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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 47/99
  5. Verkündet am:
  6. 29. Mai 2000
  7. Boppel
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. BGHZ:
  14. ja
  15. nein
  16. ThürSpkVO § 5 Abs. 1 Satz 2; GmbHG § 51 Abs. 2 und 4
  17. Zur Verwaltungsratssitzung einer Thüringischen Sparkasse, in der über die fristlose Kündigung eines Mitglieds des Vorstandes Beschluß gefaßt werden soll,
  18. kann nicht wirksam mit der Mitteilung des Tagesordnungspunktes "Vorstandsangelegenheiten" einberufen werden (Anschluß an Urt. v. 30. November 1961
  19. - II ZR 136/60, NJW 1962, 393); ein in einer derart fehlerhaft einberufenen Sitzung gefaßter Beschluß ist nichtig.
  20. BGH, Urteil vom 29. Mai 2000 - II ZR 47/99 - OLG Jena
  21. LG Gera
  22. -2-
  23. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  24. vom 29. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die
  25. Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und Kraemer
  26. für Recht erkannt:
  27. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats
  28. des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 20. Januar 1999
  29. aufgehoben und auf die Berufung des Klägers das Urteil der
  30. 7. Zivilkammer des Landgerichts Gera vom 17. Juli 1997 wie
  31. folgt abgeändert:
  32. Es wird festgestellt, daß der Dienstvertrag des Klägers mit
  33. der Beklagten vom 8. März 1995 durch die fristlosen Kündigungen vom 20. Juni und vom 9. Dezember 1996 nicht
  34. beendet wurde.
  35. Die Widerklage wird abgewiesen.
  36. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
  37. Von Rechts wegen
  38. -3-
  39. Tatbestand:
  40. Die beklagte Sparkasse ist aus der Fusion der Sparkasse G.
  41. Sparkasse Gr./Z.
  42. und der
  43. hervorgegangen. Der Kläger war vor der Fusion
  44. Vorstandsvorsitzender des letztgenannten Kreditinstituts, nach der Fusion bekleidete er bei der Beklagten vom 1. März 1995 an das Amt des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden. Nach dem auf fünf Jahre abgeschlossenen
  45. Dienstvertrag vom 8. März 1995 kann die Beklagte das Dienstverhältnis nur
  46. aus wichtigem Grund kündigen. Dem Kläger ist ein Versorgungsversprechen
  47. erteilt worden, das Vordienstzeiten seit dem 1. August 1971 als ruhegehaltsfähig einbezieht; die Versorgung kann gekürzt werden, wenn das Dienstverhältnis seitens der Beklagten gekündigt wird und der Kläger den wichtigen Grund
  48. vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat; bei grober Fahrlässigkeit ist
  49. diese Kürzung nur zulässig, wenn der Beklagten ein erheblicher Vermögensschaden zugefügt worden ist, sie darf dann äußerstenfalls die Hälfte der Versorgungsansprüche erfassen. Nach § 10 des Vertrages steht dem Kläger ein
  50. Dienstwagen der Oberklasse zu, den er kostenfrei auch für private Zwecke
  51. nutzen darf, wobei der sich hieraus ergebende geldwerte Vorteil von ihm zu
  52. versteuern ist.
  53. In dem Fusionsvertrag ist bestimmt, daß in der ersten Wahlperiode des
  54. Verwaltungsrates Beschlüsse nur mit Zweidrittel-Mehrheit gefaßt werden sollen, wenn dadurch grundlegende Interessen beider Gewährträger berührt werden. Dementsprechend ordnet die Geschäftsordnung des Verwaltungsrates an,
  55. daß der Verwaltungsrat in diesen Fällen mit Zweidrittel-Mehrheit beschließt.
  56. Über Inhalt und Tragweite dieser Regelungen, vor allem über die Frage, ob
  57. auch die Besetzung des Vorstandes zu den "grundlegenden Interessen der
  58. Gewährträger" gehört, streiten die Parteien.
  59. -4-
  60. In einer Sitzung des Verwaltungsrates der Beklagten vom 19./20. Juni
  61. 1996, zu der mit der Tagesordnung "Vorstandsangelegenheiten" eingeladen
  62. worden war, wurde mit 11 gegen 6 Stimmen beschlossen, den Kläger aus dem
  63. Vorstandsamt abzuberufen und den mit ihm geschlossenen Dienstvertrag fristlos zu kündigen. Im Anschluß an diese Sitzung ist dem Kläger am 20. Juni
  64. 1996 das siebenseitige Kündigungsschreiben ausgehändigt worden. Während
  65. er die Abberufung gerichtlich nicht angegriffen hat, hat er geltend gemacht, die
  66. fristlose Kündigung sei aus formellen und materiellen Gründen unwirksam, und
  67. hat auf die entsprechende Feststellung angetragen. Während des Rechtsstreits hat der Verwaltungsrat, wiederum einberufen mit der Tagesordnung
  68. "Vorstandsangelegenheiten", am 9. Dezember 1996 abermals die fristlose
  69. Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Klägers beschlossen. Auch gegen diese ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung wendet sich der Kläger,
  70. der zudem hilfsweise die Feststellung beantragt hat, daß ihm die volle Versorgung zusteht.
  71. Die Beklagte hat von dem Kläger zunächst vergeblich die Herausgabe
  72. des Dienstwagens des Klägers verlangt, sodann Widerklage erhoben und diese - nachdem der Kläger während des Rechtsstreits das Fahrzeug zurückgegeben hatte - in der Hauptsache einseitig für erledigt erklärt.
  73. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die Feststellung der Erledigung der Widerklage ausgesprochen. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels der Berufung des Klägers nur
  74. insoweit entsprochen, als es festgestellt hat, dem Kläger stehe seit dem
  75. 10. Dezember 1996 die Hälfte der ihm zugesagten Versorgung zu. Gegen die-
  76. -5-
  77. ses Urteil haben beide Parteien Revision eingelegt. Der Senat hat lediglich das
  78. Rechtsmittel des Klägers zur Entscheidung angenommen.
  79. Entscheidungsgründe:
  80. Die Revision des Klägers ist begründet. Die am 20. Juni und
  81. 9. Dezember 1996 ausgesprochenen fristlosen Kündigungen des Dienstvertrages des Klägers sind unwirksam und haben das Dienstverhältnis nicht beendet;
  82. dementsprechend war der Kläger nicht zur Herausgabe des Dienstwagens verpflichtet und der Antrag der Beklagten, die Erledigung des mit der Widerklage
  83. geltend gemachten Herausgabeanspruchs festzustellen, unbegründet.
  84. Das angefochtene Urteil leidet an verschiedenen Rechtsfehlern verfahrensrechtlicher Art und in der materiellrechtlichen Beurteilung. Der Senat ist
  85. ebensowenig genötigt, auf sie sämtlich einzugehen, wie es für den Ausgang
  86. des Rechtsstreits darauf ankommt, daß das Berufungsgericht in seiner Entscheidung zur Versorgung des Klägers verkannt hat, daß das Altersruhegeld,
  87. die Hinterbliebenen- und die Invaliditätsversorgung nach §§ 1, 17 BetrAVG
  88. unverfallbar geworden waren und dem Kläger deswegen nicht aberkannt werden konnten (vgl. Sen.Urt. v. 29. Mai 2000 - II ZR 380/98 z.V.b.). Denn beide
  89. Kündigungserklärungen sind bereits aus formellen Gründen unwirksam, weil
  90. die sie tragenden Beschlüsse des Verwaltungsrates nichtig sind.
  91. Die Einladung zu den beiden Sitzungen mit der Tagesordnung "Vorstandsangelegenheiten" entsprach nicht den Anforderungen von Nr. 1.1 der
  92. Geschäftsordnung des Verwaltungsrats der Beklagten. Diese Vorschrift ordnet
  93. in Übereinstimmung mit § 8 Abs. 4 SpkG 1990 und unter Bezugnahme auf die
  94. -6-
  95. Regelung in dem seinerzeitigen Entwurf von § 6 Abs. 1 ThürSpkVO (jetzt: § 5
  96. Abs. 1 Satz 2 ThürSpkVO v. 1. Juli 1999 - GVBl. S. 438 ff.) an, daß "unter Mitteilung der Tagesordnung" einzuladen ist. Inhaltsgleiche Regelungen finden
  97. sich in § 51 Abs. 2 und 4 GmbHG. Für sie hat der Senat entschieden (Urt. v.
  98. 30. November 1961 - II ZR 136/60, NJW 1962, 393 f.), es reiche aus, wenn in
  99. der nach § 51 GmbHG zu übermittelnden Tagesordnung mitgeteilt werde, "daß
  100. ein bestimmter Geschäftsführer abberufen werden soll", während die Angabe
  101. der Gründe nicht erforderlich sei. Zutreffend wird dies im Schrifttum dahin verstanden, daß die Mitteilung "Geschäftsführerangelegenheiten" nicht hinreichend bestimmt ist, um dem Zweck der Vorschrift, den an der Beschlußfassung
  102. Beteiligten eine sachgerechte Vorbereitung und Teilnahme an der Aussprache
  103. zu ermöglichen und sie vor Überraschung oder Überrumpelung zu schützen,
  104. gerecht zu werden (Scholz/K. Schmidt, GmbHG 8. Aufl. § 51 Rdn. 19 m. eingeh. Nw.; Hachenburg/Hüffer, GmbHG 8. Aufl. § 51 Rdn. 21 f. ; Lutter/Hommelhoff, GmbHG 15. Aufl. § 51 Rdn. 6; Roth/Altmeppen, GmbHG
  105. 3. Aufl. § 51 Rdn. 10; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG 16. Aufl. § 51 Rdn.
  106. 22; Thelen, GmbHR 1992, 796).
  107. Dieselben Gesichtspunkte beanspruchen Geltung auch für die Einberufung zur Sitzung des Verwaltungsrates einer Sparkasse, der als deren "oberstes Organ und Aufsichtsorgan" (§ 8 Abs. 1 ThürSpkG) ähnliche Aufgaben
  108. wahrzunehmen hat, wie die Gesellschafterversammlung bei einer GmbH. Bei
  109. ihm geht es ebenfalls darum, daß die Beteiligten sich sachgerecht auf den Beschlußgegenstand vorbereiten und ordnungsgemäß an der Abstimmung teilnehmen können, weil sie allein so ihrer verantwortungsvollen Aufgabe als an
  110. Aufträge und Weisungen nicht gebundene und nach ihrer freien, nur durch die
  111. Rücksicht auf gesetzliche Regelungen, das öffentliche Wohl und die Aufgaben
  112. -7-
  113. der Sparkassen bestimmten Überzeugung handelnde Organmitglieder gerecht
  114. werden können. Diesem Erfordernis trägt neben der Einberufungsfrist und der
  115. rechtzeitigen Mitteilung der Beschlußgegenstände auch § 5 Abs. 1 Satz 4 der
  116. zwischenzeitlich erlassenen ThürSpkVO Rechnung, nach der die Erweiterung
  117. der durch die Einladung festgelegten Tagesordnung nur bei Dringlichkeit und
  118. nur aufgrund eines mit qualifizierter Mehrheit gefaßten Beschlusses zulässig
  119. ist.
  120. Über die jeweils nur mit "Vorstandsangelegenheiten" angekündigte
  121. fristlose Kündigung des Dienstvertrages des Klägers durfte danach nicht Beschluß gefaßt werden. Da jedenfalls die von dem Gr.er
  122. Gewährträger
  123. entsandten Verwaltungsratsmitglieder deutlich gemacht haben, daß sie mit
  124. dem Vorgehen der Mehrheit nicht einverstanden waren, ist der Einberufungsmangel nicht geheilt, auch wenn sie sich später - negativ votierend - an der
  125. Abstimmung über den nicht ordnungsgemäß angekündigten Beschlußgegenstand beteiligt haben. Wenn die Gr.er
  126. Vertreter ihren Standpunkt, daß auch
  127. in Vorstandsfragen der Verwaltungsrat nur mit Zweidrittelmehrheit befinden
  128. durfte, wahren wollten, waren sie gezwungen, sich in dieser Weise an der Abstimmung zu beteiligen und sich damit die Möglichkeit zu erhalten, die Verletzung ihrer Rechte aus dem Fusionsvertrag im verwaltungsgerichtlichen Verfahren feststellen zu lassen.
  129. Röhricht
  130. Goette
  131. RiBGH Dr. Hesselberger
  132. ist wegen Urlaubs an der
  133. Unterschriftsleistung verhindert.
  134. Röhricht
  135. Kurzwelly
  136. Kraemer