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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 558/17
  4. vom
  5. 28. März 2018
  6. in der Betreuungssache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. BGB § 1897 Abs. 4 Satz 1
  14. Ein Betreuervorschlag nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB erfordert weder die Geschäftsfähigkeit noch die natürliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen. Vielmehr
  15. genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Auch die Motivation des Betroffenen ist
  16. für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich beachtlicher Vorschlag vorliegt, ohne
  17. Bedeutung. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird hinreichend durch die
  18. begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung
  19. eines solchen Vorschlags begegnet (im Anschluss an Senatsbeschluss vom
  20. 19. Juli 2017 - XII ZB 57/17 - FamRZ 2017, 1612).
  21. BGH, Beschluss vom 28. März 2018 - XII ZB 558/17 - LG Limburg an der Lahn
  22. AG Wetzlar
  23. ECLI:DE:BGH:2018:280318BXIIZB558.17.0
  24. -2-
  25. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. März 2018 durch den
  26. Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling,
  27. Dr. Nedden-Boeger und Guhling
  28. beschlossen:
  29. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der
  30. 7. Zivilkammer des Landgerichts Limburg an der Lahn vom
  31. 29. September 2017 aufgehoben.
  32. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
  33. über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
  34. Wert: 5.000 €
  35. Gründe:
  36. I.
  37. 1
  38. Die im Jahre 1951 geborene Betroffene leidet an einer geistigen Behinderung im Sinne einer Minderbegabung bzw. einer schweren Intelligenzminderung. Seit 2013 ist die Beteiligte zu 1, Mitarbeiterin eines Betreuungsvereins, als
  39. Betreuerin für sämtliche Angelegenheiten einschließlich Postangelegenheiten
  40. bestellt; Ersatzbetreuer ist der Betreuungsverein (Beteiligter zu 2). Einen persönlichen Kontakt zur Betroffenen, die zusammen mit ihrem Ehemann, ihrer
  41. Nichte und deren Lebensgefährten auf einem der Nichte gehörenden Anwesen
  42. lebt, konnte die Betreuerin nicht pflegen, weil ihr der Zugang zu dem Anwesen
  43. von der Betroffenen und der Nichte verwehrt wurde.
  44. -3-
  45. 2
  46. Als Zeitpunkt, bis zu dem spätestens über eine Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung beschlossen werden sollte, war der 16. Oktober 2015
  47. bestimmt. Mitte November 2015 ist das Amtsgericht in die entsprechende Prüfung eingetreten, hat ein Sachverständigengutachten sowie Stellungnahmen
  48. der Betreuungsbehörde und der Betreuerin eingeholt und die Betroffene wiederholt angehört. Dabei hat die Betroffene - wie schon im Rahmen der Betreuungserrichtung - den Wunsch geäußert, dass ihre Nichte zur Betreuerin bestellt
  49. werden möge.
  50. 3
  51. Mit Beschluss vom 28. Juli 2017 hat das Amtsgericht die Betreuung verlängert und es - ohne in den Gründen hierzu auszuführen - bei den bestellten
  52. (Ersatz)Betreuern belassen. Mit ihrer Beschwerde hat sich die Betroffene allein
  53. gegen die Betreuerauswahl gewandt und die Bestellung ihrer Nichte verlangt.
  54. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich
  55. die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der sie weiterhin das Ziel verfolgt,
  56. dass ihre Nichte Betreuerin werden soll.
  57. II.
  58. 4
  59. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
  60. 5
  61. 1. Prüfungsgegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist allein die
  62. Frage der Betreuerauswahl und somit nicht, ob die Voraussetzungen einer Betreuerbestellung vorgelegen haben. Denn hierauf war bereits die mit der Beschwerde vorgenommene Anfechtung der die Verlängerung der Betreuung und
  63. die Betreuerbestellung umfassenden Einheitsentscheidung - wie das Landgericht richtig erkannt hat - in zulässiger Weise beschränkt (vgl. Senatsbeschluss
  64. -4-
  65. vom 19. Juli 2017 - XII ZB 57/17 - FamRZ 2017, 1612 Rn. 8 mwN). Auch wenn
  66. die Beschränkung im Verfahren über die Verlängerung einer bestehenden Betreuung nach § 295 FamFG erfolgt, ist gegen die Beschwerdeentscheidung die
  67. zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG
  68. statthaft (Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 - XII ZB 390/16 - FamRZ 2017,
  69. 1779 Rn. 5 mwN).
  70. 6
  71. 2. Nach Ansicht des Landgerichts ist die Nichte zu Recht nicht zur Betreuerin bestellt worden. Die bereits von Beginn der Betreuung an bestehenden
  72. Bedenken gegen deren Eignung als Betreuerin seien weiterhin gegeben. Es
  73. bestehe nach wie vor der Eindruck, dass die dominante Nichte die leicht zu beeinflussende und zu manipulierende Betroffene von der Außenwelt abschirme,
  74. die Betroffene eigene Bedürfnisse aus Angst vor der Nichte nicht äußere und
  75. sich deren Anordnungen auch gegen ihre eigenen Wünsche füge. Bei Übertragung der Betreuung auf die Nichte sei zu befürchten, dass der die Betroffene
  76. täglich am Hoftor mit Medikamenten versorgende Pflegedienst gekündigt und
  77. damit der einzige Außenkontakt der Betroffenen gekappt werde. Eine mögliche
  78. Verschlechterung der Situation der Betroffenen bleibe dann gegebenenfalls völlig unbemerkt. Die Bestellung einer dritten Person als Betreuer werde ebenfalls
  79. nicht zu einem Kontakt zwischen Betroffener und Betreuer führen. Die Ablehnung der Betreuerin erfolge nicht im Hinblick auf deren Person, sondern wegen
  80. grundsätzlicher Vorbehalte der Betroffenen und ihrer Nichte, die eine Einmischung in ihre Angelegenheiten befürchteten, gegen einen familienfremden Betreuer.
  81. 7
  82. 3. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der
  83. bislang getroffenen Feststellungen verstößt die Betreuerauswahl der Vorinstanzen gegen § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB.
  84. -5-
  85. 8
  86. a) Die Regelung des § 1897 BGB legt den Maßstab für die Betreuerauswahl nicht nur bei der Erstentscheidung, sondern auch bei einer Verlängerung
  87. der Betreuung fest. Dies folgt aus dem Rechtscharakter der Verlängerungsentscheidung als erneute vollständige Einheitsentscheidung über die Betreuung
  88. und ergibt sich aus § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG, nach dem für die Verlängerung
  89. der Bestellung eines Betreuers die Verfahrensvorschriften über die erstmalige
  90. Anordnung dieser Maßnahme entsprechend gelten (vgl. Senatsbeschluss vom
  91. 19. Juli 2017 - XII ZB 57/17 - FamRZ 2017, 1612 Rn. 14 mwN).
  92. 9
  93. Daher ist § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB zu beachten. Diese Vorschrift räumt
  94. dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Es ist die
  95. Person zum Betreuer zu bestellen, die der Betroffene wünscht. Der Wille des
  96. Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der
  97. vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass
  98. sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe
  99. von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann
  100. oder will. Die Annahme einer solchen konkreten Gefahr beruht auf einer Prognoseentscheidung des Gerichts, für die dieses sich naturgemäß auf Erkenntnisse stützen muss, die in der - näheren oder auch weiter zurückliegenden - Vergangenheit wurzeln. Soweit es um die Eignung der vorgeschlagenen Person
  101. geht, müssen diese Erkenntnisse geeignet sein, einen das Wohl des Betroffenen gefährdenden Eignungsmangel auch für die Zukunft und bezogen auf den
  102. von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis zu begründen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Juli 2017 - XII ZB 57/17 - FamRZ 2017, 1612 Rn. 15 mwN
  103. und vom 14. März 2018 - XII ZB 589/17 - zur Veröffentlichung bestimmt).
  104. -6-
  105. 10
  106. b) Die Betroffene hat immer wieder im Sinne des § 1897 Abs. 4 Satz 1
  107. BGB vorgeschlagen, ihre Nichte zur Betreuerin zu bestellen. Ein solcher Vorschlag erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit.
  108. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine
  109. bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Auch die Motivation des Betroffenen ist für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich beachtlicher Vorschlag
  110. vorliegt, ohne Bedeutung. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird vielmehr
  111. hinreichend durch die begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Juli 2017 - XII ZB 57/17 - FamRZ 2017, 1612 Rn. 17 mwN
  112. und vom 14. März 2018 - XII ZB 589/17 - zur Veröffentlichung bestimmt).
  113. 11
  114. c) Das Landgericht hat keine Umstände festgestellt, die es rechtfertigen
  115. würden, diesem Vorschlag nicht zu entsprechen. Soweit es auf den "Eindruck"
  116. abhebt, die Nichte schirme die Betroffene ab und die Betroffene stelle aus
  117. Angst eigene Wünsche zurück, stellt das eine Vermutung, nicht aber die Überzeugung von der Wahrheit eines bestimmten Umstands dar. Darüber hinaus
  118. wird nicht mitgeteilt, auf welche Tatsachen sich diese Vermutung stützt. Gleiches gilt für die "Befürchtung" des Landgerichts, die Nichte werde im Falle ihrer
  119. Bestellung als Betreuerin - trotz der dann gemäß §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1839,
  120. 1840 Abs. 1 BGB gegenüber dem Betreuungsgericht bestehenden Auskunftsund Berichtspflichten - den Pflegedienst kündigen. Unabhängig davon hat das
  121. Landgericht sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob dieser Befürchtung
  122. (ihre Berechtigung unterstellt) nicht etwa durch die Bestellung verschiedener
  123. Betreuer für abgegrenzte Teile des Aufgabenkreises begegnet werden könnte.
  124. 12
  125. Schließlich trägt auch der pauschale Verweis des Landgerichts auf seinen auf die Beschwerde gegen die Erstbestellung von Betreuerin und Ersatzbetreuer hin ergangenen Beschluss nicht die Annahme, die Bestellung der Nichte
  126. -7-
  127. laufe dem Wohl der Betroffenen zuwider. Dort wird auf zum Teil auch damals
  128. schon viele Jahre zurückliegende Vorfälle Bezug genommen. Inwiefern diese
  129. auch noch zum Zeitpunkt der jetzigen Beschwerdeentscheidung der Eignung
  130. der Nichte im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB entgegenstehen, legt das Landgericht nicht dar.
  131. 13
  132. 4. Der angefochtene Beschluss ist daher gemäß § 74 Abs. 5 FamFG
  133. aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74
  134. Abs. 6 Satz 2 FamFG). Dieses wird nun unter Auswertung des Akteninhalts und
  135. mit weiteren, gegebenenfalls auch Anhörungen etwa der Betroffenen und der
  136. Nichte umfassenden Ermittlungen Feststellungen zur Eignung der Nichte gemäß § 1897 Abs. 1 BGB und dazu zu treffen haben, ob deren Bestellung dem
  137. Wohl der Betroffenen zuwiderläuft.
  138. -8-
  139. 14
  140. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil
  141. sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
  142. Dose
  143. Klinkhammer
  144. Nedden-Boeger
  145. Schilling
  146. Guhling
  147. Vorinstanzen:
  148. AG Wetzlar, Entscheidung vom 28.07.2017 - 65 XVII 188/13 K LG Limburg an der Lahn, Entscheidung vom 29.09.2017 - 7 T 156/17 -