfsdienste für die Gewährung von Netzzugang und Energielieferung,
  639. indem die gewonnenen Messdaten die Grundlage für eine Vielzahl von Abrechnungsbeziehungen im Strom- und Gassektor bilden. Die Bestimmungen zum Messwesen zielen zum einen auf eine Marktöffnung im Bereich des Zähler- und Messwesens und zum anderen auf einen effizienteren Umgang mit Energie. Damit sollen zu-
  640. - 29 -
  641. gleich die allgemeinen Ziele des Energiewirtschaftsgesetzes wie der Versorgungsund Preissicherheit oder des Klimaschutzes erreicht werden. Die Ausgestaltung und
  642. Konzeption des Messwesens stellt sich damit als eine komplexe Aufgabe dar, die
  643. einen umfangreichen Wissensstand über die technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seinen Zustand voraussetzt. Zugleich besteht damit insoweit ein
  644. maßgeblicher Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung.
  645. 65
  646. Aufgrund dessen ist es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde unerheblich, dass der Fachbereich GTE keine Entscheidungen über die Steuerung des
  647. Netzes und die Verfügbarkeiten von Kapazitäten trifft. Ebenso ist es ohne Belang,
  648. dass der Fachbereich GTE Dienstleistungen auch für andere Fachbereiche erbringt.
  649. Soweit die Rechtsbeschwerde Feststellungen des Beschwerdegerichts zu dem
  650. Kenntnisstand des Fachbereichsleiters GTE vermisst, bedarf es solcher im Einzelfall
  651. nicht, weil insoweit - wie ausgeführt - eine generalisierende Betrachtungsweise auf
  652. der Grundlage der konkreten Aufgabenbeschreibung anzustellen ist.
  653. 66
  654. bb) Die Fachbereiche "Anlagentechnik (GNA)" und "Montage (GNM)" sind
  655. nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts für die Konstruktion, die technische Planung, den Bau und die Inbetriebnahme der Gasleitungen verantwortlich und
  656. führen diese Maßnahmen durch.
  657. 67
  658. Zur Erfüllung dieser Aufgabenbereiche bedarf es umfangreicher Kenntnisse
  659. der technischen Eigenschaften des Transportnetzes, was auch von der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und der Beigeladenen nicht in Frage gestellt wird. Sie
  660. wenden lediglich ein, dass die beiden Fachbereiche nur für die technische Planung
  661. und Durchführung von Netzausbau- und -umbaumaßnahmen zuständig seien, hingegen keinen (verantwortlichen) Einfluss auf das Ob und Wie solcher Maßnahmen
  662. hätten. Dieses Vorbringen ist insbesondere im Hinblick darauf nicht nachvollziehbar,
  663. dass die beiden Fachbereiche unter anderem für die Konstruktion und die technische
  664. Planung verantwortlich sind. Insoweit haben sie zumindest insoweit maßgeblichen
  665. - 30 -
  666. Einfluss auf die entsprechenden unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung, dass sie bestimmte Konstruktionen oder Planungen aus technischer Sicht
  667. vorziehen oder verwerfen können. Das damit vorhandene Diskriminierungspotential
  668. im Hinblick auf eine Bevorzugung der Interessen des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens ist dabei gegeben.
  669. 68
  670. cc) Die Abteilung "Trassenengineering (GNT)" ist nach den Feststellungen
  671. des Beschwerdegerichts für die Entwicklung und Planung neuer Leitungstrassen einschließlich der Durchführung der entsprechenden Genehmigungsverfahren und der
  672. ökologischen Begleitung in der Bauphase zuständig.
  673. 69
  674. Die Erfüllung dieses Aufgabenbereichs setzt ebenfalls umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes voraus, weil die Entwicklung und Planung neuer Leitungstrassen nicht losgelöst von den technischen Eigenschaften und dem Zustand des bestehenden Transportnetzes erfolgen kann. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist es unerheblich, dass der Leiter des
  675. Fachbereichs GNT keine (verantwortlichen) Entscheidungen über den konkreten
  676. Netzausbau trifft, sondern solche Entscheidungen lediglich vorbereitet und ausführt.
  677. Insoweit kommt es nur darauf an, dass im Rahmen der fachplanerischen Vorbereitung von Netzausbau- oder Umbaumaßnahmen ein hinreichendes Diskriminierungspotential im Hinblick auf eine Bevorzugung der Interessen des vertikal integrierten
  678. Energieversorgungsunternehmens besteht. Schließlich bedarf es auch keiner Feststellungen des Beschwerdegerichts zu dem (konkreten) Kenntnisstand des Fachbereichsleiters GNT, weil insoweit eine generalisierende Betrachtungsweise auf der
  679. Grundlage der konkreten Aufgabenbeschreibung anzustellen ist.
  680. 70
  681. dd) Der Fachbereich "IT-Management (GTI)" ist nach den Feststellungen des
  682. Beschwerdegerichts neben den allgemeinen IT-Aufgaben, die für ein Funktionieren
  683. des Netzbetriebs unabdingbar sind, auch für die Entwicklung netzbezogener Software, wie etwa zur Optimierung gaswirtschaftlicher Prozesse, zuständig. Wegen die-
  684. - 31 -
  685. ses spezifischen Aufgabenbereichs hat das Beschwerdegericht den Leiter der ITAbteilung GTI dem Anwendungsbereich § 10c Abs. 6 EnWG unterworfen.
  686. 71
  687. Auch dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Schon der allgemeine Aufgabenbereich der IT-Abteilung der Antragstellerin erfüllt die Anforderungen des § 10c
  688. Abs. 6 EnWG, weil die Bewältigung dieses Aufgabenbereichs umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands voraussetzt und der Leiter der IT-Abteilung maßgeblichen Einfluss auf die insoweit zu
  689. treffenden Entscheidungen der Geschäftsleitung besitzt. Das gilt erst recht im Hinblick darauf, dass nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts dieser Fachbereich gerade auch für die Entwicklung netzbezogener Software zuständig ist.
  690. 72
  691. Die Funktionsfähigkeit und ständige Anpassung der Informationstechnologie
  692. bildet eine Kerntätigkeit des Netzbetriebs. Die Entflechtung der Anwendungssysteme
  693. und der IT-Infrastruktur stellt deshalb nach § 10a Abs. 5 EnWG, Art. 17 Abs. 5
  694. StromRL/GasRL einen Schwerpunkt des Maßnahmepakets des Gesetz- und Richtliniengebers im Rahmen des Modells des Unabhängigen Transportnetzbetreibers dar,
  695. um dessen Unabhängigkeit zu gewährleisten und insbesondere die im IT-Bereich
  696. besonders gefährdete Geheimhaltung der gespeicherten Infrastrukturdaten vor einem unberechtigten Zugriff Dritter, d.h. (einzelfallabhängig) auch vor einem Zugriff
  697. des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens zu schützen (vgl. BTDrucks. 17/6072, S. 61).
  698. 73
  699. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und der
  700. Beigeladenen ergibt sich etwas anderes nicht daraus, dass Art. 17 Abs. 2 GasRL
  701. zwischen dem Betrieb, der Wartung und dem Ausbau eines sicheren, effizienten und
  702. wirtschaftlichen Fernleitungsnetzes einerseits (Buchstabe e) und allen übrigen unternehmensspezifischen Einrichtungen und Leistungen, unter anderem Rechtsabteilung, Buchhaltung und IT-Dienste andererseits (Buchstabe h) unterscheidet. Daraus
  703. kann nicht gefolgert werden, dass die Leitung des IT-Bereichs von vornherein nicht
  704. von § 10c Abs. 6 EnWG erfasst wird. Art. 17 Abs. 2 GasRL beinhaltet lediglich - in
  705. - 32 -
  706. Ergänzung zu den in Art. 13 GasRL aufgeführten Aufgaben - eine konkretisierende
  707. Auflistung der Geschäftstätigkeiten des Unabhängigen Transportnetzbetreibers. Dem
  708. Unterpunkt des Art. 17 Abs. 2 Buchst. h GasRL kommt dabei eine Auffang- und Klarstellungsfunktion zu. Sein Regelungsbereich beschränkt sich auf die Benennung der
  709. vom Unabhängigen Transportnetzbetreiber rechtlich und tatsächlich unabhängig vom
  710. vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen auszuführenden Aufgaben.
  711. Davon zu trennen ist die in § 10c Abs. 6 EnWG geregelte Frage, wie diese Unabhängigkeit auch auf der zweiten Führungsebene gewährleistet wird. Beides ergänzt
  712. sich (vgl. Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL).
  713. 74
  714. ee) Die Abteilung "Einkauf (GTB)" ist nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts insbesondere für die Beschaffung netznaher Technik und gasspezifischer IT-Systeme zuständig.
  715. 75
  716. Schon dieser Umstand rechtfertigt es, den Leiter dieser Abteilung der Vorschrift des § 10c Abs. 6 EnWG zu unterwerfen. Denn damit ist er für eine Kerntätigkeit des Netzbetreibers verantwortlich zuständig und muss zur sachgerechten Erfüllung seines Aufgabenbereichs umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands haben. Zugleich ist damit ein
  717. Diskriminierungspotential zum Vorteil des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens gegeben. Soweit die Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der
  718. Beigeladenen dagegen vorbringen, die schlichte Beschaffungstätigkeit weise allenfalls einen mittelbaren Bezug zu den Tätigkeiten Betrieb, Wartung und Entwicklung
  719. des Netzes auf, kann dies keinen Erfolg haben. Ob die weitere Begründung des Beschwerdegerichts, die Zuständigkeit der Abteilung GTB für den Einkauf für die gesamte W.
  720. verdeutliche deren Einbindung in den Netzbetrieb im en-
  721. geren Sinne, den Angriffen der Rechtsbeschwerden standhalten würde, bedarf keiner Entscheidung.
  722. - 33 -
  723. 76
  724. ff) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts unterfällt auch der Leiter der Abteilung "Controlling (GTC)" dem Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6
  725. EnWG.
  726. 77
  727. Zu dessen Aufgabenbereich hat das Beschwerdegericht zwar keine eigenen
  728. Feststellungen getroffenen. Diese vermag der Senat aber nachzuholen, weil das Beschwerdegericht hierfür im Übrigen allein auf die Angaben der Antragstellerin im Zertifizierungsverfahren abgestellt hat und diese auch hier maßgeblich sind. Danach ist
  729. die Abteilung GTC für die Koordination und Durchführung der operativen und rollierenden Planung, die Berichterstattung an die Geschäftsführung und Gesellschafter,
  730. das unternehmerische Kostenmanagement, das Risikomanagement, die Unterstützung von operativen Entscheidungen durch betriebswirtschaftliche Analysen und die
  731. Erarbeitung von regulatorisch erforderlichen Entgelt- und Investitionsbudgetanträgen
  732. zuständig. Die Erfüllung dieses Aufgabenbereichs setzt umfangreiche Kenntnisse der
  733. technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands voraus; zugleich übt sie insbesondere durch das Kosten- und Risikomanagement einen maßgeblichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen aus.
  734. 78
  735. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung hat die Abteilung auch nicht nur eine rein unterstützende Funktion. Vielmehr werden durch diesen
  736. Fachbereich Entscheidungen der Unternehmensleitung der Antragstellerin nicht nur
  737. vorbereitet, sondern auch inhaltlich beeinflusst. Dabei handelt es sich um Kernaufgaben, die für den Netzbetrieb zwingend erforderlich sind. Die Erarbeitung von regulatorisch erforderlichen Entgelt- und Investitionsmaßnahmenanträgen wie auch die
  738. Bearbeitung der Netzkosten, der Effizienz und der Netzentgelte erfordert einen Zugang zu diskriminierungsrelevanten Informationen.
  739. 79
  740. gg) Entsprechendes gilt auch im Hinblick auf den Leiter des Fachbereichs
  741. "Finanzen und Steuern (GTF)". Dieser ist nach dem maßgebenden Vortrag der An-
  742. - 34 -
  743. tragstellerin und der Beigeladenen für die Rechnungsprüfung und die Leistungsfakturierung sowie für die Archivierung der erforderlichen Unterlagen zuständig. Damit
  744. unterfällt er dem Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG.
  745. 80
  746. Anders als das Beschwerdegericht meint, ist nicht entscheidend, ob der Einfluss dieser Abteilung auf finanzielle Mittel, auf Buchhaltung und Jahresabschluss
  747. genügt, um eine Steuerung des Netzbetriebs oder der Netzentwicklung i.S.d. § 10c
  748. Abs. 6 EnWG anzunehmen. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Leiter der Abteilung umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands haben muss und die unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung maßgeblich beeinflussen kann. Dies ist bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise zu bejahen. Die Entflechtung der Buchhaltung und des
  749. Rechnungswesens stellt nach § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, § 10a Abs. 7 EnWG, Art. 17
  750. Abs. 2 Buchst. h, Abs. 6 StromRL/GasRL einen Schwerpunkt des Maßnahmepakets
  751. des Gesetz- und Richtliniengebers im Rahmen des Modells des Unabhängigen
  752. Transportnetzbetreibers dar, um dessen Unabhängigkeit und insbesondere die im
  753. Rechnungswesen besonders zu fordernde Vertraulichkeit der wirtschaftlich sensiblen
  754. Informationen zu gewährleisten (vgl. BT-Drucks. 17/6072, S. 61). Insoweit gebieten
  755. § 10a Abs. 7 EnWG, Art. 17 Abs. 6 StromRL/GasRL einen Erst-recht-Schluss in dem
  756. Sinne, dass die Anforderungen an den unternehmensexternen Abschlussprüfer erst
  757. recht an den für das Rechnungswesen zuständigen Leiter der zweiten Führungsebene zu stellen sind.
  758. 81
  759. hh) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist auch der Leiter der
  760. Abteilung "Personal und Verwaltung (GTH)" der Karenzzeitenregelung des § 10c
  761. Abs. 6 EnWG unterworfen.
  762. 82
  763. Die Abteilung GTH unterstützt die anderen Fachbereiche bei der Personalbeschaffung und ist im Rahmen der Personalbetreuung Ansprechpartner für Geschäftsführung, Mitarbeiter und Betriebsrat in allen personalbezogenen Themen. Die
  764. Erfüllung dieses Aufgabenbereichs erfordert umfangreiche Kenntnisse der techni-
  765. - 35 -
  766. schen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands, weil die Eigenschaften und der Zustand des Netzes wie auch Umbau- oder Ausbaupläne die Grundlage
  767. für die Personalplanung bilden und daneben auch Anlass für einzelne Personalgespräche sein können. Damit einher geht ein maßgeblicher Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung.
  768. 83
  769. Dagegen spricht nicht, dass die Personalabteilung in der Aufzählung des
  770. § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EnWG fehlt. Diese Liste ist ersichtlich nicht abschließend.
  771. Zudem ergibt sich aus § 10a Abs. 3 EnWG, dass die Entflechtung auch das Personalwesen erfasst. Mit dieser Regelung soll die Nutzung gemeinsamer Dienstleistungen durch das vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen und den Unabhängigen Transportnetzbetreiber eingeschränkt werden, um die Unabhängigkeit des
  772. Unabhängigen Transportnetzbetreibers in allen Bereichen vollständig zu gewährleisten, indem auch mittelbare Einflussnahmen des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens ausgeschlossen werden (vgl. BT-Drucks. 17/6072, S. 610). Die
  773. Nutzung gemeinsamer Dienstleistungen betraf vor Inkrafttreten der Entflechtungsvorschriften der §§ 10 ff. EnWG vor allem die Bereiche Kundenservice, Buchhaltung,
  774. Rechnungswesen, Datenverarbeitung, Personalwesen und juristische Dienste (vgl.
  775. BerlKommEnR/Säcker/Mohr, 3. Aufl., EnWG § 10a Rn. 17 mwN). Diesen Bereichen
  776. gemein ist der Zugang zu diskriminierungsrelevanten Informationen und ihr Einfluss
  777. auf netzbezogene Entscheidungen der Geschäftsleitung. Dies ist für die Anwendung
  778. des § 10c Abs. 6 EnWG entscheidend.
  779. 84
  780. ii) Anders als das Beschwerdegericht meint, unterfallen auch die Leiter der
  781. Fachbereiche "Recht und Versicherungen (GTJ)" und "Regulierungsmanagement
  782. (GTR)" der Vorschrift des § 10c Abs. 6 EnWG.
  783. 85
  784. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist der Fachbereich GTJ
  785. unter anderem für die Erstellung, Prüfung und Beratung bei der Abwicklung von Kapazitätsverträgen, Netzkopplungsvereinbarungen und Netzanbindungsverträgen, die
  786. Erstellung und Prüfung von Netzentgeltgenehmigungen und Investitionsbudgetanträ-
  787. - 36 -
  788. gen sowie die Beratung bei der Netzentgeltkalkulation zuständig. Die Abteilung GTR
  789. ist für die Mitarbeit, Bewertung und Umsetzung des deutschen und europäischen
  790. Regulierungsrahmens zuständig und nimmt insoweit ebenfalls im Wesentlichen juristische, beratende Aufgaben wahr.
  791. 86
  792. Die Erfüllung dieser Aufgabenbereiche ist ohne umfangreiche Kenntnisse der
  793. technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands nicht denkbar.
  794. Die Rechtsabteilungen haben auch maßgeblichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung. Sie unterziehen deren Vorstellungen
  795. einer rechtlichen Prüfung, zeigen Handlungsalternativen auf und bewerten sie nach
  796. ihrer rechtlichen Realisierbarkeit und ihren - auch wirtschaftlichen - Folgen; regelmäßig bereiten die Rechtsabteilungen auch künftige Entscheidungen vor, sei es, dass
  797. sie Verhandlungen für künftige Verträge führen, sei es, dass sie die Entscheidungsfreiheit des Unternehmens gegenüber behördlichen Eingriffen zu wahren suchen
  798. (vgl. BVerwGE 137, 58 Rn. 43 zu § 9a AEG). Damit ist ein hinreichendes Diskriminierungspotential im Hinblick auf eine Bevorzugung der Interessen des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens vorhanden. Dass sich die Geschäftsleitung im
  799. Einzelfall über Handlungsempfehlungen der Rechtsabteilung hinwegsetzen mag,
  800. ändert daran bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise nichts.
  801. 87
  802. Für eine Anwendung des § 10c Abs. 6 EnWG spricht auch, dass die Entflechtung der Rechtsabteilung und der übrigen juristischen Dienste nach § 10 Abs. 1
  803. Satz 2 Nr. 4, § 10a Abs. 3 EnWG, Art. 17 Abs. 2 Buchst. h StromRL/GasRL einen
  804. Schwerpunkt des Maßnahmepakets des Gesetz- und Richtliniengebers im Rahmen
  805. des Modells des Unabhängigen Transportnetzbetreibers darstellt, um dessen Unabhängigkeit und insbesondere die von der Rechtsabteilung in besonderem Maße zu
  806. fordernde Vertraulichkeit der wirtschaftlich sensiblen Informationen zu gewährleisten
  807. (vgl. dazu auch BVerwGE 137, 58 Rn. 38 ff. zu § 9a AEG).
  808. - 37 -
  809. 88
  810. jj) Schließlich ist entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts § 10c
  811. Abs. 6 EnWG auch auf den Leiter der Abteilung "Leitungsrechte und Liegenschaften
  812. (GNL)" anwendbar.
  813. 89
  814. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist der Fachbereich GNL
  815. für die Beschaffung und Dokumentation der privatrechtlichen Genehmigungen für die
  816. vertragliche und dingliche Sicherung der Leitungsrechte des Netzes zuständig. Auch
  817. die Erfüllung dieses Aufgabenbereichs bringt umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands mit sich, weil ohne
  818. diese eine sachgerechte Konzeption der entsprechenden Vertragsentwürfe und der
  819. erforderlichen Erklärungen gegenüber dem Grundbuchamt nicht möglich wäre. Zugleich ist damit ein maßgeblicher Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung verbunden. Wegen der fachlichen Nähe zu den Fachbereichen "Regulierungsmanagement (GTR)" und "Recht und Versicherungen (GTJ)" gelten im Übrigen die diesbezüglichen Ausführungen entsprechend.
  820. 90
  821. d) Schließlich hat die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und der Beigeladenen keinen Erfolg, soweit sie eine Verkürzung der Sperrfristen begehren. Die
  822. Länge der Karenzzeiten begegnet - wie oben ausgeführt worden ist - keinen rechtlichen Bedenken.
  823. 91
  824. 3. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin und der Beigeladenen kommt
  825. ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht
  826. in Betracht.
  827. 92
  828. a) Gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV ist das letztinstanzliche innerstaatliche Gericht, bei dem eine entscheidungserhebliche Frage über die Auslegung von Handlungen der Organe der Europäischen Union (Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV) gestellt
  829. wird, zur Anrufung des Unionsgerichtshofs immer dann verpflichtet, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine entscheidungserhebliche Frage des Uni-
  830. - 38 -
  831. onsrechts stellt, es sei denn, das nationale Gericht hat festgestellt, dass die betreffende unionsrechtliche Frage bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig
  832. ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH, Urteil vom
  833. 6. Oktober 1982 - 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 21 - C.I.L.F.I.T.). Ob ein solcher Fall
  834. gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union zu beurteilen (EuGH, Urteil
  835. vom 15. September 2005 - C-495/03, Slg. 2005, I-8151 Rn. 33 - Intermodal Transports). Hierzu muss das nationale Gericht davon überzeugt sein, dass auch für die
  836. Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Unionsgerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde (EuGH, Slg. 1982, 3415 Rn. 16 - C.I.L.F.I.T.; Slg. 2005, I-8151 Rn. 39
  837. - Intermodal Transports; vgl. auch BVerfG, NJW 2010, 1268 Rn. 20 f.). Eine Vorlagepflicht besteht stets, wenn einzelstaatliche Gerichte Unionsrechtsakte als ungültig
  838. außer Anwendung lassen wollen (sog. Verwerfungsmonopol des Gerichtshofs; vgl.
  839. EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 - C-461/03, Slg. 2005, I-10513 Rn. 19 ff. - Gaston Schul).
  840. 93
  841. b) Nach diesen Maßgaben besteht keine Vorlagepflicht. Die dargestellte
  842. Rechtslage ist vielmehr offenkundig.
  843. 94
  844. aa) Dies betrifft zunächst die Frage nach einem möglichen Verstoß der Karenzzeitenregelungen des § 10c Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 EnWG gegen
  845. höherrangiges Recht. Diese Frage ist offenkundig zu verneinen. Das Verwerfungsmonopol des Gerichtshofs der Europäischen Union ist von vornherein nicht berührt.
  846. 95
  847. Der Schutzbereich der Grundrechte auf Berufsfreiheit und die unternehmerische Freiheit sowie das Eigentumsrecht, wie sie in den Art. 15 bis 17 der Charta niedergelegt sind, und deren Schranken i.S.d. Art. 52 Abs. 1 der Charta sind - wie oben
  848. im Einzelnen dargelegt worden ist - in der Rechtsprechung des Gerichtshofs hinreichend geklärt. Insoweit legen weder die Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und
  849. - 39 -
  850. der Beigeladenen - neue - Zweifelsfragen dar, noch sind solche aus anderen Gründen ersichtlich. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass der Unionsgerichtshof
  851. den Gemeinschaftsorganen grundsätzlich einen weiten Ermessens- und Prognosespielraum zubilligt, dessen Weite er insbesondere im Rahmen wirtschaftspolitischer
  852. Maßnahmen besonders hervorhebt (vgl. EuGH, Slg. 1994, I-5555 Rn. 21 = EuZW
  853. 1995, 109 - SMW Winzersekt). Weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum
  854. wird ein Verstoß des § 10c Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 EnWG gegen höherrangiges Recht bejaht (vgl. BerlKommEnR/Säcker/Mohr, 3. Aufl., EnWG § 10c
  855. Rn. 16, 20; Kment/Knauff, EnWG, § 10c Rn. 14; Busch, N&R 2011, 226, 229; Mohr,
  856. N&R 2015, 45, 47 f.; Säcker/Mohr, N&R 2012, 1, 12 f.; Schmidt-Preuß, et 9/2009, 82,
  857. 86); eine vereinzelt gebliebene Gegenauffassung (Michaelis/Kemper, RdE 2012, 10,
  858. 12) wird nicht näher begründet.
  859. 96
  860. bb) Des Weiteren bedarf auch die Frage nach dem Umfang des Anwendungsbereichs des § 10c Abs. 6 EnWG keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union. Der Anwendungsbereich lässt sich - jedenfalls soweit er vorliegend
  861. in Frage steht und wie oben näher ausgeführt - anhand des Wortlauts der zugrundeliegenden Richtlinie und ihrem Sinn und Zweck eindeutig beantworten. Zweifelhaft
  862. könnte in diesem Zusammenhang allenfalls die Frage sein, ob der deutsche Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG in persönlicher Hinsicht zu
  863. eng gezogen hat. Im Übrigen handelt es sich um eine Subsumtion im Einzelfall, weil
  864. für die Anwendung der Vorschrift der konkrete Aufgabenzuschnitt der einzelnen
  865. Fachbereiche maßgeblich ist.
  866. - 40 -
  867. III.
  868. 97
  869. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 EnWG.
  870. Meier-Beck
  871. Strohn
  872. Bacher
  873. Grüneberg
  874. Deichfuß
  875. Vorinstanz:
  876. OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.08.2014 - VI-3 Kart 57/13 (V) -