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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 3 StR 243/02
  5. vom
  6. 15. Dezember 2005
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
  10. -2-
  11. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Dezember
  12. 2005, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  14. Prof. Dr. Tolksdorf,
  15. die Richter am Bundesgerichtshof
  16. Winkler,
  17. Pfister,
  18. von Lienen,
  19. Becker
  20. als beisitzende Richter,
  21. Staatsanwalt
  22. in der Verhandlung,
  23. Richter am Landgericht
  24. bei der Verkündung
  25. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  26. Justizangestellte
  27. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  28. für Recht erkannt:
  29. -3-
  30. 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 15. Februar 2002
  31. a) im Schuldspruch wie folgt geändert:
  32. Der Angeklagte ist schuldig
  33. -
  34. der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer
  35. Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen,
  36. -
  37. des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen,
  38. -
  39. des versuchten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
  40. in nicht geringer Menge und
  41. -
  42. des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln;
  43. b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  44. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  45. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  46. Von Rechts wegen
  47. -4-
  48. Gründe:
  49. 1
  50. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem
  51. Fall in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln zu
  52. einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt sowie die Fahrerlaubnis
  53. entzogen. Seine hiergegen gerichtete Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
  54. 2
  55. I. Die Verfahrensrügen bleiben aus den vom Generalbundesanwalt in der
  56. Antragsschrift vom 23. Juli 2002 genannten Gründen erfolglos.
  57. 3
  58. II. Die Sachrüge führt zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.
  59. 4
  60. 1. Die Nachprüfung des Schuldspruchs lässt mit Ausnahme der Frage
  61. der Vollendung im Fall 1 a und der konkurrenzrechtlichen Beurteilung in den
  62. Fällen 1 c und e keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.
  63. 5
  64. a) Nach der auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 13. Januar 2005
  65. (NJW 2005, 1589) ergangenen Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 26. Oktober 2005 (GSSt 1/05 - zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) reicht es für die Annahme vollendeten Handeltreibens aus, dass der
  66. Täter bei einem beabsichtigten Ankauf von zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte Verhandlungen mit dem potentiellen Verkäufer eintritt. Damit greifen die vom Senat im Vorlageverfahren
  67. -5-
  68. geltend gemachten Bedenken gegen die Annahme vollendeten Handeltreibens
  69. in den Fällen 1 b und d (hinsichtlich des beabsichtigten Ankaufs von Kokain)
  70. nicht durch. Denn ernsthafte Ankaufsbemühungen hatte der Angeklagte bei
  71. diesen Sachverhalten entfaltet.
  72. 6
  73. b) Anders verhält sich dies im Fall 1 a der Urteilsgründe. Hier hat der Angeklagte in der festen Absicht, 50 g Kokain zu kaufen, mit einem Dealer in den
  74. Niederlanden telefonisch Kontakt aufgenommen, der jedoch nicht bereit war,
  75. seine Ware an den Angeklagten abzugeben. Einen anderen Dealer hat er am
  76. gleichen Tage zu diesem Zweck persönlich aufgesucht, aber ebenfalls nichts
  77. bekommen. Aus diesen Feststellungen ergibt sich nicht, dass der Angeklagte
  78. bereits in ernsthafte Verkaufsverhandlungen eingetreten war, sondern an Dealer geraten ist, die ihm nichts verkaufen wollten oder konnten. Damit war auf der
  79. Grundlage der Entscheidung des Großen Senats das Vollendungsstadium noch
  80. nicht erreicht. Andererseits hatte der Angeklagte bei seinem "verzweifelten Bemühen", 50 g Kokain zu bekommen, durch die telefonische und persönliche
  81. Kontaktierung von Dealern mit einer konkreten und ernsthaften Kaufabsicht das
  82. als bloße Vorbereitung zu wertende Stadium weit im Vorfeld des beabsichtigten
  83. Güterumsatzes liegender Handlungen bereits verlassen (vgl. BGH Großer Senat, Beschl. vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05 - S. 19; zur Veröffentlichung in
  84. BGHSt bestimmt). Bei dieser Sachlage liegt ein Versuch des Handeltreibens
  85. vor, da der Angeklagte zu ernsthaften Ankaufsverhandlungen unmittelbar angesetzt hatte. Ein Rücktritt scheidet aus, da der Versuch an der mangelnden Lieferbereitschaft oder -fähigkeit der Dealer scheiterte. Der Senat hat daher den
  86. Schuldspruch in diesem Fall entsprechend geändert.
  87. 7
  88. c) Die Feststellungen zur Frage, ob und zu welchem Anteil das Kokain,
  89. das der Angeklagte gekauft hat oder kaufen wollte, für den gewinnbringenden
  90. -6-
  91. Weiterverkauf bestimmt war, sind unzureichend. Dieser Mangel hat ersichtlich
  92. zu einer rechtsfehlerhaften Bestimmung der nicht geringen Menge geführt.
  93. Doch gefährden diese Mängel den Schuldspruch im Ergebnis nicht.
  94. 8
  95. aa) In den Fällen 1 d und f fehlt es im Gegensatz zu den Fällen 1 a, b
  96. und c an der ausdrücklichen Feststellung, dass der Angeklagte das Kokain weiterverkaufen wollte. Doch entnimmt der Senat dem Gesamtzusammenhang der
  97. Urteilsgründe, dass auch hier wenigstens ein Teil der Menge, die erworben
  98. wurde oder erworben werden sollte, für den gewinnbringenden Handel bestimmt war. Denn der Angeklagte, der in erheblichem Umfang selbst Kokain
  99. konsumierte, musste dies durch seine Handelstätigkeit finanzieren (UA S. 21).
  100. 9
  101. bb) Ferner fehlt es - außer im Fall 1 c - an der erforderlichen Feststellung, welcher Anteil an der gesamten Erwerbsmenge jeweils zum Eigenkonsum
  102. und zum Weiterverkauf vorgesehen war (vgl. zur Notwendigkeit dieser Bestimmung zusammenfassend Winkler NStZ 2002, 191, 192). Doch auch insoweit
  103. kann der Senat mit noch ausreichender Sicherheit den genannten Umständen
  104. im Zusammenhang mit der Darlegung zu Fall 1 c, wonach der "größere" Teil
  105. verkauft worden ist, entnehmen, dass wenigstens jeweils die Hälfte zum Weiterverkauf bestimmt war.
  106. 10
  107. cc) Die mangelnde Feststellung des Eigenverbrauchsanteils hat ersichtlich dazu geführt, dass die Strafkammer bei der Prüfung, ob jeweils die Grenze
  108. zur nicht geringen Menge überschritten worden ist, rechtsfehlerhaft die gesamte
  109. Erwerbsmenge zugrunde gelegt und nicht die zum Eigenkonsum bestimmte
  110. Teilmenge herausgerechnet hat. Doch gefährdet auch dies letztlich den
  111. Schuldspruch nicht, da bei einer Gesamterwerbsmenge von 50 g Kokain, die
  112. wenigstens zur Hälfte zum Weiterverkauf bestimmt war, selbst bei einer unter-
  113. -7-
  114. durchschnittlichen Qualität, wie sie im Fall 1 c angenommen worden ist, die
  115. Grenzmenge von 5 g KHC überschritten wird. Denn bei einem erfahrenen
  116. Händler und Konsumenten, wie dem Angeklagten, der nach den Feststellungen
  117. grundsätzlich darauf bedacht war, gute Qualität einzukaufen, kann ausgeschlossen werden, dass er Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von unter 25 %
  118. KHC erworben hat. Bei den Mengen, die erst noch erworben werden sollten,
  119. wäre ohnehin diejenige Qualität zugrunde zu legen gewesen, mit der der Angeklagte mit wenigstens bedingtem Vorsatz rechnete (BGH bei Winkler NStZ
  120. 2005, 315, 316 Fn. 13).
  121. 11
  122. d) Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 23. Juli
  123. 2002 zutreffend dargelegt hat, wird nach ständiger Rechtsprechung die Einfuhr
  124. von zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln, die
  125. unterhalb der Grenze zur nicht geringen Menge bleiben, vom Handeltreiben
  126. umfasst. Daher entfällt in den Fällen 1 d und e die tateinheitliche Verurteilung
  127. wegen Einfuhr. Der Senat hat den Schuldspruch auch insoweit geändert.
  128. 12
  129. 2. Der Rechtsfolgenausspruch musste insgesamt aufgehoben werden.
  130. 13
  131. a) Die Änderung des Schuldspruchs im Fall 1 a auf ein lediglich versuchtes Delikt, führt zur Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafe. Zudem
  132. lässt der Umstand, dass die Strafkammer bei der Bestimmung der nicht geringen Menge fehlerhaft die gesamte Menge an erworbenem Kokain zugrunde
  133. gelegt hat, besorgen, dass sie auch bei der Strafzumessung von einem zu hohen Schuldumfang ausgegangen ist. Der Senat hat daher den Strafausspruch
  134. insgesamt, auch hinsichtlich der von diesem Fehler an sich nicht betroffenen
  135. Einzelstrafe im Fall 1 e, aufgehoben, um dem neuen Tatrichter die Möglichkeit
  136. zu einer umfassenden neuen Bemessung der Strafen zu geben.
  137. -8-
  138. 14
  139. b) Eine neue Bemessung der Strafe ist auch deswegen erforderlich, weil
  140. das Revisionsverfahren außerordentlich lange gedauert hat, ohne dass dies der
  141. Angeklagte zu vertreten hätte. Vom Eingang der Sache beim Senat bis zur Entscheidung sind etwas mehr als drei Jahre und vier Monate vergangen. Bereits
  142. die damit verbundene außergewöhnliche Verfahrensdauer, die sich nach Erlass
  143. des angefochtenen Urteils ergeben hat, muss sich in erheblicher Weise zu
  144. Gunsten des Angeklagten auswirken. Es kommt hinzu, dass in dieser Verfahrensdauer ein Zeitraum enthalten ist, der als Verfahrensverzögerung im Sinne
  145. des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK bewertet werden muss. Zwar kann die Durchführung eines Vorlageverfahrens zum Großen Senat des Bundesgerichtshofs für
  146. Strafsachen nach § 132 GVG als solche eine Verfahrensverzögerung nicht begründen. Die Aufgabe des Bundesgerichtshofs besteht nicht nur darin, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidungen zu überprüfen, sondern auch zur
  147. Einheitlichkeit der Rechtsprechung und zu einer geordneten Fortentwicklung
  148. des gesetzten Rechts beizutragen. Der Senat hat in diesem und in einem ähnlichen Fall Anlass gesehen, die Frage der Definition des Begriffs des Handeltreibens und insbesondere die Abgrenzung von Versuch und Vollendung zum Gegenstand eines solchen Vorlageverfahrens zu machen. Wegen der großen Bedeutung dieser Rechtsfragen und ihrer Schwierigkeit erforderte das vorausgehende Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG ebenso wie das Vorlageverfahren selbst eine intensive und zeitraubende Befassung zunächst sämtlicher
  149. Strafsenate des Bundesgerichtshofs und sodann des Großen Senats. Gleichwohl hätte das gesamte Revisionsverfahren einschließlich Anfrage- und Vorlageverfahren nach § 132 GVG in deutlich kürzerer Zeit abgeschlossen sein
  150. müssen. Es wird Aufgabe des neuen Tatrichters sein, diese Verfahrensverzögerung, die nach der Einschätzung des Senats mit eineinhalb Jahren zu veranschlagen ist, angemessen zu kompensieren (vgl. BGH NStZ 1999, 181).
  151. -9-
  152. 15
  153. c) Der Aufhebung unterliegt auch der Maßregelausspruch nach § 69
  154. StGB, da er nicht den Anforderungen der nunmehrigen Rechtsprechung entspricht (vgl. BGH NJW 2005, 1952).
  155. Tolksdorf
  156. Winkler
  157. von Lienen
  158. Pfister
  159. Becker