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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. EnVR 40/16
  4. Verkündet am:
  5. 20. Juni 2017
  6. Bürk
  7. Amtsinspektorin
  8. als Urkundsbeamtin
  9. der Geschäftsstelle
  10. in dem energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungsverfahren
  11. Nachschlagewerk:
  12. ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. Heizkraftwerk Würzburg GmbH
  18. StromNEV § 18 Abs. 1 Satz 2
  19. Die vorgelagerte Netzebene im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV muss
  20. nicht zwingend eine höhere Ebene sein als die Ebene des Netzes, in der die
  21. dezentrale Einspeisung erfolgt. Eine Netzebene ist vielmehr auch dann vorgelagert, wenn sie von einem anderen Netzbetreiber betrieben wird und deshalb
  22. für die Einspeisung in das nachgelagerte Netz ein Entgelt anfällt, das durch die
  23. dezentrale Einspeisung vermieden wird.
  24. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 - EnVR 40/16 - OLG Düsseldorf
  25. ECLI:DE:BGH:2017:200617BENVR40.16.0
  26. -2Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  27. vom 20. Juni 2017 durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Limperg, den
  28. Vorsitzenden Richter Dr. Raum und die Richter Dr. Kirchhoff, Dr. Grüneberg
  29. und Dr. Bacher
  30. beschlossen:
  31. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats
  32. des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 31. August 2016 wird zurückgewiesen.
  33. Die Bundesnetzagentur trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin.
  34. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
  35. 327.000 Euro festgesetzt.
  36. -3-
  37. Gründe:
  38. 1
  39. I.
  40. Die Antragstellerin betreibt ein Heizkraftwerk, das an das von der An-
  41. tragsgegnerin betriebene Elektrizitätsverteilernetz in der Hochspannungsebene
  42. (110 Kilovolt, Ebene 3 im Sinne der Anlage 3 zur Stromnetzentgeltverordnung)
  43. angeschlossen ist. Das Netz der Antragstellerin ist in derselben Ebene an das
  44. vorgelagerte Verteilernetz der Bayernwerk AG angeschlossen.
  45. 2
  46. Seit Januar 2015 berechnet die Antragsgegnerin das nach § 18 StromNEV zu zahlende Entgelt - in Übereinstimmung mit der von der Bundesnetzagentur vertretenen Rechtsauffassung - nach dem Preisblatt der Bayernwerk AG
  47. für die Umspannebene Höchst-/Hochspannung (Ebene 2). Dies führt für die
  48. Antragstellerin im Vergleich zur zuvor praktizierten Abrechnung nach dem
  49. Preisblatt der Bayernwerk AG für die Ebene 3 zu Mindererlösen.
  50. 3
  51. Die Antragstellerin hat begehrt, der Antragsgegnerin im Rahmen eines
  52. Missbrauchsverfahrens nach § 31 EnWG die Berechnung nach dem Preisblatt
  53. für die Ebene 3 aufzugeben. Die Bundesnetzagentur hat diesen Antrag zurückgewiesen.
  54. 4
  55. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht die
  56. ablehnende Entscheidung aufgehoben und die Bundesnetzagentur zur Neubescheidung verpflichtet. Dagegen wendet sich die Bundesnetzagentur mit der
  57. vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die Antragstellerin entgegentritt.
  58. -4-
  59. 5
  60. II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
  61. 6
  62. 1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
  63. folgt begründet:
  64. 7
  65. Zu Unrecht habe die Antragsgegnerin zur Ermittlung des vermiedenen
  66. Netzentgelts das Preisblatt für die Umspannebene von Höchst- zu Hochspannung zu Grunde gelegt. Der nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV maßgebliche
  67. Begriff "vorgelagerte Netz- oder Umspannebene" sei nicht nur spannungsbezogen, sondern daneben auch netzbetreiberbezogen auszulegen. Zwar spreche
  68. der Wortlaut eher für eine spannungsbezogene Auslegung. Er schließe es aber
  69. nicht aus, den Begriff "Netzebene" in bestimmten Situationen auch netzbetreiberbezogen zu verstehen. Für eine solche Auslegung sprächen die Begründung
  70. des Verordnungsentwurfs, die Entstehungsgeschichte der Norm, ihre Systematik und ihr Sinn und Zweck. Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur
  71. ergebe sich aus Art. 3 GG keine abweichende Beurteilung.
  72. 8
  73. 2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand. Das Beschwerdegericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das der Antragstellerin gemäß § 18 Abs. 1 StromNEV zustehende Entgelt für dezentrale
  74. Einspeisung anhand des Preisblatts für die Hochspannungsebene zu berechnen ist.
  75. 9
  76. Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV muss das Entgelt für dezentrale
  77. Einspeisung den Netzentgelten entsprechen, die gegenüber den vorgelagerten
  78. Netz- oder Umspannebenen durch die jeweilige Einspeisung vermieden werden. Als vorgelagerte Ebene in diesem Sinne ist die Netz- oder Umspannebene
  79. des vorgelagerten Netzes anzusehen. Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur muss dies nicht zwingend eine höhere Ebene sein als die Ebene
  80. des nachgelagerten Netzes, in das die dezentrale Einspeisung erfolgt. Eine
  81. -5Netzebene ist vielmehr auch dann vorgelagert, wenn sie von einem anderen
  82. Netzbetreiber betrieben wird und deshalb für die Einspeisung in das nachgelagerte Netz ein Entgelt anfällt, das durch die dezentrale Einspeisung vermieden
  83. wird.
  84. 10
  85. a) Wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Wortlaut der Vorschrift nicht eindeutig.
  86. 11
  87. Die Begriffe "Netzebene" und "Umspannebene" knüpfen allerdings an
  88. bestimmte Spannungsbereiche und damit an technische Sachverhalte an.
  89. Netzebenen sind nach § 2 Nr. 10 StromNEV die Bereiche von Elektrizitätsversorgungsnetzen, in welchen elektrische Energie in Höchst-, Hoch-, Mittel- oder
  90. Niederspannung übertragen oder verteilt wird. Umspannebenen sind nach § 2
  91. Nr. 12 StromNEV sinngemäß die Bereiche, in denen die Spannung zwischen
  92. zwei benachbarten Netzebenen umgewandelt wird.
  93. 12
  94. Daraus ist jedoch nicht eindeutig zu entnehmen, worauf sich der Begriff
  95. "vorgelagert" bezieht. Die an technischen Gegebenheiten orientierte Definition
  96. in § 2 Nr. 10 StromNEV mag zwar nahelegen, dass nur höhere Netz- oder Umspannebenen als vorgelagert angesehen werden können. Der Wortlaut lässt
  97. indes auch das Verständnis zu, dass als Vergleichsobjekt das nachgelagerte
  98. Netz anzusehen ist, in das die dezentrale Einspeisung erfolgt - unabhängig davon, ob dieses Netz zu einer anderen Ebene gehört als das vorgelagerte Netz.
  99. 13
  100. b) Die Systematik der Stromnetzentgeltverordnung führt ebenfalls nicht
  101. zu einem eindeutigen Ergebnis.
  102. 14
  103. Für eine nicht allein an der Spannungsebene orientierte Auslegung
  104. spricht allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, der auch
  105. von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogene Umstand, dass eine Kostenwälzung auf das nachgelagerte Netz gemäß § 14 StromNEV auch dann
  106. -6stattfindet, wenn das vorgelagerte Netz auf derselben Netzebene betrieben
  107. wird. Hieraus ergeben sich indes keine zwingenden Schlussfolgerungen. Der
  108. Betreiber des nachgelagerten Netzes hätte die auf seine Entnahme entfallenden Kosten nämlich auch dann zu tragen, wenn er als Weiterverteiler im Sinne
  109. von § 14 Abs. 1 StromNEV zu qualifizieren wäre.
  110. 15
  111. Aus demselben Grund ermöglicht der Umstand, dass es im vorgelagerten Netz eine Entnahmestelle im Sinne von § 2 Nr. 6 StromNEV geben muss,
  112. aus der Energie in das nachgelagerte Netz eingespeist wird, ebenfalls keine
  113. eindeutige Schlussfolgerung. § 2 Nr. 6 StromNEV sieht eine Entnahme nicht
  114. nur durch Letztverbraucher und nachgelagerte Netz- oder Umspannebenen vor,
  115. sondern auch durch Weiterverteiler.
  116. 16
  117. c) Aus der Entstehungsgeschichte von § 18 StromNEV ergeben sich
  118. ebenfalls keine eindeutigen Hinweise.
  119. 17
  120. Hierbei kann offen bleiben, ob und in welchem Umfang der Verordnungsgeber die Regelung aus der Verbändevereinbarung II plus aufgreifen
  121. wollte. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts knüpfte auch diese
  122. Vereinbarung an die Einsparung von Netzentgelten in vorgelagerten Netzebenen an und warf mithin vergleichbare Auslegungsfragen auf. Selbst wenn der
  123. Verordnungsgeber diese Regelung hätte unverändert übernehmen wollen, stellte sich die für die Entscheidung des Streitfalls relevante Frage mithin in gleicher
  124. Weise.
  125. 18
  126. Der in der Anlage der Verbändevereinbarung enthaltenen Definition des
  127. Begriffs "Netzbereich" kommt ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
  128. Die Stromnetzentgeltverordnung verwendet diesen Begriff nicht. Sie enthält
  129. auch keine Definition des in § 2 Nr. 10 und 12 StromNEV verwendeten Begriffs
  130. "Bereich". Angesichts dessen kann nicht ohne weiteres angenommen werden,
  131. -7dass der Verordnungsgeber die früher geltende Regelung in jeder Hinsicht
  132. unverändert übernehmen wollte.
  133. 19
  134. d) Dass der Begriff "vorgelagerte Netzebene" nicht allein anhand der
  135. eingesetzten Spannung zu bestimmen ist, ergibt sich, wie das Beschwerdegericht zu Recht entschieden hat, aus dem Sinn und Zweck von § 18 Abs. 1
  136. StromNEV.
  137. 20
  138. aa) § 18 Abs. 1 StromNEV dient dem Zweck, dem Betreiber einer
  139. dezentralen Erzeugungsanlage die Vorteile zukommen zu lassen, die der Netzbetreiber infolge der dezentralen Einspeisung durch Vermeidung von Entgelten
  140. für die Nutzung vorgelagerter Netze erzielt.
  141. 21
  142. In der Begründung des Verordnungsentwurfs wird ausgeführt, die
  143. dezentrale Einspeisung elektrischer Energie verursache unmittelbar eine Reduzierung der Entnahme aus der vorgelagerten Netz- oder Umspannebene. Dies
  144. habe kurzfristig zur Folge, dass aus Sicht des Netzbetreibers, in dessen Netzoder Umspannebene dezentral eingespeist werde, der von ihm zu tragende
  145. Anteil der Kosten des vorgelagerten Netzes sinke, der von den übrigen entnehmenden Netzkunden zu tragende Anteil hingegen steige. Mittel- bis langfristig könne die dezentrale Einspeisung tendenziell zu einer Reduzierung der erforderlichen Netzausbaumaßnahmen in den vorgelagerten Netzebenen und
  146. damit zu geringeren Gesamtnetzkosten führen. Zur Abgeltung dieses Beitrags
  147. zur Netzkostenverminderung werde Betreibern von dezentral einspeisenden
  148. Erzeugungsanlagen ein Entgelt gezahlt (BR-Drucks. 245/05 S. 39).
  149. 22
  150. Diese Ausführungen beziehen sich zwar überwiegend auf Netz- und Umspannebenen. Die wesentlichen Effekte, die den Verordnungsgeber zu der Regelung bewogen haben, - ein geringerer Anteil des Netzbetreibers an den Kosten des vorgelagerten Netzes und eine tendenziell geringere Belastung des
  151. -8vorgelagerten Netzes – treten grundsätzlich aber auch dann ein, wenn der Anschluss an das vorgelagerte Netz auf derselben Ebene erfolgt.
  152. 23
  153. bb) Der von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Frage, ob dezentrale
  154. Einspeisung mittel- oder langfristig tatsächlich zu einer Kostensenkung führt,
  155. kommt vor diesem Hintergrund keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
  156. 24
  157. Die Rechtsbeschwerde sieht die Gefahr, dass die Betreiber vorgelagerter
  158. Netze zu einer Reduzierung von Ausbaumaßnahmen nicht in der Lage sein
  159. werden, weil sie Vorsorge für einen Ausfall der dezentralen Erzeugungsanlagen
  160. treffen müssen. Diese Gefahr besteht indes ebenfalls grundsätzlich unabhängig
  161. davon, ob das vorgelagerte Netz zu derselben oder zu einer höheren Ebene
  162. gehört. Sie kann es deshalb nicht rechtfertigen, bei der Bemessung des Entgelts zwischen diesen beiden Konstellationen zu differenzieren.
  163. 25
  164. e) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine abweichende Beurteilung nicht aus Gründen der Gleichbehandlung geboten.
  165. 26
  166. Die in § 18 Abs. 1 StromNEV vorgegebene Berechnungsweise hat allerdings zur Folge, dass die Höhe des Entgelts von den individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Netzes abhängt. Dies ist indes schon deshalb sachgerecht,
  167. weil die Netzkosten generell durch Besonderheiten des jeweiligen Netzes geprägt sind. Angesichts dessen fließt einem Anlagenbetreiber, dessen Einspeisung in besonders hohem Umfang zur Vermeidung von Netzentgelten führt,
  168. entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kein ungerechtfertigter Vorteil
  169. zu. Es entspricht vielmehr dem Zweck von § 18 Abs. 1 StromNEV und der vom
  170. Verordnungsgeber vorgegebenen Berechnungsweise, wenn die erzielten Einsparungen nicht der Gesamtheit der Netzbetreiber zukommen, sondern dem
  171. Anlagenbetreiber, auf dessen Einspeisung sie beruhen.
  172. -927
  173. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob das Entgelt für
  174. dezentrale Einspeisung in bestimmten Konstellationen sogar höher sein kann
  175. als die vermiedenen Entgelte für die Nutzung vorgelagerter Netz- oder Umspannebenen, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Selbst wenn sie zu bejahen wäre, ergäbe sich daraus für die hier zu beurteilende Konstellation nicht,
  176. dass das Entgelt für die Einspeisung geringer sein muss als die vermiedenen
  177. Netzentgelte.
  178. 28
  179. f)
  180. Die von der Bundesnetzagentur in der mündlichen Verhandlung auf-
  181. geworfene Frage, ob die vorgelagerte Netz- oder Umspannebene im Zusammenhang mit der Festlegung von Entgelten für singulär genutzte Betriebsmittel
  182. gemäß § 19 Abs. 3 Satz 4 StromNEV zwingend eine höhere Ebene sein muss
  183. als die Ebene, zu der die singulär genutzten Betriebsmittel gehören, bedarf im
  184. vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung.
  185. 29
  186. Aus dem oben aufgezeigten Zweck des § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV
  187. ergibt sich, dass die vorgelagerte Netzebene im Sinne dieser Vorschrift nicht
  188. zwingend eine höhere Ebene sein muss. Dies schließt nicht aus, dass die entsprechende Frage im Zusammenhang mit § 19 Abs. 3 Satz 4 StromNEV aufgrund einer möglicherweise abweichenden Zielsetzung dieser Vorschrift anders
  189. zu entscheiden ist. Wenn § 19 Abs. 3 Satz 4 StromNEV einem anderen Zweck
  190. dient, können aus der Auslegung dieser Vorschrift aber auch keine Rückschlüsse für die Auslegung von § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV gezogen werden.
  191. - 10 30
  192. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO.
  193. Limperg
  194. Raum
  195. Grüneberg
  196. Kirchhoff
  197. Bacher
  198. Vorinstanz:
  199. OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 31.08.2016 - VI-3 Kart 116/15 (V) -