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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. VERSÄUMNISURTEIL
  4. III ZR 114/11
  5. Verkündet am:
  6. 8. Dezember 2011
  7. Kiefer
  8. Justizangestellter
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. ZPO § 29; BGB § 269 Abs. 1; Brüssel I-VO Art. 5 Nr. 1 Buchst. b
  19. Bei einem Krankenhausaufnahmevertrag ergibt sich aus der Natur des Schuldverhältnisses im Sinne des § 269 Abs. 1 BGB ein einheitlicher Leistungsort am
  20. Ort des Krankenhauses, der auch den Vergütungsanspruch des Krankenhauses umfasst. Deshalb ist das Gericht am Ort des Krankenhauses auch außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung (EG)
  21. Nr. 44/2001 (Brüssel I-VO) für Vergütungsansprüche des Krankenhauses international zuständig.
  22. BGH, Versäumnisurteil vom 8. Dezember 2011 - III ZR 114/11 - KG Berlin
  23. LG Berlin
  24. - 2 -
  25. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 8. Dezember 2011 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
  27. Dörr, Wöstmann, Seiters und Tombrink
  28. für Recht erkannt:
  29. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 20. Zivilsenats
  30. des Kammergerichts vom 5. Mai 2011 aufgehoben.
  31. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  32. über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  33. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tatbestand
  36. 1
  37. Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen der stationären Behandlung
  38. in ihrem in Berlin gelegenen Krankenhaus vom 19. April 2005 bis 5. Juli 2005
  39. und vom 19. bis 30. September 2005 unter Berücksichtigung von Abschlagszahlungen in Höhe von 60.000 € mit Rechnungen vom 22. September 2005 und
  40. 3. November 2005 auf Zahlung von 111.685,48 € nebst Zinsen in Anspruch.
  41. Der Beklagte, serbischer Staatsbürger, wohnte im Zeitpunkt der Aufnahme in
  42. das Krankenhaus und wohnt auch noch heute in Belgrad-Z.
  43. . Er hat sich
  44. - 3 -
  45. trotz ordnungsgemäßer Zustellung und Ladung nicht durch einen Rechtsanwalt
  46. vertreten lassen und lediglich schriftlich mitgeteilt, dass er weder Grund noch
  47. Höhe der Forderung bestreite, die Klage aber - mit näherer Begründung - für
  48. unnötig und verfrüht halte.
  49. 2
  50. Das Landgericht hat die auf Erlass eines Versäumnisurteils gerichtete
  51. Klage durch unechtes Versäumnisurteil als unzulässig abgewiesen. Das Kammergericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlich
  52. gestellten Antrag weiter.
  53. Entscheidungsgründe
  54. 3
  55. Die Revision ist begründet. Dies ist, da der Beklagte im Verhandlungstermin nicht vertreten war, durch Versäumnisurteil auszusprechen, das inhaltlich auf einer Sachprüfung beruht (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR
  56. 110/60, BGHZ 37, 79, 81).
  57. I.
  58. 4
  59. Das Berufungsgericht (GesR 2011, 625) ist der Auffassung, dass sich die
  60. örtliche und die hiervon abgeleitete internationale Zuständigkeit mangels eines
  61. Wohnsitzes des Beklagten im Inland nur ergeben könnte, wenn Erfüllungsort für
  62. die streitige Verpflichtung des Beklagten der Ort des Krankenhauses wäre (§ 29
  63. Abs. 1 ZPO). Da der Krankenhausaufnahmevertrag in Deutschland mit einem
  64. deutschen Träger geschlossen worden sei und demzufolge der Schwerpunkt
  65. - 4 -
  66. des Vertrags in Deutschland liege, sei nach dem im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch anwendbaren Art. 28 Abs. 2 EGBGB deutsches Recht heranzuziehen. Nach dem insoweit anzuwendenden § 269 Abs. 1 BGB habe die
  67. Leistung an dem Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz habe, sofern nicht ein anderer Ort von den Parteien bestimmt oder aus den Umständen, insbesondere aus
  68. der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen sei. Bei gegenseitigen Verträgen bestehe im Allgemeinen kein einheitlicher Leistungsort; dieser müsse
  69. grundsätzlich für jede Verpflichtung gesondert bestimmt werden. Im Zweifel sei
  70. schon aus dem Grundsatz des Verbraucherschutzes, der sowohl das deutsche
  71. als auch das europäische Zivilrecht präge, der jeweilige Wohnsitz des Schuldners Leistungsort.
  72. 5
  73. In Anlehnung an den die Honorarforderung eines Rechtsanwalts betreffenden Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2003 (X ARZ
  74. 91/03, BGHZ 157, 20) ist das Berufungsgericht der Auffassung, hinsichtlich der
  75. hier in Rede stehenden Geldforderung bestehe keine bestimmte örtliche Präferenz und das Schuldverhältnis weise keine Besonderheiten auf, die allein einen
  76. bestimmten anderen Leistungsort als den jeweiligen Wohnsitz des Beklagten
  77. umständegerecht sein ließen. Zwar liege der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses am Klinikort. Dabei handele es sich jedoch um einen Gesichtspunkt, der
  78. nicht auf die Bestimmung des Leistungsorts im Sinne des § 269 Abs. 1 BGB
  79. übertragen werden könne. Weitere Umstände, die es beim Krankenhausaufnahmevertrag als interessengerecht erscheinen ließen, den Prozess am Ort der
  80. Klinik zu führen, seien nicht anzuerkennen. Dies gelte namentlich für selbstzahlende Patienten mit Gerichtsstand im Inland. Dass die Rechtsverfolgung im
  81. Ausland erschwert sei, sei ein Gesichtspunkt, der die Natur des Schuldverhältnisses im Sinne des § 269 Abs. 1 BGB unberührt lasse. Im Übrigen könne die
  82. - 5 -
  83. Klägerin mit Patienten, die im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand hätten,
  84. nach § 38 Abs. 2 ZPO - auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen - einen
  85. inländischen Gerichtsstand vereinbaren.
  86. II.
  87. 6
  88. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
  89. 7
  90. 1.
  91. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass
  92. mangels eines inländischen Wohnsitzes des Beklagten hier nur der besondere
  93. Gerichtsstand des Erfüllungsorts im Sinne des § 29 Abs. 1 ZPO in Betracht
  94. kommt und dass insoweit zur näheren Beurteilung mit Rücksicht auf den im
  95. Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch geltenden Art. 28 Abs. 2 EGBGB deutsches Recht heranzuziehen ist.
  96. 8
  97. Nach § 269 Abs. 1 BGB hat die Leistung an dem Ort zu erfolgen, an dem
  98. der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte. Diese Dispositivnorm greift aber nur dann ein, wenn weder ein Ort für
  99. die Leistung bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur
  100. des Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist. Richtig ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass bei einem gegenseitigen Vertrag nicht notwendig ein einheitlicher Leistungsort besteht, sondern dass dieser grundsätzlich für jede Verpflichtung gesondert bestimmt werden muss (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 1985 - I ARZ 737/85, NJW 1986, 935; Urteile vom 9. März 1995 - IX ZR
  101. 134/94, NJW 1995, 1546; vom 4. März 2004 - IX ZR 101/03, NJW-RR 2004,
  102. 932).
  103. - 6 -
  104. 9
  105. 2.
  106. Ob sich bei einem Krankenhausaufnahmevertrag mangels einer Verein-
  107. barung über den Leistungsort aus der Natur des Schuldverhältnisses ein einheitlicher Leistungsort am Ort der Klinik auch für den Vergütungsanspruch des
  108. Krankenhauses ergibt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
  109. 10
  110. Wegen der Erbringung der vertragscharakteristischen Leistung im Krankenhaus, die den Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses bildet, wird von Teilen
  111. der Rechtsprechung ein einheitlicher Leistungsort am Ort des Krankenhauses
  112. angenommen (vgl. OLG Celle, NJW 1990, 777 und MDR 2007, 604; BayObLG,
  113. MDR 2005, 677 und MDR 2005, 1397; OLG Karlsruhe, MedR 2010, 508, 509;
  114. LG München I, NJW-RR 2003, 488; LG Bremen, VersR 2005, 1260; vgl. auch
  115. OLG Düsseldorf, MedR 2005, 723, zum Behandlungsvertrag mit einem Zahnarzt). Demgegenüber haben andere Gerichte das Vorliegen besonderer Gründe, die für die Annahme eines einheitlichen Erfüllungsortes sprechen könnten,
  116. verneint (vgl. neben dem Berufungsgericht OLG Zweibrücken, NJW-RR 2007,
  117. 1145; LG Osnabrück, NJW-RR 2003, 789; LG Mainz, NJW 2003, 1612 f; LG
  118. Magdeburg, NJW-RR 2008, 1591, 1592; LG Hagen, MedR 2009, 675, 676).
  119. 11
  120. In der Literatur überwiegen die Stimmen, die sich - zum Teil ohne nähere
  121. Begründung - für einen einheitlichen Leistungsort am Ort des Krankenhauses
  122. aussprechen (vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 29 Rn. 44; MünchKommZPO/Patzina, 3. Aufl., § 29 Rn. 65; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 29
  123. Rn. 24; Prütting/Gehrlein/Wern, ZPO, 3. Aufl. 2011, § 29 Rn. 14 Krankenhausaufnahmevertrag; Baumbach/Hartmann, ZPO, 70. Aufl., § 29 Rn. 26; Thomas/
  124. Putzo/Hüßtege, ZPO, 32. Aufl., § 29 Rn. 6; Zimmermann, ZPO, 8. Aufl., § 29
  125. Rn. 5, 5b; Staudinger/Bittner, BGB, Neubearb. 2009, § 269 Rn. 50; MünchKomm-BGB/Krüger, 5. Aufl., § 269 Rn. 38; Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl.,
  126. - 7 -
  127. § 269 Rn. 13; Hk-BGB/Schulze, 6. Aufl., § 269 Rn. 7; Hauser, MedR 2006, 332,
  128. 335 f; vgl. zur Honorarklage eines Arztes am Praxisort Schinnenburg, MedR
  129. 2001, 402 ff; unentschieden wohl Musielak/Heinrich, ZPO, 8. Aufl. § 29 Rn. 21;
  130. HK-ZPO/Bendtsen, 4. Aufl., § 29 Rn. 7; a.A. Wieczorek/Schütze/Hausmann,
  131. ZPO, 3. Aufl., § 29 Rn. 52; Bamberger/Roth/Unberath, BGB, 2. Aufl., § 269
  132. Rn. 19; Kerwer in juris Praxiskommentar BGB, 4. Aufl., § 269 Rn. 18 f;
  133. Zöchling-Jud in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 6. Aufl., § 269 Rn. 9; Prechtel,
  134. MDR 2006, 246 ff; Lensing, MedR 2009, 676 f).
  135. 12
  136. Der Senat hält es für vorzugswürdig, beim Krankenhausaufnahmevertrag
  137. nach der Natur des Schuldverhältnisses einen einheitlichen Leistungsort am Ort
  138. des Krankenhauses anzunehmen.
  139. 13
  140. a) Die einleitende Bezugnahme des Berufungsgerichts auf den Grundsatz des Verbraucherschutzes, der das deutsche und europäische Zivilrecht
  141. präge, trägt nicht die Schlussfolgerung, Leistungsort sei (im Zweifel) der jeweilige Wohnsitz des Schuldners. Eine auf diese Rechtsfolge ausgerichtete Norm,
  142. die Auswirkungen auf Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit hätte, ist im Zuge
  143. der Einführung des Verbraucher- und Unternehmerbegriffs (§§ 13, 14 BGB) und
  144. der Übernahme verbraucherschützender Sondergesetze in das Bürgerliche Gesetzbuch nicht geschaffen worden. Für den Bereich der Europäischen Union, in
  145. der sich der Verbraucherschutz besonders entwickelt hat, ist es vielmehr möglich, nach Art. 5 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat zu verklagen, wenn es um Ansprüche aus einem Vertrag über die Erbringung von
  146. Dienstleistungen geht, die in diesem Mitgliedstaat erbracht worden sind oder
  147. - 8 -
  148. hätten erbracht werden müssen (vgl. zu dieser Zuständigkeit bei einem Krankenhausaufnahmevertrag OLG Oldenburg, NJW-RR 2008, 1597, 1598).
  149. 14
  150. b) Was die Regelung des § 269 Abs. 1 BGB selbst angeht, hat der Bundesgerichtshof in Bezug auf Honorarforderungen von Rechtsanwälten ausgeführt, es gehe insoweit lediglich um Geld, bei dem es an einer bestimmten örtlichen Präferenz fehle (vgl. Beschluss vom 11. November 2003 - X ARZ 91/03,
  151. BGHZ 157, 20, 24); der Vertrag mit einem rechtlichen Berater habe nicht typischerweise seinen räumlichen oder rechtlichen Schwerpunkt in der Kanzlei (Urteil vom 4. März 2004 - IX ZR 101/03, NJW-RR 2004, 932; zum Honoraranspruch eines Steuerberaters vgl. Beschluss vom 16. November 2006 - IX ZR
  152. 206/03, DStR 2007, 1099 f). Insbesondere hat der Bundesgerichtshof den Gedanken, allein auf den Schwerpunkt abzustellen, abgelehnt, weil dies praktisch
  153. bei jedem Vertrag zu einem mit § 269 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbarenden einheitlichen Leistungsort für beide Vertragsparteien führen würde (vgl. Beschluss
  154. vom 11. November 2003 - X ARZ 91/03, aaO S. 25; Urteil vom 22. Oktober
  155. 1987 - I ZR 224/85, NJW 1988, 966, 967).
  156. 15
  157. Ungeachtet dieses Grundsatzes kann sich jedoch aus der Natur des
  158. Schuldverhältnisses ein einheitlicher Leistungsort für alle Vertragspflichten ergeben. Dies ist etwa anerkannt beim klassischen Ladengeschäft des täglichen
  159. Lebens, bei dem regelmäßig sofort an Ort und Stelle gezahlt wird, oder beim
  160. Bauwerkvertrag, bei dem auch der Besteller eine seiner Hauptpflichten, nämlich
  161. die Abnahme des Werks, am Ort des Bauwerks zu erfüllen hat und bei dem es
  162. im wohlverstandenen Interesse beider Vertragsparteien liegt, eine gerichtliche
  163. Auseinandersetzung über etwaige Mängel des Bauwerks in dessen räumlicher
  164. Nähe durchführen zu können (vgl. Beschlüsse vom 11. November 2003
  165. - X ARZ 91/03, aaO S. 25 f; vom 5. Dezember 1985 - I ARZ 737/85, NJW 1986,
  166. - 9 -
  167. 935). Auch für einen Energie- oder Wasserlieferungsvertrag ist im Hinblick darauf, dass der Abnehmer am Ort der Abnahme wesentliche Nebenpflichten zu
  168. erfüllen hat, ein einheitlicher Leistungsort für alle Vertragspflichten angenommen worden (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2003 - VIII ZR 321/02, NJW
  169. 2003, 3418).
  170. 16
  171. c) Dass mit Rücksicht auf den angeführten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2003 Schwerpunktüberlegungen keinerlei Bedeutung mehr hätten (in diesem Sinne Prechtel, MDR 2006, 246, 247), ist in dieser
  172. Verallgemeinerung nicht richtig. § 269 Abs. 1 BGB als Dispositivnorm weist gerade der "Natur des Schuldverhältnisses" für die Bestimmung des Leistungsortes eine vorrangige Bedeutung zu, die nicht mit der Bemerkung gemindert werden kann, hierbei handele es sich um eine "Leerformel" und um einen "nebulösen Begriff" (vgl. Prechtel aaO). Wie der Bundesgerichtshof unter Bezugnahme
  173. auf die Gesetzesmaterialien ausgeführt hat, soll mit diesem Merkmal in Fällen,
  174. in denen die Vertragsparteien es unterlassen haben, ihren tatsächlichen Willen
  175. zum Leistungsort durch ausdrückliches oder konkludentes Verhalten zum Ausdruck zu bringen, jedenfalls deren mutmaßlichem Willen Rechnung getragen
  176. werden können. Dieser mutmaßliche Wille kann sich vor allem aus der Beschaffenheit der streitigen Leistung ergeben, aber auch aus der Natur des Schuldverhältnisses zu ersehen sein. Sofern sich Besonderheiten des konkreten
  177. Schuldverhältnisses nicht feststellen lassen, erlaubt dieses Merkmal damit auch
  178. eine Bewertung anhand der typischen Art des Vertragsverhältnisses, das die
  179. streitige Verpflichtung begründet hat (vgl. Beschluss vom 11. November 2003
  180. - X ARZ 91/03, aaO S. 23 f).
  181. - 10 -
  182. 17
  183. d) Gemessen hieran bestehen zwischen einem Dienstverhältnis zu einem Rechtsanwalt oder Steuerberater und einem Elemente des Beherbergungsvertrags (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 24. Januar 2007 - XII ZR 168/04,
  184. NJW-RR 2007, 777, 778) enthaltenden Krankenhausaufnahmevertrag Unterschiede, die auch auf den Leistungsort für den Vergütungsanspruch ausstrahlen.
  185. 18
  186. Der Schwerpunkt der dem Patienten zu erbringenden Leistungen liegt
  187. zweifellos am Ort der Klinik. Das wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass unter
  188. Umständen einzelne Leistungen auf Veranlassung des Krankenhauses oder
  189. der zur selbständigen Liquidation berechtigten Ärzte von Dritten oder von Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses erbracht werden. Es kommt hinzu,
  190. dass der Patient zwar nicht die rechtliche Pflicht hat, sich am Ort des Krankenhauses der vorgesehenen Behandlung zu unterziehen. Er kann die Behandlung
  191. aber nur dort entgegennehmen. Soweit seine Mitwirkung erforderlich ist, wird
  192. sie am Ort des Krankenhauses benötigt. Die gesamte Durchführung des Vertrags ist an seine persönliche Anwesenheit im Krankenhaus gebunden. Insofern
  193. ist der Natur des Schuldverhältnisses eigen, dass sich der Patient am Ort des
  194. Krankenhauses zur Behandlung bereit hält und zustimmend mitwirkt, was nicht
  195. minder bewertet werden kann als in Betracht kommende einzelne Mitwirkungspflichten des Bestellers beim Bauwerkvertrag (vgl. BGH, Beschlüsse vom
  196. 11. November 2003 - X ARZ 91/03, aaO S. 25 f; vom 5. Dezember 1985 - I ARZ
  197. 737/85, aaO) oder des Abnehmers beim Energielieferungsvertrag (vgl. BGH,
  198. Urteil vom 17. September 2003 - VIII ZR 321/02, aaO). Das rechtfertigt die Annahme eines einheitlichen Leistungsorts für alle Vertragspflichten.
  199. 19
  200. Es kommt hinzu, dass Krankenhäuser, die - wie hier - ihre Leistungen
  201. nach dem Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) abzurechnen haben, gegen
  202. - 11 -
  203. einen Patienten, der einen Krankenversicherungsschutz nicht nachweisen
  204. kann, einen gesetzlichen Anspruch auf eine angemessene Vorauszahlung haben (§ 8 Abs. 7 Satz 1 KHEntgG). Ab dem achten Tag des Krankenhausaufenthalts kann eine angemessene Abschlagszahlung, deren Höhe sich an den bisher erbrachten Leistungen in Verbindung mit der Höhe der voraussichtlich zu
  205. zahlenden Entgelte zu orientieren hat, verlangt werden (§ 8 Abs. 7 Satz 2
  206. KHEntgG). Einem Krankenhausaufnahmevertrag, der sich wegen der zu erhebenden Entgelte nach dem Krankenhausentgeltgesetz richtet, ist es daher ohne
  207. nähere Vereinbarung und in Ergänzung des Grundsatzes des § 614 Satz 1
  208. BGB immanent, dass die Leistungen des Krankenhauses - im Fall des § 8
  209. Abs. 7 Satz 1 KHEntgG schon vor der Behandlung, im Fall des § 8 Abs. 7
  210. Satz 2 KHEntgG zwingend während der Dauer des Krankenhausaufenthalts zeitnah zu vergüten sind. Dem entspricht es, dass das Recht des Krankenhauses, Voraus- und Abschlagszahlungen verlangen zu können, dann nicht gilt,
  211. wenn durch Verträge oder andere Regelungen nach §§ 112 bis 114 SGB V sowie nach § 11 Abs. 1 KHEntgG eine zeitnahe Vergütung anderweit sichergestellt ist (§ 8 Abs. 7 Satz 3 KHEntgG), wie dies bei gesetzlich versicherten Patienten der Fall ist. Dem Regelungszusammenhang kann entnommen werden,
  212. dass Krankenhäuser, die ihre Leistungen - anders als ein Rechtsanwalt - nicht
  213. ohne weiteres von Vorschusszahlungen abhängig machen können, sondern in
  214. Akutfällen sofort behandeln müssen, vor der Gefahr bewahrt werden sollen, auf
  215. ihre Leistungen nach Abschluss der Behandlung und Entlassung des Patienten
  216. keine Vergütung mehr zu erhalten.
  217. 20
  218. Schließlich ist auch Folgendes zu berücksichtigen: Üblicherweise wird
  219. ein Patient, der eine Krankenhausbehandlung benötigt, ein Krankenhaus in seiner Wohnortnähe aufsuchen. Abweichungen hiervon ergeben sich vor allem in
  220. Fällen, in denen das Krankenhaus besonders qualifiziert ist und der Patient es
  221. - 12 -
  222. daher auf sich nimmt, dessen Dienste - gegebenenfalls weit abseits von seinem
  223. Wohnort - in Anspruch zu nehmen. In besonderem Maße gilt dies, wenn - wie
  224. hier - ein Patient aus dem Ausland anreist. Es entspricht seinem mutmaßlichen
  225. Willen, dass er die Kosten für eine solche Maßnahme aufbringt und dass dies
  226. auch am Ort seiner Behandlung erwartet wird. Dass es in der Dispositionsfreiheit des Krankenhauses liegen würde, einen solchen Patienten zu behandeln,
  227. lässt sich in dieser Allgemeinheit nicht sagen. Vielmehr zeichnet es die Behandlung in einem Krankenhaus aus, dass vielfach Leistungen erbracht werden
  228. müssen, ehe die rechtlichen Rahmenbedingungen, etwa auch der Abschluss
  229. einer Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 Abs. 2 ZPO, im Einzelnen haben
  230. geklärt werden können. Dies aber sind Gesichtspunkte, die dem Schuldverhältnis des Krankenhausaufnahmevertrags eigen sind und daher nach der "Natur
  231. des Schuldverhältnisses" unter Berücksichtigung der besonderen Stellung des
  232. Krankenhauses ergänzend für die Bestimmung des Leistungsorts herangezogen werden können.
  233. III.
  234. 21
  235. Besteht sonach für die Klageforderung der besondere Gerichtsstand des
  236. § 29 Abs. 1 ZPO am Ort des Krankenhauses in Berlin, ist das angefochtene
  237. Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,
  238. damit es in der Sache selbst entscheidet. Zwar ist der Beklagte nicht nur in der
  239. Revisionsinstanz, sondern auch in den Tatsacheninstanzen säumig gewesen.
  240. Als Rechtsmittelgericht kann der Bundesgerichtshof indes nicht auf der Grundlage der Säumnis in der Vorinstanz durch Versäumnisurteil in der Sache erken-
  241. - 13 -
  242. nen (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94, NJW 1995, 2563,
  243. 2564).
  244. Schlick
  245. Dörr
  246. Seiters
  247. Wöstmann
  248. Tombrink
  249. Vorinstanzen:
  250. LG Berlin, Entscheidung vom 07.10.2010 - 13 O 460/08 KG Berlin, Entscheidung vom 05.05.2011 - 20 U 251/10 -