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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VII ZB 105/08
  4. vom
  5. 23. Juli 2009
  6. in der Zwangsvollstreckungssache
  7. -2-
  8. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juli 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, den Richter Dr. Kuffer, den Richter Bauner,
  9. die Richterin Safari Chabestari und den Richter Dr. Eick
  10. beschlossen:
  11. Auf die Anschlussrechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss der 16. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom
  12. 12. September 2008 (16a T 94/08) aufgehoben.
  13. Die Rechtsbeschwerde und die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer
  14. vom 27. Juni 2008 werden zurückgewiesen.
  15. Der Schuldner trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
  16. Gründe:
  17. I.
  18. 1
  19. Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner, ihren geschiedenen Ehemann, aus einem gerichtlichen Vergleich die Zwangsvollstreckung wegen laufenden und rückständigen Unterhalts. Am 24. März 2004 hat die Gläubigerin
  20. gegen den Schuldner einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt,
  21. mit dem Ansprüche des Schuldners aus seinem Arbeitsverhältnis bei der Drittschuldnerin gepfändet worden sind.
  22. -3-
  23. 2
  24. Der Pfändungsfreibetrag ist in der Folge mehrfach erhöht worden, zuletzt
  25. mit Beschluss vom 10. Januar 2006 auf 1.081,13 €. Hierbei ist ein halber Nettomehrbetrag berücksichtigt worden, da der Schuldner inzwischen wieder verheiratet war.
  26. 3
  27. Unter dem 21. November 2007 ist beantragt worden, den Freibetrag auf
  28. 750 € zu reduzieren, da seit dem 1. Januar 2008 die Unterhaltsansprüche der
  29. Gläubigerin gegenüber dem Unterhaltsanspruch der neuen Ehefrau des
  30. Schuldners absoluten Vorrang genießen würden.
  31. 4
  32. Der Schuldner hat am 1. Februar 2008 die Erhöhung des Pfändungsfreibetrages auf 1.232,49 € bis zum 31. März 2008 und auf 1.294,37 € ab dem
  33. 1. April 2008 beantragt und seinen Antrag mit gestiegenen Sozialhilfesätzen
  34. und Mietkosten begründet.
  35. 5
  36. Mit Beschluss vom 13. Februar 2008 hat das Amtsgericht folgende Freibeträge festgesetzt: Bis zum 31. Dezember 2007 auf 845,38 € zuzüglich 1/3
  37. Nettomehrbetrag, bis 31. März 2008 auf 871,57 € ohne Nettomehrbetrag und
  38. ab 1. April 2008 auf 933,45 € ohne Nettomehrbetrag. Bei der Berechnung des
  39. Sozialbedarfs hat das Amtsgericht die Änderungen des Unterhaltsrechts berücksichtigt, § 850 d Abs. 2 ZPO i.V.m. § 1609 BGB, und entschieden, dass die
  40. neue Ehefrau des Schuldners ab dem 1. Januar 2008 nicht mehr zu berücksichtigen sei. Die angegebenen Mietkosten hat es - abzüglich Stromkosten - jeweils
  41. in vollem Umfang berücksichtigt, also bis 31. Dezember 2007 mit 353,13 €, ab
  42. 1. Januar 2008 mit 379,32 € und ab 1. April 2008 mit 441,20 €.
  43. 6
  44. Gegen diese Entscheidung hat die Gläubigerin am 20. Februar 2008 sofortige Beschwerde mit der Begründung eingelegt, der Wohnbedarf sei zu hoch
  45. angesetzt worden. Der Unterhaltsschuldner könne sich nur die Wohnkosten
  46. anrechnen lassen, die nach den Regelungen des SGB II für einen Alleinstehen-
  47. -4-
  48. den angemessen seien. Dies seien in der Stadt G. 216 € für eine Wohnung mit
  49. 45 qm Wohnfläche, zuzüglich 80 € Unterhaltskosten.
  50. 7
  51. Der Schuldner hat durch seinen Bevollmächtigten mehrfach erklären lassen, der Beschluss vom 13. Februar 2008 solle nicht angegriffen werden.
  52. 8
  53. Am 27. Juni 2008 hat das Amtsgericht hinsichtlich der sofortigen Beschwerde der Gläubigerin vom 20. Februar 2008 eine Abhilfeentscheidung getroffen und den Wohnbedarf unter Bezugnahme auf den aktuellen Mietspiegel
  54. der Stadt G. auf einen Betrag von 296 € (Kaltmiete 216 € zuzüglich Heiz- und
  55. Nebenkostenvorauszahlung von 80 €) für die Zeit ab dem 1. März 2008 herabgesetzt und den Pfändungsfreibetrag ab diesem Zeitpunkt auf 788,25 € bestimmt.
  56. 9
  57. Gegen diese ihm am 1. Juli 2008 zugestellte Entscheidung hat der
  58. Schuldner mit Schriftsatz vom selben Tage, eingegangen bei dem Amtsgericht
  59. am 2. Juli 2008, sofortige Beschwerde eingelegt. Er hat seine Beschwerde einerseits mit der Herabsetzung des Wohnbedarfs begründet. Einen allgemeinen
  60. "Sozialwohnbedarf" gebe es für Empfänger von Leistungen nach dem SGB II
  61. nicht. Also müsse er sich seinen Pfändungsfreibetrag nicht entsprechend
  62. schmälern lassen. Andererseits hat er sich gegen die Nichtgewährung eines
  63. zusätzlichen Freibetrages für seine neue Ehefrau gewandt. Zumindest die
  64. durch den Wechsel in Steuerklasse 3 eingetretene Steuerentlastung in Höhe
  65. von 218,65 € monatlich müsse abgezogen werden.
  66. 10
  67. Die Gläubigerin ist der sofortigen Beschwerde des Schuldners entgegengetreten. Ihre sofortige Beschwerde vom 20. Februar 2008 gegen den Beschluss vom 13. Februar 2008 hat sie mit Schriftsatz vom 3. Juli 2008 zurückgenommen.
  68. -5-
  69. 11
  70. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht den monatlichen, dem Schuldner mindestens pfandfrei zu belassenden
  71. Betrag für die Zeit ab dem 1. März 2008 unter Berücksichtigung eines monatlichen Wohnbedarfs in Höhe von 352,50 € auf 844,75 € festgesetzt. Es hat gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Rechtsbeschwerde zur Klärung der Frage der Berechnung des Wohnbedarfs zugelassen.
  72. 12
  73. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner die volle Berücksichtigung der Wohnkosten sowie die Gewähr eines zusätzlichen Freibetrages für
  74. seine Ehefrau weiter. Die Gläubigerin verfolgt mit ihrer Anschlussrechtsbeschwerde ihre in der Beschwerdeinstanz gestellten Anträge weiter.
  75. II.
  76. 13
  77. 1. Das Beschwerdegericht meint, soweit der Schuldner im Beschwerdeverfahren thematisiert habe, nun doch die Anrechnung von Steuerersparnissen
  78. infolge seiner Neuverheiratung auf den Freibetrag zu wünschen, sei die Sache
  79. nicht zu entscheiden. Der Schuldner habe zunächst mehrfach zum Ausdruck
  80. gebracht, die Entscheidung des Amtsgerichts zu billigen, und insoweit einen
  81. Verzicht auf sein Beschwerderecht erklärt. Überdies sei am 1. Juli 2008 die Beschwerdefrist gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 13. Februar 2008
  82. bereits abgelaufen gewesen.
  83. 14
  84. 2. Das Beschwerdegericht führt weiter aus, dass der monatliche Wohnbedarf des Schuldners auf 352,50 € festzusetzen sei, denn der Selbstbehalt
  85. des Unterhaltsschuldners richte sich nach sozialhilferechtlichen Kriterien. Nach
  86. § 29 SGB XII würden die tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft insoweit
  87. erstattet, als die fraglichen Aufwendungen der Höhe nach nicht unangemessen
  88. -6-
  89. seien und dem Sozialhilfeempfänger nicht eine Verringerung des Kostenaufwandes zuzumuten sei.
  90. 15
  91. In der Rechtsprechung würden bei der Ermittlung des angemessenen
  92. Wohnbedarfs teilweise die Bestimmungen des Wohngeldgesetzes herangezogen (vgl. OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 2000, 220, 222; OLG Köln, Rpfleger
  93. 1999, 548, 549). Eine jüngere Entscheidung des Bundessozialgerichts spreche
  94. eher dagegen (BSG, FEVS 60, 145, 149). Der Bundesgerichtshof habe diese
  95. Frage ausdrücklich offengelassen (BGH, Beschluss vom 18. Juli 2003 - IXa ZB
  96. 151/03, BGHZ 156, 30, 37).
  97. 16
  98. Aus der Sicht des Beschwerdegerichts erscheine die Heranziehung der
  99. Sätze des § 8 WoGG (in der Fassung vom 7. Juli 2005; im Folgenden: a.F.)
  100. wegen der Sachnähe zum Sozialhilferecht angemessen. Im Rahmen des formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahrens seien sie auch transparent und gut
  101. praktikabel. Besser geeignete Bewertungskriterien seien nicht ersichtlich. Die
  102. von der Gläubigerin vorgebrachten Höchstgrenzen für Empfänger von Leistungen nach dem SGB II gebe es in dieser Allgemeinheit nicht. Der Aufwand für
  103. die Ermittlung eines nach Wohnungsgrößen differenzierten Mietniveaus des
  104. unteren Segments im räumlichen Vergleichsbereich erscheine für das Vollstreckungsverfahren unverhältnismäßig.
  105. III.
  106. 17
  107. Die Rechtsbeschwerde wendet sich zunächst gegen die unterbliebene
  108. Anrechnung von Steuerersparnissen infolge der Neuverheiratung des Schuldners auf den Freibetrag. Insoweit ist die Rechtsbeschwerde unzulässig, da die
  109. -7-
  110. Rechtsbeschwerde beschränkt auf die Frage der Ermittlung der Wohnkosten
  111. zugelassen wurde und diese Beschränkung wirksam ist.
  112. 18
  113. Das Beschwerdegericht hat im Tenor die Rechtsbeschwerde ohne Einschränkung zugelassen. In den Gründen hat es dazu Folgendes ausgeführt:
  114. "Die Kammer lässt die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2
  115. ZPO zu. Die Frage, nach welchen Kriterien der Wohnbedarf des Unterhaltsschuldners zu berechnen ist, ist höchstrichterlich nicht geklärt. Da diese Frage
  116. eine Vielzahl von Vollstreckungsfällen betrifft, ist eine einheitliche Fortbildung
  117. des Rechts dringend geboten."
  118. 19
  119. Damit hat das Beschwerdegericht die Zulassung der Rechtsbeschwerde
  120. auf die Frage der Berechnung des Wohnbedarfs des Unterhaltsschuldners beschränkt. Die Beschränkung der Zulassung in den Entscheidungsgründen der
  121. angefochtenen Entscheidung ist möglich (BGH, Urteile vom 13. Januar 2005
  122. - VII ZR 28/04, BauR 2005, 749 = NZBau 2005, 280 und vom 17. Juni 2004
  123. - VII ZR 226/03, BauR 2004, 1650 = ZfBR 2004, 775). Sie ist auch wirksam, da
  124. die Berechnung des Wohnbedarfs des Unterhaltsschuldners ein Teil der angefochtenen Entscheidung ist, auf den auch der Rechtsbeschwerdeführer selbst
  125. sein Rechtsmittel wirksam beschränken könnte (vgl. BGH, aaO).
  126. IV.
  127. 20
  128. Im Übrigen ist die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2,
  129. § 575 ZPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde des Schuldners unbegründet.
  130. 21
  131. Auf die gemäß § 574 Abs. 4 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anschlussrechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des
  132. -8-
  133. Landgerichts vom 12. September 2008 aufgehoben und die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 27. Juni
  134. 2008 zurückgewiesen.
  135. 22
  136. 1. Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht den tatsächlichen monatlichen
  137. Wohnbedarf des Schuldners auf 352,50 € festgesetzt. Zutreffend ist dagegen
  138. die Entscheidung des Amtsgerichts vom 27. Juni 2008, mit der der Wohnbedarf
  139. des Schuldners unter Bezugnahme auf den aktuellen Mietspiegel der Stadt G.
  140. auf einen Betrag von 296 € (Kaltmiete 216 € zuzüglich Heiz- und Nebenkostenvorauszahlung von 80 €) für die Zeit ab dem 1. März 2008 festgesetzt und
  141. dementsprechend der Pfändungsfreibetrag des Schuldners ab diesem Zeitpunkt auf 788,25 € bestimmt worden ist, § 850 f Abs. 1 ZPO.
  142. 23
  143. 2. Der erweiterte pfändungsfreie Teil gemäß § 850 f Abs. 1 lit. a) ZPO
  144. entspricht dem Betrag, der nach den Vorschriften des SGB XII an den Schuldner ergänzend als Sozialhilfe zum Lebensunterhalt zu leisten wäre (Stein/
  145. Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., 2008, § 850 f Rdn. 3). Die Kosten für Unterkunft
  146. und Heizung werden nach konkretem Bedarf ersetzt, soweit sie nicht den angemessenen Umfang übersteigen (Stein/Jonas/Brehm, aaO). Die Angemessenheit der Aufwendungen ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls
  147. unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten konkret zu ermitteln (BSG,
  148. FEVS 60, 145, 149). Dabei ist vorrangig das ortsübliche Mietpreisniveau, wie es
  149. sich aus einem qualifizierten Mietspiegel (§ 558 d BGB), einem Mietspiegel
  150. (§ 558 c BGB) oder unmittelbar aus einer Mietdatenbank (§ 558 e BGB) ableiten lässt, heranzuziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2003 - IXa ZB
  151. 151/03, BGHZ 156, 30, 37; BSG, aaO). Sie geben in der Regel einen zuverlässigen Aufschluss über die aktuelle örtliche Wohnungsmarktlage (BSG, aaO).
  152. Dagegen erlauben die Werte der Tabelle zu § 8 WoGG a.F. allenfalls eine Annäherung an die Angemessenheit der Aufwendungen (Berlit in LPK-SGB XII,
  153. -9-
  154. 8. Aufl., 2008, § 29 Rdn. 39). Ein Rückgriff auf die Tabellenwerte in § 8 WoGG
  155. a.F. ist daher erst dann zulässig, wenn alle anderen Erkenntnismöglichkeiten
  156. und Mittel zur Ermittlung der Angemessenheit der Kosten des Wohnraums ausgeschöpft sind (vgl. BSG, FEVS 58, 271, 274).
  157. 24
  158. Die teilweise in der Rechtsprechung vorgenommene Ermittlung des angemessenen Wohnbedarfs unmittelbar anhand der Bestimmungen des Wohngeldgesetzes (vgl. OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 2000, 220, 222; OLG Köln,
  159. Rpfleger 1999, 548, 549) ist damit nicht zulässig. Sie kann nicht mit der Erwägung begründet werden, sie sei einfacher zu handhaben und benachteilige den
  160. Schuldner nicht. Die Erwägung lässt unberücksichtigt, dass die Ermittlung des
  161. angemessenen Wohnbedarfs anhand von Mietspiegel und Mietdatenbanken
  162. ähnlich einfach ist wie die Ermittlung nach § 8 WoGG a.F. und eine ungenaue
  163. Ermittlung den Gläubiger benachteiligen kann.
  164. 25
  165. 3. Das Amtsgericht hat in seinem Beschluss vom 27. Juni 2008 unter
  166. Bezugnahme auf den aktuellen Mietspiegel der Stadt G. ausgeführt, dass sich
  167. bei einem Mietpreis von 4,80 € pro qm bezogen auf eine Wohnung von 45 qm
  168. ein Mietpreis in Höhe von 216 € (Kaltmiete) ergeben würde. Das wird von den
  169. Beteiligten nicht angegriffen und lässt auch Rechtsfehler nicht erkennen.
  170. 26
  171. 4. Anhaltspunkte dafür, dass der aktuelle Mietspiegel für die Stadt G. zur
  172. Ermittlung des monatlichen Wohnbedarfs ausnahmsweise nicht geeignet ist,
  173. sind weder von dem Schuldner vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 27. Juni 2008 war daher wieder herzustellen.
  174. - 10 -
  175. V.
  176. 27
  177. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 91 Abs. 1 ZPO.
  178. Kniffka
  179. Kuffer
  180. Safari Chabestari
  181. Bauner
  182. Eick
  183. Vorinstanzen:
  184. AG Gelsenkirchen-Buer, Entscheidung vom 27.06.2008 - 29 M 409/04 LG Essen, Entscheidung vom 12.09.2008 - 16a T 94/08 -