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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 116/03
  5. Verkündet am:
  6. 23. März 2006
  7. Preuß
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. ja
  16. BGHR:
  17. ja
  18. ZPO § 845; InsO § 131
  19. Wird die Vorpfändung früher als drei Monate vor Eingang des Insolvenzantrags ausgebracht, fällt die Hauptpfändung dagegen in den von § 131 InsO erfassten Bereich,
  20. richtet sich die Anfechtung insgesamt nach der Vorschrift des § 131 InsO.
  21. BGH, Urteil vom 23. März 2006 - IX ZR 116/03 - OLG Brandenburg
  22. LG Cottbus
  23. -2-
  24. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 23. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die
  26. Richter Dr. Ganter, Raebel, Kayser und Dr. Detlev Fischer
  27. für Recht erkannt:
  28. Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des
  29. 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom
  30. 3. April 2003 und das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts
  31. Cottbus vom 8. August 2002 sowie dessen Versäumnisurteil vom
  32. 14. Februar 2002 aufgehoben.
  33. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 102.352,11 Euro nebst
  34. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 29. April 2000 zu
  35. zahlen.
  36. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1 v.H. und die
  37. Beklagte 99 v.H. zu tragen.
  38. Die durch die Säumnis in erster Instanz verursachten Kosten fallen dem Kläger zur Last.
  39. Von Rechts wegen
  40. -3-
  41. Tatbestand:
  42. 1
  43. Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 21. Juni 1999 am
  44. 1. Oktober 1999 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der F.
  45. GmbH (fortan: Schuldnerin). Auf der Grundlage einer vollstreckbaren notariellen Urkunde vom 7. Mai 1993 brachte die beklagte Sparkasse gegen die Schuldnerin wegen einer Teilforderung von
  46. 1 Mio. DM zwei Vorpfändungen aus, die den Drittschuldnern, ebenfalls Banken,
  47. am 15. März 1999 zugestellt wurden. Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 16. März 1999 pfändete sie die angeblichen Ansprüche der
  48. Schuldnerin gegen diese Banken aus den Kontoverbindungen; die Beschlüsse
  49. wurden den Drittschuldnern am 25. März 1999 und am 7. April 1999 zugestellt.
  50. Am 13. April 1999 und am 23. April 1999 überwiesen die Drittschuldner insgesamt 200.183,33 DM (102.352,11 €) an die Beklagte, die nach Eingang der
  51. Zahlungen die Pfändungen aufheben ließ.
  52. 2
  53. Der Kläger hat gestützt auf die Tatbestände der Deckungsanfechtung
  54. und Vorsatzanfechtung unter anderem die Rückgewähr dieses Betrages verlangt. Am Tag der Zustellung der Klage hat er die Klageforderung hierauf beschränkt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat
  55. zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.
  56. Entscheidungsgründe:
  57. 3
  58. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Verurteilung der beklagten
  59. Sparkasse.
  60. -4-
  61. I.
  62. 4
  63. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, auf § 133 Abs. 1 InsO lasse sich
  64. die Anfechtung nicht stützen, weil diese Vorschrift eine Rechtshandlung des
  65. Schuldners voraussetze, an der es im Streitfall fehle. Nach den §§ 130, 131
  66. InsO müsse die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung in den letzten drei
  67. Monaten vor dem Antrag vorgenommen worden sein. Dies treffe auf die Vorpfändungen nicht zu, so dass diese isoliert nicht anfechtbar seien. Spätere, in
  68. den anfechtbaren Zeitraum fallende Rechtshandlungen könnten nicht mehr angefochten werden, wenn dem Anfechtungsgegner durch eine vorausgegangene, nicht mehr anfechtbare Rechtshandlung eine insolvenzfeste Sicherung verschafft worden sei. Dieser Rechtsgedanke sei auf das Verhältnis zwischen der
  69. Hauptpfändung und der Befriedigung einerseits und der Vorpfändung andererseits zu übertragen. Folge die Hauptpfändung innerhalb der Frist des § 845
  70. Abs. 2 ZPO, aber erst nach Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots oder
  71. nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach, sei sie nicht wirksam. Dasselbe gelte, wenn die Hauptpfändung der Rückschlagsperre (§ 88 InsO) unterfalle. Werde die Hauptpfändung dagegen - wie hier - vor Beginn der Frist des
  72. § 88 InsO ausgebracht, bleibe sie wirksam. Die Vorpfändung behalte dann die
  73. durch § 845 Abs. 2 ZPO angeordnete Wirkung.
  74. II.
  75. 5
  76. Diese Begründung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
  77. -5-
  78. 6
  79. 1. Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt richtig gesehen, dass die
  80. von der Beklagten am 15. März 1999 nach § 845 Abs. 1 ZPO ausgebrachten
  81. Vorpfändungen, falls sie als selbständige Rechtshandlungen im Sinne von
  82. § 140 InsO und nicht jeweils als Teil einer mehraktigen Rechtshandlung anzusehen wären, ebenso wie die innerhalb der Monatsfrist des § 845 Abs. 2 Satz 1
  83. ZPO bewirkten Pfändungen selbständig anfechtbar wären. Gleiches gilt für die
  84. wiederum zeitlich nachfolgenden Überweisungen durch die Drittschuldner vom
  85. 13. April 1999 und 23. April 1999 (vgl. BGH, Urt. v. 21. März 2000 - IX ZR
  86. 138/99, WM 2000, 1071, 1072; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 28). Zutreffend ist auch, dass die Anfechtung der Befriedigung - im Streitfall durch die
  87. Überweisungen der Drittschuldner - nicht erfolgversprechend ist, wenn die vorausgegangenen Pfändungen insolvenzbeständig sind. Hat der Gläubiger ein
  88. anfechtungsfestes Pfandrecht erworben, so braucht er davon gedeckte Zahlungen nicht zurückzugewähren, weil sie die Gläubiger nicht benachteiligen
  89. (BGHZ 157, 350, 355; BGH, Urt. v. 10. Februar 2005 - IX ZR 211/02, WM 2005,
  90. 564, 568, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ 162, 152). Dies gilt auch,
  91. wenn die Überweisung erst aufgrund einer Absprache erfolgt sein sollte, wonach der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen Zahlung eines bestimmten Betrages aufgehoben werde. Denn auch in diesem Fall ist die Zahlung durch das Pfandrecht gedeckt (vgl. BGH, Urt. v. 10. Februar 2005 - IX ZR
  92. 211/02, aaO S. 568).
  93. 7
  94. 2. Das Berufungsgericht hat auch richtig erkannt, dass die beiden Vorpfändungen isoliert betrachtet nicht nach §§ 130, 131 InsO anfechtbar sind, weil
  95. diese Vorschriften nur Rechtshandlungen in dem besonders geschützten zeitlichen Bereich erfassen, der drei Monate vor Stellung des Insolvenzantrags beginnt. Ihre Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO scheitert daran, dass Zwangsvollstreckungshandlungen des Gläubigers ohne eine vorsätzliche Rechtshand-
  96. -6-
  97. lung oder eine ihr gleichstehende Unterlassung des Schuldners nach dieser
  98. Bestimmung nicht anfechtbar sind (BGH, Urt. v. 10. Februar 2005 - IX ZR
  99. 211/02, aaO S. 565). Für eine Rechtshandlung des Schuldners im Zusammenhang mit den ausgebrachten Vorpfändungen fehlt nach den tatrichterlichen
  100. Feststellungen und dem Parteivortrag in den Vorinstanzen jeder Anhaltspunkt.
  101. 8
  102. 3. Die außerhalb der "kritischen" Zeit ausgebrachten Vorpfändungen begründen jedoch noch kein nach § 50 Abs. 1 InsO insolvenzgeschütztes Sicherungsrecht, weil sie nur Teil mehraktiger Rechtshandlungen sind und die Erfüllung der letzten Teilakte dieser Rechtshandlungen in die gesetzliche Krise fällt.
  103. 9
  104. a) Nach der feststehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist
  105. eine während der "kritischen" Zeit im Wege der Zwangvollstreckung erlangte
  106. Sicherheit oder Befriedigung als inkongruent anzusehen (BGHZ 136, 309,
  107. 311 ff; 157, 350, 353; BGH, Urt. v. 11. April 2002 - IX ZR 211/01, WM 2002,
  108. 1193, 1194). Im Anschluss an Henckel (vgl. Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 30
  109. Rn. 232) hat der Bundesgerichtshof die Inkongruenz in diesen Fällen aus der
  110. zeitlichen Vorziehung des insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes
  111. und der damit verbundenen Zurückdrängung des Prioritätsprinzips sowie aus
  112. der Erwägung hergeleitet, dass nach Eintritt der Krise und der damit verbundenen materiellen Insolvenz eine Ungleichbehandlung nicht mehr durch den Einsatz staatlicher Zwangsmittel insolvenzfest erzwungen werden soll (vgl. BGH,
  113. aaO; HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. § 131 Rn. 15; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131
  114. Rn. 26).
  115. 10
  116. b) Wird die Vorpfändung schon vor der "kritischen" Zeit ausgebracht,
  117. folgt die Hauptpfändung innerhalb der Monatsfrist des § 845 Abs. 2 ZPO nach
  118. und fällt sie in den von § 131 InsO geschützten Zeitraum, so stellt sich die Fra-
  119. -7-
  120. ge, ob die in § 845 Abs. 2 Satz 1 ZPO angeordnete Wirkung der Benachrichtigung des Drittschuldners eine Anfechtung der Hauptpfändung mangels einer
  121. objektiven Gläubigerbenachteiligung ausschließt.
  122. 11
  123. aa) Das Reichsgericht hat dies angenommen (vgl. RGZ 83, 332, 334;
  124. 151, 265, 266 f). Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei der durch
  125. die Benachrichtigung des Drittschuldners ausgelösten Arrestwirkung im Sinne
  126. von § 930 ZPO um eine wirkliche Pfandrechtsbegründung handele (RGZ 151,
  127. 265, 267; a.A. OLG Naumburg OLGRsp. 26, 401, 402). Dieser Standpunkt ist
  128. unter der Geltung der Konkurs- und Vergleichsordnung teils auf Zustimmung,
  129. teils auf Ablehnung gestoßen (zum damaligen Meinungsstand siehe Jaeger/
  130. Henckel, aaO § 30 Rn. 245; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 30 Rn. 42h;
  131. Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 30 KO Anm. 14 a.E.). Im Anwendungsbereich der Insolvenzordnung setzt sich der Meinungsstreit fort. Es
  132. wird teilweise weiterhin die Auffassung vertreten, das durch die Vorpfändung
  133. erwirkte Pfandrecht habe nicht nur rangwahrende Wirkung in der Einzelzwangsvollstreckung, sondern bestimme - jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs des § 88 InsO - den maßgeblichen Zeitpunkt auch für die Insolvenzanfechtung (vgl. Musielak/Becker, ZPO 4. Aufl. § 845 Rn. 9; Stein/Jonas/
  134. Brehm, ZPO 22. Aufl. § 845 Rn. 17, 23; Stöber, Forderungspfändung 13. Aufl.
  135. Rn. 805; Zöller/Stöber, ZPO 25. Aufl. § 845 Rn. 5). Nach anderer Auffassung ist
  136. in diesem Fall die Hauptpfändung selbständig als inkongruente Sicherung mit
  137. der Folge anfechtbar, dass eine erfolgreiche Anfechtung nach § 845 Abs. 2
  138. ZPO ohne weiteres die Unwirksamkeit der Vorpfändung zur Folge hat (vgl. FKInsO/Dauernheim, 4. Aufl. § 131 Rn. 24; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131
  139. Rn. 28; wohl auch HK-InsO/Kreft, aaO § 131 Rn. 15).
  140. -8-
  141. 12
  142. bb) Der letztgenannten Auffassung ist im Ergebnis zuzustimmen. Fällt
  143. die Hauptpfändung in die "kritische" Zeit und ist sie nach § 131 InsO anfechtbar,
  144. verliert eine zuvor ausgebrachte Vorpfändung ihre Wirkung. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist es unerheblich, ob die Hauptpfändung schon
  145. nach § 88 InsO unwirksam ist, weil sie in zeitlicher Hinsicht unter die Rückschlagsperre fällt, oder ob es der besonderen Insolvenzanfechtung bedarf, um
  146. den insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruch des § 143 InsO auszulösen. Für
  147. eine Differenzierung danach, ob die Hauptpfändung im letzten Monat oder im
  148. zweiten oder dritten Monat vor Stellung des Insolvenzantrags bewirkt worden
  149. ist, fehlt ein tragfähiger sachlicher Grund. Der erste Fall ist auch nur schwer
  150. vorstellbar, weil dann wegen der Frist des § 845 Abs. 2 ZPO bereits die Vorpfändung in den von § 131 InsO geschützten Zeitraum fiele.
  151. 13
  152. (1) Nach § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. Dies ist der
  153. Zeitpunkt, in dem die gesamten Erfordernisse vorliegen, an welche die Rechtsordnung die Entstehung, Aufhebung oder Veränderung eines Rechtsverhältnisses knüpft, mithin die Rechtshandlung die Gläubigerbenachteiligung bewirkt
  154. (vgl. BGH, Urt. v. 19. Dezember 2002 - IX ZR 377/99, ZIP 2003, 488, 490; HKInsO/Kreft, aaO § 140 Rn. 3; Fischer, ZIP 2004, 1679, 1680). Nach den Gesetzesmaterialien ist gemeinsamer Grundgedanke der Regelung der verschiedenen Absätze des § 140 InsO, dass der Zeitpunkt entscheidet, in dem durch die
  155. Rechtshandlung eine Rechtsposition begründet worden ist, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beachtet werden müsste (vgl. BT-Drucks.
  156. 12/2443 S. 166). Die Pfändungsankündigung nach § 845 Abs. 1 ZPO bedarf zu
  157. ihrer Wirksamkeit, dass innerhalb eines Monats die Pfändung der Forderung
  158. bewirkt wird (§ 845 Abs. 2 ZPO). Ohne die nachfolgende Pfändung kann kein
  159. Pfandrecht entstehen, welches den Gläubiger zur abgesonderten Befriedigung
  160. -9-
  161. nach § 50 Abs. 1 InsO berechtigt. Damit das Pfändungspfandrecht insolvenzfest ist, müssen alle dafür notwendigen Voraussetzungen schon eingetreten
  162. sein, bevor der Schutz des § 131 InsO einsetzt. Nach einer Vorpfändung ist
  163. dies erst der Fall, sobald die Hauptpfändung wirksam geworden ist.
  164. 14
  165. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob - wie dies teilweise im Schrifttum
  166. vertreten wird (vgl. Stein/Jonas/Brehm, aaO § 845 Rn. 14; Bley/Mohrbutter,
  167. VerglO 4. Aufl. § 28 Rn. 43; a.A. Zöller/Stöber, aaO § 845 Rn. 5) - die Vorpfändung als durch das Ausbleiben der Hauptpfändung auflösend bedingtes Pfandrecht anzusehen ist. Denn die Bestimmung des § 140 Abs. 3 InsO, nach der bei
  168. einer bedingten Rechtshandlung der Eintritt der Bedingung außer Betracht
  169. bleibt, findet nur auf rechtsgeschäftliche Bedingungen Anwendung (vgl. BGH,
  170. Urt. v. 20. März 2003 - IX ZR 166/02, ZIP 2003, 808, 809; HK-InsO/Kreft, aaO
  171. § 140 Rn. 13; Kübler/Prütting/Paulus, InsO § 140 Rn. 10; Henckel in Kölner
  172. Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. S. 813, 848 f). Die durch § 845 Abs. 2
  173. Satz 1 ZPO angeordnete Arrestwirkung (§ 930 ZPO) bei fristgemäß bewirkter
  174. Hauptpfändung gehört nicht hierher.
  175. 15
  176. (2) Dieses Ergebnis wird durch den Sinn und Zweck des § 845 ZPO bestätigt. Ein Vorrang des Vorpfändenden nach § 845 Abs. 2 Satz 1, § 930 Abs. 1
  177. Satz 2, § 804 Abs. 3 ZPO ist insolvenzrechtlich nur gerechtfertigt, wenn zur Zeit
  178. der Hauptpfändung das Prioritätsprinzip noch gilt. Unter Gläubigern, die während der Geltung des Prioritätsprinzips pfänden, soll derjenige den besseren
  179. Rang haben, der die Pfändung zuerst in der Form des § 845 Abs. 1 Satz 1 ZPO
  180. angekündigt hat oder durch den Gerichtsvollzieher hat ankündigen lassen (vgl.
  181. § 845 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Gilt im Zeitpunkt der Hauptpfändung das Prioritätsprinzip hingegen nicht mehr, trifft die Gläubiger die Pflicht zu wechselseitiger
  182. Rücksichtnahme. In der "kritischen" Zeit tritt die Befugnis des Gläubigers, sich
  183. - 10 -
  184. im Wege hoheitlichen Zwangs eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung für eine Forderung zu verschaffen, hinter den Schutz der Gläubigergesamtheit zurück (vgl. BGH, Urt. v. 10. Februar 2005 - IX ZR 211/02, aaO
  185. S. 566). Mit diesem Grundsatz ist es nicht zu vereinbaren, die Pfändungsankündigung, bei der es sich - für sich genommen - lediglich um eine private
  186. Nachricht des Gläubigers handelt, durch hoheitliche Zwangsmaßnahmen einzelner, die in den die Gläubigergesamtheit besonders schützenden Zeitraum
  187. fallen, zu einer rechtsbeständigen Sicherung aufzuwerten. Die Vorschrift des
  188. § 845 Abs. 2 Satz 1 ZPO vermag deshalb in der Insolvenz des Schuldners die
  189. in der Vorschrift genannten Rechtsfolgen nur auszulösen, wenn auch die
  190. Hauptpfändung als der letzte zur Begründung des Pfändungspfandrechts erforderliche Teilakt außerhalb des Dreimonatszeitraums erfüllt ist.
  191. 16
  192. (3) Der Einwand der Beklagten in der Revisionsverhandlung, aus der
  193. Verweisung in § 845 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf die Wirkungen des Arrestes (§ 930
  194. ZPO) folge, dass die Vorpfändung nicht nur in der Einzelzwangsvollstreckung,
  195. sondern auch insolvenzrechtlich der Arrestpfändung nach § 930 Abs. 1 Satz 1
  196. ZPO gleichzustellen sei, ist unbegründet. Das Arrestpfandrecht verschafft dem
  197. Gläubiger, solange der Titel besteht, ein vollwertiges Pfändungspfandrecht mit
  198. den in § 804 ZPO bestimmten Wirkungen. Dieses Pfändungspfandrecht berechtigt zwar noch nicht zur abgesonderten Befriedigung. Es hat zunächst nur eine
  199. Sicherungsfunktion. Folgerichtig kann der Gläubiger das Absonderungsrecht
  200. mit dem durch das Arrestpfandrecht erlangten Rang, ohne dass § 91 InsO entgegensteht, erst geltend machen, sobald der gesicherte Anspruch durch Feststellung zur Insolvenztabelle Vollstreckbarkeit erhält (vgl. HK-InsO/Eickmann,
  201. aaO § 50 Rn. 9; Jaeger/Henckel, aaO § 14 Rn. 26; Joneleit/Imberger in FKInsO, aaO § 50 Rn. 10; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. § 50 Rn. 43). Die Vorpfändung hat die Wirkungen einer Arrestpfändung dagegen nur, sofern die Haupt-
  202. - 11 -
  203. pfändung innerhalb eines Monats bewirkt wird (vgl. § 845 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
  204. Ohne eine Hauptpfändung kann sie Absonderungskraft nicht entfalten. Darin
  205. liegt der Unterschied zur Vollziehung des Arrestes, der als selbständige
  206. Rechtshandlung für sich genommen eine Rechtsposition im Sinne von § 140
  207. Abs. 1 InsO begründet, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beachtet werden müsste. Eine anfechtungsrechtliche Gleichstellung ist daher nicht
  208. geboten.
  209. Das Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben; es ist aufzu-
  210. 17
  211. heben (§ 562 Abs. 1 ZPO).
  212. III.
  213. Die übrigen Anfechtungsvoraussetzungen nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO
  214. 18
  215. sind gegeben. Dies kann der Senat abschließend entscheiden (§ 563 Abs. 3
  216. ZPO).
  217. 19
  218. 1. Da die Beklagte kein anfechtungsfestes Pfandrecht erworben hat,
  219. muss sie die nicht gedeckten Zahlungen, welche die Gläubiger benachteiligen,
  220. zurückgewähren. Zur Zeit der anfechtbaren Handlungen im April 1999 war die
  221. Schuldnerin zahlungsunfähig. Nach dem von der Beklagten nicht wirksam bestrittenen Vortrag des Klägers befand sich die Schuldnerin seit Dezember 1998
  222. unter anderem mit den Lohnzahlungen in Höhe von fünf bis sechs Monatslöhnen im Rückstand. Die durch den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss von
  223. der Beklagten eingeforderte (Teil-)Forderung belief sich allein auf 1 Mio DM.
  224. Die Schuldnerin war unstreitig nicht mehr kreditwürdig. Die Kreditlinien waren
  225. ausgeschöpft.
  226. - 12 -
  227. 20
  228. 2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819
  229. Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Zinsen sind vom
  230. Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung an zu berechnen (vgl. BGH, Urt.
  231. v. 22. September 2005 - IX ZR 271/01, ZIP 2005, 1888, 1889; HK-InsO/Kreft,
  232. aaO § 129 Rn. 79, § 143 Rn. 18).
  233. Dr. Gero Fischer
  234. Dr. Ganter
  235. Kayser
  236. Raebel
  237. Dr. Detlev Fischer
  238. Vorinstanzen:
  239. LG Cottbus, Entscheidung vom 08.08.2002 - 6 O 324/01 OLG Brandenburg, Entscheidung vom 03.04.2003 - 8 U 87/02 -