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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. KVR 23/98
  4. vom
  5. 19. Juni 2007
  6. in der Kartellverwaltungssache
  7. -2-
  8. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juni 2007 durch den Präsidenten
  9. des
  10. Bundesgerichtshofs
  11. Prof.
  12. Dr. Hirsch,
  13. den
  14. Vorsitzenden
  15. Richter
  16. Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Dr. Raum, Prof. Dr. Meier-Beck und Dr. Kirchhoff
  17. beschlossen:
  18. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
  19. Der Wert des Verfahrensgegenstandes beträgt bis zur übereinstimmenden Erklärung der Erledigung in der Hauptsache 511.291,88 €. Danach beträgt der Gegenstandswert 36.420,60 €.
  20. Gründe:
  21. 1
  22. I. Das betroffene Land Berlin fordert u.a. im Rahmen der Vergabe von Straßenbauaufträgen eine so genannte Tariftreueerklärung, mit der sich die Bieter für
  23. den Fall der Auftragsvergabe verpflichten, ihre zur Erledigung des Auftrags eingesetzten Mitarbeiter nicht unter den jeweils geltenden Berliner Lohntarifen zu entlohnen. Diese Übung ging zunächst auf ein entsprechendes Rundschreiben der
  24. Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen zurück.
  25. 2
  26. Diese Maßnahme des betroffenen Landes richtete sich in erster Linie gegen
  27. tarifvertraglich nicht gebundene Bieter mit Sitz in Berlin oder in den neuen Bundesländern, für die aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags
  28. für das Bauhauptgewerbe ein Mindestlohn von 16 DM (West) oder 15,14 DM (Ost)
  29. -3-
  30. galt; dieser Mindestlohn war nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz auch für ausländische Arbeitgeber maßgeblich. Die Berliner Tariflöhne lagen deutlich höher,
  31. der Ecklohn für einen Facharbeiter etwa bei 25,26 DM.
  32. 3
  33. Das Bundeskartellamt hat diese Maßnahme mit der Begründung beanstandet, bei der Vergabe von Straßenbauaufträgen verstoße die beschriebene Übung
  34. gegen das Diskriminierungs- und Behinderungsverbot nach § 26 Abs. 2 Satz 1
  35. GWB a.F. (jetzt § 20 Abs. 1 GWB) sowie gegen das Preisbindungsverbot nach
  36. § 15 GWB a.F., und es dem betroffenen Land untersagt, Straßenbauaufträge nur
  37. an Unternehmen zu vergeben, die eine solche Erklärung abgegeben haben, die
  38. Erklärung bei Vergabe derartiger Aufträge zum Vertragsbestandteil zu machen
  39. und Auftragnehmer bei einem Verstoß von der Vergabe öffentlicher Aufträge auszuschließen. Ferner hat das Bundeskartellamt dem betroffenen Land verboten,
  40. das in Rede stehende Rundschreiben in Bezug auf Straßenbauarbeiten in Kraft zu
  41. lassen, seine Adressaten über die Außerkraftsetzung in Unkenntnis zu halten und
  42. mit neuen Rundschreiben vergleichbaren Inhalts oder auf sonstige Weise auf die
  43. Bezirke mit dem Ziel einzuwirken, das untersagte Verhalten durchzusetzen
  44. (BKartA WuW/E Verg 7). Die gegen diese Untersagungsverfügung gerichtete Beschwerde des betroffenen Landes hat das Kammergericht zurückgewiesen (KG
  45. WuW/E Verg 111).
  46. 4
  47. Hiergegen hatte sich die (zugelassene) Rechtsbeschwerde gerichtet, mit der
  48. das betroffene Land seinen Antrag auf Aufhebung der Untersagungsverfügung
  49. weiterverfolgt hat. Das Bundeskartellamt war der Rechtsbeschwerde entgegengetreten.
  50. 5
  51. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist das Berliner Vergabegesetz
  52. (VgG Bln) vom 9. Juli 1999 (GVBl. S. 369) in Kraft getreten. § 1 dieses Gesetzes
  53. schreibt den Vergabestellen die Forderung einer Tariftreueerklärung vor, ohne da-
  54. -4-
  55. nach zu unterscheiden, ob das Land als Nachfrager von Bauleistungen eine
  56. marktbeherrschende Stellung innehat und deswegen Normadressat des § 20
  57. Abs. 1 GWB ist.
  58. 6
  59. Mit Beschluss vom 18. Januar 2000 (WuW/E Verg 297 – Tariftreueerklärung II) hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und die Sache gemäß Art. 100
  60. Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über
  61. die Frage vorgelegt, ob § 1 Abs. 1 Satz 2 des Berliner Vergabegesetzes vom
  62. 9. Juli 1999 mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, mit Art. 31 GG – i.V. mit § 5 TVG und
  63. i.V. mit § 20 Abs. 1 GWB – sowie mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage mit Beschluss vom 11. Juli 2006 (WuW/E
  64. Verg 1273) bejaht. Daraufhin hat das Bundeskartellamt erklärt, dass es aus der
  65. streitgegenständlichen Verfügung keine Rechte mehr herleite. Beide Beteiligten
  66. haben das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt.
  67. 7
  68. II. Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen hat der Senat
  69. nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden, und zwar hinsichtlich
  70. beider gerichtlicher Instanzen; denn der Beschluss des Kammergerichts ist im
  71. Umfang der Hauptsacheerledigung auch im Kostenpunkt unwirksam geworden
  72. (BGH, Beschl. v. 29.10.1985 – KVR 4/83, WuW/E 2207, 2208 – Lufthansa/f.i.r.s.t.
  73. Reisebüro).
  74. 8
  75. Nach § 78 GWB i.V. mit § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, § 91a Abs. 1 Satz 1
  76. ZPO ist über die Kosten des in der Hauptsache für erledigt erklärten Kartellverwaltungsprozesses nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen
  77. Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Dabei genügt eine summarische Prüfung
  78. der Erfolgsaussicht in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (BGH WuW/E 2207,
  79. -5-
  80. 2208 – Lufthansa/f.i.r.s.t. Reisebüro; BGH, Beschl. v. 16.11.1999 – KVR 10/98,
  81. WuW/E DE-R 420, 421 – Erledigte Beschwerde; Beschl. v. 31.5.2006 – KVR 1/05,
  82. WuW/E DE-R 1783, 1785 – Call-Option).
  83. 9
  84. Danach sind die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben, ohne
  85. dass abschließend darüber zu entscheiden ist, ob das betroffene Land ohne das
  86. Inkrafttreten des Berliner Vergabegesetzes voraussichtlich unterlegen wäre.
  87. 10
  88. 1. Das Bundeskartellamt hat sich durch die Erklärung, aus der angegriffenen
  89. Untersagungsverfügung keine Rechte mehr herleiten zu wollen, schon deswegen
  90. nicht freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben, weil es damit einer nachträglichen Gesetzesänderung Rechnung getragen hat (vgl. BVerwG, Beschl. v.
  91. 10.12.1993 – I B 133/92, juris Tz. 3). Für die unter Billigkeitsgesichtspunkten zu
  92. treffende Kostenentscheidung kommt es in einem solchen Fall darauf an, wie der
  93. Rechtsstreit ohne die Gesetzesänderung voraussichtlich entschieden worden wäre (vgl. Bracher in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, § 78 GWB 1999
  94. Rdn. 21; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 161 Rdn. 91).
  95. 11
  96. Allerdings kann es gerechtfertigt sein, der Behörde die Mehrkosten aufzuerlegen, wenn sie die Erklärung, aus der Untersagungsverfügung keine Rechte
  97. mehr herleiten zu wollen, nicht unmittelbar nach der Gesetzesänderung, sondern
  98. erst zu einem späteren Zeitpunkt abgibt (vgl. BVerwG NVwZ 1989, 47, 48; zu
  99. § 91a ZPO: OLG Koblenz, Beschl. v. 28.3.1996 – 5 U 819/95, juris; OLG Rostock,
  100. NJOZ 2006, 2563; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 91a Rdn. 25). Diese Einschränkung findet aber dann keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der zu treffenden Kostenentscheidung offen ist, ob das Gesetz, das der angegriffenen Verfügung die Grundlage entzogen hat, mit vorrangigem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Wie der Senatsentscheidung vom 18. Januar 2000 unter B I 4 zu entnehmen ist (BGH WuW/E Verg 297, 306 f.; vgl. ferner BVerfG WuW/E Verg 1273,
  101. -6-
  102. 1274; Vorlagebeschluss des OLG Celle v. 3.8.2006 – WuW/E Verg 1261), stehen
  103. im Streitfall derartige Bedenken im Raum, die ein Vorabentscheidungsersuchen
  104. nach Art. 234 EG erforderlich gemacht hätten. Unter diesen Umständen gereicht
  105. es dem Bundeskartellamt nicht von vornherein zum Nachteil, dass es die Erklärung, aus der Untersagungsverfügung keine Rechte mehr herleiten zu wollen,
  106. nicht unmittelbar nach Inkrafttreten des Berliner Vergabegesetzes abgegeben hat.
  107. 12
  108. 2. Die vom betroffenen Land aufgeworfene Frage nach der Unternehmenseigenschaft des Landes kann im summarischen Verfahren nicht abschließend geklärt werden. Im Vorlagebeschluss vom 18. Januar 2000 (WuW/E Verg 297 – Tariftreueerklärung II) ist der Senat von der Unternehmenseigenschaft des Landes
  109. als selbstverständlich ausgegangen. Grundlage hierfür war die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die öffentliche Hand als Unternehmen im Sinne der Bestimmungen des deutschen Kartellrechts tätig wird, wenn sie
  110. im Rahmen der Beschaffung Waren oder Leistungen nachfragt und sich dabei der
  111. Formen des Privatrechts bedient. Auf die Frage, ob die mit den Mitteln des Privatrechts beschafften Waren oder Dienstleistungen im Rahmen einer hoheitlichen
  112. Tätigkeit der öffentlichen Hand verwendet werden sollen, kommt es dabei nicht an
  113. (BGHZ 36, 91, 103 – Gummistrümpfe; BGH, Urt. v. 12.3.1991 – KZR 26/89,
  114. WuW/E 2707, 2714 – Krankentransportunternehmen II; Urt. v. 22.3.1994
  115. – KZR 3/93, WuW/E 2919, 2921 – orthopädisches Schuhwerk; Urt. v. 11.12.2001
  116. – KZR 5/00, WuW/E DE-R 839, 841 – Privater Pflegedienst; Urt. v. 24.6.2003
  117. – KZR 32/01, WuW/E DE-R 1144, 1145 – Schülertransporte). Demgegenüber haben das Gericht erster Instanz und der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Übereinstimmung mit der Europäischen Kommission in den in der
  118. Rechtssache FENIN ergangenen Entscheidungen für das europäische Kartellrecht
  119. angenommen, dass der nichtwirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung
  120. des erworbenen Erzeugnisses den Charakter der Einkaufstätigkeit bestimmt (EuG,
  121. Urt. v. 4.3.2003 – T-319/99, Slg. 2003, II-357 Tz. 36 ff. = WuW/E EU-R 688;
  122. -7-
  123. EuGH, Urt. v. 11.7.2006, C-205/03, Slg. 2006, I-6295 Tz. 26 = WuW/E EU-R
  124. 1213). Die Frage, ob aufgrund dieser Entscheidungen Anlass besteht, die gefestigte Rechtsprechung zum Unternehmensbegriff im deutschen Recht einer Überprüfung zu unterziehen, kann im summarischen Verfahren nicht beantwortet werden.
  125. 13
  126. 3. Unter diesen Umständen entspricht es im Hinblick auf den ungewissen
  127. Ausgang, den das Verfahren ohne die Regelung im Berliner Vergabegesetz genommen hätte, billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben.
  128. Hirsch
  129. Bornkamm
  130. Meier-Beck
  131. Vorinstanz:
  132. KG Berlin, Entscheidung vom 20.05.1998 - Kart 24/97 -
  133. Raum
  134. Kirchhoff