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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. V ZR 310/03
  5. Verkündet am:
  6. 22. Oktober 2004
  7. K a n i k,
  8. Justizamtsinspektorin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB §§ 823 Abs. 2 Bf, 909
  19. Bei der Frage, ob ein Architekt wegen Mitwirkens an einer Vertiefung nach §§ 823
  20. Abs. 2, 909 BGB haftet, kommt es nicht darauf an, ob er vertragliche Pflichten gegenüber seinem Vertragspartner, z.B. gegenüber dem Bauherrn, verletzt hat, sondern darauf, ob er gegen die durch § 909 BGB konkretisierten allgemeinen Verhaltenspflichten verstoßen hat, die im Interesse des Eigentümers des von der Vertiefung betroffenen Grundstücks zu beachten sind.
  21. BGH, Urt. v. 22. Oktober 2004 - V ZR 310/03 - OLG Hamm
  22. LG Detmold
  23. -2-
  24. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 22. Oktober 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
  26. Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin
  27. Dr. Stresemann
  28. für Recht erkannt:
  29. Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 19. Zivilsenats des
  30. Oberlandesgerichts Hamm vom 21. Oktober 2003 aufgehoben,
  31. soweit es, auch im Kostenpunkt, die Beklagte zu 1 betrifft.
  32. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
  33. und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tatbestand:
  36. Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks in B.
  37. , das mit ei-
  38. nem unterkellerten Wohnhaus bebaut ist. Auf dem Nachbargrundstück ließen
  39. die früheren Beklagten zu 5 und 6 im Jahre 1998 ein nicht unterkellertes Reihenendhaus errichten, das unmittelbar an die Außenwand des Hauses der Kläger anschließt. Mit der Genehmigungsplanung war die Beklagte zu 1 betraut.
  40. Die Bauausführung übernahm eine inzwischen insolvent gewordene GmbH,
  41. deren Geschäftsführer die früheren Beklagten zu 3 und 4 waren. Die Erdarbeiten führte die Beklagte zu 2 durch.
  42. -3-
  43. Im zeitlichen Zusammenhang mit den Baumaßnahmen litt das Haus der
  44. Kläger Schaden, den diese auf eine unzureichende Gründung des Hauses der
  45. früheren Beklagten zu 5 und 6 zurückführen. Um den seitlichen Druck auf ihr
  46. unterkellertes Haus zu vermeiden - so die Behauptung der Kläger -, hätte das
  47. Bauvorhaben der früheren Beklagten zu 5 und 6 bis zur Kellersohle des Nachbarhauses gegründet werden müssen. Die Planung der Beklagten zu 1 sah
  48. demgegenüber Streifenfundamente von 50 x 100 cm vor, und das Gebäude
  49. wurde auf einer 25 cm dicken Stahlbetonsohle mit seitlichen Streifenfundamenten von 35 x 100 cm gegründet.
  50. Das Landgericht hat die Beklagte zu 1 als Gesamtschuldnerin mit den
  51. früheren Beklagten zu 2 bis 6 im wesentlichen antragsgemäß zur Zahlung von
  52. 45.259,89 DM nebst Zinsen verurteilt und die Verpflichtung zum Ersatz weiteren Schadens festgestellt. Das Oberlandesgericht hat die Klage gegen die Beklagten zu 1, 3 und 4 durch Teilurteil abgewiesen. Mit der von dem Senat insoweit zugelassenen Revision erstreben die Kläger hinsichtlich der Beklagten
  53. zu 1 die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte zu 1
  54. beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
  55. Entscheidungsgründe:
  56. I.
  57. Das Berufungsgericht verneint eine Haftung der Beklagten zu 1 nach
  58. §§ 823 Abs. 2, 909 BGB. Es äußert "durchgreifende Zweifel" an der Kausalität
  59. der Planzeichnungen der Beklagten zu 1 für die unzureichende Gründung des
  60. -4-
  61. Hauses der früheren Beklagten zu 5 und 6. Die Pläne hätten aus Sicht der Beklagten zu 1 nicht der Bauausführung, sondern nur der Genehmigungsplanung
  62. gedient. Zudem habe die Beklagte zu 1 lediglich an der dem Haus der Kläger
  63. abgewandten Seite Streifenfundamente eingezeichnet; an der an das Haus der
  64. Kläger angrenzenden Seite seien überhaupt keine Fundamente abgebildet.
  65. Daher fehle es an der Ursächlichkeit der Zeichnungen für die Gründung des
  66. Hauses der früheren Beklagten zu 5 und 6. Darüber hinaus sei der Beklagten
  67. zu 1 kein Schuldvorwurf zu machen. Sie habe nämlich nur die Genehmigungsplanung gefertigt und habe nicht damit zu rechnen brauchen, daß ihre Pläne
  68. ohne weitere Prüfung eines Statikers und ohne Berücksichtigung der örtlichen
  69. Verhältnisse Grundlage der tatsächlichen Bauausführung werden.
  70. II.
  71. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Sie
  72. berücksichtigen nicht hinreichend den Haftungsgrund, der in einer unerlaubten
  73. Handlung besteht, nicht in der Verletzung von Pflichten im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen der Beklagten zu 1 und den früheren Beklagten zu 5
  74. und 6.
  75. 1. Das Verbot des § 909 BGB, dem Nachbargrundstück die Stütze zu
  76. entziehen, richtet sich nicht nur gegen den Eigentümer des Grundstücks, von
  77. dem die Störung ausgeht, sondern gegen jeden, der an der Vertiefung mitwirkt,
  78. wie z.B. gegen den Architekten, den Bauunternehmer, den bauleitenden Ingenieur oder auch den Statiker, dessen Berechnungen die Grundlage für den Bodenaushub und die dabei zu beachtenden Sicherungsmaßnahmen bilden. Je-
  79. -5-
  80. den der Beteiligten trifft eine eigenverantwortliche Prüfungspflicht. Wenn sein
  81. Beitrag an der Vertiefung pflichtwidrig und schuldhaft ist, haftet er nach §§ 823
  82. Abs. 2, 909 BGB auf Ersatz des dadurch entstandenen Schadens (Senat, Urt.
  83. v. 12. Juli 1996, V ZR 280/94, NJW 1996, 3204, 3205 mit zahlreichen Nachweisen). Ausgehend hiervon kann eine Haftung der Beklagten zu 1 nicht mit
  84. der Begründung verneint werden, auf die das Berufungsgericht seine klageabweisende Entscheidung stützt.
  85. 2. Die Beklagte zu 1 hat an einer Vertiefung im Sinne von § 909 BGB
  86. mitgewirkt, die - so ist für das Revisionsverfahren zu unterstellen - dem Boden
  87. des Grundstücks der Kläger die erforderliche Stütze entzogen hat. Allerdings
  88. ist keine eigentliche Vertiefung vorgenommen worden, die Ursache für die
  89. Schäden am Haus der Kläger hätte werden können. Als Ursache kommt nach
  90. den Feststellungen des Landgerichts vielmehr ein fehlgeleiteter Druck in Betracht, der vom Haus der früheren Beklagten zu 5 und 6 ausgeht und mangels
  91. Gründung bis zur Kellersohle des Hauses der Kläger in deren Grundstück hinüberwirkt und ihm dadurch die Stütze entzieht. Ein solcher Vorgang ist, wovon
  92. das Berufungsgericht zutreffend ausgeht, einer Vertiefung im Sinne des § 909
  93. BGB gleichzusetzen (Senat, Urt. v. 5. März 1971, V ZR 168/68, NJW 1971, 935
  94. = LM BGB § 909 Nr. 12).
  95. An der Kausalität des Tatbeitrags der Beklagten zu 1 an diesem Vorgang besteht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein Zweifel. Sie
  96. hat eine Entwurfsplanung gefertigt, die Grundlage für die Bauanzeige war.
  97. Nach ihr wurde gebaut. Der Entwurf sah nicht die erforderliche tiefe Gründung,
  98. sondern Streifenfundamente oberhalb der Kellersohle vor. Daß diese Streifenfundamente nur an der dem Haus der Kläger abgewandten Seite eingezeichnet
  99. -6-
  100. waren, läßt die Kausalität entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
  101. nicht entfallen. Dies ändert nämlich nichts daran, daß die Planung die Frage
  102. der Gründung nicht aussparte, sie aber unzureichend beantwortete, indem sie
  103. nicht zum Ausdruck brachte, daß der Verzicht auf das Kellergeschoß nicht die
  104. Gründung bis zur Ebene der Kellersohle des Nachbarhauses entbehrlich
  105. machte.
  106. Daß die Pläne aus Sicht der Beklagten zu 1, wie das Berufungsgericht
  107. meint, nicht der Ausführung des Bauvorhabens dienten, läßt die Kausalität
  108. ebenfalls nicht entfallen. Es kommt nicht auf die Sicht der Beklagten zu 1 an,
  109. sondern auf die tatsächlichen Umstände. Danach waren die Pläne Grundlage
  110. nicht nur für das Genehmigungsverfahren bzw. die Bauanzeige, sondern auch
  111. für die Bauausführung. Dieser Sachzusammenhang liegt im Rahmen dessen,
  112. womit nach der Lebenserfahrung zu rechnen ist. Es fehlt daher nicht an der für
  113. die objektive Zurechnung notwendigen Adäquanz.
  114. 3. Das Verhalten der Beklagten zu 1 war objektiv pflichtwidrig und
  115. schuldhaft.
  116. Jeden der an einer Vertiefung Beteiligten trifft eine eigenverantwortliche
  117. Prüfungspflicht (Senat, Urt. v. 12. Juli 1996, V ZR 280/94, NJW 1996, 3204,
  118. 3205 m.w.N.). Diese Pflicht hat die Beklagte zu 1 verletzt. Soweit das Berufungsgericht darauf abstellt, daß die Beklagte zu 1 nur die Genehmigungsplanung erstellt habe, scheint dem die Auffassung zugrunde zu liegen, daß die
  119. Behandlung der Gründungsproblematik nicht zu dem von der Beklagten zu 1
  120. vertraglich geschuldeten Leistungsumfang gehört habe, so daß ihr ein pflichtwidriges Verhalten nicht angelastet werden könne. Diese Sicht ist verfehlt. Es
  121. -7-
  122. geht bei der Haftung nach §§ 823 Abs. 2, 909 BGB nicht um die Verletzung von
  123. Pflichten eines Vertrages, sondern um den Verstoß gegen das Gebot des neminem laedere. Es geht, mit anderen Worten, um allgemeine, gegenüber jedermann bestehende Verhaltenspflichten, die im vorliegenden Fall durch § 909
  124. BGB oder sonst vielfach durch allgemeine Verkehrssicherungspflichten bestimmt und konkretisiert werden. Solche Pflichten können gegenüber dem
  125. Grundstücksnachbarn auch dann verletzt sein, wenn vertragliche Pflichten gegenüber dem Bauherrn nicht verletzt sind. Die Pflicht, den Eigentümer eines
  126. Grundstücks nicht dadurch zu schädigen, daß diesem durch Vertiefung des
  127. Nachbargrundstücks die Stütze entzogen wird, besteht unabhängig davon, wie
  128. die Vertragspflichten des an der Vertiefung Beteiligten zu dem Eigentümer des
  129. vertieften Grundstücks ausgestaltet sind. Es ist also nicht entscheidend, ob die
  130. Beklagte zu 1 aufgrund ihres ihr von den früheren Beklagten zu 5 und 6 erteilten Auftrags auf die Gründung achten mußte, sondern es kommt - für die Frage
  131. der objektiven Pflichtwidrigkeit - darauf an, ob ein Architekt, der an einer Baumaßnahme mitwirkt, die Gefahren für das Nachbargrundstück mit sich bringt,
  132. diese Gefahren beachten und ihre Realisierung vermeiden muß.
  133. Gemessen daran war das Verhalten der Beklagten zu 1 objektiv pflichtwidrig. Einen Architekten, der an einer Baumaßnahme mitwirkt, die einen Verstoß gegen das Gebot des § 909 BGB befürchten läßt, trifft eine Prüfungspflicht, die - bei fehlender eigener ausreichender Sachkunde - zumindest dahin
  134. geht, auf die Problematik hinzuweisen und Fachleute zuzuziehen bzw. deren
  135. Zuziehung sicherzustellen (vgl. auch Senat, Urt. v. 26. Januar 1996, V ZR
  136. 264/94, WM 1996, 1093, 1095). Geschieht dies nicht und beläßt es der Architekt gleichwohl an seiner Mitwirkung an der Vertiefung, handelt er pflichtwidrig.
  137. So liegt es hier. Daß der Bau eines nicht unterkellerten Hauses unmittelbar
  138. -8-
  139. neben einem unterkellerten statische Probleme auslösen kann, liegt schon für
  140. den Laien nahe und mußte daher die Beklagte zu 1 als Architektin veranlassen, dem näher nachzugehen. Sie durfte sich nicht darauf beschränken, Entwurfspläne zu zeichnen, die diese Problematik ausklammerten bzw., durch das
  141. Vorsehen objektiv unzureichender Gründungsmaßnahmen, verharmlosten.
  142. Der ihr auch subjektiv zu machende Schuldvorwurf entfällt nicht deswegen, weil sie darauf vertraute, daß ein Statiker die notwendigen Berechnungen
  143. anstellen würde, um eine ausreichende Gründung zu gewährleisten. Der Vorwurf liegt gerade in der Sorglosigkeit, auf das Verhalten Dritter zu vertrauen,
  144. ohne sicherzustellen und den eigenen Tatbeitrag davon abhängig zu machen,
  145. daß die zur Vermeidung von Schäden für das Nachbargrundstück notwendigen
  146. Maßnahmen ergriffen werden. Es ist weder festgestellt noch vorgetragen, daß
  147. die Beklagte zu 1 irgendwelche Anstrengungen unternommen hat, um zu verhindern, daß ihre den Anforderungen an eine fachgerechte Gründung nicht
  148. genügenden Planzeichnungen der weiteren Bauausführung ohne die Prüfung
  149. eines Statikers zugrundegelegt wurden. Es ist nicht einmal festgestellt bzw.
  150. vorgetragen, daß sie deutlich gemacht hätte, daß die von ihr vorgesehene
  151. Gründung durch Streifenfundamente weit oberhalb der Kellersohle des Hauses
  152. der Kläger problematisch sein könnte und weitere Untersuchungen erforderlich
  153. machte.
  154. III.
  155. Das Berufungsgericht hat keine eigenen Feststellungen zu der Frage
  156. getroffen, ob die geltend gemachten Schäden auf eine auf der Genehmigungsplanung beruhenden mangelhaften Gründung zurückzuführen sind. Es ist dem
  157. -9-
  158. Urteil auch nicht zu entnehmen, daß es sich insoweit die im Wege der Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen des Landgerichts zu eigen gemacht hat.
  159. Aus seiner Sicht bestand hierfür auch kein Anlaß. Das angefochtene Urteil ist
  160. daher zum Zwecke der Nachholung entsprechender Feststellungen und ohnehin zur Klärung der Schadenshöhe an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
  161. Wenzel
  162. Krüger
  163. Gaier
  164. Klein
  165. Stresemann