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477 lines
22 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. ___________
  4. AK 19/12
  5. vom
  6. 5. Juli 2012
  7. in dem Strafverfahren
  8. gegen
  9. wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb
  10. der Mitgliedstaaten der Europäischen Union u.a.
  11. -2-
  12. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 5. Juli 2012 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
  13. Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
  14. Eine etwa weiter erforderliche Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
  15. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.
  16. Gründe:
  17. I.
  18. 1
  19. Der Angeklagte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters
  20. des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 2011 (2 BGs 671/11) am 8. Dezember 2011 festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.
  21. 2
  22. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich
  23. von April 2011 bis zur Festnahme als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland
  24. außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - Al Qaida - beteiligt,
  25. deren Zweck und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord oder Totschlag
  26. zu begehen (Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung,
  27. -3-
  28. strafbar nach § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Tateinheitlich hierzu habe er
  29. - in dreizehn Fällen als Mitglied einer Bande gewerbsmäßig in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch
  30. Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregt habe (Bandenbetrug,
  31. § 263 Abs. 5 StGB),
  32. - in vier weiteren Fällen dies versucht (versuchter Bandenbetrug, § 263
  33. Abs. 5, §§ 22, 23 StGB),
  34. - in dreißig Fällen als Mitglied einer Bande gewerbsmäßig zur Täuschung im Rechtsverkehr beweiserhebliche Daten so verändert, dass bei ihrer
  35. Wahrnehmung eine verfälschte Urkunde vorliegen würde, und derart gefälschte
  36. Daten gebraucht (bandenmäßige Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269
  37. Abs. 1, Abs. 3, § 267 Abs. 4 StGB) und
  38. - in fünf Fällen eine unechte Urkunde gebraucht (Urkundenfälschung,
  39. § 267 Abs. 1 StGB).
  40. 3
  41. Wegen dieser Vorwürfe hat der Generalbundesanwalt - mit einzelnen
  42. Abweichungen bezüglich der in Tateinheit zum Organisationsdelikt angenommenen Tatbestände - am 26. April 2012 Anklage beim Staatsschutzsenat des
  43. Oberlandesgerichts Düsseldorf erhoben. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat
  44. das Hauptverfahren am 22. Juni 2012 eröffnet.
  45. -4-
  46. II.
  47. 4
  48. Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über
  49. sechs Monate hinaus liegen vor.
  50. 5
  51. 1. Der Angeklagte ist zwar nicht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an
  52. einer ausländischen terroristischen Vereinigung, jedoch der Unterstützung einer
  53. solchen Organisation (§ 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB)
  54. dringend verdächtig.
  55. 6
  56. a) Nach den bisherigen Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt auszugehen:
  57. 7
  58. aa) Die 1988 von Usama bin Laden und weiteren Islamisten gegründete
  59. Al Qaida verfolgt das Ziel, die islamische Welt von westlichen Einflüssen zu
  60. befreien und dort Gottesstaaten auf der Grundlage der Scharia zu errichten.
  61. Hierzu führt sie einen "Heiligen Krieg" ("Jihad") gegen die den eigenen Glauben
  62. und die Gemeinschaft der Gläubigen bedrohenden "Feinde des Islam", zu denen sie die gesamte westliche Welt und die als "Apostaten" angesehenen prowestlichen Regime in den muslimischen Staaten zählt. Den "Jihad" versteht Al
  63. Qaida als gewaltsamen Kampf; sich hieran zu beteiligen sieht sie als individuelle Pflicht eines jeden rechtgläubigen Muslims. Für ein legitimes Mittel des
  64. "Jihad" hält sie insbesondere die Verunsicherung des "Feindes" durch terroristische Anschläge, die auf die Tötung einer möglichst großen Zahl von Menschen abzielen. Vor diesem ideologischen Hintergrund entwickelte sich Al Qaida ab 1996 zu einer hierarchisch aufgebauten, auf eine zentrale Führung ausgerichteten Organisation, die vor allem in Afghanistan zahlreiche Lager zur
  65. Ausbildung von ihr rekrutierter "Jihadisten" unterhielt. Die von Al Qaida in der
  66. -5-
  67. Folgezeit verübten Anschläge - wie die vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika und zuvor am 7. August 1998 auf die USamerikanischen Botschaften in Ostafrika - waren mit großer Sorgfalt und in jahrelanger Vorarbeit geplant.
  68. 8
  69. Im Zuge der Militärintervention in Afghanistan nach dem 11. September
  70. 2001 wurde die Organisation teilweise zerschlagen. Umstrukturiert in ein Netzwerk aus einem im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet operierenden Kern
  71. und aus Mitgliedern, die in einer Vielzahl anderer Staaten agieren, besteht Al
  72. Qaida indes bis heute fort und führt nach entsprechender Anpassung ihrer
  73. Steuerungs-, Koordinations- und Mobilisierungsmechanismen auch den gewaltsamen "Jihad" weiter. In den afghanisch-pakistanischen Grenzregionen
  74. unterhält die Kernorganisation weiterhin Ausbildungslager, in denen insbesondere neu geworbene Mitglieder aus anderen Staaten auf den Einsatz in ihren
  75. Herkunftsländern vorbereitet werden. Im Übrigen versteht sich die Kernorganisation in der neuen Struktur nunmehr in erster Linie als gemeinsames Dach für
  76. zahlreiche Unternetzwerke, regionale "Jihad"-Gruppen und autonome Zellen,
  77. denen sie Strategie und Ziele vorgibt und die sie finanziell und logistisch unterstützt. Zu solchen aufgrund von Treueeiden ihrer Führer ("Emire") in der Gefolgschaft der Kernorganisation stehenden, im Übrigen selbständig agierenden
  78. Organisationen mit eigenen Strukturen zählen etwa "Al Qaida im Zweistromland", "Al Qaida auf der arabischen Halbinsel" sowie die algerische frühere
  79. "Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat", die sich mittlerweile in "Organisation Al Qaida im Islamischen Maghreb" umbenannt hat. Von Al Qaida auf
  80. diese Weise gesteuerte Anschläge sind etwa die auf eine Synagoge auf der
  81. Insel Djerba am 11. April 2002, auf das Londoner Nahverkehrssystem am
  82. 7. Juli 2005 und auf die dänische Botschaft in Islamabad am 2. Juni 2008.
  83. -6-
  84. 9
  85. An der Spitze von Al Qaida stand zunächst weiterhin Usama bin Laden;
  86. nach dessen Tod im Mai 2011 hat Ayman Al Zawahiri die Führung übernommen. Dieser obersten Führungsebene unmittelbar nachgeordnet sind die Verantwortlichen für die Bereiche Militär, Außenbeziehungen, Finanzen und Medien/Propaganda. Unmittelbar der Führungsebene unterstand auch der am
  87. 22. August 2011 getötete, für die Al Qaida in Afghanistan verantwortliche
  88. Scheich Atiyatullah Al-Libi (Jamal Ibrahim Al-Masrati), dem seinerseits unter
  89. anderem der - wohl Anfang September 2011 in Pakistan festgenommene "Außenminister" und Europaverantwortliche Scheich Younis al Mauretani zugeordnet war.
  90. 10
  91. Spätestens Anfang 2010 entschloss sich die Führungsebene von Al Qaida, auch die Bundesrepublik Deutschland mit terroristischen Anschlägen zu
  92. überziehen, was sie mit deren militärischem Engagement in Afghanistan begründete. Maßgeblich befasst mit der Planung und Vorbereitung solcher Anschläge in Deutschland war Scheich Atiyatullah.
  93. 11
  94. bb) Der Mitangeklagte E.
  95. schloss sich Al Qaida während eines
  96. Aufenthalts in einem ihrer Ausbildungslager in Afghanistan von Januar bis Mai
  97. 2010 an. Er leistete einen Treueeid gegenüber Scheich Atiyatullah, der ihn beauftragte, nach Deutschland zurückzukehren, dort in eigener Verantwortung
  98. zunächst neue Mitglieder für die Vereinigung zu gewinnen und mit diesen zusammen sodann Terroranschläge zu verüben. In Ausführung dieses Auftrags
  99. und in weiterem Kontakt zur Führungsebene von Al Qaida bemühte sich E.
  100. nach seiner Ankunft in Deutschland um die Rekrutierung von Mittätern
  101. und begann mit den erforderlichen Vorbereitungen für einen Sprengstoffanschlag. Auf seine Veranlassung hin erklärten sich im Sommer 2010 zunächst
  102. der Mitangeklagte S.
  103. und anschließend auch der Mitangeklagte C.
  104. -7-
  105. ihm gegenüber bereit, sich den Zielen von Al Qaida unterzuordnen, sich in deren Organisation einzugliedern und deren Zwecke durch eigene Tätigkeit zu
  106. fördern. In der Folge beteiligten sich S.
  107. und C.
  108. an der logistischen
  109. Vorbereitung des vorgesehenen Anschlags und an der Schaffung hierfür dienlicher organisatorischer Strukturen. S.
  110. ner Wohnung in der W.
  111. straße
  112. gewährte E.
  113. in D.
  114. Unterkunft in sei-
  115. , wo beide spätestens ab
  116. April 2011 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken den Bau eines zum
  117. Einsatz gegen ein noch nicht näher bestimmtes Anschlagsziel in der Bundesrepublik Deutschland geeigneten Sprengkörpers sowie die Beschaffung der hierzu erforderlichen Materialien und chemischen Grundstoffe betrieben. Am
  118. 29. April 2011 wurden E.
  119. 12
  120. , S.
  121. und C.
  122. festgenommen.
  123. cc) Der Angeklagte und der Mitangeklagte C.
  124. gehörten seit 2008
  125. derselben salafistisch ausgerichteten Studentengruppe an (Aussage des Zeugen
  126. A.
  127. vom 23. Februar 2012, Sachakten Band 168, Bl. 65, 79). Im
  128. Juni und im Juli 2008 stellte der Angeklagte unter dem Namen
  129. T.
  130. insgesamt zwölf Beiträge in das deutsche Forum der Globalen Islamischen
  131. Medienfront (GIMF) ein, die sich mit verschiedenen Giften, der Handhabung
  132. von Waffen, dem "Jihad" und dem Krieg in Afghanistan befassen (vgl. im Einzelnen Vermerk des Bundeskriminalamts vom 13. September 2011, Sachakten
  133. Band 103, Bl. 120). Von Dezember 2009 bis Dezember 2010 war der Angeklagte bei dem als Vermittler von Mobilfunkverträgen auftretenden Dienstleister
  134. Sa.
  135. GmbH in G.
  136. tätig. Dabei beschaffte er sich die Na-
  137. men, die Anschriften und die Bankverbindungen, in zwei Fällen auch die Kreditkartendaten von insgesamt 45 Personen und stellte hierüber eine in elektronischer Form geführte Liste her.
  138. -8-
  139. 13
  140. Diese Liste übergab er am 16. April 2011 bei einem Treffen mit den Mitangeklagten in der Wohnung W.
  141. straße
  142. in D.
  143. dem E.
  144. (Ob-
  145. servationsberichte vom 16. April 2011, Sachakten Band 102, Bl. 171 ff.), dessen Zugehörigkeit zur Al Qaida dem Angeklagten bekannt war. Im weiteren
  146. Verlauf des Treffens tarnte sich E.
  147. für einen gemeinsam unternommenen
  148. Spaziergang mit einer Perücke; der Angeklagte erbot sich, ihm dabei behilflich
  149. zu sein (Protokoll zur Wohnraumüberwachung am 16. April 2011, Sachakten
  150. Band 102, Bl. 289 f.). Später kamen die Beteiligten auch auf den Aufenthalt von
  151. E.
  152. im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet zu sprechen (aaO Bl. 313
  153. f.). Einem Mithören ihrer Gespräche durch Nachbarn sollte durch Anschalten
  154. des Fernsehers entgegengewirkt werden (aaO Bl. 315).
  155. 14
  156. Nach der Festnahme der Mitangeklagten mietete der Angeklagte unter
  157. falschem Namen eine Wohnung an und eröffnete mehrere Bankkonten unter
  158. Verwendung gefälschter Ausweispapiere. Gemeinsam mit anderen verschaffte
  159. er sich unberechtigt Zugang zu mehreren Ebay-Benutzerkonten und bot vorgeblich Waren zum Verkauf an, um Interessenten zu Vorauszahlungen zu veranlassen. Schließlich bestellte er Waren bei Versandhäusern, um diese ohne
  160. Bezahlung ausliefern zu lassen.
  161. 15
  162. b) Hinsichtlich der den dringenden Verdacht der Einbindung der Mitangeklagten E.
  163. , S.
  164. und C.
  165. in die Strukturen von Al Qaida und der
  166. Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags begründenden Umstände verweist
  167. der Senat auf seine Beschlüsse vom 13. September 2011 (StB 12/11) und vom
  168. 23. November 2011 (AK 19-21/11); die Erkenntnisse, auf denen diese Entscheidungen beruhen, sind auch in das Verfahren gegen den Angeklagten
  169. Si.
  170. eingeführt. Im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen in
  171. dem Haftbefehl und diejenigen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in
  172. -9-
  173. der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 25. April 2012 (S. 225 ff.).
  174. Insbesondere wurde eine Kopie der Liste auf einem dem Mitangeklagten E.
  175. zuzuordnenden Datenträger in der Wohnung W.
  176. straße
  177. sicherge-
  178. stellt (Bericht des Bundeskriminalamts vom 23. Juni 2011, Sachakten Band
  179. 102, Bl. 424). Die Übergabe und die Erläuterung der Liste durch den Angeklagten ergibt sich aus dem während seines Besuchs in der Wohnung aufgezeichneten Gespräch (Protokoll des Bundeskriminalamts zur Wohnraumüberwachung am 16. April 2011, Sachakten Band 102, Bl. 307 ff.). Dass dem Angeklagten die Zugehörigkeit des Mitangeklagten E.
  180. zur terroristischen Orga-
  181. nisation Al Qaida bekannt war, legt eine Gesamtschau der dargestellten Umstände nahe.
  182. 16
  183. c) Dieses Ermittlungsergebnis begründet keinen dringenden Tatverdacht
  184. für eine mitgliedschaftliche Beteiligung des Angeklagten an der Al Qaida.
  185. 17
  186. aa) Die Frage, ob ein Täter, der in der Bundesrepublik Deutschland lebt,
  187. sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt, bedarf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 14. August
  188. 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 112 f.) regelmäßig bereits deshalb besonderer Prüfung, weil er sich nicht im unmittelbaren Betätigungsgebiet der
  189. (Kern-)Organisation aufhält; dies gilt insbesondere dann, wenn sich der Täter
  190. - wovon auch beim Angeklagten auszugehen ist - nie an einem Ort befunden
  191. hat, an dem Vereinigungsstrukturen bestehen, und ihn nur der Kontakt zu einem in Deutschland befindlichen Mitglied - hier die Mitangeklagten - mit der
  192. Organisation verbindet. Allein die Tätigkeit für die Vereinigung, mag sie auch
  193. besonders intensiv sein, reicht hierfür nicht aus; denn ein Außenstehender wird
  194. nicht allein durch die Förderung der Vereinigung zu deren Mitglied. Vielmehr
  195. setzt die Mitgliedschaft ihrer Natur nach eine Beziehung voraus, die der Verei-
  196. - 10 -
  197. nigung regelmäßig nicht aufgedrängt werden kann, sondern ihre Zustimmung
  198. erfordert. Eine Beteiligung als Mitglied scheidet deshalb aus, wenn die Unterstützungshandlungen nicht von einem einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben getragen sind. Erforderlich ist, dass
  199. der Täter die Vereinigung nicht nur von außen, sondern, getragen von einem
  200. einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben,
  201. von innen her fördert und damit eine Stellung innerhalb der Vereinigung einnimmt, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet.
  202. 18
  203. bb) Anders als bei den Mitangeklagten S.
  204. und C.
  205. (hierzu Se-
  206. nat, Beschlüsse vom 13. September 2011 - StB 12/11; vom 23. November
  207. 2011 - AK 19-21/11) erlauben die nach gegenwärtigem Ermittlungsstand für
  208. und gegen den Angeklagten sprechenden Beweisanzeichen auch in der gebotenen Gesamtschau nicht den für die Annahme eines dringenden Tatverdachts
  209. erforderlichen hinreichend sicheren Schluss, der Angeklagte habe sich im Sinne der dargestellten Maßstäbe getragen von einem einvernehmlichen Willen in
  210. die ausländische terroristische Organisation Al Qaida eingegliedert.
  211. 19
  212. Nicht zu verkennen ist zwar insbesondere, dass die innere Haltung des
  213. Angeklagten zum gewaltsamen "Jihad", seine Bekanntschaft mit den Mitangeklagten sowie sein Wissen um deren konspiratives Verhalten und um das Vorleben von E.
  214. S.
  215. und C.
  216. durchaus dafür sprechen können, er habe sich - wie zuvor
  217. - von E.
  218. als Mitglied der Al Qaida anwerben lassen.
  219. Auch ist nach den Ermittlungen davon auszugehen, dass E.
  220. von einem
  221. hochrangigen Repräsentanten der Kern-Al Qaida gerade den Auftrag erhalten
  222. hatte, neue Mitglieder anzuwerben, und dem in den Fällen der Mitangeklagten
  223. S.
  224. und C.
  225. auch bereits nachgekommen war.
  226. - 11 -
  227. 20
  228. Darüber hinaus fehlen indes ausreichend tragfähige Anzeichen für eine
  229. tatsächliche Eingliederung des Angeklagten in den organisatorischen Verband
  230. von Al Qaida. Tathandlungen des Angeklagten in der Zeit bis zur Festnahme
  231. der Mitangeklagten, die den Kern der Tätigkeit der Gruppierung beträfen oder
  232. sonst von einem Gewicht wären, das ihre Begehung durch einen außerhalb der
  233. Organisation Stehenden fernliegend erscheinen ließe, sind nicht ersichtlich. Die
  234. dem Angeklagten vorgeworfene Übergabe der Liste am 16. April 2011 geht
  235. schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild über eine bloße Unterstützungshandlung nicht hinaus. Das Ermittlungsergebnis begründet auch keine hohe
  236. Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Mitangeklagten den Angeklagten in ihre Anschlagsvorbereitungen eingeweiht hätten. So kamen z.B. bei dem konspirativen
  237. Treffen am 16. April 2011 gewaltsame Aktionen lediglich in allgemeiner, im Einzelnen unverständlicher Form zur Sprache (Protokoll zur Wohnraumüberwachung am 16. April 2011, Sachakten Band 102, Bl. 300). Der bei der Durchsuchung des Mitangeklagten C.
  238. am 29. April 2011 sichergestellte Zettel, auf
  239. dem die Rufnummer des Angeklagten in der von den Mitangeklagten bei ihrem
  240. konspirativen Umgang miteinander geübten Weise notiert war (im Einzelnen
  241. Bundeskriminalamt, Auswertung Asservat 2.1.2 vom 18. Juli 2011, Sachakten
  242. Band 102, Bl. 470), führt zu keiner anderen Beurteilung. Dieser Umstand
  243. spricht zwar für Sicherungsmaßnahmen des Mitangeklagten C.
  244. dagegen,
  245. mit dem Angeklagten in Verbindung gebracht zu werden, nicht aber für die Einbindung auch des Angeklagten in das praktizierte System der Verschlüsselung.
  246. Die übrigen Erkenntnisse vermögen schließlich ebenfalls weder die Anwerbung
  247. des Angeklagten durch E.
  248. in unmittelbarem Auftrag des der Kern-Al
  249. Qaida zuzurechnenden Scheich Atiyatullah noch - als Indiz hierfür - die Fortführung der konkreten Anschlagsplanungen der Mitangeklagten mit hinreichender
  250. Sicherheit zu belegen.
  251. - 12 -
  252. 21
  253. d) Indes ist der Angeklagte jedenfalls mit Blick auf das Geschehen am
  254. 16. April 2011 der Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung
  255. Al Qaida (§ 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB) dringend
  256. verdächtig; dies trägt die Anordnung der Haftfortdauer.
  257. 22
  258. aa) Nach ständiger Rechtsprechung unterstützt eine terroristische Vereinigung, wer, ohne selbst Mitglied der Organisation zu sein, deren Tätigkeit und
  259. terroristische Bestrebungen direkt oder über eines ihrer Mitglieder fördert. Dabei kann sich die Förderung richten auf die innere Organisation der Vereinigung
  260. und deren Zusammenhalt, auf die Erleichterung einzelner von ihr geplanter
  261. Straftaten, aber auch allgemein auf die Erhöhung ihrer Aktionsmöglichkeiten
  262. oder die Stärkung ihrer kriminellen Zielsetzung. Nicht erforderlich ist, dass der
  263. Organisation durch die Tathandlung ein messbarer Nutzen entsteht. Vielmehr
  264. genügt es, wenn die Förderungshandlung an sich wirksam ist und der Organisation irgendeinen Vorteil bringt; ob dieser Vorteil genutzt wird und daher etwa
  265. eine konkrete, aus der Organisation heraus begangene Straftat oder auch nur
  266. eine organisationsbezogene Handlung eines ihrer Mitglieder mitprägt, ist dagegen ohne Belang (BGH, Urteil vom 14. August 2009, aaO, 116; Beschluss vom
  267. 16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 348 f.).
  268. 23
  269. Diese Voraussetzungen werden durch das Ermittlungsergebnis im Sinne
  270. eines dringenden Tatverdachts belegt. Zwar bleibt der den übergebenen Daten
  271. im Einzelnen zugedachte genaue Verwendungszweck nach gegenwärtigem
  272. Stand der Ermittlungen offen (vgl. Vermerk des Bundeskriminalamts vom
  273. 15. Februar 2012, Sachakten Band 4, Bl. 1, 162). Bei einer Gesamtschau der
  274. - teilweise hoch konspirativen - Umstände, in die die Übergabe der Daten am
  275. 16. April 2011 eingebettet ist, drängt sich jedoch die Annahme auf, dass diese
  276. Handlung des Angeklagten nicht nur dem E.
  277. als "Privatperson" zu Gute
  278. - 13 -
  279. kommen sollte, sondern sich auch positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung auswirkte und der Angeklagte insoweit mit zumindest bedingtem Vorsatz handelte. So liegt es mit Blick auf die Funktion des E.
  280. innerhalb der
  281. Al Qaida etwa nahe, dass die Daten dazu verwendet werden sollten, Vermögensstraftaten zu begehen, um auf diese Weise weitere Aktivitäten der terroristischen Vereinigung zu finanzieren.
  282. 24
  283. bb) Da bereits dieser Vorwurf die Anordnung der Haftfortdauer trägt,
  284. kann der Senat die rechtliche Einordnung der dem Angeklagten weiter zur Last
  285. gelegten, nach der Festnahme der Mitangeklagten begangenen Tathandlungen
  286. offen lassen. Nicht von hier entscheidendem Belang ist deshalb insbesondere,
  287. ob diese Handlungen ebenfalls der Förderung der Ziele der Kern-Al Qaida dienten oder ob der Angeklagte im betroffenen Tatzeitraum den - soweit ersichtlich nur durch den Mitangeklagten E.
  288. vermittelten Kontakt zu dieser Organisa-
  289. tion bereits verloren hatte (vgl. hierzu Anklageschrift vom 25. April 2012,
  290. S. 223, Anmerkung 739).
  291. 25
  292. e) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur
  293. strafrechtlichen Verfolgung von Taten im Zusammenhang mit Al Qaida hat das
  294. Bundesministerium der Justiz am 16. März 2009 allgemein erteilt (II B 1 - 4030
  295. E(483) - 21 24/2009).
  296. 26
  297. 2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
  298. Der Angeklagte hat auch im Falle einer Verurteilung lediglich wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung mit nicht unerheblichem Freiheitsentzug
  299. zu rechnen. Seine bestehenden sozialen Bindungen an die Bundesrepublik
  300. Deutschland erscheinen nicht tragfähig genug, um den hiervon ausgehenden
  301. Fluchtanreizen verlässlich entgegenwirken zu können. Der Senat verweist hier-
  302. - 14 -
  303. zu auf die zutreffenden Ausführungen im Haftbefehl des Ermittlungsrichters
  304. vom 7. Dezember 2011, an deren Gültigkeit sich zwischenzeitlich nichts geändert hat. Vor deren Hintergrund kann der Zweck der Untersuchungshaft auch
  305. nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht
  306. werden (§ 116 Abs. 1 StPO).
  307. 27
  308. 3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang
  309. noch nicht zugelassen. Nach der Festnahme des Angeklagten am 7. Dezember
  310. 2011 waren noch etwa 30 Zeugen zu vernehmen und zahlreiche Asservate
  311. auszuwerten. Gleichwohl hat der Generalbundesanwalt wie erwähnt bereits
  312. unter dem 25. April 2012 Anklage erhoben. Die Hauptverhandlung vor dem
  313. Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf soll in Absprache mit
  314. den Verteidigern des Angeklagten und der Mitangeklagten noch in diesem Monat beginnen. Das Verfahren ist danach insgesamt mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
  315. - 15 -
  316. 28
  317. 4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem die Haftfortdauer tragenden Tatvorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung
  318. nicht außer Verhältnis.
  319. Becker
  320. Schäfer
  321. Mayer