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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 8/10
  5. Verkündet am:
  6. 20. Januar 2011
  7. Preuß
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
  19. Die Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung kann auch dann als inkongruente Deckung anfechtbar sein, wenn der Gläubiger unter Ankündigung der
  20. Zwangsvollstreckung zur umgehenden Leistung auffordert, ohne eine letzte konkrete
  21. Frist zu setzen (Ergänzung zu BGH, ZInsO 2003, 611).
  22. BGH, Urteil vom 20. Januar 2011 - IX ZR 8/10 - LG Chemnitz
  23. OLG Dresden
  24. - 2 -
  25. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 20. Januar 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den
  27. Richter Raebel, die Richter Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
  28. für Recht erkannt:
  29. Die Revision gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 2. Dezember 2009 wird auf Kosten des
  30. Beklagten zurückgewiesen.
  31. Von Rechts wegen
  32. Tatbestand:
  33. Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 7. März 2005 am
  34. 1
  35. 2. Mai 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der L.
  36. AG (fortan: Schuldnerin). Diese entrichtete am 10. Februar
  37. 2005 rückständige Steuern aus den Monaten November und Dezember 2004
  38. sowie Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 64.191 € an den beklagten
  39. Freistaat, nachdem die Finanzkasse sie mit Schreiben vom 2. Februar 2005 zur
  40. umgehenden Zahlung aufgefordert und zugleich Vollstreckungsmaßnahmen für
  41. den Fall angekündigt hatte, dass die Schuldnerin der Aufforderung nicht nachkam.
  42. 2
  43. Der Insolvenzverwalter nimmt den Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr der genannten Zahlung in Anspruch. Das Landgericht
  44. hat seine Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit
  45. - 3 -
  46. der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
  47. Entscheidungsgründe:
  48. 3
  49. Die Revision ist unbegründet.
  50. I.
  51. 4
  52. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe ein Rückgewähranspruch gemäß § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 143 Abs. 1 InsO zu.
  53. Die Schuldnerin habe dem Beklagten unter dem Druck der unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung eine inkongruente Deckung gewährt. Das unmissverständlich mit "Mahnung mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung" betitelte Schreiben vom 2. Februar 2005 sei von der Schuldnerin nur so zu verstehen gewesen, dass ihr damit eine letzte Gelegenheit zur Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung eingeräumt worden sei. Der
  54. Drohungsgehalt des Schreibens unterscheide sich nicht von demjenigen, das
  55. Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15. Mai 2003
  56. (IX ZR 194/02, ZInsO 2003, 611) gewesen sei. Mit der Aufforderung zur "umgehenden" Zahlung werde dem Schuldner die Dringlichkeit und Notwendigkeit einer Zahlung mindestens ebenso deutlich vor Augen geführt wie mit einer exakt
  57. bemessenen (Wochen-)Frist. Für die Annahme, dass die Finanzkasse ihr vor
  58. der Vollstreckung eine nochmalige Zahlungsfrist setzen würde, habe die
  59. Schuldnerin keinen Anlass gehabt. Auf die "freundliche" Formulierung des
  60. Schreibens komme es nicht an. Ob die Vollstreckung der Beklagten nach ihren
  61. internen, der Schuldnerin nicht bekannten, Abläufen tatsächlich alsbald möglich
  62. - 4 -
  63. und beabsichtigt gewesen sei, könne dahinstehen. Das Schreiben vom 2. Februar 2005 sei der Schuldnerin vor der Zahlung vom 10. Februar 2005 zugegangen, dies folge schon aus der Mitüberweisung der darin festgesetzten Säumniszuschläge.
  64. II.
  65. 5
  66. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand. Der Beklagte hat innerhalb der Monatsfrist des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine inkongruente Befriedigung erlangt. Das Berufungsgericht hat dem Kläger daher mit
  67. Recht einen Anspruch aus § 143 Abs. 1 InsO auf Rückgewähr des am 10. Februar 2005 gezahlten Betrages zuerkannt.
  68. 6
  69. 1. Seit der Entscheidung vom 9. September 1997 (IX ZR 14/97, BGHZ
  70. 136, 309, 311 ff) hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angenommen, dass eine inkongruente Deckung im Sinne des Anfechtungsrechts
  71. auch dann vorliegt, wenn der Schuldner in der Krise zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung geleistet hat (vgl. BGH, Urteil
  72. vom 20. November 2001 - IX ZR 159/00, ZIP 2002, 228, 229; vom 11. April
  73. 2002 - IX ZR 211/01, WM 2002, 1193, 1194; vom 26. September 2002 - IX ZR
  74. 66/99, WM 2003, 59, 60; vom 15. Mai 2003 - IX ZR 194/02, ZInsO 2003, 611,
  75. 612; vom 18. Dezember 2003 - IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242, 248; vom 7. Dezember 2006 - IX ZR 157/05, ZIP 2007, 136 Rn. 8). Hierzu gehört auch der hier
  76. zu entscheidende Fall.
  77. - 5 -
  78. a) Für die Beurteilung der Anfechtbarkeit ist es nicht wesentlich, ob die
  79. 7
  80. Zwangsvollstreckung im formalrechtlichen Sinne schon begonnen hat. Eine Befriedigung oder Sicherung ist auch inkongruent, wenn sie unter dem Druck unmittelbar bevorstehender Zwangsvollstreckung gewährt wurde (vgl. BGH, Urteil
  81. vom 15. Mai 2003, aaO S. 612; vom 18. Dezember 2003, aaO; vom
  82. 7. Dezember 2006, aaO Rn. 8). Der Schuldner leistet nach der Rechtsprechung
  83. des Bundesgerichtshofs regelmäßig unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangvollstreckung, wenn der Gläubiger zum Ausdruck gebracht hat, dass
  84. er alsbald die Mittel der Vollstreckung einsetzen werde, sofern der Schuldner
  85. die Forderung nicht erfülle (BGH, Urteil vom 11. April 2002, aaO). Ob der
  86. Schuldner aufgrund eines unmittelbaren Vollstreckungsdrucks geleistet hat, beurteilt sich aus seiner objektivierten Sicht (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2006,
  87. aaO Rn. 8).
  88. b) Ein die Inkongruenz begründender Druck einer unmittelbar bevorste-
  89. 8
  90. henden Zwangsvollstreckung besteht noch nicht, wenn der Schuldner nach Zustellung eines Vollstreckungsbescheides die titulierte Forderung erfüllt, ohne
  91. dass der Gläubiger die Zwangsvollstreckung zuvor eingeleitet oder angedroht
  92. hat (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2006 - IX ZR 157/05, aaO Rn. 10 ff). Dort
  93. war noch nicht davon auszugehen, dass der Zustellung die Zwangsvollstreckung auf dem Fuße folgt. Der Vollstreckungsbescheid enthält noch keine Vollstreckungsandrohung, letzte Zahlungsfrist oder Zahlungsaufforderung, durch
  94. die eine entsprechende Erwartungshaltung des Schuldners erzeugt werden
  95. kann.
  96. 9
  97. c) Das Berufungsgericht ist zutreffend von einer Situation ausgegangen,
  98. die nach der Rechtsprechung des Senats als inkongruente Deckung zu beurteilen ist. Das formularmäßige Schreiben des Beklagten vom 2. Februar 2005 war
  99. - 6 -
  100. mit "Mahnung mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung" überschrieben. Es
  101. enthielt einen Hinweis auf die Fälligkeit der aufgeführten Beträge. Danach folgte
  102. die Aufforderung, den rückständigen Gesamtbetrag umgehend zu bezahlen.
  103. Sodann lautet der Text wie folgt:
  104. "Falls Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, müssen Sie mit der
  105. Durchführung kostenpflichtiger Vollstreckungsmaßnahmen rechnen, z.B.
  106. der Pfändung von Sachen, ihres Arbeitseinkommens, ihren Forderungen
  107. gegenüber Kreditinstituten und anderen Schuldnern oder gegebenenfalls
  108. der Vollstreckung in ihr unbewegliches Vermögen (Grundstücke usw.)."
  109. 10
  110. Das der Entscheidung vom 15. Mai 2003 (aaO) zugrunde liegende Schreiben
  111. war von der Finanzkasse ebenfalls automatisch versandt worden. Es enthielt
  112. die Aufforderung, rückständige Steuern und Säumniszuschläge innerhalb einer
  113. Woche zu zahlen, verbunden mit der Ankündigung, nach Ablauf der Frist zu
  114. vollstrecken. Das Berufungsgericht hat das Schreiben vom 2. Februar 2005 zutreffend als ausreichend angesehen, den für eine inkongruente Deckung erforderlichen Vollstreckungsdruck auszulösen. Soweit das Oberlandesgericht
  115. Hamm in einem vom Beklagten vorgelegten Urteil vom 25. Februar 2010 (27 U
  116. 117/09) meint, anhand eines solchen Schreibens könne noch nicht festgestellt
  117. werden, dass eine Vollstreckung der Steuern unmittelbar bevorstehe, vielmehr
  118. handele es sich um eine typische erste Mahnung, mit der der Schuldner an die
  119. Zahlung erinnert werde, ist dies unrichtig. Ergibt sich - wie hier - aus dem
  120. Schreiben mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung, dass der Schuldner nur
  121. wenige Tage Zeit hat, um die bereits angekündigte Zwangsvollstreckung durch
  122. Zahlung abzuwenden, wird der Vollstreckungsdruck erzeugt, durch dessen Inkongruenz in § 131 InsO eingreift. Auf die Verwendung einer nach Tagen bemessenen Frist kommt es dabei nicht an. Wird eine Wochenfrist noch weiter
  123. verkürzt, indem - etwa durch Benutzung des Wortes "umgehend" - zum Aus-
  124. - 7 -
  125. druck gebracht wird, dass der Schuldner nur die Wahl hat, sofort zu zahlen
  126. oder die Zwangsvollstreckung in Kauf zu nehmen, reicht dies erst recht aus, um
  127. eine Drucksituation zu schaffen, die zur Inkongruenz führen kann. Aus der
  128. maßgeblichen Sicht des Schuldners, der die internen Verwaltungsvorgänge des
  129. Gläubigers nicht kennt, wird auch in einem solchen Fall der Eindruck hervorgerufen, die Zwangsvollstreckung stehe unmittelbar bevor. Einen bloßen unverbindlichen Hinweis auf die theoretisch möglichen Folgen der Nichtzahlung enthält ein solches Schreiben nicht. Durch die Verknüpfung der Aufforderung,
  130. "umgehend" die rückständigen Steuern zu entrichten, mit der Ankündigung,
  131. kostenpflichtige Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen, falls keine Zahlung
  132. erfolgt, muss der Schuldner damit rechnen, dass die Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorsteht, wenn er nicht auf der Stelle bezahlt. Auch wenn das
  133. Schreiben keine konkrete Fristsetzung enthält, kann er nicht davon ausgehen,
  134. dass es zunächst weitere Mahnungen oder Vollstreckungsandrohungen gibt,
  135. bevor eine Zwangsvollstreckung tatsächlich stattfindet. Hierfür gab es vorliegend in dem Schreiben, das auch insofern auf die Situation der Schuldnerin
  136. zugeschnitten war, als schon auf eine mögliche Haftung des gesetzlichen Vertreters aus § 69 AO hingewiesen wurde, keine Anhaltspunkte. Aus objektiver
  137. Sicht war für einen mit den Verwaltungsvorgängen nicht vertrauten Dritten zunächst zu erwarten, dass es nicht folgenlos bleiben würde, wenn er die Aufforderung zur umgehenden Zahlung ignorierte. Zu rechnen war vielmehr mit der
  138. Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen innerhalb kürzester Zeit.
  139. 11
  140. Der bloße Verzicht auf die Angabe einer konkreten Zahlungsfrist und deren Ersetzung durch das nach allgemeinem Sprachverständnis auf eine sofortige oder augenblickliche Zahlung gerichtete Wort "umgehend" schafft keine Situation, die sich von derjenigen, in der eine nach wenigen Tagen bemessene
  141. Frist gesetzt wird, nennenswert unterscheidet. Auch bei der Verknüpfung der
  142. Aufforderung zu einer umgehenden Zahlung mit der Ankündigung der Vollstre-
  143. - 8 -
  144. ckung wird eine Drucksitution geschaffen, in der ein Schuldner im Fall der
  145. Nichtzahlung mit einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung rechnen muss.
  146. 12
  147. Die hier vorliegende "Mahnung mit Ankündigung von Zwangsvollstreckung" geht über ein erstes Mahnschreiben, das keine Inkongruenz bewirken
  148. kann, deutlich hinaus. Typisch für eine erste Mahnung ist, dass bisher gar kein
  149. Zahlungstitel existiert, jedenfalls aber eine Zwangsvollstreckung noch nicht absehbar ist. Dass eine erste Mahnung unter dem Blickwinkel eines inkongruenten Vollstreckungsdrucks nicht einer Mahnung mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung gleichsteht, liegt auf der Hand. Durch die Ankündigung der
  150. Zwangsvollstreckung wird beim Empfänger die Erwartung hervorgerufen, dass
  151. diese auch umgehend stattfindet, wenn er nicht zahlt. Dass der Absender sich
  152. anders entschließt und zunächst weitere Mahnungen folgen lässt, die einen
  153. Rückschritt gegenüber dem bereits erzeugten Zahlungsdruck bedeuten würden,
  154. ist dagegen nicht zu erwarten. Unter den gegebenen Umständen kann der Hinweis auf die unterschiedlichen Vollstreckungsmöglichkeiten auch nicht als bloße
  155. Erläuterung der Vollstreckungsarten verstanden werden. Aufgrund der Ankündigung der Vollstreckung im Fall der Nichtzahlung musste der Empfänger damit
  156. rechnen, der Absender werde sämtliche Vollstreckungsmöglichkeiten einsetzen,
  157. soweit das Vermögen des Schuldners dafür eine Grundlage bot. Deshalb war
  158. auch nicht zu erwarten, dass nach der bereits erfolgten Ankündigung der
  159. Zwangsvollstreckung die Androhung bestimmter einzelner Vollstreckungsmaßnahmen vor ihrer Anordnung nachfolgte. Jedenfalls konnte der unbefangene
  160. Empfänger
  161. des
  162. Schreibens
  163. nach
  164. seinem
  165. Inhalt
  166. nicht
  167. darauf
  168. schließen, dass es sich nur um eine verschärfte Zahlungsaufforderung ohne
  169. ernsthafte Vollstreckungsabsichten des Versenders gehandelt haben könnte.
  170. - 9 -
  171. 13
  172. d) Eine Ausuferung der durch Vollstreckungsdruck herbeigeführten Inkongruenz ist damit nicht zu befürchten. Diese Gefahr ist entgegen der Auffassung der Revision auch im Hinblick auf die Anwendung des § 133 Abs. 1 InsO
  173. nicht gegeben. Ist eine entsprechende Ankündigung außerhalb des DreiMonats-Zeitraums ergangen, so führt eine daraufhin erfolgte Zahlung nicht zur
  174. Inkongruenz (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75,
  175. 83 f; vom 18. Dezember 2003, aaO S. 254 f; Beschluss vom 18. Juni 2009 - IX
  176. ZR 7/07, ZIP 2009, 1434 Rn. 6).
  177. 14
  178. 2. Die weiteren Voraussetzungen für die Anwendung des § 131 Abs. 1
  179. Nr. 1 InsO liegen vor. Soweit der Beklagte im Revisionsverfahren weiterhin in
  180. Abrede stellt, dass die Zahlung der Schuldnerin unter dem Druck des Schreibens vom 2. Februar 2005 erfolgt ist, wendet er sich gegen die anders lauten-
  181. - 10 -
  182. den tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts. Durchgreifende Verfahrensrügen erhebt die Revision insoweit nicht.
  183. Kayser
  184. Raebel
  185. Grupp
  186. Pape
  187. Möhring
  188. Vorinstanzen:
  189. LG Chemnitz, Entscheidung vom 31.07.2009 - 4 O 2245/08 OLG Dresden, Entscheidung vom 02.12.2009 - 13 U 1279/09 -