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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. ___________
  4. StB 20/09
  5. vom
  6. 29. Oktober 2009
  7. in dem Ermittlungsverfahren
  8. gegen
  9. wegenMitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ("militante gruppe")
  10. hier: sofortige Beschwerde des Beschuldigten
  11. H.
  12. gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO
  13. -2-
  14. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Oktober 2009 gemäß
  15. § 101 Abs. 7 Satz 3, § 304 Abs. 5, § 311 StPO beschlossen:
  16. 1.
  17. Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten gegen den
  18. Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 27. März 2009 (1 BGs 71/2009) wird verworfen.
  19. 2.
  20. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
  21. Gründe:
  22. 1. Der Generalbundesanwalt führt seit September 2006 unter dem Ak-
  23. 1
  24. tenzeichen
  25. ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Mit-
  26. gliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ("militante gruppe") und anderer
  27. Straftaten. Das Verfahren richtete sich zunächst nur gegen den Beschwerdeführer sowie die Beschuldigten
  28. B.
  29. , D.
  30. und M.
  31. . Im April, Juni
  32. und Juli 2007 erstreckte der Generalbundesanwalt dieses Verfahren auf die
  33. Beschuldigten L.
  34. , R.
  35. und Ho.
  36. . Mit Verfügung vom 30. April 2008
  37. trennte der Generalbundesanwalt das Verfahren gegen die Beschuldigten R.
  38. L.
  39. und Ho.
  40. ,
  41. ab und erhob gegen sie unter dem 21. Juni 2008 An-
  42. klage zum 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin mit dem Vorwurf, als Mitglieder der "militanten gruppe" im Juli 2007 versucht zu haben, einen Brandanschlag auf Fahrzeuge der Bundeswehr zu verüben. Am 18. Oktober 2009 verurteilte das Kammergericht die früheren Mitbeschuldigten des Beschwerdeführers
  43. -3-
  44. wegen dieser Vorwürfe (nicht rechtskräftig) zu Freiheitsstrafen. Das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer ist noch nicht abgeschlossen.
  45. 2
  46. Im Verlauf des Ermittlungsverfahrens ordnete der Ermittlungsrichter des
  47. Bundesgerichtshofs im Zeitraum zwischen Oktober 2006 und August 2007 auf
  48. Antrag des Generalbundesanwalts durch 20 Beschlüsse verdeckte Ermittlungsmaßnahmen u. a. nach §§ 100 a, 100 f und 163 f StPO an. Diese wurden
  49. fast ausnahmslos vollzogen und endeten überwiegend spätestens Ende August
  50. 2007, in Einzelfällen im September bzw. November 2007. In der Mehrzahl dieser Fälle war der Beschwerdeführer Zielperson dieser Maßnahmen, zum Teil
  51. war er von ihnen mittelbar betroffen.
  52. 3
  53. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2008 hat der Generalbundesanwalt
  54. den Beschwerdeführer von der Anordnung und der Durchführung dieser Ermittlungsmaßnahmen gemäß § 101 Abs. 4 Satz 1 StPO unterrichtet und ihn dahin
  55. belehrt, dass ein Antrag auf Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit gegebenenfalls
  56. an das Kammergericht Berlin zu richten sei. Mit inhaltsgleichen Schriftsätzen
  57. hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers daraufhin fristgerecht am 6. Januar 2009 sowohl beim Kammergericht als auch beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO beantragt, die Rechtmäßigkeit dieser Anordnungen sowie der Art und Weise ihres
  58. Vollzugs zu überprüfen. Das Kammergericht hat über den Antrag des Beschwerdeführers bislang nicht entschieden. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat hingegen mit Beschluss vom 27. März 2009 den bei ihm angebrachten Antrag als unzulässig verworfen, da er zur Entscheidung über diesen
  59. Antrag nicht (mehr) zuständig sei. Gegen diesen Beschluss wendet sich der
  60. Beschwerdeführer mit seiner sofortigen Beschwerde.
  61. -4-
  62. 4
  63. 2. Die gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde
  64. ist zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt.
  65. 5
  66. Sie ist jedoch unbegründet. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat den Antrag des Beschwerdeführers auf nachträglichen Rechtsschutz
  67. gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO zu Recht als unzulässig verworfen, da er für
  68. dessen Bescheidung nicht (mehr) zuständig war. Mit der Anklageerhebung gegen die früheren Mitbeschuldigten des Beschwerdeführers war die Entscheidungsbefugnis vielmehr gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO auf das Kammergericht übergegangen. Eine Abgabe des Verfahrens an dieses Gericht kam nicht
  69. in Betracht, da ein identisches Verfahren dort schon anhängig war. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat daher zutreffend die doppelte Anhängigkeit der Sache zum einen beim zuständigen Kammergericht und zum anderen beim unzuständigen Bundesgerichtshof dadurch beendet, dass er den beim
  70. unzuständigen Gericht angebrachten Antrag verworfen hat.
  71. 6
  72. § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO enthält für Verfahren auf nachträglichen
  73. Rechtsschutz eine Sonderregelung zur Zuständigkeit, wonach über entsprechende Anträge nach Anklageerhebung das mit der Sache befasste Gericht in
  74. der das Verfahren abschließenden Entscheidung zu befinden hat. Diese Zuständigkeitsregelung ist - entgegen ihrem Wortlaut - indes nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Angeklagte selbst um nachträglichen Rechtsschutz nach
  75. § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO nachsucht (BTDrucks. 16/5846 S. 63; BGHSt 53,
  76. 1 ff.). Die Prüfung der Frage, ob die Erhebung einer Anklage dazu führt, dass
  77. über Anträge im nachträglichen Rechtsschutzverfahren gegen Anordnungen
  78. heimlicher Ermittlungsmaßnahmen und die Art und Weise ihres Vollzugs nicht
  79. mehr der Ermittlungsrichter nach § 101 Abs. 7 Satz 1 StPO entscheidet, sondern gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO das Gericht, bei dem Anklage erhoben
  80. -5-
  81. worden ist, hat sich nach dem Willen des Gesetzgebers vielmehr daran zu orientieren, ob bei Fortdauer der Zuständigkeit des Ermittlungsrichters die Gefahr
  82. besteht, dass von dem Anordnungs- und Beschwerdegericht einerseits und
  83. dem erkennenden bzw. Rechtsmittelgericht andererseits divergierende Entscheidungen zur Frage der Rechtmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme getroffen werden. Dieser Gefahr soll durch die in § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO geregelte Zuständigkeitskonzentration beim erkennenden Gericht begegnet werden
  84. (BTDrucks. aaO; BGHSt aaO; BGH NStZ 2009, 399, 400).
  85. 7
  86. Dies zugrunde gelegt, sind abweichende Entscheidungen des Anordnungsrichters und des erkennenden Gerichts über die Rechtmäßigkeit heimlicher Ermittlungsmaßnahmen stets dann zu befürchten, wenn im Wege des
  87. nachträglichen Rechtsschutzes eine Maßnahme angefochten wird, die in dem
  88. (Ermittlungs-)Verfahren ergangen ist, in welchem Anklage erhoben worden ist.
  89. Denn es ist regelmäßig nicht auszuschließen, dass Erkenntnisse aus einer im
  90. nämlichen Verfahren angeordneten Ermittlungsmaßnahme auch für das Urteil
  91. Beweisbedeutung erlangen und das erkennende Gericht deshalb - etwa als
  92. Vorfrage im Rahmen der Prüfung eines eventuellen Verwertungsverbots - inzident auch zur Rechtmäßigkeit der Anordnung und deren Vollziehung Stellung
  93. beziehen muss (BGHSt aaO). Zur Vermeidung divergierender Entscheidungen
  94. zu dieser Rechtsfrage und mit Blick auf eine effiziente Verfahrensführung tritt
  95. für Anträge im nachträglichen Rechtsschutzverfahren daher jedenfalls dann ein
  96. Zuständigkeitsübergang gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO auf das erkennende
  97. Gericht ein, wenn sich bei formaler Betrachtung das Rechtsschutzbegehren
  98. nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO gegen eine Maßnahme richtet, die in dem zur
  99. Anklage führenden Verfahren angeordnet worden ist (BTDrucks. aaO).
  100. -6-
  101. 8
  102. Für die Zuständigkeitsbestimmung ist in diesen Fällen nach dem Willen
  103. des Gesetzgebers folglich ohne Bedeutung, ob der Angeklagte oder eine andere von der Maßnahme betroffene Person auf nachträglichen Rechtsschutz nach
  104. § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO anträgt (BTDrucks. aaO). Die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO ist deshalb auch dann
  105. gegeben, wenn die nachträgliche Überprüfung einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme von einem sog. Drittbetroffenen begehrt wird, der - ohne Angeklagter oder Beschuldigter zu sein - von der Maßnahme mittelbar betroffen worden
  106. ist (BGHSt aaO m. w. N.).
  107. 9
  108. Nichts anderes gilt, wenn - wie hier - ein Ermittlungsverfahren zunächst
  109. gegen mehrere Personen geführt, Anklage aber nicht gegen alle Beschuldigte
  110. erhoben wird, und sich ein nicht angeklagter Beschuldigter als Antragsteller im
  111. Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO gegen heimliche Ermittlungsmaßnahmen wendet, die in dem ursprünglich gemeinsam geführten Ermittlungsverfahren angeordnet worden sind. Die für die Zuständigkeitsbestimmung nach
  112. § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO maßgebliche Gefahr divergierender Entscheidungen
  113. zur Frage der Rechtmäßigkeit der Anordnung und des Vollzugs der angefochtenen Ermittlungsmaßnahmen besteht auch bei dieser Konstellation. Denn das
  114. Gericht, bei dem gegen die Mitbeschuldigten Anklage erhoben worden ist, wird
  115. mit dem gesamten Verfahrensstoff befasst, der in dem - ursprünglich auch gegen weitere Beschuldigte - geführten Ermittlungsverfahren angefallen ist. Soweit ein nicht angeklagter Mitbeschuldigter auf nachträgliche Überprüfung einer
  116. im nämlichen Ermittlungsverfahren ergangenen verdeckten Ermittlungsmaßnahme nachsucht, wendet er sich daher - unbeschadet der Verfahrenstrennung - gegen eine Anordnung, die (auch) Gegenstand des angeklagten Verfahrens geworden ist und deshalb von dem für dieses Verfahren zuständigen Gericht einer Rechtmäßigkeitsüberprüfung unterzogen werden kann.
  117. -7-
  118. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das Kammergericht mit Ankla-
  119. 10
  120. geerhebung (auch) mit den vom Beschwerdeführer angefochtenen Ermittlungsmaßnahmen im Sinne des § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO befasst worden und
  121. damit für die Entscheidung des Antrags des Beschwerdeführers nach § 101
  122. Abs. 7 Satz 2 StPO zuständig geworden ist. Denn sämtliche Maßnahmen wurden vor Abtrennung des Ermittlungsverfahrens gegen die Mitbeschuldigten
  123. L.
  124. , R.
  125. und Ho.
  126. angeordnet und vollzogen. Sie sind deshalb
  127. (auch) im angeklagten Verfahren ergangen und damit Gegenstand des vor dem
  128. Kammergericht geführten Strafverfahrens geworden.
  129. 11
  130. Die Zuständigkeit des Kammergerichts ist nicht nachträglich wieder entfallen. Zwar hat das Kammergericht entgegen der Regelung des § 101 Abs. 7
  131. Satz 4 StPO nicht zugleich mit dem in dem Strafverfahren gegen die früheren
  132. Mitbeschuldigten ergangenen Urteil über den Antrag des Beschwerdeführers im
  133. nachträglichen Rechtsschutzverfahren entschieden. Dies beseitigt jedoch nicht
  134. die Anhängigkeit des vom Beschwerdeführer vor Erlass des Urteils beim Kammergericht angebrachten Antrags. Denn das Strafverfahren und das beim selben Gericht anhängige Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO sind nicht in
  135. der Weise untrennbar miteinander verknüpft, dass in beiden Verfahren nur eine
  136. einheitliche Entscheidung getroffen werden kann. Vielmehr ergeht die Entscheidung im nachträglichen Rechtsschutzverfahren auch dann im Beschlusswege,
  137. wenn sie vom erkennenden Gericht zu treffen ist. Sie ist deshalb auch bei einheitlicher Entscheidung nicht mit der Berufung oder Revision, sondern nur mit
  138. der sofortigen Beschwerde gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO anfechtbar (BGH
  139. NJW 2009, 3177, 3178). Hieraus folgt jedoch, dass eine Entscheidung über
  140. einen Antrag auf nachträgliche Überprüfung einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme vom erkennenden Gericht grundsätzlich nachgeholt werden kann und -
  141. -8-
  142. jedenfalls bei nicht angeklagten Antragstellern - nicht notwendigerweise zeitgleich mit der das Strafverfahren beendenden Entscheidung ergehen muss (vgl.
  143. Nack in KK 6. Aufl. § 101 Rdn. 37).
  144. 12
  145. Das Kammergericht wird deshalb eine Entscheidung über den bei ihm
  146. anhängigen Antrag des Beschwerdeführers herbeizuführen haben.
  147. Becker
  148. Sost-Scheible
  149. Hubert