Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

309 lines
18 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 34/14
  4. vom
  5. 18. Dezember 2014
  6. in dem Insolvenzeröffnungsverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. InsO § 14 Abs. 1 Satz 2
  14. Zur Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes, wenn der Gläubiger seinen Eröffnungsantrag nach Ausgleich seiner Forderung weiterverfolgen will, weil in einem
  15. Zeitraum von zwei Jahren vor der Antragstellung bereits ein Antrag auf Eröffnung
  16. eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners anhängig war.
  17. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - IX ZB 34/14 - LG Berlin
  18. AG Berlin-Charlottenburg
  19. -2-
  20. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  21. Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp
  22. am 18. Dezember 2014
  23. beschlossen:
  24. Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden der Beschluss der Zivilkammer 51 des Landgerichts Berlin vom 5. Juni 2014 und der
  25. Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 19. Februar 2014
  26. aufgehoben.
  27. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
  28. der Rechtsmittelverfahren, an das Amtsgericht Charlottenburg zurückverwiesen.
  29. Der
  30. Streitwert
  31. des
  32. Rechtsbeschwerdeverfahrens
  33. wird
  34. auf
  35. 1.000,00 € festgesetzt.
  36. Gründe:
  37. I.
  38. 1
  39. Am 29. Oktober 2013 beantragte die Gläubigerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wegen rückständiger
  40. Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum von Januar 2013 bis September
  41. 2013 in Höhe von insgesamt 3.928,08 € einschließlich Säumniszuschlägen,
  42. Gebühren und Pauschsteuer. Das Insolvenzgericht behandelte den Antrag als
  43. - 3 -
  44. zulässig, stellte ihn der Schuldnerin zur Stellungnahme zu und ordnete die Erstellung eines Sachverständigengutachtens an zur Frage eines Eröffnungsgrunds, einer kostendeckenden Masse und zu den Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens der Schuldnerin. Im Januar 2014 teilte die Gläubigerin
  45. mit, dass die Schuldnerin die rückständigen Beitragsforderungen vollständig
  46. beglichen habe, und beantragte die Fortführung des Insolvenzverfahrens gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO im Hinblick auf einen von der T.
  47. am 21. Mai 2013 gestellten und nach Forderungsausgleich durch die
  48. Schuldnerin am 18. Oktober 2013 für erledigt erklärten Insolvenzantrag.
  49. 2
  50. Das Insolvenzgericht hat den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig verworfen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat
  51. keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag weiter.
  52. II.
  53. 3
  54. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO,
  55. § 574 Abs. 3 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 Abs. 1 bis 3 ZPO). In
  56. der Sache hat sie Erfolg. Das begründete Rechtsmittel der Gläubigerin führt zur
  57. Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und zur Zurückverweisung der
  58. Sache an das Insolvenzgericht.
  59. 4
  60. 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Gläubigerin habe das
  61. Fortbestehen eines Eröffnungsgrundes nach Ausgleich ihrer Forderung nicht
  62. hinreichend glaubhaft gemacht. Zwar reiche nach der Rechtsprechung des
  63. Bundesgerichtshofs grundsätzlich die Glaubhaftmachung von Indizien durch
  64. - 4 -
  65. den Gläubiger aus, wenn diese einzeln oder im Rahmen einer Zusammenschau
  66. den hinreichend sicheren Schluss auf das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes
  67. zuließen. Hierbei stelle die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen
  68. über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten ein starkes, auf den Eintritt
  69. der Zahlungsunfähigkeit hindeutendes Beweisanzeichen dar. Jedoch könne allein der Verweis auf die Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes bei Antragstellung nicht ausreichen, um den Fortbestand dieses Eröffnungsgrundes
  70. nach dem Ausgleich der Forderung glaubhaft zu machen. Diesbezüglich sei die
  71. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unklar. Dieser habe in seiner Entscheidung vom 11. April 2013 (IX ZB 256/11, WM 2013, 1033) zwar ausgeführt,
  72. dass grundsätzlich eine einmal nach außen in Erscheinung getretene Zahlungsunfähigkeit fortwirke und nur entfalle, wenn der Schuldner die Zahlungen
  73. an die Gesamtheit der Gläubiger wieder aufgenommen habe. Tatsachenvortrag
  74. hierzu sei von Seiten der Gläubigerin aber nicht erfolgt. Eine sekundäre Darlegungslast des Schuldners habe der Bundesgerichtshof abgelehnt. Eine Anhörung des Schuldners erfolge im Zulassungsverfahren nicht. Auch aus den Gesetzesmaterialien folge, dass es nicht ausreichen könne, wenn sich der Gläubiger lediglich auf die bereits erfüllte Forderung berufe und keine weiteren Indizien vortrage.
  75. 5
  76. 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
  77. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der
  78. Schuldnerin kann nicht mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung
  79. zurückgewiesen werden.
  80. 6
  81. a) Mit Recht ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die
  82. Gläubigerin, bevor die Schuldnerin die bestehenden Zahlungsrückstände ausglich, den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit glaubhaft gemacht hatte.
  83. - 5 -
  84. Grundsätzlich kann die Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes durch die
  85. Glaubhaftmachung von Indizien erfolgen, die einzeln oder in ihrer Zusammenschau nach allgemeiner Erfahrung den hinreichend sicheren Schluss auf das
  86. Vorliegen des Eröffnungsgrundes erlauben (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006
  87. - IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rn. 6; vom 11. April 2013 - IX ZB 256/11, WM
  88. 2013, 1033 Rn. 10; MünchKomm-InsO/Schmahl/Vuia, 3. Aufl., § 14 Rn. 74
  89. mwN). Bei dem Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 17
  90. InsO kann, wie auch das Beschwerdegericht erkannt hat, eine starke Indizwirkung von der mindestens sechsmonatigen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ausgehen (BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01,
  91. BGHZ 149, 178, 187; Beschluss vom 13. Juni 2006, aaO; MünchKommInsO/Schmahl/Vuia, aaO § 14 Rn. 77 mwN). Grundlage dieser Indizwirkung ist
  92. die Annahme, dass Sozialversicherungsbeiträge aufgrund der drohenden Strafbarkeit gemäß § 266a StGB bis zuletzt beglichen werden (BGH, Beschluss vom
  93. 13. Juni 2006, aaO).
  94. 7
  95. b) Ebenfalls zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass
  96. der Gläubiger im Falle der Fortführung des Verfahrens nach § 14 Abs. 1 Satz 2
  97. InsO das Fortbestehen des Eröffnungsgrundes glaubhaft machen muss. Diese
  98. als Ausnahme einer trotz Erfüllung der den Eröffnungsantrag stützenden Forderung fortbestehenden Antragsbefugnis und eines hierdurch veränderten Rechtsschutzbedürfnisses zu verstehende Vorschrift erfordert eine Prüfung im Einzelfall, ob die mit Antragstellung erfolgte Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes auch nach Erfüllung der den Antrag stützenden Forderung fortwirkt
  99. oder der Gläubiger den Eröffnungsgrund erneut glaubhaft machen muss (BGH,
  100. Beschluss vom 11. April 2013, aaO Rn. 6 ff).
  101. - 6 -
  102. 8
  103. c) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts setzt die Glaubhaftmachung fortbestehender Zahlungsunfähigkeit nach dem Ausgleich der Forderung
  104. des antragstellenden Gläubigers nicht stets voraus, dass der Gläubiger neue
  105. Tatsachen vorträgt, die für eine auch jetzt noch bestehende Zahlungsunfähigkeit sprechen.
  106. 9
  107. aa) Solcher Vortrag, etwa zu einem erneuten Beitragsrückstand, einem
  108. neuerlichen erfolglosen Vollstreckungsversuch oder zum aktuellen Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber anderen Gläubigern, wird angesichts des
  109. Eilcharakters des Eröffnungsverfahrens auch einem Sozialversicherungsträger
  110. oft nicht möglich sein (vgl. Frind, NJW 2013, 2478, 2480). Das gesetzgeberische Ziel, der Problematik mehrfach aufeinander folgender, jeweils durch gezielte Zahlungen des Schuldners erledigter Eröffnungsanträge zu begegnen
  111. und eine Verzögerung der Verfahrenseröffnung mit der regelmäßigen Folge von
  112. reduzierten Insolvenzmassen, verminderten Sanierungschancen und erheblichen Anfechtungsschäden der beteiligten Gläubiger zu verhindern (vgl. BTDrucks. 17/3030 S. 42; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 14 Rn.
  113. 108 ff), könnte schwerlich erreicht werden, wenn der Gläubiger eine weiterhin
  114. bestehende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nur durch neuen Tatsachenvortrag glaubhaft machen könnte. Dies gilt selbst dann, wenn die Zahlungsunfähigkeit zunächst auch mit der nunmehr erfüllten Forderung begründet worden
  115. war. Auch ohne den Vortrag neuer Tatsachen kann eine Gesamtwürdigung der
  116. Umstände ergeben, dass eine fortdauernde Zahlungsunfähigkeit des Schuldners glaubhaft ist.
  117. 10
  118. bb) Ein Eröffnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn sein Vorliegen
  119. nach dem Vortrag des Gläubigers überwiegend wahrscheinlich ist (BGH, Be-
  120. - 7 -
  121. schluss vom 11. September 2003 - IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139, 141 f mwN).
  122. In die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit ist der gesamte Sachvortrag des
  123. Gläubigers einzubeziehen. Es ist die indizielle Bedeutung bestimmter Tatsachen für das Bestehen eines Eröffnungsgrundes zu berücksichtigen und - wie
  124. im Falle des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO - die Wirkung gesetzlicher Vermutungen.
  125. 11
  126. cc) Bei der Beurteilung, ob nach dem Ausgleich der Forderung des antragstellenden Gläubigers die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners weiterhin
  127. wahrscheinlich ist, können zum einen die näheren Umstände des vorangegangenen, in § 14 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz InsO angesprochenen Insolvenzantrags von Bedeutung sein. Liegt dieser beispielweise nicht lange zurück, hatte
  128. der Schuldner seine Zahlungen offenkundig eingestellt und stellte der damalige
  129. Ausgleich der Forderung des Antragstellers nur eine gezielte Zahlung zur Erledigung des Insolvenzantrags dar, kann dies die Wahrscheinlichkeit erhöhen,
  130. dass der Schuldner, nachdem er innerhalb kurzer Zeit ein zweites Mal in dieser
  131. Weise vorgegangen ist, weiterhin zahlungsunfähig ist. Zum zweiten können die
  132. näheren Umstände des jetzt gestellten Insolvenzantrags ein Indiz für eine auch
  133. nach dem Forderungsausgleich fortbestehende Zahlungsunfähigkeit sein. Je
  134. nach Lage des Falles können aus der Art und dem Umfang der Forderung des
  135. Gläubigers, aus der Dauer des Zahlungsrückstands und aus den Umständen
  136. des Forderungsausgleichs Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob die Zahlungsunfähigkeit weiter wahrscheinlich ist. Ist ein Schuldner gewerblich tätig,
  137. kann dies dafür sprechen, dass weitere Gläubiger mit offenen Forderungen
  138. vorhanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2001 - IX ZR 17/01, BGHZ
  139. 149, 100, 111 f; vom 27. Mai 2003 - IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75, 86; vom
  140. 18. Dezember 2008 - IX ZR 79/07, WM 2009, 615 Rn. 16; vom 6. Dezember
  141. 2012 - IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rn. 15). Hat ein Schuldner weitere Gläubiger,
  142. kann von Bedeutung sein, dass solche Schuldner nach der allgemeinen Le-
  143. - 8 -
  144. benserfahrung unter dem Druck des Insolvenzantrages bevorzugt an den antragstellenden Gläubiger leisten, um ihn zum Stillhalten zu bewegen und hierdurch ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern (BGH, Urteil vom 20. November
  145. 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 190; MünchKomm-InsO/Eilenberger, aaO
  146. § 17 Rn. 35).
  147. 12
  148. dd) Im Rahmen der nach dem Forderungsausgleich vorzunehmenden
  149. Beurteilung, ob die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners weiterhin wahrscheinlich ist, kann schließlich dem Grundsatz Bedeutung zukommen, wonach eine
  150. einmal eingetretene, nach außen in Erscheinung getretene Zahlungsunfähigkeit
  151. regelmäßig erst beseitigt wird, wenn die geschuldeten Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger im Allgemeinen wieder aufgenommen werden können
  152. (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2001, aaO S. 109; vom 20. November 2001, aaO
  153. S. 188; vom 8. Dezember 2005 - IX ZR 182/01, WM 2006, 190, 193; Beschluss
  154. vom 13. Juni 2006 - IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rn. 8; Urteil vom
  155. 20. Dezember 2007 - IX ZR 93/06, WM 2008, 452 Rn. 24; Beschluss vom
  156. 11. April 2013 - IX ZB 256/11, WM 2013, 1033 Rn. 12). Dieser im Recht der
  157. Insolvenzanfechtung anerkannte Grundsatz findet aufgrund der gebotenen einheitlichen Betrachtung des Begriffes der Zahlungsunfähigkeit auch im Eröffnungsverfahren Anwendung (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006, aaO
  158. Rn. 6, 8; MünchKomm-InsO/Eilenberger, aaO § 17 Rn. 32; Kayser, ZIP 2013,
  159. 1353, 1354). Die einheitliche Annahme einer regelmäßig fortbestehenden Zahlungsunfähigkeit verhindert die Entstehung von Wertungswidersprüchen zwischen Eröffnungsverfahren und dem Recht der Insolvenzanfechtung. Gerade
  160. die Gläubiger, die sich nach Befriedigung ihrer Forderung im Rahmen des § 14
  161. Abs. 1 Satz 2 InsO auf den Fortbestand der einmal glaubhaft gemachten Zahlungsunfähigkeit berufen wollen, müssen sich regelmäßig im Rahmen einer
  162. späteren Insolvenzanfechtung dieses Fortbestehen entgegenhalten lassen und
  163. - 9 -
  164. sehen sich dann einem erhöhten Anfechtungsrisiko ausgesetzt (vgl. Kayser,
  165. aaO). Verschärfte man einerseits im Eröffnungsverfahren die Darlegungs- und
  166. Glaubhaftmachungslast dieser Gläubiger, indem man ihnen verwehrte, sich im
  167. Rahmen des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die Fortwirkung der glaubhaft gemachten Zahlungsunfähigkeit zu berufen, und belegt man sie andererseits im
  168. Rahmen der Insolvenzanfechtung in ihrer Rolle als Anfechtungsgegner mit der
  169. Darlegungs- und Beweislast für einen nachträglichen Wegfall der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012, aaO Rn. 33
  170. mwN; Kayser, WM 2013, 293, 300), führte dies zu einer unangemessenen Benachteiligung insbesondere der Sozialversicherungsträger und des Fiskus als
  171. öffentliche Gläubiger, deren Rolle im Insolvenzverfahren nach dem Willen des
  172. Gesetzgebers mit Einführung der Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO gerade
  173. gestärkt werden sollte (vgl. BT-Drucks. 17/3030 S. 23, 42).
  174. 13
  175. ee) Allerdings knüpft die Annahme der Fortdauer einer nach außen getretenen Zahlungsunfähigkeit bis zur Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen an die Feststellung einer Zahlungseinstellung und der daraus nach § 17
  176. Abs. 2 Satz 2 InsO abzuleitenden Zahlungsunfähigkeit an. Ist die Zahlungsunfähigkeit, wie von § 14 Abs. 1 InsO gefordert, lediglich glaubhaft gemacht und
  177. damit überwiegend wahrscheinlich, kann der Grundsatz der fortdauernden Zahlungsunfähigkeit nicht schematisch in der Weise angewandt werden, dass die
  178. Glaubhaftmachung Bestand hat, bis der Schuldner (vgl. dazu BGH, Urteil vom
  179. 6. Dezember 2012, aaO; Schmidt/Thole, InsO, 18. Aufl., § 17 Rn. 45) die Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen darlegt und glaubhaft macht. Andernfalls müsste, wenn die Forderung des Gläubigers während des Verfahrens
  180. über die Zulässigkeit seines Eröffnungsantrags ausgeglichen wird, mangels
  181. Beteiligung des Schuldners in diesem Verfahrensabschnitt ohne weiteres von
  182. einer fortbestehenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ausgegangen wer-
  183. - 10 -
  184. den, sofern der Gläubiger diese für die Zeit vor dem Forderungsausgleich
  185. glaubhaft gemacht hat. Dies widerspräche der Absicht des Gesetzgebers, der
  186. an die Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes nach der Erfüllung der dem
  187. Insolvenzantrag zugrunde liegenden Forderung strenge Anforderungen gestellt
  188. wissen wollte (BT-Drucks. 17/3030 S. 42), und könnte dazu führen, dass es
  189. ohne eine erneute Beurteilung zum Vorliegen eines Eröffnungsgrundes zur Anordnung vorläufiger Maßnahmen nach § 21 InsO kommt, die für den Schuldner
  190. schwer wiegende Folgen haben können. Der Erfahrungssatz der fortdauernden
  191. Zahlungsunfähigkeit ist deshalb lediglich als ein weiterer Gesichtspunkt bei der
  192. Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Eröffnungsgrundes zu berücksichtigen. Er wird umso schwerer wiegen, je wahrscheinlicher die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vor dem Ausgleich der Forderung des antragstellenden
  193. Gläubigers war.
  194. 14
  195. ff) Kommt das Insolvenzgericht bei der Würdigung aller vom Gläubiger
  196. vorgetragenen und glaubhaft gemachten Umstände zu dem Ergebnis, dass
  197. auch nach dem Ausgleich seiner Forderung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners besteht, hat es dem
  198. Schuldner nach § 14 Abs. 2 InsO Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
  199. Gelingt es dem Schuldner dabei, die Glaubhaftmachung seiner Zahlungsunfähigkeit durch den Gläubiger zu erschüttern, etwa indem er glaubhaft macht,
  200. dass er die Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger wieder aufgenommen
  201. hat, wird der Eröffnungsantrag nachträglich unzulässig (vgl. BGH, Beschluss
  202. vom 16. Mai 2013 - IX ZB 284/11, nv Rn. 2). Im anderen Fall ist der Eröffnungsantrag weiterhin als zulässig zu behandeln und über dessen Begründetheit zu entscheiden.
  203. - 11 -
  204. 15
  205. 3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts erweist sich auch nicht aus
  206. anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Insbesondere ist der nach
  207. § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO erforderliche Erstantrag am 13. Mai 2013 und damit
  208. innerhalb der Zweijahresfrist gestellt worden. Das fortdauernde Rechtsschutzinteresse ergibt sich bei der Gläubigerin daraus, dass die Schuldnerin weiterhin
  209. Arbeitnehmer beschäftigt und die Gläubigerin es als Sozialversicherungsträgerin nicht verhindern kann, weitere Forderungen gegen die Schuldnerin zu erwerben (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2007 - IX ZB 18/12, WM 2012, 1639
  210. Rn. 7 f).
  211. III.
  212. 16
  213. Der angefochtene Beschluss kann danach keinen Bestand haben. Er ist
  214. aufzuheben. Eine eigene Entscheidung ist dem Senat nicht möglich, weshalb
  215. die Sache zurückzuverweisen ist (§ 577 Abs. 4 ZPO). Der Senat macht von der
  216. Möglichkeit Gebrauch, die Sache an das Insolvenzgericht unter Aufhebung
  217. auch von dessen Entscheidung zurückzuweisen (vgl. BGH, Beschluss vom
  218. - 12 -
  219. 22. Juli 2004 - IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176, 185 f). Das Insolvenzgericht wird,
  220. wenn es eine Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes bejaht, dem Verfahren
  221. Fortgang zu geben und die Schuldnerin zu hören haben.
  222. Kayser
  223. Gehrlein
  224. Fischer
  225. Vill
  226. Grupp
  227. Vorinstanzen:
  228. AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 19.02.2014 - 36c IN 4517/13 LG Berlin, Entscheidung vom 05.06.2014 - 51 T 232/14 -