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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. IV ZR 23/01
  4. URTEIL
  5. Verkündet am:
  6. 30. Januar 2002
  7. Fritz
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. _____________________
  16. VVG § 16, BGB §§ 164, 242 A
  17. Zur Evidenz des Vollmachtsmißbrauchs bei der Entgegennahme eines Versicherungsantrages durch den Agenten.
  18. BGH, Urteil vom 30. Januar 2002 - IV ZR 23/01 - OLG Düsseldorf
  19. LG Düsseldorf
  20. -2-
  21. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
  22. Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
  23. vom 30. Januar 2002
  24. für Recht erkannt:
  25. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats
  26. des
  27. Oberlandesgerichts
  28. Düsseldorf
  29. vom
  30. 12. Dezember 2000 aufgehoben.
  31. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  32. Von Rechts wegen
  33. Tatbestand:
  34. Der Kläger, Beamter im Justizvollzugsdienst, begehrt die Zahlung
  35. einer Berufsunfähigkeitsrente.
  36. Er unterhielt ab September 1996 bei der Beklagten eine Risikolebensversicherung
  37. mit
  38. eingeschlossener
  39. Berufsunfähigkeits-
  40. Zusatzversicherung. Letzterer lagen Besondere Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) zugrunde; aufgrund besonde-
  41. -3-
  42. rer Vereinbarung wurden diese Bedingungen durch eine Dienstunfähigkeitsklausel für Beamte ergänzt. Am 28. November 1996 erlitt er anläßlich eines Gefangenentransports erhebliche Verletzungen. Ende Juli
  43. 1998 wurde er wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Nachdem er Versicherungsleistungen beantragt hatte, holte die
  44. Beklagte eine Auskunft seines Hausarztes ein, die nach ihrer Behauptung am 31. August 1998 einging. Aus dieser ergab sich, daß der Kläger
  45. in seinem schriftlichen Versicherungsantrag vom 4. Juli 1996, den der
  46. Versicherungsagent M. aufgenommen hatte, zwar eine Gastritis und eine
  47. Lungenentzündung im Jahre 1995, nicht jedoch seit 1992 aufgetretene
  48. psychische und psychosomatische Beschwerden nebst einer psychiatrischen Behandlung im Januar 1996 angegeben hatte. Deshalb erklärte
  49. die Beklagte mit Schreiben vom 9. September 1998, dem Kläger zugegangen am 12. September 1998, den Rücktritt von der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung . Zwischen den Parteien ist insbesondere
  50. streitig, ob der Kläger den Versicherungsagenten über sein psychisches
  51. Krankheitsbild mündlich unterrichtet hatte, dieser aber äußerte, das
  52. müsse im Antragsformular nicht vermerkt werden, und ob die im schriftlichen Antrag nicht aufgeführten Umstände Einfluß auf den Eintritt des
  53. Versicherungsfalles gehabt haben.
  54. Das Landgericht hat der Klage auf rückständige Rentenleistungen
  55. in Höhe von 26.320 DM stattgegeben und festgestellt, daß der Kläger ab
  56. dem 1. April 1999 Anspruch auf die versicherte Leistung aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nebst Gewinnanteilen habe. Zusätzlich
  57. - und vom Landgericht nicht beschieden - hatte der Kläger die Feststellung der Beitragsfreiheit ab Dezember 1996 begehrt. Auf die Berufung
  58. -4-
  59. der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
  60. Entscheidungsgründe:
  61. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  62. I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger selbst
  63. bei umfassender Aufklärung des Versicherungsagenten über bestehende
  64. Vorerkrankungen seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit verletzt.
  65. Denn sein Vorbringen als richtig unterstellt, habe er mit dem Agenten zu
  66. Lasten der Beklagten kollusiv zusammengewirkt. Die Erklärung des
  67. Agenten, die psychischen Probleme müßten in den Antrag nicht aufgenommen werden, sei angesichts der Schwere und Häufigkeit der Beschwerden handgreiflich falsch gewesen. Die im Januar 1996 aufgesuchte Psychiaterin habe dem Kläger eine geregelte Arbeitszeit ohne
  68. Nachtschichten angeraten. Ferner hätten Kollegen des Klägers aufgrund
  69. psychischer Erkrankungen Probleme mit ihrer Dienstfähigkeit gehabt.
  70. Ihm sei daher klar gewesen, daß es aufgrund seiner Vorerkrankungen
  71. zumindest zweifelhaft gewesen sei, ob er seinem Beruf weiterhin gewachsen sein werde. Bei diesem Kenntnisstand könne ihm nicht verborgen geblieben sein, daß der Agent der Beklagten etwas habe unter-
  72. -5-
  73. schlagen wollen, als er die ihm offenbarten Umstände nicht im Antrag
  74. aufgeführt habe. Damit sei für den Kläger dessen pflichtwidriges Verhalten evident gewesen, so daß es sich verbiete, der Beklagten das
  75. Wissen ihres Agenten zuzurechnen. Ihr Rücktritt sei innerhalb der Frist
  76. des § 20 VVG erklärt. Ihre Leistungspflicht sei nicht gemäß § 21 VVG
  77. bestehen geblieben. Der Kläger habe nicht substantiiert dargelegt, daß
  78. die psychischen und psychosomatischen Probleme für seine Berufsunfähigkeit keine Rolle gespielt hätten.
  79. II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten
  80. stand.
  81. 1. Richtig ist, daß der Rücktritt der Beklagten rechtzeitig erfolgt
  82. ist. Gemäß § 20 Abs. 1 VVG kann er innerhalb eines Monats erklärt werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Versicherer von
  83. der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erlangt. Abzustellen ist dabei
  84. auf die Kenntnis des Mitarbeiters, zu dessen Aufgaben es gehört, den
  85. Tatbestand der Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten festzustellen (Senatsurteil vom 17. April 1996 - IV ZR 202/95 - VersR 1996,
  86. 742 unter I 2 a). Wann die Rücktrittsfrist in Lauf gesetzt worden ist, hat
  87. der Versicherungsnehmer zu beweisen (Senatsurteil vom 28. November
  88. 1990 - IV ZR 219/89 - VersR 1991, 170 unter 3 a). Hier hat die zuständige Sachbearbeiterin der Beklagten die für den Rücktritt maßgeblichen
  89. Tatsachen aus dem Brief des Hausarztes des Klägers vom 4. August
  90. 1998 erfahren. Das Schreiben trägt den Eingangsstempel der zentralen
  91. Poststelle der Beklagten vom 31. August 1998. Die Ausübung des Rück-
  92. -6-
  93. trittsrechts mit Schreiben vom 9. September 1998, zugegangen am
  94. 12. September 1998, ist somit fristgemäß erfolgt. Daß der Arztbrief der
  95. Beklagten noch vor dem 31. August 1998 zugegangen ist, hat der Kläger
  96. nicht nachgewiesen. Ob er schon am 4. August 1998 zur Post gegeben
  97. worden ist, ist unerheblich, da die Aufgabe zur Post für sich allein nichts
  98. über den Zeitpunkt des Zugangs beim Empfänger besagt.
  99. 2. Nicht zu beanstanden ist weiter die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Leistungspflicht der vom Versicherungsvertrag zurückgetretenen Beklagten nicht nach § 21 VVG fortbesteht. Der Kläger als
  100. Versicherungsnehmer hätte darlegen und beweisen müssen, daß eine
  101. Mitursächlichkeit seiner Beschwerden für den Eintritt des Versicherungsfalles nicht in Betracht kommt (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober
  102. 1989 - IVa ZR 141/88 - VersR 1990, 297 unter 2 e). Das ist nicht geschehen. Vielmehr bestand nach dem amtsärztlichen Bericht vom
  103. 28. Januar 1998 beim Kläger ein psychisches Krankheitsbild, das entgegen der Behauptung des Klägers gerade nicht als Folge seines Dienstunfalls vom 28. November 1996 einzuordnen war. Bei dieser Sachlage
  104. ist es nicht rechtsfehlerhaft, wenn das Berufungsgericht die um näheren
  105. Vortrag nicht ergänzte Behauptung des Klägers, seine Vorerkrankungen
  106. hätten mit der späteren Dienstunfähigkeit nichts zu tun, als nicht hinreichend substantiiert angesehen hat.
  107. 3. Rechtsfehlerhaft sind hingegen die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es ein Recht der Beklagten zum Rücktritt bejaht hat.
  108. -7-
  109. a) Das Berufungsgericht
  110. hat offengelassen, ob der Kläger den
  111. Versicherungsagenten M. mündlich von seinem psychischen Krankheitsbild in Kenntnis setzte. Für das Revisionsverfahren ist daher die Richtigkeit seines Vortrags zu unterstellen, er habe alle ihm aus dem Antragsformular vorgelesenen Fragen wahrheitsgemäß beantwortet, so auch
  112. diejenigen nach psychischen Störungen. Er habe dem Versicherungsagenten geschildert, in der Vergangenheit zuweilen - auch noch im Vorjahr der Antragstellung - unter erheblichen, nicht selten von Kopfschmerzen begleiteten Depressionen gelitten zu haben. Er habe auf
  113. seelische Probleme verwiesen, die auf die Zerrüttung seiner Ehe zurückzuführen seien, und darauf, daß er seinen Beruf zeitweise als bedrükkend empfinde.
  114. Dann aber ist der Kläger seiner Anzeigeobliegenheit nachgekommen (vgl. BGHZ 116, 387, 389). Zu weiteren Angaben gegenüber der
  115. Beklagten mußte er sich nicht veranlaßt sehen. Wenn der Zeuge M.
  116. nach dem Vortrag des Klägers - von dem im Revisionsverfahren auszugehen ist - erkennen ließ, daß er die ihm geschilderten psychischen B eschwerden als unerheblich betrachtete, zumal der Kläger inzwischen
  117. völlig gesund und in Ordnung sei, durfte sich der Kläger damit zufrieden
  118. geben. Daß der Agent seine Angaben nicht im Antragsformular vermerkte, mußte beim Kläger wegen der vorhergehenden Erklärungen des
  119. Agenten keine Zweifel begründen.
  120. b) Dem Berufungsgericht ist nicht darin zu folgen, daß der Kläger
  121. und der Versicherungsagent zu Lasten der Beklagten im Sinne des § 138
  122. BGB kollusiv zusammengewirkt haben. Eine solche Kollusion liegt vor,
  123. -8-
  124. wenn Agent und Versicherungsnehmer arglistig zum Nachteil des Versicherers zusammenwirken, was voraussetzt, daß der Versicherungsnehmer von dem treuwidrigen Verhalten des Versicherungsagenten gegenüber dem von ihm vertretenen Versicherer weiß (vgl. BGH, Urteil vom
  125. 17. Mai 1988 - VI ZR 233/87 - NJW 1989, 26 unter II; Kollhosser in
  126. Prölss/Martin, § 43 VVG Rdn. 27). Das Berufungsgericht hat lediglich
  127. festgestellt, daß der Versicherungsagent der Beklagten die ihm gegebenen Informationen vorenthalten wollte. Entsprechende Feststellungen,
  128. die auf die Annahme von Arglist auf seiten des Klägers bezogen sind,
  129. fehlen. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß der Kläger gewollt oder auch
  130. nur gebilligt hätte, daß der Versicherungsagent die ihm offenbarten
  131. Vorerkrankungen im Antragsformular unberechtigt unerwähnt ließ. Vielmehr hat sich der Kläger von der Beklagten unwiderlegt dahin eingelassen, der Versicherungsagent habe ihn durch seine Äußerungen davon
  132. überzeugt, daß die früheren Phasen der Niedergeschlagenheit als seel ische Tiefs einzuordnen seien, unter denen jeder einmal leide und die für
  133. die Risikoeinschätzung des Versicherers daher unwesentlich seien.
  134. c) Ein Mißbrauch der Vertretungsmacht kann - als besondere Ausgestaltung des § 242 BGB - allerdings ebenso gegeben sein, wenn der
  135. Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise
  136. Gebrauch macht, so daß beim Vertragspartner begründete Zweifel entstehen müssen, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber
  137. dem Vertretenen vorliegt. Der Vertretene ist auch dann im Verhältnis zu
  138. seinem Vertragspartner vor den Folgen des Vollmachtsmißbrauchs geschützt (BGH, Urteile vom 19. April 1994 - XI ZR 18/93 - NJW 1994,
  139. -9-
  140. 2082 unter II 2 a; vom 29. Juni 1999 - XI ZR 277/98 - WM 1999, 1617
  141. unter I 2 a, jeweils m.w.N.).
  142. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Voraussetzungen eines solchen evidenten Mißbrauchs der Vertretungsmacht jedoch nicht. Es hat die besondere Stellung des Versicherungsagenten
  143. nicht berücksichtigt, der als "Auge und Ohr" des Versicherers zur Entgegennahme auch mündlicher vorvertraglicher Anzeigen des Versicherungsnehmers bevollmächtigt ist. Der Versicherer ist aufgrund des Vertrauensverhältnisses während der Vertragsverhandlungen dem Antragsteller gegenüber zur Auskunft und Beratung verpflichtet, soweit sie dieser benötigt. Er erfüllt diese Pflicht durch Auskünfte seines Agenten; der
  144. künftige Versicherungsnehmer darf davon ausgehen, daß der Agent zur
  145. Erteilung solcher Auskünfte regelmäßig auch befugt ist. Diese Umstände
  146. bestimmen zugleich die Erwartungen des künftigen Versicherungsnehmers an den ihm bei Antragstellung gegenübertretenden Agenten. Gibt
  147. der Agent dem Antragsteller unzutreffende Auskünfte und falsche Ratschläge im Zusammenhang mit der Beantwortung von Formularfragen im
  148. Antrag, greift demgemäß der Vorwurf, der Antragsteller habe insoweit
  149. seine Anzeigeobliegenheit verletzt, nicht durch (vgl. BGHZ 116, 387,
  150. 391). Nichts anderes gilt, wenn der Agent die zutreffende Beantwortung
  151. der vom Versicherer gestellten Formularfragen dadurch unterläuft, daß
  152. er durch einschränkende Bemerkungen verdeckt, was auf die jeweilige
  153. Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist (Senatsurteil
  154. vom 10. Oktober 2001 - IV ZR 6/01 - VersR 2001, 1541 unter II 1 d). Den
  155. Agenten hinsichtlich seiner Auskünfte, was von den offenbarten Umständen in das Formular aufzunehmen ist, zu kontrollieren, ist nicht Sache
  156. - 10 -
  157. des künftigen Versicherungsnehmers. Das wirkt sich auf die Beurteilung
  158. der Frage aus, ob für den Versicherungsnehmer ein Vollmachtsmiß brauch seitens des Versicherungsagenten offensichtlich werden muß: An
  159. die für § 242 BGB geforderte Evidenz des Vollmachtsmißbrauchs ist ein
  160. strenger Maßstab anzulegen, der der besonderen Stellung des Versicherungsagenten Rechnung trägt.
  161. III. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem aufgezeigten
  162. Rechtsfehler. Das Berufungsgericht wird erneut tatrichterlich zu würdigen haben, ob der bislang zugrunde gelegte Sachverhalt die Annahme
  163. rechtfertigt, das treuwidrige Handeln des Versicherungsagenten sei für
  164. den Kläger evident gewesen. Dabei wird es zu erwägen haben, ob die
  165. Würdigung zusätzlich auf eine Anhörung des Klägers und eine wiederholte Vernehmung des Agenten zu stützen ist. Wird Vollmachtsmiß brauch verneint, wird es darauf ankommen, ob der Kläger dem Versicherungsagenten seine Vorerkrankungen tatsächlich in dem vorgetragenen
  166. Umfang offenbarte. Die Beweislast dafür, daß er etwas anderes gesagt
  167. hat, als er behauptet, trifft dabei die Beklagte. Hat nicht der Versicherungsnehmer, sondern der Agent das Formular ausgefüllt, kann der Versicherer allein mit dem Formular nicht beweisen, daß der Versicherungsnehmer falsche Angaben gemacht hat, sofern dieser sich substantiiert dahin einläßt, den Agenten mündlich zutreffend unterrichtet zu haben (BGHZ 107, 322, 325).
  168. Terno
  169. Dr. Schlichting
  170. Seiffert
  171. - 11 -
  172. Dr. Kessal-Wulf
  173. Felsch